DALY

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
(Weitergeleitet von Gesunde Lebensjahre)
Disability-adjusted life years pro 100.000 Einwohner im Jahr 2004.[1]
  • keine Daten
  • weniger als 9250
  • 9250–16000
  • 16000–22750
  • 22750–29500
  • 29500–36250
  • 36250–43000
  • 43000–49750
  • 49750–56500
  • 56500–63250
  • 63250–70000
  • 70000–80000
  • mehr als 80000
  • DALY ist ein englisches Akronym und steht für disability-adjusted life years oder auch disease-adjusted life years (deutsch verlorene gesunde Lebensjahre; wörtlich behinderungs- bzw. krankheitskorrigierte Lebensjahre.) Es wird im Bereich der Medizin, Soziologie und Ökonomie verwendet.

    Das DALY-Konzept wurde erstmals im Weltentwicklungsbericht 1993[2] (World Development Report) von der Weltbank präsentiert. Mit diesem Konzept soll die Bedeutung verschiedener Krankheiten auf die Gesellschaft gemessen werden. Auch soll die Effizienz von Vorbeugung und Behandlung messbar werden.

    Abgrenzung zu ähnlichen Begriffen von anderen Institutionen für andere Länder

    EUROSTAT: Gesundheitserwartung für europäische Länder

    Die Gesundheitserwartung wird von Eurostat nur für alle EU-Staaten sowie für Island, Norwegen, die Schweiz und das Vereinigte Königreich berechnet.

    Im Unterschied zur Gesundheitserwartung, welche von Eurostat nur für europäische Staaten berechnet wird, werden die DALY-Werte von der WHO für alle Staaten der Welt berechnet. Die DALY-Werte werden von der WHO auch für die EU-Staaten berechnet, wobei wegen unterschiedlicher Formeln bzw. Kriterien bei der Berechnung der DALY im Vergleich zur Gesundheitserwartung, wie sie von Eurostat berechnet wird, die DALY-Werte für einzelne EU-Staaten von den Werten für Gesundheitserwartung laut Eurostat teilweise beträchtlich abweichen.

    Schweiz: Lebenserwartung in guter Gesundheit

    In der Schweiz gibt es den zur Gesundheitserwartung laut Eurostat ähnlichen Begriff Lebenserwartung in guter Gesundheit, welcher vom Bundesamt für Statistik, Sektion Demografie und Migration in CH-2010 Neuchâtel berechnet wird.[3]

    Hintergrund

    Mit DALY soll nicht nur die Sterblichkeit (Mortalität), sondern auch die Beeinträchtigung des normalen, beschwerdefreien Lebens durch eine Krankheit erfasst werden und in einer Maßzahl summiert werden.

    Von den Originalautoren wurde die Zahl der verlorenen Lebensjahre durch vorzeitigen Tod kombiniert mit dem Verlust an Lebenszeit durch Behinderung. Letzterer wird auch als verlorene Lebensjahre berechnet, multipliziert mit einem bestimmten Faktor je nach Höhe der Behinderung.

    Die Globale Krankheitslast-Studie (Global Burden of Disease – GBD) entwickelte für das Maß „Lebensqualität“ einen negativen Behinderungsindex, der bei hohen Werten eine niedrige Lebensqualität beschreibt: das behinderungsbereinigte Lebensjahr (Disability-Adjusted Life Year, DALY). Ein besonderer Vorteil des DALY ist der mögliche länder- und kulturübergreifende Einsatz. Es misst Gesundheitslücken und „beschreibt den Unterschied zwischen einer tatsächlichen Situation und einer idealen Situation, in der jede Person bei voller Gesundheit bis zu dem Alter lebt, das den Standardwerten der Lebenserwartung entspricht“.

    Berechnung

    Veranschaulichung der Berechnung

    Eine global geltende Standard-Lebenserwartung ist mit 80 Jahren für Männer und 82,5 Jahren für Frauen festgelegt (basierend auf der Lebenserwartung von Japanern). Die mit einer Behinderung gelebte und die durch vorzeitigen Tod verlorene Lebenszeit wird im DALY kombiniert: durch vorzeitigen Tod verlorene Lebensjahre (YLL) entsprechen im Wesentlichen der Anzahl von Todesfällen multipliziert mit der verbliebenen Lebenserwartung in dem Alter, in dem der Tod vorzeitig eintritt. Doch wird nicht nur die Sterblichkeit, sondern auch die Beeinträchtigung des normalen, beschwerdefreien Lebens durch eine Krankheit durch das DALY erfasst und in einer Maßzahl zusammengerechnet:

    ,

    wobei:
    YLL: Years of Life lost (durch vorzeitigen Tod verlorene Lebensjahre) und
    YLD: Years lived with Disease/Disability (mit Krankheit/Behinderung gelebte Lebensjahre).

    Genauer ist:


    mit:
    N: Anzahl der Todesfälle
    L: verbliebene Lebenserwartung im Sterbealter (in Jahren)

    Und:


    mit:
    I: Anzahl der Fälle
    DW: Schwere der Krankheit/Behinderung
    L: durchschnittliche Dauer der Krankheit/Behinderung bis zur Heilung oder bis zum Tod (in Jahren)

    Beispiele

    "Disability-Adjusted Life Years" pro Million Einwohner durch Alkoholmissbrauch nach Daten der WHO 2012.[4]
  • 234 – 806
  • 814 – 1.501
  • 1.551 – 2.585
  • 2.838 (Indien)
  • 2.898 – 3.935
  • 3.953 – 5.069
  • 5.168 (VR China)
  • 5.173 – 5.802
  • 5.861 – 8.838
  • 9.122 – 25.165
  • Die komplette Krankheitslast der Menschheit nach dem DALY-Konzept beträgt 1,4 Milliarden verlorene Lebensjahre, das entspricht 259 verlorene Lebensjahre pro 1000 Einwohnerjahre.

    Die Zahl ermöglicht einen Ländervergleich:

    • Entwickelte Länder – 117 DALY Verlust / 1000 Einwohnerjahre
    • China – 178 / 1000
    • Indien – 344 / 1000
    • Einige Länder Afrikas – 574 / 1000

    Die Zahl erlaubt auch einen Vergleich der sozialen Bedeutung bestimmter Krankheiten:

    • AIDS – 30 Millionen verlorene Lebensjahre entsprechend 2,2 % aller DALYs
    • Tuberkulose (TBC) – 46 Millionen verlorene Lebensjahre entsprechend 3,4 % aller DALYs.

    Kritik

    Charles H. King und Anne-Marie Bertino kritisierten 2008 eine Unterbewertung der globalen Krankheitslast durch vernachlässigte Tropenkrankheiten.[5] Im einzelnen:

    Die DALYs gehen davon aus, dass die Belastung durch eine Krankheit oder einen Unfall überall auf der Welt dieselbe ist. Zum Beispiel wird eine Querschnittlähmung bei einem Deutschen gleich behandelt wie die Querschnittlähmung eines Dorfbewohners in der Sahelzone – obwohl für ersteren ein deutlich besseres Versorgungsangebot besteht, wie zum Beispiel Rollstühle, spitalexterne Pflege und schließlich spezialisierte Einrichtungen.

    Die DALYs werden pro Krankheit berechnet. Dies führt zu zwei Problemen:

    • DALYs sind nicht in der Lage, Komorbiditäten – also beim selben Patienten gleichzeitig auftretende Erkrankungen – zu berücksichtigen. Dies ist aber gerade bei vernachlässigten Krankheiten der Fall. In Entwicklungsländern ist es selten, dass ein Patient nur unter einer Krankheit leidet.
    • Krankheiten werden oft mittels einem medizin-statistischen Handbuch definiert, so zum Beispiel ICD-10 oder DSM-IV. Dies führt zu folgendem Problem: Für die Anämie (D50 bis D64 nach ICD-10) werden eigene DALYs berechnet, obwohl die Anämie eine bedeutende Folge der Schistosomen-Infektion ist (ICD-10: B65). Eine objektive Zuteilung ist schwierig und hat bedeutende Folgen für Entwicklungsländer, wo eine "reine" Anämie selten vorkommt, sondern die Folge anderer Erkrankungen ist.

    Je nach Berechnungsweise wird die Krankheitsbelastung von jungen und alten Menschen vernachlässigt, weil angenommen wird, dass Leute zwischen 20 und 40 Lebensjahren am produktivsten sind und für ihre jüngeren wie älteren Mitmenschen zu sorgen haben. Dies wird als eine westliche Sichtweise angeprangert, da in Entwicklungsländern viele Kinder Feld- und Hausarbeit erledigen müssen. Die Erkrankung eines Kindes kann also eine ähnlich große Belastung darstellen wie jene eines Erwachsenen.

    Die Zahl, wie stark eine Krankheit den Patienten belastet (disability weight, DW) wird durch Experten festgelegt. Sie erfolgen nach einem prinzipiell objektiven Schema, nämlich mittels einer trade-off-Methode. Vereinfacht dargestellt wird ein Gremium vor ein Szenario gestellt:

    Sie können 1000 gesunden Menschen ein weiteres Lebensjahr schenken oder Sie können X Personen, die unter der Krankheit Y leiden, heilen. Wie groß ist die Zahl X, wenn beide Handlungsmöglichkeiten gleichwertig sind?

    Die DW-Zahlen besitzen zwei Schwachstellen, nämlich dass oft nicht ersichtlich ist, welche Personen diesen Gremien angehört hatten, und die mangelnde Aktualität dieser DW-Werte. Für bestimmte Krankheiten gibt es DWs, die in den 1990ern berechnet wurden und heute noch benutzt werden.

    Es gibt aber auch Kritikpunkte, die DALYs und QALYs gleichermaßen betreffen:

    • Beide Konzepte gehen von einer utilitaristischen Sichtweise aus – wenn die Heilung eines Menschen die Gemeinschaft zu viel Ressourcen kostet, wird auf die Heilung dieses Menschen verzichtet. Dem muss man entgegenhalten, dass DALYs und QALYs von vorneherein den Zweck verfolgen, möglichst vielen Menschen mit einem möglichst geringen finanziellen Aufwand zu helfen.
    • Obiger Punkt führt zu einer Vernachlässigung von Menschen mit chronischen Krankheiten, weil bei ihnen eine vollständige Heilung oft sehr schwierig ist – und entsprechend viel Geld kostet. Auch sind Menschen mit gleich schweren, aber seltenen Krankheiten benachteiligt.
    • "Jammern auf hohem Niveau": DALYs wie QALYs gehen davon aus, dass ein linearer Zusammenhang bestehe zwischen finanziellem Aufwand und den DALYs, die vermieden bzw. QALYs, die gewonnen werden – ungeachtet davon, ob DALYs in einem Industrieland und bei Herzinfarkten vermieden werden, oder ob man DALYs reduziert, in dem man in einem Entwicklungsland Lepra-Kranke behandelt.

    Ein weiteres ethisches Problem besteht darin, dass man den Tod eines Menschen rein rechnerisch mit der Heilung eines oder mehrerer Menschen aufwiegen kann. Genauso wie die Belastung einer Einzelperson durch dieselbe Krankheit orts- und kulturspezifisch ist, muss die Frage, ob Lebensrettung oder Lebensverbesserung Vorrang hat, auch kulturbedingt unterschiedlich beantwortet werden.

    Siehe auch

    Weblinks

    Literatur

    Anmerkungen

    1. WHO Disease and injury country estimates. World Health Organization, 2009, abgerufen am 6. Januar 2013.
    2. World Development Report 1993. Investing in Health. World Health Organisation, S. 7, 10, 12, abgerufen am 4. Oktober 2020.
    3. Lebenserwartung in guter Gesundheit, berechnet für die Schweiz vom Bundesamt für Statistik, Sektion Demografie und Migration in CH-2010 Neuchâtel, abgerufen am 19. Dezember 2020
    4. Health statistics and information systems: estimates for 2000–2012. (xls-Datei; 9,31 MB) (Nicht mehr online verfügbar.) WHO, archiviert vom Original am 19. August 2016; abgerufen am 31. Oktober 2019 (englisch, Zeile 91).
    5. King & Bertino (2008): Asymmetries of Poverty: Why Global Burden of Disease Valuations Underestimate the Burden of Neglected Tropical Diseases.PLoS Neglegted Tropical Diseases. 2(3): e209, doi:10.1371/journal.pntd.0000209.