Gräzisierung

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Die Gräzisierung ist die Assimilation Fremder in die griechische Sprache und Kultur sowie die griechische Wiedergabe fremder Namen im europäischen Kulturkreis.

Antike und Spätantike

Doppelbüste Sokrates-Seneca, gefunden in Rom. Heute im Pergamonmuseum
Zweisprachige Tafel, Griechisch und Aramäisch. Heute im Kabul-Museum

Die Assimilliation anderer Volksangehöriger geschah seit der klassischen Antike, als sich mit dem Hellenismus die griechische Kultur und Sprache im östlichen Mittelmeer verbreiteten, zur Zeit Alexanders des Großen im indischen Raum,[1][2] und später. Die Gräzisierung des Oströmischen Reiches war bis zum 7. Jahrhundert weitgehend abgeschlossen.

Lateinische Namen wurden und werden aufgrund der sprachlichen Verwandtschaft im Griechischen stets mit griechischer Endung wiedergegeben und dekliniert. So wurde Caesar zu

Καῖσαρ

Kaisar, Augustus zu

Αὔγουστος

Augoustos, Maecenas zu

Μαικήνας

Maikēnas oder Octavius zu

Ὀκτάβιος

Oktábios – wie umgekehrt durch Latinisierung griechische Namen in das Lateinische eingingen:

Ὅμηρος

Hómēros wurde zu Homerus,

Σωκράτης

Sōkrátēs zu Socrates.[3][4]

Zahlreiche Namen historischer Persönlichkeiten sind in ihrer griechischen Form geläufig – meist, weil sie durch griechische Autoren überliefert sind, zum Beispiel:

  • aus dem Ägyptischen: ‚Cheops‘ (von
    Χέοψ
    Chéops für König Chufu); ‚Mykerinos‘ (von
    Μυκερῖνος
    Mykerīnos für Menkaure)
  • aus dem Persischen: Xerxes I. und Xerxes II. (von
    Ξέρξης
    Xérxēs für Hšayāŗšā)
  • aus dem Arabischen (nicht-klassisch): Maimonides (für Musa ibn Maimun); Algorithmos (meist latinisiert Algorithmus) nach Al-Chwarizmi (ähnlicher Klang wie Logarithmos; auch dieses Wort wird üblicherweise in der latinisierten Form Logarithmus verwendet).

Mit der Hellenisierung des Nahen Osten ging auch eine Gräzisierung von Eigennamen und Toponymen einher. In Palästina setzte sich die Gräzisierung vor allem in der Oberschicht durch, die auch andernorts lange Zeit der hauptsächliche Träger der griechischen Sprache und Kultur war. Beispiele hierfür sind die Vornamen ‚Maria‘ (

Μαρία

María für Marjam oder Mirjam) oder ‚Elisabeth‘ (für Elischeba).

Humanismus

Zweisprachige Tafel für Uberto Decembio († 1427)
Zweisprachige Ausgabe (Griechisch und Latein) von Hesiods Werke und Tage, Basel 1539

In der Epoche des Humanismus war es unter Gelehrten und Aristokraten beliebt, Namen ins Griechische zu übersetzen, manchmal mit der lateinischen Endung -us statt griech. -os versehen. Einige davon haben sich als Familiennamen durchgesetzt.[5]

Geschichtlicher Hintergrund war der endgültige Zerfall des Byzantinischen Reiches im 15. Jahrhundert. Griechischsprachige Gelehrte emigrierten in großer Zahl nach Mitteleuropa, wo ihr Einfluss ein gestiegenes Interesse an altgriechischen Autoren bewirkte. Neben Latein etablierte sich so auch das Altgriechische als Gelehrtensprache.

Beispiele für gräzisierte Familiennamen

Der Wortbestandteil „-ander“ ist jeweils auf

ἀνήρ

(anḗr) [Gen. ἄνδρος (ándros)] ‚Mann‘ mit dem Wortstamm

ἀνδρ-

(andr-) zurückzuführen.

  • Aepinus für „Hoch“ (von
    αἰπύς
    aipýs ‚hoch‘)
  • Auleander für „Hofmann“ und „Hoffmann“ (von
    αὐλή
    aulē ‚Hof‘ und -ander)
  • Chytraeus für „(Koch-) Topf“ (zum Beispiel für David Chyträus; von
    χύτρα
    chýtra ‚Topf‘)
  • Dryander für „Eichmann“ (von
    δρῦς
    drỹs ‚Eiche‘ und -ander)
  • Erythropel für „Rothstatt“ (von
    ἐρυθρός
    erythrós ‚rot‘ und
    πόλις
    pólis ‚Stadt‘)
  • Macrander für „Langemann“ (zum Beispiel für Arnoldus Langemann; von
    μακρός
    makrós ‚groß‘ und -ander)
  • Micrander für „Kleinmann“ (zum Beispiel für Georg Adolf Freiherr von Micrander; von
    μικρός
    mikrós ‚klein‘ und -ander)
  • Neander für „Neumann“ (von
    νέος
    néos ‚neu‘ und -ander)
  • Oinotomus für „Schneidewin“ (von
    οἶνος
    oĩnos ‚Wein‘ und
    τομός
    tomós ‚schneidend‘)
  • Oryzius für „Reissner“, „Reisner“, „Reusner“ (von
    ὄρυζα
    óryza ‚Reis‘)
  • Tectander für „Zimmermann“ (von
    τέκτων
    téktōn ‚Zimmermann‘ und -ander)
  • Tragus für „Bock“ (zum Beispiel für Hieronymus Bock; von
    τράγος
    trágos ‚Bock‘)
  • Xenopol für „Calmasul“ (rumänisches Adelsgeschlecht aus Câmpulung Moldovenesc in der Bukowina; von
    ξένος
    xénos ‚fremd‘ und
    πόλις
    pólis ‚Stadt‘)
  • Xylotectus für „Zimmermann“

Persönlichkeiten

  • Capnio für Johannes Reuchlin (1455–1522) (von
    καπνός
    kapnós ‚Rauch‘)
  • Thomas Gephyrander Salicetus für „Brückmann“ (von
    γέφυρα
    géphyra ‚Brücke‘ und -ander)[6]
  • Ioannes Gerobulus (vermutlich Johann Outraad oder Johann Oldrate, friesischer Theologe; von
    γεραιός
    geraiós ‚alt‘ und
    βουλή
    boulē ‚Rat, Ratschlag‘)
  • Philipp Melanchthon für „Schwarzerdt“ (von
    μέλας
    mélas ‚schwarz‘ und
    χθών
    chtōn ‚Erde‘)
  • Andreas Osiander für „Hosemann“ (umstritten, siehe Familienname Osiander)
  • Ambrosius Pelargus (von
    πελαργός
    pelargós ‚Storch‘)
  • Johannes Poliander für „Graumann“ (von
    πολιός
    poliós ‚grau‘ und -ander)
  • Beiname Protucius, griech. für „Vor-Meißler“ (von
    πρό
    pró ‚vor‘ und
    τύκος
    týkos ‚Meißel‘), von Conrad Celtis

Moderne

Im Griechischen war es lange Zeit üblich, fremde Namen zu gräzisieren, so zum Beispiel:

Besonders Orte mit historischer griechischer Diaspora und wichtige Städte (etwa: Berlin = Verolíno, London = Londíno, Paris = Paríssi, New York = Néa Yórki, Moskau = Mós'cha, Wien = Viénni, Odessa = Odissiós, Leipzig = Lipsía) haben im Griechischen gräzisierte Namen. Auch nach der Staatsgründung im Jahre 1829 wurde diese Homogenisierung auf dem griechischen Staatsgebiet angewandt bzw. spätere (oft aus dem Slawischen, Türkischen oder Albanischen stammende) Ortsnamen durch die altgriechischen Namen, teils auch willkürlich gewählte griechische Namen ersetzt.

So wurden auf den Ionischen Inseln italienische Orts- und Personennamen mit griechischen Endungen versehen, teilweise auch posthum, z. B. Marinos Charvouris für Graf Marin Carburi de Cefalonie oder Vikentios Damodos für Vicenzo Damodo. Viele Personen änderten ihre Namen selbst, um ihre Zugehörigkeit zum griechischen Staat, zu dem die Ionischen Inseln ab 1864 gehörten, zu bekunden, z. B. Marinos Korgialenios von Corgialegno, der damals in London lebte.

Ausländische Namen mit wenigen Vokalen werden als kakophon empfunden, so dass schwierige Vornamen von Ausländern in Griechenland eine Gräzisierung erfahren (etwa Ernestos für Ernst), genauso wie schwierige griechische Vornamen geläufige und amtliche Koseformen haben (Kostas, Kostis oder Dinos für Konstantinos).

Außerhalb Griechenlands gab es im 19. Jh. vereinzelt auch Beispiele für die Gräzisierung von Vor- und Familiennamen, wie im Falle der philhellenischen Schriftstellerin Marie Espérance von Schwartz, die das Pseudonym „Elpis Melena“ (

ἐλπίς

elpis altgr. ‚Hoffnung (espérance)‘ und

μέλαινα

mélaina ‚die Schwarze‘) verwendete.

Siehe auch

Literatur

  • Die Gräzisierung bayerischer Ortsnamen. In: Michaela Ofitsch, Christian Zinko (Hrsg.): Studia Onomastica et Indogermanica. Festschrift für Fritz Lochner von Hüttenbach zum 65. Geburtstag. Graz 1995, S. 215–227 (Arbeiten aus der Abteilung „Vergleichende Sprachwissenschaft“ Graz 9).

Einzelnachweise

  1. hsozkult.geschichte.hu-berlin.de
  2. welt.de
  3. Wilhelm Gemoll: Griechisch-Deutsches Schul- und Handwörterbuch. München/Wien 1965.
  4. Erich Pertsch: Langenscheidts Großes Schulwörterbuch Lateinisch-Deutsch. Langenscheidt, Berlin 1978, ISBN 3-468-07201-5.
  5. Verkleidete Literatur (Memento vom 1. Februar 2012 im Internet Archive)
  6. siehe doi:10.3931/e-rara-3515