Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus

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Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus, kurz Befreiungsgesetz

Das Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus vom 5. März 1946,[1] abgekürzt Befreiungsgesetz, wurde vom Länderrat des amerikanischen Besatzungsgebietes verabschiedet und sollte alle Deutschen, die die nationalsozialistische Gewaltherrschaft aktiv unterstützt hatten, von der Einflussnahme auf das öffentliche, wirtschaftliche und kulturelle Leben ausschließen und zur Wiedergutmachung verpflichten.

Die Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus wurde von den Alliierten seit der Potsdamer Konferenz als unerlässliche Vorbedingung für den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Wiederaufbau angesehen.

Das Gesetz kam auf Initiative des amerikanischen Militärgouverneurs Lucius D. Clay zustande und regelte das Spruchkammerverfahren in Bayern, Groß-Hessen und Württemberg-Baden. Zuständig zur Durchführung des Gesetzes war der Minister für die politische Befreiung. Diese Minister waren vom 7. April 1946 bis 3. Februar 1948 Gottlob Kamm (SPD) und vom 3. Februar 1948 bis 3. Oktober 1948 Walter Koransky (beauftragt).

Im Laufe des Jahres 1946 wurde das Befreiungsgesetz auf alle Besatzungszonen übertragen.[2]

Vorausgegangen waren das Gesetz Nr. 8 der Militärregierung in der amerikanischen Besatzungszone zur Befreiung auf dem Gebiet der gewerblichen Wirtschaft vom 26. September 1945[3] sowie die Kontrollratsdirektive Nr. 24 vom 12. Januar 1946 zur Entfernung aller Mitglieder der NSDAP aus öffentlichen und halböffentlichen Ämtern und aus verantwortlichen Stellungen in bedeutenden privaten Unternehmen.[4]

Nach dem Gesetz Nr. 8 geltende Beschäftigungs- und Betätigungsverbote galten bis zur rechtskräftigen Entscheidung einer Spruchkammer fort. Personen, deren Beschäftigung oder Tätigkeit von der Militärregierung auf Grund des Gesetzes Nr. 8 einstweilen genehmigt worden war, durften bis zur rechtskräftigen Entscheidung durch die Kammer weiter tätig sein. Nach Entscheidung der Kammer bestimmten sich die Beschränkungen hinsichtlich Beschäftigung oder Betätigung nach den aufgrund des Befreiungsgesetzes auferlegten Sühnemaßnahmen.

Verfahren

Siegelmarke des Ministeriums für politische Befreiung Württemberg-Baden

Jeder Deutsche über 18 Jahren hatte einen Meldebogen auszufüllen und bei dem für die zuständige Spruchkammer bestellten öffentlichen Kläger einzureichen.[5] Im Meldebogen waren neben den persönlichen Angaben vor allem die Mitgliedschaft in der NSDAP und ihren Organisationen sowie bestimmte berufliche Tätigkeiten, etwa als höherer Beamter in der NS-Verwaltung oder als Richter oder Staatsanwalt beim Volksgerichtshof, bei Sondergerichten, Partei-, SS- und SA-Gerichten oder Standgerichten offenzulegen.

Der öffentliche Kläger prüfte die Meldebögen und leitete Ermittlungen von Amts wegen ein (Art. 33). Zur Überprüfung des in der Kontrollratsdirektive Nr. 24 von Januar 1946 zu entnazifizierenden Personenkreises, auf die das Befreiungsgesetz in der Anlage verwies, bediente man sich der zum Großteil erhaltenen Mitgliederkartei der NSDAP. Alle Behörden des Staates, der Gemeinden und der Polizeiverwaltung, sowie die Selbst- und Sonderverwaltungen hatten den mit dem Vollzug des Gesetzes betrauten Stellen Rechtshilfe zu leisten (Art. 56). Falsche oder irreführende Angaben sowie das Verschleiern erheblicher Tatsachen war strafbar (Art. 65).

Der Kläger gruppierte die Betroffenen anhand der Kontrollratsdirektive Nr. 38. Gegen Hauptschuldige oder Belastete wurde auf seine Klage hin mündlich verhandelt. Gegen Minderbelastete oder Mitläufer wurde im schriftlichen Verfahren entschieden. Gegen Entlastete oder überhaupt nicht Belastete stellte der öffentliche Kläger das Verfahren ein. Datei:Sprüche Eger Freigabe 8.Aug. 2017.pdf Gegen die Einstufung des öffentlichen Klägers trug der Betroffene die Beweislast (Art. 43), d. h. er musste den Beweis dafür antreten, in eine günstigerer Gruppe eingestuft zu werden.

Außer dem öffentlichen Kläger konnten auch der Minister für politische Befreiung und seine Beauftragten, ein Verletzter, der durch den Betroffenen unmittelbar geschädigt worden war und auch der Betroffene selbst eine Einstufung beantragen (Art. 32).

Der Spruch der Kammer stellte fest, ob der Betroffene Hauptschuldiger, Belasteter, Minderbelasteter (Bewährungsgruppe), Mitläufer oder Entlasteter ist und ordnete die gebotenen Sühnemaßnahmen an (Art. 41).

Gegen die Einreihung in eine Gruppe als auch gegen die Festsetzung von Sühnemaßnahmen war Berufung möglich. Auf Grund neuer wesentlicher Tatsachen oder Beweismittel konnte das Verfahren auf Antrag wieder aufgenommen werden (Art. 46 bis 48).

Rechtskräftige Entscheidung über die Einreihung des Betroffenen und die von ihm verwirkten Sühnemaßnahmen wurden in seinen Personalausweis und in ein hierfür angelegtes Register eingetragen (Art 51).

Dem Minister für politische Befreiung war ein umfassendes Prüfungs- und Gnadenrecht vorbehalten (Art. 52 bis 54).

Siehe auch

Literatur

  • Lutz Niethammer: Entnazifizierung in Bayern. Säuberung und Rehabilitierung unter amerikanischer Besatzung. S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main 1972.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Gesetz Nr. 104 zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus (Memento vom 17. August 2018 im Internet Archive) vom 5. März 1946. verfassungen.de, abgerufen am 8. September 2019.
  2. Joachim Szodrzynski: Entnazifizierung - am Beispiel Hamburgs Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg, 2014, S. 3.
  3. Paul Hoser: Entnazifizierung Historisches Lexikon Bayerns, 5. Februar 2013.
  4. Kontrollratsdirektive Nr. 24. Entfernung von Nationalsozialisten und Personen, die den Bestrebungen der Alliierten feindlich gegenüberstehen, aus Ämtern und verantwortlichen Stellungen vom 12. Januar 1946. verfassungen.de, abgerufen am 14. April 2019.
  5. Military Government of Germany - Fragebogen zweisprachig englisch-deutsch