Graham-Little-Syndrom

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Klassifikation nach ICD-10
L66.1 Lichen planopilaris, Lichen ruber follicularis
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Das Graham-Little-Syndrom oder Picardi-Lassueur-Little-Syndrom ist eine sehr seltene Sonderform des Lichen planopilaris (Variante des Lichen ruber planus an der behaarten Haut). Es ist gekennzeichnet durch die typische Kombination einer vernarbende Alopezie (Haarausfall) der Kopfhaut mit nicht vernarbender Alopezie in Achsel- und Leistenregion sowie einer Verhornungsstörung der Haarfollikel der unbehaarten Haut.[1] Häufig wird auch eine und Aufbaustörung der Finger- oder Fussnägel (Nageldystrophie) dazugezählt.[2][3]

Die Krankheit kann durch eine hautärztliche Untersuchung, ggf. ergänzt um eine Haarwurzelanalyse und/oder die Entnahme einer Gewebeprobe aus betroffenen Hautarealen, diagnostiziert werden. In der Gewebeprobe zeigt sich unter dem Mikroskop das für den Lichen planopilaris typische Muster einer vernarbenden Entzündung der Haarfollikel.[4]

Um den fortschreitenden Kopfhaarverlust zu verhindern, werden in der Behandlung der Krankheit üblicherweise äußerlich angewandte Corticosteroide eingesetzt. Je nach Ausprägungsgrad und Verlauf der Krankheit sind auch Steroidinjektionen oder eine systemische Behandlung mit Corticosteroiden (als Tabletten) möglich, in der Langzeitbehandlung sind mit Hydroxychloroquin gute Ergebnisse erzielt worden.[5]

Verbreitung

Die Prävalenz ist nicht bekannt, die Erkrankung ist allerdings sehr selten. Betroffen sind meist Frauen zwischen 30 und 60 Jahren.[2]

Ursache

Die Ursache der Krankheit ist unbekannt. Träger bestimmter, für die Steuerung der individuellen Immunantwort verantwortlicher Klasse II-HLA-Gene sind jedoch häufiger von der Krankheit betroffen als andere[6]. Weiterhin besteht eine Assoziation mit dem klassischen Lichen ruber planus und speziell dessen erosiv-ulzeröser Variante,[7] mit der Frontalen Fibrosierenden Alopezie[8] und der kompletten Androgenresistenz.[9] Weiterhin sind Fälle infolge einer Hepatitis-B-Impfung beschrieben.[10]

Krankheitsentstehung

Die Ätiologie der Krankheit ist unbekannt, diskutiert wird eine Autoimmunreaktion gegen das INCEP Zentromer-Protein.[11]

Klinische Erscheinungen

Die Krankheit ist durch die Kombination von drei Symptomen definiert:

  1. fleckförmiger Haarverlust der Kopfhaut, der mit einer Vernarbung der betroffenen Hautareale einhergeht. Zurück bleiben glatte, weiße Flecken, in deren Randbereich gelegentlich eine follikelgebundene kleinfleckige, schuppende Rötung der Kopfhaut besteht
  2. Verlust der Achsel- und Genitalbehaarung ohne Vernarbung
  3. Verhornungsstörung der Haarfollikel mit juckenden, rotbraunen follikulären Papeln[2] in anderen Körperregionen[1]

Gelegentlich wird außerdem eine Dystrophie der Finger- und/ oder Zehennägel dazugezählt[12]. Der fleckförmige Verlust der Kopfbehaarung ist aufgrund der Vernarbung irreversibel und geht den anderen beiden Symptomen meist voraus. Gelegentlich werden die Hautveränderungen von Juckreiz, Schmerzen oder Brennen begleitet, zumeist besteht aber keine Begleitsymptomatik[13].

Untersuchungsmethoden

Im Rahmen der hautärztlichen Untersuchung ist die typische Kombination der Symptome hinweisend auf das Graham-Little-Syndrom. Ergänzende Untersuchungsmethoden ergeben für den Lichen planopilaris typische Befunde: Im Haarzugtest können die Haare im Randbereich der betroffenen Kopfhautareale leicht ausgerissen werden, das Trichogramm zeigt in der aktiven Krankheitsphase vermehrt Haare im Anagenstadium.[14] Zusätzlich kann eine Gewebeprobe der Kopfhaut zur lichtmikroskopischen Untersuchung entnommen werden, die anhand des charakteristischen Entzündungsmusters die Diagnosesicherung ermöglicht. Ergänzend und speziell zur Abgrenzung gegenüber dem an der behaarten Haut klinisch mitunter ähnlich verlaufenden Lupus erythematodes kann eine gesondert aufgearbeitete Probe mittels direkter Immunfluoreszenz untersucht werden.[15]

Pathologie

Histologisch (in der lichtmikroskopischen Untersuchung) zeigt sich weitgehend das Bild des Lichen planopilaris: Es besteht eine Hyperkeratose (überschießende Verhornung) der Haarfollikel, und im Follikelepithel finden sich abgestorbene Keratinozyten (hornbildende Zellen der Oberhaut und der Haarfollikel). Im Umgebungsgewebe der Haarfollikel bestehen herdförmige, überwiegend lymphozytäre Entzündungsinfiltrate auf Höhe des Isthmus (mittlerer Anteil) des Haarschaftes und eine Fibrose (Bindegewebsvermehrung im Sinne einer Vernarbung).[16] Dabei schwankt das Ausmaß sowohl der follikulären Hyperkeratose als auch der Entzündungsinfiltrate beim Graham-Little-Syndrom stärker als beim Lichen planopilaris.[17]

Behandlung

Ziel der Behandlung ist es, das Fortschreiten des Kopfhaarverlustes zu verhindern. Die therapeutischen Methoden entsprechen weitgehend denen des Lichen ruber planus beziehungsweise des Lichen planopilaris, wobei üblicherweise äußerlich angewandte Corticosteroide zum Einsatz kommen. Auch sind die Injektion von Corticosteroiden in die betroffenen Hautareale oder eine systemische Steroidtherapie (als Tabletten) möglich, von einer systemischen Langzeittherapie mit Corticosteroiden wird wegen der damit verbundenen Nebenwirkungen jedoch abgeraten. Alternativ kann Hydroxychloroquin eingesetzt werden.[1]

Geschichte

Das Krankheitsbild wurde zuerst 1914 von dem Italiener G. Piccardi beschrieben.[18] Im Jahr 1915 folgte der britischen Hautarzt Sir Ernest Graham Little mit einem Bericht über zwei weitere Fälle, von denen einer durch Lasseur untersucht worden war[19].

Literatur

  • E. Keining, B. Rathjens: [Attempt at delimitation of the Graham-Little syndrome]. In: Dermatologische Wochenschrift, Band 132, Nr. 38, 1955, S. 1016–1023, ISSN 0366-8940. PMID 13261637.
  • A. Baibergenova, J. Donovan: Lichen planopilaris: update on pathogenesis and treatment. In: Skinmed., Band 11, Nummer 3, 2013 May-Jun, S. 161–165, ISSN 1540-9740. PMID 23930355. (Review).

Einzelnachweise

  1. a b c Eduardo Calonje, Thomas Brenn, Alexander Lazar, Steven D. Billings: McKee’s pathology of the skin with clinical correlations. 5. Auflage. Elsevier, 2020, ISBN 978-0-7020-7552-0, S. 243, 1101.
  2. a b c Graham-Little-Syndrom. In: Orphanet (Datenbank für seltene Krankheiten).
  3. W. Pschyrembel: Klinisches Wörterbuch. 265. Auflage. Verlag Walter de Gruyter, 2014, ISBN 978-3-11-018534-8.
  4. Eduardo Calonje, Thomas Brenn, Alexander Lazar, Steven D. Billings: McKee’s pathology of the skin with clinical correlations. 5. Auflage. Elsevier, 2020, ISBN 978-0-7020-7552-0.
  5. Paola C. Aldana, Fariha H. Ramay, Stephanie A. Steinweg, Marcia S. Driscoll: Lichen planus: Five variants presenting in one patient. In: JAAD Case Reports. Band 5, Nr. 6, Juni 2019, ISSN 2352-5126, S. 555–557, doi:10.1056/NEJMcp1103641, PMID 31245519, PMC 6581972 (freier Volltext).
  6. Gianmaria Viglizzo, Anna Verrini, Franco Rongioletti: Familial Lassueur-Graham-Little-Piccardi syndrome. In: Dermatology (Basel, Switzerland). Band 208, Nr. 2, 2004, ISSN 1018-8665, S. 142–144, doi:10.1159/000076489, PMID 15057005.
  7. A. Lindmaier, W. Jurecka: [Lichen ruber ulcerosus. Differentiation from Graham-Little syndrome. Pathogenesis and therapy]. In: Zeitschrift fur Hautkrankheiten. Band 63, Nr. 5, 15. Mai 1988, ISSN 0301-0481, S. 439–443, PMID 3043953.
  8. Ossama Abbas, Adele Chedraoui, Samer Ghosn: Frontal fibrosing alopecia presenting with components of Piccardi-Lassueur-Graham-Little syndrome. In: Journal of the American Academy of Dermatology. Band 57, Nr. 2, August 2007, S. S15–S18, doi:10.1016/j.jaad.2006.11.010 (elsevier.com [abgerufen am 2. November 2020]).
  9. J. Vega Gutiérrez, A. Miranda-Romero, F. Pérez Milán, G. Martínez García: Graham Little-Piccardi-Lassueur syndrome associated with androgen insensitivity syndrome (testicular feminization). In: Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology: JEADV. Band 18, Nr. 4, Juli 2004, ISSN 0926-9959, S. 463–466, doi:10.1111/j.1468-3083.2004.00945.x, PMID 15196163.
  10. F. Bardazzi, C. Landi, C. Orlandi, I. Neri, C. Varotti: Graham Little-Piccardi-Lasseur syndrome following HBV vaccination. In: Acta Dermato-Venereologica. Band 79, Nr. 1, Januar 1999, ISSN 0001-5555, S. 93, doi:10.1080/000155599750011886, PMID 10086877.
  11. Beatriz Rodríguez-Bayona, Sandrine Ruchaud, Carmen Rodríguez, Mario Linares, Antonio Astola: Autoantibodies against the chromosomal passenger protein INCENP found in a patient with Graham Little-Piccardi-Lassueur syndrome. In: Journal of Autoimmune Diseases. Band 4, 12. Januar 2007, ISSN 1740-2557, S. 1, doi:10.1186/1740-2557-4-1, PMID 17222351, PMC 1783653 (freier Volltext).
  12. Laurence Le Cleach, Olivier Chosidow: Lichen Planus. In: New England Journal of Medicine. Band 366, Nr. 8, 23. Februar 2012, S. 723–732, doi:10.1056/NEJMcp1103641.
  13. Yalda Nahidi, Naser Tayyebi Meibodi, Kiarash Ghazvini, Habibollah Esmaily, Maryam Esmaeelzadeh: Association of classic lichen planus with human herpesvirus-7 infection. In: International Journal of Dermatology. Band 56, Nr. 1, Januar 2017, S. 49–53, doi:10.1111/ijd.13416.
  14. Hoon Kang, Abdullateef A. Alzolibani, Nina Otberg, Jerry Shapiro: Lichen planopilaris. In: Dermatologic Therapy. Band 21, Nr. 4, Juli 2008, ISSN 1529-8019, S. 249–256, doi:10.1111/j.1529-8019.2008.00206.x, PMID 18715294.
  15. Eduardo Calonje, Thomas Brenn, Alexander Lazar, Steven D. Billings: McKee’s pathology of the skin with clinical correlations. 5. Auflage. Elsevier, ISBN 978-0-7020-7552-0, S. 1097.
  16. Eduardo Calonje, Thomas Brenn, Alexander Lazar, Steven D. Billings: McKee’s pathology of the skin with clinical correlations. 5. Auflage. Elsevier, 2020, ISBN 978-0-7020-7552-0, S. 1096.
  17. Eduardo Calonje, Thomas Brenn, Alexander Lazar, Steven D. Billings: McKee’s pathology of the skin with clinical correlations. 5. Auflage. Elsevier, 2020, ISBN 978-0-7020-7552-0, S. 1101.
  18. G. Piccardi: Cheratosi spinulosa del capillizio a suoi rapporti con al pseudo-pelade di Brocq. In: Giornale Italiano della Malattie Veneree e della Pelle. 1914, Band 49, S. 416.
  19. E. G. Little: Folliculitis Decalvans et Atrophicans. In: Proceedings of the Royal Society of Medicine. Band 8, Dermatol Sect 1915, S. 139–141, ISSN 0035-9157. PMID 19978527. PMC 2004405 (freier Volltext).