Goldene Tafel (Landesmuseum Hannover)

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Die Goldene Tafel ist ein zweifach wandelbares Flügelaltarretabel, das in den ersten Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts für den Neubau der Benediktinerabteikirche St. Michaelis in Lüneburg gefertigt wurde. Die erhaltenen vier Flügel des ehemaligen Hochaltaraufsatzes gehören heute zu den Hauptwerken der Mittelaltersammlung des Niedersächsischen Landesmuseums Hannover.

Geschichte und Bedeutung

Die Bezeichnung Goldene Tafel geht auf ein mit Goldblech verkleidetes und mit einer Vielzahl von Edelsteinen und Gemmen verziertes Werk aus dem 12. oder 13. Jahrhundert aus der älteren Klosterkirche auf dem Kalkberg vor den Stadttoren Lüneburgs zurück, das vermutlich als Antemensale zur Verkleidung der Mensa gedient hatte. Während des Lüneburger Erbfolgekriegs wurden 1371 die Burg der Herzöge und das herzogsnahe Kloster auf dem Kalkberg geschleift. Den Benediktinermönchen wurde jedoch Gelegenheit gegeben die wichtigsten Erinnerungsobjekte mitzunehmen, die sie in dem ihnen zugestandenen Neubau innerhalb der Lüneburger Stadtmauern reintegrierten. Das goldene Antemensale und der über Jahrhunderte gewachsene kostbare Kirchenschatz des Klosters wurden hier aufwendig neu inszeniert, indem sie in das Zentrum des Schreins des neuen Flügelaltarretabels im Hochchor eingefügt wurden, der nach seinem Mittelstück insgesamt als "Goldene Tafel" bezeichnet wurde.[1]

1529 wurde in Lüneburg die Reformation eingeführt. Das Kloster wurde als lutherischer Konvent weitergeführt, die Goldene Tafel verlor ihre Funktion im Chordienst. 1656 wurde das evangelische Stift dann in eine Ritterakademie, eine Schule für adligen und patrizischen Nachwuchs, umgewandelt. Die Goldene Tafel stand aber unverändert bis zum Ende des 18. Jahrhunderts an seiner angestammten Position im Hochchor, obwohl sie schon lange nicht mehr liturgisch im Gebrauch war. Regelmäßig kamen Besucher von überall her und ließen sich für einen Taler die Flügel vom Küster öffnen. In der Nacht zum 7. März 1698 wurde die Goldene Tafel beraubt von dem deutschlandweit agierenden Kirchenräuber Nickel List und seinen Komplizen. Mit nachgefeilten Schlüsseln stiegen sie nachts in die Kirche ein und stahlen viele kostbaren Reliquiare, über 200 Rubine, Smaragde und Perlen und schnitten mit Spezialwerkzeug das Gold der älteren Goldenen Tafel ab. Eine deutschlandweite Großfahndung führte schließlich zum Erfolg und die Diebe wurden festgenommen und schließlich am 23. Mai 1699 in Celle hingerichtet. Sigismund Hosman, Pfarrer und Superintendent in Celle und der Beichtvater der verurteilten Diebe, veröffentlichte 1700 in Celle mit seinem Buch Fürtreffliches Denck-Mahl Der Göttlichen Regierung [...] eine umfangreiche erzählerische Dokumentation des Raubzuges von konsequent moralisierender Ausrichtung.

Nach der Beraubung begann eine Phase der detaillierten Dokumentation von St. Michaelis und der Goldenen Tafel durch Kupferstiche von Johann Christoph Boecklin in den Büchern von Hosmann und durch die beiden Gelehrten Johann Ludwig Levin Gebhardi (1699–1764) und seinen Sohn Ludwig Albrecht Gebhardi (1735–1802), die beide an der Ritterakademie in Lüneburg lehrten.

Ende des 18. Jahrhunderts wurde die Kirche grundlegend umgestaltet und die Goldene Tafel in ihre Einzelteile zerlegt. Der Schrein wurde entsorgt, die kostbaren Edelmetalle von den verbliebenen Reliquiaen abgelöst und verkauft. Die restlichen Teile – die Flügel und die Schatzkunst – gelangten in das neu gegründete Museum der Ritterakademie. Nach der Auflösung der Ritterakademie 1850 gelangten die Werke der Schatzkunst von der Königlichen Klosterkammer an das Reliquiengewölbe in der Schlosskirche Hannover. Die beiden Flügel waren ebenfalls bereits 1851 dem Verein für die öffentliche Kunstsammlung in Hannover übergeben worden.[2] 1862/1863 wurden die Flügel und der Schatz wieder vereint in dem von König Georg V. bereits 1851 initiierten Welfen-Museum. 1886 gelangten die Werke dann gemeinsam in das Provinzial-Museum.[3]

Beschreibung

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Anbetung der Könige, Innenseite des linken Außenflügels

Das Bildprogramm der Goldenen Tafel ist komplex aufgebaut und wurde in Absprache mit dem Auftraggeber entworfen.

In geschlossenem Zustand, der Alltagsansicht, ist eine Szene aus dem Alten einer Szene aus dem Neuen Testament gegenübergestellt. Die links gezeigte Aufrichtung und Anbetung der Ehernen Schlange weist somit auf die rechts gezeigte Kreuzigung Christi voraus.[4]

Die erste Wandlung, also die Ansicht, die sich zeigt, wenn die Flügel einmal aufgeklappt werden und die nur an bestimmten Feiertagen zu sehen war, breitet in 36 Szenen, die in drei Spalten von links nach rechts zu lesen sind, das Leben, die Passion und die Auferstehung Christi aus.

Die zweite Wandlung, die an für das Kloster ganz besonders hohen Feiertagen zu sehen war, zeigte den heute verlorenen Schrein mit der älteren Goldenen Tafel im Zentrum und um sie herum in 23 Gefachen den kostbaren Reliquienschatz. Die aufgeschlagenen Flügel der zweiten Wandlung präsentierten jeweils zehn großfigurige Heilige aufgeteilt in zwei Registern, begleitet von sechs kleinen heiligen Frauenfiguren auf der Zwischenebene. Die Heiligen sind in eine aufwendige Schreinarchitektur eingestellt, die genau wie die Gewänder der Schnitzfiguren komplett vergoldet ist. Nur die teilweise hervorscheinenden Innenfutter der Gewänder präsentieren unterschiedliche Farben.[5]

Forschungs- und Restaurierungsprojekt 2013–2019

In einem dreijährigen Forschungsprojekt im Landesmuseum Hannover wurde die Goldene Tafel umfangreich kunsthistorisch und kunstwissenschaftlich untersucht und damit die Grundlagen für die anschließend ebenfalls dreijährige Restaurierung gelegt, die im März 2019 erfolgreich abgeschlossen werden konnte. Die restaurierte Tafel war in der Sonderausstellung Zeitenwende 1400. Die Goldene Tafel als europäisches Meisterwerk vom 27. September 2019 bis 23. Februar 2020 im Landesmuseum Hannover zu sehen.

Künstler

An dem hochkomplexen Gesamtkunstwerk waren verschiedene Künstler tätig. Schreiner und Bildschnitzer waren für die hochqualitativen Skulpturen und die Schreinarchitektur verantwortlich. Innerhalb der Malereien können mindestens zwei Künstler oder Werkstattteams, von denen der eine bisher in der Forschung auch mit dem Notnamen Meister der goldenen Tafel bezeichnet wird, ausgemacht werden.

Literatur

  • Curt Habicht: Die goldene Tafel der St. Michaeliskirche zu Lüneburg (= Niedersächsische Kunst in Einzeldarstellungen 2), Bremen 1922.
  • Helmut Reinecke, Lüneburger Buchmalereien um 1400 und der Maler der Goldenen Tafel, Bonn 1937.
  • Helmut Reinecke, Der Meister der Goldenen Tafel von Lüneburg, Bonn 1937.
  • Ferdinand Stuttmann, Der Reliquienschatz der Goldenen Tafel des St. Michaelisklosters in Lüneburg, Berlin 1937.
  • Rainer Blaschke: Studien zur Malerei der Lüneburger „Goldenen Tafel“. Dissertation, Bochum 1976.
  • Regine Marth, Der Schatz der Goldenen Tafel. Museum August Kestner (= Museum Kestnerianum), Hannover 1994, ISBN 3924029229.
  • Eine Heiligenfigur der Goldenen Tafel aus St. Michael zu Lüneburg (= Kulturstiftung der Länder, Patrimonia 324), Hannover 2007, ISBN 392944433X.
  • Hansjörg Rümelin, Das Benediktinerkloster St. Michaelis in Lüneburg, Bau. Kunst. Geschichte, Berlin 2018, ISBN 978-3-86732-322-2.
  • Antje-Fee Köllermann, Christine Unsinn (Hg.), Zeitenwende 1400. Die Goldene Tafel als europäisches Meisterwerk, Petersberg 2019, ISBN 978-3-7319-0512-7.
  • Antje-Fee Köllermann (Hg.), Die Goldene Tafel aus Lüneburg (= Niederdeutsche Beiträge zur Kunstgeschichte N.F. 5), 2019.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Köllermann/Unsinn 2019, S. 12–16
  2. Henke 2018, S. 395
  3. Andratschke 2007, in: Eine Heiligenfigur 2007, S. 30
  4. Köllermann/Unsinn 2019, S. 26–30
  5. Köllermann/Unsinn 2019, S. 30–49