Graspapier
Als Basis für die industrielle Herstellung von Papier dienen Fasermaterialien, die üblicherweise aus Holz (Zellstoffe, Halbzellstoffe) oder Altpapier gewonnen werden, sowie sogenannte Füllstoffe. Bei der Fertigung von Graspapier wird Gras als biologischer Füllstoff mit bis zu 30 % Volumenanteil zur Papierherstellung eingesetzt.
Geschichte
Als Basis für die industrielle Herstellung von Papier dienen heute Zellstoffe, die üblicherweise aus Holz oder Altpapier gewonnen werden. Vor allem im 17. und 18. Jahrhundert beschäftigten sich allerdings Naturwissenschaftler und Unternehmer wie etwa Jacob Christian Schaeffer, Pierre Alexandre Léorier de L’Isle, Justus Claproth, Louis Piette oder Johann Gottfried Dingler schon mit der systematischen Erforschung und Erprobung von alternativen Rohstoffen für die Papierherstellung, da die Papiermacher immer wieder wegen mangelndem Rohmaterial („Hadernpapier“) den Bedarf nicht decken können. So experimentierte Schaeffer unter anderem mit Baummoos, Hopfenranken, Stroh, Blättern, Brennnesseln, Wollgras und Disteln.[1] 1784 wird von Varenne das Buch Loisiers de Bords de Loin herausgegeben, das Muster von Hadernersatzstoffen enthält (Gras, Seide und der Rinde des Lindenbaums).[2] Die Academie de Sciences (Paris) erklärt 1786, die von Léorier de L’Isle mit Gras gefertigten Papiere seien den Schaefferschen Papieren überlegen,[3] was aber wohl auf den Zusatz von Hadern im Graspapier von Léorier de L’Isle zurückzuführen war. Die Verwendung von Grasfasern im Papier stand in der Folge wegen der Verfügbarkeit besser geeigneter Ersatzstoffe, etwa Stroh, nicht im Fokus der industriellen Papierherstellung. Anekdotisch wird allerdings immer wieder – vor allem auch in Asien – über den Einsatz von Gräsern als Füllstoff berichtet.
In jüngster Zeit wird das Thema Graspapier insbesondere aufgrund eines von der Firma Creapaper, Hennef, vertriebenem Rohstoff "Graspap" aus pelletiertem Heu in Industriekreisen erneut diskutiert. Erste industriell gefertigte Verpackungsprodukte mit Graspap, aber auch unpelletierten Heufasern sind seit dem Jahr 2015 auf dem Markt. Diese Papiere benötigen einen Zellstoffanteil von mindestens 70 Prozent (aus Frischfaser oder Altpapierfaser). Der verringerte Zellstoffanteil führt zwar einerseits zu einem verringerten ökologischen Footprint, andererseits aber auch zu geringeren Festigkeitswerten von Graspapier. Eine qualitativ hochwertige Bedruckbarkeit der Produkte setzt darüber hinaus spezielle Streichverfahren voraus.
Herstellung des Faserstoffs
Da der Grasfaserstoff für die moderne Graspapierherstellung aus Heu besteht, das zwar gereinigt und gekürzt wird, aber keinem Faserstoffaufschluss unterworfen wird, sind der Energieaufwand und die damit verbundenen Emissionen deutlich niedriger als im Vergleich zu Zellstoff aus Holz. Das liegt unter anderem am hohen Lignin-Anteil des Holzes. Lignine sind Biopolymere, die Holz seine Festigkeit geben. Je nach Baumart bestehen zwischen 55 und 60 Prozent des Holzes aus solchen Kittsubstanzen, die in der Papierproduktion unerwünscht sind. Daher muss das Lignin vor der Aufbereitung des Holzzellstoffs für die Papierproduktion mit hohem Energie-, Wassereinsatz und unter Verwendung von Chemikalien entfernt werden.
Gras enthält dagegen wenig Lignin, so dass eine verhältnismäßig einfache mechanische Aufbereitung genügt. Dabei wird das zu Heu getrocknete Gras zu kurzen Fasern gemahlen. Die Faserlängen entsprechen in etwa denen von konventionellen Faserstoffen bei der Papierproduktion. Zum einfacheren Transport können die Fasern in Pellets gepresst werden. Das Verfahren reduziert den Einsatz von Wasser von durchschnittlich 6000 Liter pro Tonne Zellstoff auf zwei Liter pro Tonne Faserstoff. Gleichzeitig sinkt der Energieverbrauch von etwa 2300 Kilowattstunden je Tonne Zellstoff auf unter 150 Kilowattstunden je Tonne Heu. Chemische Stoffe sind für die Aufbereitung des Grases nicht notwendig.
Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die in nicht aufgeschlossenen Naturfasern in höheren Mengen vorhandenen Bestandteile wie etwa Hemicellulose und Proteine in der klassischen industriellen Papierherstellung ebenso wie das oben erwähnte und in der Grasfaser weiter enthaltene Lignin als Störstoffe betrachtet werden, die in jedem Fall bei Einsatz solcher Naturfasern eine Änderung der üblichen Papierherstellungsverfahren und Rezepturen voraussetzen. Darüber hinaus besteht Zellstoff überwiegend aus Zellulose, die gute Wasserstoffbrückenbildung zwischen den Zellulosefasern erlaubt, die ihrerseits wieder wesentlich die Festigkeitswerte der damit gefertigten Papiere bestimmt. Bei Grasfasern liegt der Zelluloseanteil dagegen unter 30 %.
Reduzierung von Zellstoff-Importen
In Deutschland werden rund 80 Prozent der für die konventionelle Papierherstellung benötigten Holz- und Zellstoffe importiert. In zunehmendem Maße setzt die Papierindustrie dabei auf kurzfaserigen Sulfat-Zellstoff, der aus schnell wachsenden Harthölzern gewonnen wird. Der Zellstoff stammt unter anderem aus Eukalyptus, der in erster Linie in äquatornahen Regionen heimisch ist. Der kurzfaserige Zellstoff hatte 2016 einen Anteil von etwas mehr als zwei Dritteln am Gesamtimport von Zellstoff. Die wichtigsten Importländer für Zellstoff sind Brasilien, Finnland, Schweden, Portugal, Chile, Uruguay und Spanien. Der für die Papierherstellung in Deutschland genutzte Zellstoff reist damit bis zu 9000 Kilometer weit. Das für die Graspapierherstellung verwendete Heu wird u. a. auf sogenannten Ausgleichsflächen aus der direkten Umgebung einer Papierfabrik gewonnen. Die Rohstoffgewinnung soll daher nicht in direkter Konkurrenz mit der Futtermittelversorgung von landwirtschaftlichen Tieren stehen.
CO2-Emission
Allein für den deutschen Papierbedarf werden jedes Jahr rund vier Millionen Bäume gefällt. Würde man nur 25 Prozent des deutschen Papierbedarfs mit schnell nachwachsenden Einjahrespflanzen wie Gras oder Stroh statt Holz produzieren, blieben jedes Jahr eine Million Bäume erhalten. Auf den Weltmarkt hochgerechnet, hätte dies signifikant positive Auswirkungen auf die CO2-Emissionen und damit einen messbaren Einfluss auf das Weltklima. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass die Herstellung von Recyclingpapier die Zellstoffherstellung und damit ebenfalls den Verbrauch von Holz voraussetzt. Altpapierfasern werden in Deutschland in statistischen Mittel in nur 5 bis 7 Verwendungen "endgültig" verbraucht und dürfen in Lebensmittelverpackungen im Direktkontakt gar nicht eingesetzt werden.
Erprobte Anwendungen
In der industriellen Fertigung kann Graspapier je nach Verwendungszweck aus bis zu 40 Prozent Grasfasern bestehen. Die Kombination kann dabei sowohl mit Holzzellstoff als auch mit Altpapier erfolgen. Graspapier kommt für Lebensmittelverpackungen (z. B. für Obst, Gemüse, Eier usw.) oder zur Umverpackung von Cerealien, Süßwaren, Gebäck oder Kosmetik- und Drogerieartikel zum Einsatz. Mittlerweile werden auch Serviceverpackungen (Faltschachteln, Etiketten, Aufsteller, Prospekte) aus Graspapier hergestellt. Auch graphische Papiere und Hygienepapiere mit Grasanteil sind erhältlich. Zu den Unternehmen, die Graspapier einsetzen, gehören Coca-Cola, McDonald’s[4], Otto Versand, BRAX und Lebensmittelhändler wie Rewe, Lidl und Aldi.
Entwicklung, Patente, Auszeichnungen
Die Firma Creapaper hält ein Patent für ein Verfahren zur Aufarbeitung von Gräsern in pelletierte Ersatzfaserstoffe. Das Verfahren wurde mit Unterstützung der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn entwickelt. Für die Entwicklung erhielt Creapaper mehrere Auszeichnungen, unter anderem den Start Green Award 2016,[5] den KfW Award Gründen 2017,[6] den Innovationspreis für Klima und Umwelt (IKU) 2017[7] und den Red Herring Top 100 Award Europe 2019.[8] Die Papierfabrik Scheufelen wurde im Jahr 2017 auf der Luxepack, New York mit dem Best in Green Award[9] sowie durch Packaging Europe, UK mit dem Best Sustainable Packaging Innovation Award[10] sowie durch die Fruit Logistica, Berlin mit einem Innovation Award[11] für Graspapierverpackungen ausgezeichnet.
Die Firma Kiss My World aus Hamburg erhält 2019 den Green Product Award[12] für Ihre nachhaltigen und einzigartigen Papier- & Schreibwaren aus Graspapier
Weblinks
- Graspapier: Diese Kartons bestehen aus Gras – Utopia.de
- Graspapier – eine umweltfreundliche Alternative? – Printelligent.de
Einzelnachweise
- ↑ Hans-Jürgen Wolf: Geschichte des Papiers – Historische Grundlagen Portraits Technologie. 1. Auflage. Historia, Ulm 2012, ISBN 978-3-00-039165-1, S. 674.
- ↑ Hans-Jürgen Wolf: Geschichte des Papiers. S. 682.
- ↑ Hans-Jürgen Wolf: Geschichte des Papiers. S. 681.
- ↑ https://www.welt.de/sponsored/mcdonalds/article231424807/Innovation-Darum-wird-McDonald-s-neuer-Burger-eingewickelt.html
- ↑ StartGreen – Grüne Gründer, Green Economy
- ↑ KfW Award Gründen 2017: Erfolgreiche Gründer in Berlin geehrt
- ↑ Creapaper GmbH – IKU
- ↑ 2019 Red Herring Top 100 Europe Winners, Red Herring
- ↑ Luxe Pack in Green Continues to Keep Sustainability in the Packaging Industry Forefront. In: packagingeurope.com. 2. Juni 2017, abgerufen am 28. Februar 2021 (britisches Englisch).
- ↑ Sun Dried Grass Paper wins Best Sustainable Packaging Innovation! In: packagingeurope.com. Abgerufen am 28. Februar 2021 (britisches Englisch).
- ↑ Germany’s Papierfabrik Scheufelen wins Innovation Award for its grass paper packaging at Fruit Logistica in Berlin. In: RISI Technology Channels. Abgerufen am 28. September 2019.
- ↑ Kiss My World – Graspapier. Abgerufen am 13. März 2020.