Grenzüberschreitender Straßenbahnverkehr
Grenzüberschreitender Straßenbahnverkehr über Staatsgrenzen besteht 2021 weltweit bei vier Straßenbahnbetrieben auf vier Strecken.[1] Die meisten entsprechenden Linien sind erst in jüngerer Zeit entstanden.
Staatsgrenzen querende Strecken gab es in der Geschichte mehrfach und bereits vor 1900. Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden die Verbindungen aus der Schweiz in das Elsass und nach Südbaden eingestellt und erst 1947 wiedereröffnet. Ab jenem waren die Verkehre zum Teil gebrochen, in Saint-Louis und Lörrach wurde nur ein Inselbetrieb aufrechterhalten. An der Grenze nach Huningue mussten die Fahrgäste den Wagen verlassen, der vom Zoll nach Schmuggelwaren durchsucht wurde.[1]
Historische Strecken
Die folgenden binationalen Strecken wurden stillgelegt und haben keine unmittelbaren Nachfolger.
- Am 6. November 1889 wurde, noch als Pferdebahn, die erste internationale Strecke der Straßenbahn Aachen in die niederländische Gemeinde Vaals eröffnet. Sie wurde mit Kriegsausbruch 1939 eingestellt. 1919 kamen die Kreise Eupen und Malmedy infolge des Versailler Vertrags an Belgien. Die Strecken der Aachener Straßenbahn im Kreis Eupen mussten an die belgische SNCV abgegeben werden, lediglich die Strecke von Aachen in das nunmehr belgische Altenberg, die keine Verbindung mit dem restlichen Eupener hatte, blieb bei der Aachener Straßenbahn und wurde von ihr grenzüberschreitend bis zur kriegsbedingten Einstellung 1944 betrieben.
- Die 1902 errichtete Strecke der Aachener Straßenbahn nach Merkstein führte bis zu ihrer Einstellung 1959 über die Neustraße/Nieuwstraat, die auf etwa zwei Kilometern die Grenze zwischen dem deutschen Herzogenrath und dem niederländischen Kerkrade bildet. Zwar verliefen die Schienen entlang der Grenzlinie auf deutscher Seite, da ein Ein- und Ausstieg auch auf niederländischer Seite möglich war, wurden die Bahnen am Beginn und Ende des Abschnitts Zollkontrollen unterzogen.[2] Diese entfielen, als nach dem Ersten Weltkrieg ein Grenzzaun entlang der Neustraße gezogen wurde und der Fahrgastwechsel nur noch auf deutscher Seite möglich war.
- Im Jahr 1900 wurde eine Straßenbahnstrecke von Basel nach Sankt Ludwig, dem heutigen Saint-Louis, eröffnet. 1910 folgte eine zweite nach Hüningen (seit 1945: Huningue), ebenfalls im seinerzeit deutschen Reichsland Elsaß-Lothringen gelegen.
- Die einzige Linie der Straßenbahn Lörrach, ursprünglich ein Teil des Basler Straßenbahnnetzes, verkehrte zwischen 1926 und 1938 durchgehend zwischen Deutschland und der Schweiz. Vor 1926 und nach 1938 mussten die Fahrgäste aber an der Grenze aussteigen und die Kontrollstellen zu Fuß passieren.
- Die Straßenbahn Cieszyn fuhr ab 1920 über die Grenze zwischen Polen und der Tschechoslowakei, nachdem die zuvor zu Österreich gehörende Stadt Cieszyn (deutsch: Teschen) zwischen den beiden neu entstandenen Staaten aufgeteilt worden war. Die Behinderungen durch die neuen Zollkontrollen und Unstimmigkeiten bei der Aufteilung der Betriebskosten zwischen dem polnischen Cieszyn und Český Těšín führten jedoch bereits 1921 zur Einstellung des Betriebs.
- Die Straßenbahn Saarlouis betrieb zwischen 1925 und 1961 eine Strecke nach Creutzwald im französischen Lothringen. Sie war als Kleinbahn konzessioniert, diente vor allem dem Bergarbeiterverkehr zur Kohlengrube „La Houve“ und wurde als Linie 9 bezeichnet.[3]
- Zwischen 1945 und 1953 verkehrten Berliner Straßenbahnwagen zwischen den Westsektoren und dem Sowjetischen Sektor.[4]
- Die Straßenbahn El Paso in den USA hatte bis 1973 eine grenzüberschreitende Straßenbahnlinie in die mexikanische Nachbarstadt Ciudad Juárez.[5]
- Sankt Ludwig Baslerstraße.png
Triebwagen der Basler Straßenbahn in Sankt Ludwig (vor 1919)
Die einzige und zeitweise zugleich grenzüberschreitende Linie der Straßenbahn Lörrach existierte von 1919 bis 1967
Die Linie 1 der Berliner Straßenbahn (Aufnahme von 1950) querte die Sektorengrenze zwischen Ost- und West-Berlin
Ein PCC-Wagen der US-amerikanischen Straßenbahn El Paso hat soeben die Staatsgrenze nach Mexiko passiert (1960er Jahre)
Aktuelle Strecken
- 2014 begann der Betrieb der Strassenbahn Basel (BVB) auf deren grenzüberschreitenden Strecke nach Weil am Rhein in Deutschland. Drei Jahre später fuhr das erste Tram der BVB von Basel in das französische Saint-Louis.
- Seit 2017 verkehren französische Züge der Straßenbahn Straßburg über den Rhein in den deutschen Grenzort Kehl. Vorgänger war eine 1898 eröffnete Dampfstraßenbahn, die schon nach wenigen Monaten elektrifiziert wurde. Da sie nur bis 1918 und später von 1942 bis 1944 verkehrte, überquerte sie nie die deutsch-französische Grenze.
- Im Jahr 2019 wurde eine Strecke der Strassenbahn Genf über die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz hinweg in die französische Stadt Annemasse verlängert.
Ein Tram der Strassenbahn Basel erreicht die Endschleife in Weil am Rhein
Straßburger Straßenbahnzug vor dem Bahnhof Kehl
Tram der Strassenbahn Genf in Annemasse
Projekte
Weitere Planungen von Staatsgrenzen überquerenden Straßenbahnstrecken existieren. Nach dem Wegfall der Grenzkontrollen innerhalb des Schengenraums, zu dem auch die Schweiz gehört, sind derartige Projekte heute leichter zu realisieren. So wurde eine Verbindung über die Oder hinweg zwischen Frankfurt und dem polnischen Słubice erwogen. Mit den Arbeiten an einer Strecke von Hasselt in Belgien nach Maastricht in den Niederlanden wurde bereits begonnen.
Weitere erwogene oder absehbare Projekte sind unter anderem:
- Die belgische Kusttram soll beidseitig nach Frankreich und in die Niederlande verlängert werden,
- von Basel aus ist eine Strecke in das französische Huningue projektiert
- und die Straßenbahn Görlitz soll eine Verbindung nach Zgorzelec (Polen) erhalten.[1]
Einzelnachweise
- ↑ a b c Über die Grenze in: Straßenbahn Magazin 7/2021, S. 16 ff.
- ↑ Reiner Bimmermann: Aachener Straßenbahn. Band 1: Geschichte. Schweers+Wall, Aachen 1999, ISBN 3-89494-116-2, S. 62
- ↑ Heike Theobald: Die historische Linie 9 wird mit Leben gefüllt, Saarbrücker Zeitung, 28. November 2011
- ↑ Wolfgang Kramer, Sigurd Hilkenbach, Claude Jeanmaire: Die Strassenbahnlinien im westlichen Teil Berlins. Erster Teil: Linien 1–54. Verlag Eisenbahn, Villigen AG 1986, ISBN 3-85649-046-9.
- ↑ PCC-Revival in der Wüste in: Straßenbahn Magazin 7/2019, S. 34 ff.