Griechische Toponyme
Griechische Toponyme, also die Eigennamen von geografischen Objekten im Neugriechischen, weisen einige sprachliche und grammatikalische Besonderheiten auf. Sie haben immer ein grammatisches Geschlecht (Genus) und stehen zum Teil auch im Plural. Sie werden, wie alle griechischen Eigennamen, mit dem bestimmten Artikel dekliniert.
Etymologie
Ein beträchtlicher Teil der Toponyme für griechische Orte leitet sich aus altgriechischen Namen her. Einige von ihnen lassen sich nicht aus griechischen Wurzeln erklären, sie müssen aus vorgriechischen, möglicherweise nicht indogermanischen Sprachen ins Griechische gelangt sein, die nach dem aus dem Altgriechischen übernommenen Ethnonym Pelasger oft als „pelasgisch“ bezeichnet wurden. Dazu gehören Toponyme wie Korinthos (
, Korinth) oder Parnassós (
, Parnass). Weitere Ursprünge finden sich in den Sprachen am Rande des antiken griechischen Sprachraums, so bei den aus dem Thrakischen stammenden Flussnamen
(Strymonas) und
(Ardas).
Viele altgriechische Ortsnamen wurden wie im Falle Athens bis in die Moderne weiter verwendet. Andere antike Städte oder Neugründungen aus der Zeit zwischen Spätantike und der Gründung des modernen griechischen Staats erhielten in Mittelalter und Neuzeit Namen, die aus den Sprachen der Eroberer oder Zuwanderer stammten, und wurden erst nach 1832 regräzisiert.
Auch viele griechische Toponyme existierten nach 1832 in zwei Sprachformen, wobei die Katharevousa-Form bisweilen den Plural erhielt, der in der Volkssprache längst gewichen war (z. B.
(f. Pl.) vs.
(f. Sg.)). Die Stadt Iraklio zum Beispiel wurde in antiker Zeit von den Dorern
[1] genannt, was die weibliche Form des Adjektivs zum Namen des antiken Helden Herakles ist und somit „die Herakleische“ oder „Heraklesstadt“ bedeutet. Nach der Eroberung durch Araber 824 benannten diese den Ort arabisch خندق (
, „Graben“), woraus griechisch
bzw.
wurde. Die unter den später herrschenden Venezianern italianisierte Version dieses Namens, Candia übertrug sich auch auf die ganze Insel Kreta. Nach der Eroberung durch die Türken taucht neben der türkischen Form Kania der neugriechische Name
auf (
„große Burg“; kastron ist vom lateinischen castrum entlehnt). Nach dem Anschluss Kretas an Griechenland 1913 wurde in Anlehnung an den Namen eines römischen Hafens namens Heracleum nahe der antiken Stadt die hochsprachliche Neutrum-Singular-Form
als neuer Name angenommen. Zu den mittel- und neugriechischen Toponymen zählen besonders die nach Heiligen oder anderen religiösen Begriffen benannten Orte wie
(
, „Heilige Dreifaltigkeit“) oder
(
, „Freitag“), aber auch neugriechische Bildungen wie
(
, „Quellen“) oder
(
, „die Zwiebäcke“).
Toponyme nichtgriechischer Herkunft (besonders albanischen, slawischen und islamischen Ursprungs) wurden, sofern ihre Herkunft nicht verschleiert ist, im modernen Griechenland weitgehend durch griechische ersetzt. Einige Namen vorwiegend kleiner Orte haben sich erhalten:
- französisch: Γαστούνη(Gastoúni, nach einem fränkischen Baron „Gastogne“);Ανδραβίδα(Andravída, von franz. „Andréville“, „Stadt des André“)
- italienisch: Καβάλα(, von ital. cavallo, „Pferd“);Σπέτσες(, von ital. spezie, „Kräuter“)
- slawisch: Γρανίτσα(Granítsa, von slaw.граница, „Grenze“);Ζαγορά(, von slaw.Загора, „jenseits der Berge“, „Hinterland“)
- arabisch: Χατζής(Chatzís, von arab. حاجي , eigentlich der „Mekka-Pilger“, im christlichen Kontext: „Jerusalem-Pilger“)
- türkisch: Κιλελέρ(Kileler, von türk. göl „See“),Δερβένι(Derveni, von türk. dervent „Engpass“, „Gebirgsübergang“, vergleiche. Derwendschi)
Namen neu gegründeter Kommunen
Nach dem Bevölkerungsaustausch zwischen Griechenland und der Türkei 1923 gab es zahlreiche Neugründungen mit Ortsnamen aus dem alten Siedlungsgebiet. Sie haben häufig den Zusatz Neos oder Nea („neu“), z. B. Nea Ionia „Neu-Ionien“, Nea Alikarnassos „Neu-Halikarnassos“ oder Neos Kafkasos „Neu-Kaukasus“.
Anlässlich der großen griechischen Gemeindereform von 1997, die als „Programm Ioannis Kapodistrias“ die bis dato 5775 Gemeinden zu 1033 zusammenfasste, und der Kallikratis-Reform 2010, die deren Zahl auf 325 reduzierte, wurden für die neu entstandenen Gemeinden zahlreiche Namen neu geschaffen, die nicht genuin Dorf- oder Städtenamen sind. So tragen heute zahlreiche Gemeindebezirke und Gemeinden die Namen von Landschaften (Oropedio Lasithiou „Lasithi-Hochebene“, Notia Kynouria „Süd-Kynouria“), Bergen (Erymanthos, Agrafa), Flüssen (Geropotamos, Evrotas), antiken Heiligtümern oder Städten im Gemeindegebiet (Asklipiio, „Asklepieion“; Archea Olymbia „Antikes Olympia“) oder berühmten Persönlichkeiten (Nikos Kazantzakis, Aristotelis).
Diglossie
Für viele griechische Ortsnamen gibt es zwei oder mehr Varianten, die einerseits im Wesentlichen der Umgangs- und heute amtlich festgelegten Standardsprache (englisch Standard Modern Greek) entsprechen, andererseits einer im Sprachgebrauch veralteten, der bis 1976 gültigen ehemaligen Amtssprache Katharevousa, welcher eine historisierende Rechtschreibung und Grammatik zugrunde lag, die aber bis heute insbesondere für Gebietskörperschaften vom zuständigen Innenministerium noch verwendet wird. Meist weichen die Namen nur gering voneinander ab, größtenteils sind nur die Endungen betroffen (z. B. Rethymno ↔ Rethymnon, Kalambaki ↔ Kalambakio ↔ Kalambakion). Die ältere Namensvariante ist häufig in viele Fremdsprachen übernommen worden und daher im internationalen Gebrauch (z. B. im Flugverkehr) üblicher als der heutige neugriechische Name. Auch manche ausländische Reiseführer und Karten richten ihre Transkriptionen immer noch nach der älteren Namensgebung oder nach der Transkription des entsprechenden altgriechischen Namens aus. Obwohl die Abschaffung der Katharevousa als Amtssprache über drei Jahrzehnte her ist, werden die antikisierenden Namen auch in Griechenland selbst noch bei Anlässen verwendet, bei denen man eine besondere Feierlichkeit betonen will. Auch auf alten Verkehrsschildern sind die Katharevousa-Namen noch zu finden, meist noch mit den diakritischen Zeichen der mit der Rechtschreibreform von 1982 abgeschafften polytonischen Orthographie versehen. Während der Gebrauch der altertümelnden Städtenamen meist auf keine Verständnisprobleme in der einheimischen Bevölkerung stößt, werden die früheren amtssprachlichen Namen von Dörfern nicht auf Anhieb verstanden.
siehe auch → Griechische Diglossie
Grammatik
In der neugriechischen Sprache wird das Geschlecht eines Eigen- oder Ortsnamens in fast allen Satzbauvarianten durch den Artikel ausgedrückt, eindeutige Endungsmorpheme sind bei Namen zwar häufig, aber nicht immer gegeben. Für Sätze wie „… ist eine schöne Stadt/Insel“ müssen also Genus und Numerus des Ortsnamens bekannt sein, um den Satz grammatisch richtig sagen zu können.
Manche gleichnamigen Ortsnamen sind nur durch ihr Genus zu unterscheiden, so gibt es in Südkreta ein Dorf „i Myrthios“, in der Inselmitte noch ein gleichnamiges männliches „o Myrthios“. Da also das grammatische Geschlecht nicht in allen Fällen an der Endung des Wortes abgelesen werden kann, müssen es auch Griechen zusammen mit dem Namen auswendig lernen. Dies ist insofern nicht abwegig, als im Griechischen Namen – auch die Eigennamen von Personen – grundsätzlich (außer im direkten Anredefall) immer mit dem dazugehörigen Artikel stehen. Man sagt also nicht „ich gebe Kostas ein Buch“, sondern „ich gebe dem Kostas ein Buch“. Allerdings wird vor allem in der gesprochenen Sprache bei Präpositionalkonstruktionen mit Ortsnamen der Artikel oft weggelassen:
(„Ich fahr nach Athen“),
(„Heute fahre ich nach Kavala ab“). Die griechischen Artikel im Nominativ in der Einzahl sind
(
– „der, die, das“), in der Mehrzahl
(
– „die“).
Griechische Städte und Dörfer
Das Genus der beiden größten Städte des Landes, Athen und Thessaloniki, ist das Femininum (im Singular), man sagt also auf Griechisch
(
, „die Athen“) und „
“ (
, „Ich bin aus der Thessaloniki“). Iraklio auf Kreta hingegen ist sächlich: „
“ (
, „Ich wohne im Iraklio“); Chania, die zweitgrößte Stadt Kretas, ist ein Beispiel für eine Neutrum-Plural-Form: „
“ (
, „Ich fahre zu den Chanias“).
Alle in der griechischen Sprache möglichen Genera und Numeri kommen bei Ortsnamen vor:
- ο Βόλος, ο Πειραιάς(o Volos, o Pireas, mask. Sg.)
- οι Δελφοί, οι Παξοί(i Delfi, i Paxi, mask. Pl.)
- η Αθήνα, η Θεσσαλονίκη, η Ζάκυνθος(i Athina, i Thessaloniki, i Zakynthos, fem. Sg.)
- οι Σέρρες(i Serres, fem. Pl.)
- (to Iraklio, to Vathy, n. Sg.)
- τα Χανιά(ta Chania, n. Pl.)
Einige im Deutschen oder Englischen gebräuchliche Namen für griechische Städte haben Pluralformen des Altgriechischen oder der Katharevousa, die im heutigen Griechisch geschwunden sind, als Lehnübersetzung behalten, z. B. Patras (fem. Pl.) für altgr.
oder englisch Athens (
, fem. Pl.). Gerade bei vielen Namen von Dörfern und kleinen Städten fällt auf, dass sie direkt von einer Örtlichkeits- oder Flurbezeichnung abgeleitet sind, deren grammatisches Geschlecht sie in den meisten Fällen übernommen haben. Im Gegensatz zum Deutschen ist die Wortherkunft der Namen oft transparent:
„Brunnen“,
„alte Quelle“,
„Platanen“,
„Heiliger Fels“,
„großes Feld“,
„Lorbeer“. Darüber hinaus gibt es sehr viele griechische Toponyme, die aus der Welt des orthodoxen Christentums stammen:
„St. Basilius“,
(etwa:) „die unentgeltlich wirkenden Heiligen“,
„Alle Heiligen“,
„Prophet Elia“,
„(Christus) Allherrscher“ usw. Eine orthographische Besonderheit ergibt sich aus der umgangssprachlichen Bezeichnung der Griechen für Istanbul/Konstantinopel, der Kurzform
(
, „Stadt“) von
. Im Griechischen werden Substantive klein geschrieben, Namen aber groß. Da „die Stadt“ aber, wenn es sich auf Istanbul oder Konstantinopel bezieht, Namenscharakter hat, wird es immer groß geschrieben:
, „die Stadt schlechthin: Konstantinopel“.
Städte außerhalb Griechenlands
Auch außergriechische Ortsnamen werden im Griechischen mit einem grammatischen Geschlecht, viele sogar mit einer griechischen Deklinationsendung versehen und dekliniert, so auch zahlreiche deutsche Städte, deren jeweiliges griechisches Genus meist dem der lateinischen bzw. romanischen Namen entspricht.
- το Βερολίνο(to Verolíno, latein. Berolinum),το Μόναχο(to Mónacho, latein. Monac(hi)um),το Αμβούργο(to Amvoúrgo, latein. Hamburgum),το Ανόβερο:
Berlin, München, Hamburg, Hannover - η Νυρεμβέργη(i Niremvérgi, latein. Norimberga),η Στουτγάρδη(i Stutgárdi, vergleiche ital. Stoccarda),η Φρανκφούρτη,η Βρέμη(i Vrémi, latein. Brema):
Nürnberg, Stuttgart, Frankfurt, Bremen. - Pluralendungen aus romanischen Sprachen werden im Griechischen als Pluralnamen wiedergegeben: οι Κάννες(i Kánnes, „Cannes“),οι Βερσαλλίες(i Versallíes, „Versailles“)
- Viele Städtenamen bleiben unverändert, erhalten also kein genusanzeigendes Endmorphem. Das grammatische Genus dieser Namen ist dann das Neutrum, und sie sind indeklinabel (der Artikel hingegen wird dekliniert): το Βούπερταλ(to Voúpertal, „Wuppertal“),το Πάσσαου,το Πουατιέ(to Pouatié, „Poitiers“). Feminina sind hier Ausnahmen:η Χαϊλμπρόν(i Chailbrón, „Heilbronn“),η Χάναου(i Chánau, „Hanau“),η Καγιέν(i Kagién, „Cayenne“).
- Auch bei indeklinablen Städtenamen weicht die Betonung im Griechischen oft von der im Deutschen ab, und es gibt in manchen Fällen auch konkurrierende Genera: η Νταχάουvs.το Νταχάου(„Dachau“, im Deutschen auf der ersten Silbe betont).
- Offensichtlich gibt es außerhalb Griechenlands maskuline Städtenamen nur dann, wenn es sich bei diesen um männliche Personennamen handelt, die ins Griechische übersetzt werden können: Άγιος Μαρίνος(Agios Marinos, San Marino). Doch auch hier gibt es rein phonetische Übertragungen mit neutralem Genus:Σαν Φρανσίσκο. Alle anderen außergriechischen Städte sind feminin oder neutral.
- Auch manche Städtenamen im Femininum sind Übersetzungen, z. B. Αγία Πετρούπολη(Agía Petroúpoli, „Heilige Petersstadt“ – Sankt Petersburg).
Griechische Inseln
Inselnamen sind im Griechischen wie das altgriechische Wort
für „Insel“ in der Regel Feminina, auch wenn die Endung (
) der meist maskulinen o-Deklination zugehört:
- Endung -ος:η Ρόδος(Rhodos),η Κοςbzw.η Κως(Kos),η Λέσβος(Lesbos),η Σίφνος(Sifnos).
- Endung -αund-η:η Θήρα(Thira),η Κέρκυρα(Kerkyra),η Κρήτη(Kriti),η Σαμοθράκη(Samothraki).
- Pluralform -ες:οι Σπέτσες(f. Pl., Spetses).
Nur in wenigen Ausnahmen sind Inselnamen nicht feminin:
- τα Κύθηρα(n. Pl., Kythira).
- ο Πόρος(m. Sg., Poros, eigentlich „Furt“).
- Inseln mit den Namen von männlichen Heiligen, wie ο Άγιος Ευστράτιος(m. Sg., Agios Efstratios „Heiliger Eustratios“) oderο Άγιος Μηνάς Φούρνων(Agios Minas, Heiliger Minas bei Fourni).
- weitere kleinere bewohnte Inseln im maskulinen Genus, wie ο Σκορπιός(Skorpios),ο Κάλαμος(Kalamos),ο Δοκός(Dokos), sowie einige maskuline unbewohnte, wieο Πάτροκλος(Patroklos) oderο Κίναρος(Kinaros).
- zahlreiche sehr kleine Inseln, die auf -νήσι(n. Sg.) oder-νήσια(n. Pl.) enden, z. B.τα γλαρονήσια(ta glaronisia, „die Möweninseln“).
Inseln außerhalb Griechenlands
Inseln außerhalb Griechenlands haben ebenfalls meist feminine Namen, jedoch nicht auf
.[2] Sie tragen die Endungen
und
(Sizilien),
(Britannien),
(Neuseeland),
(Korsika),
(Madagaskar).
Inselgruppen werden folglich im Femininum Plural mit der Endung
dekliniert:
(Komoren),
(Seychellen),
(Philippinen). Ausnahmen gibt es auch hier wiederum nur bei Inselnamen, die männlichen Vornamen entsprechen (
„Mauritius“,
„São Tomé“) sowie bei kleinen, in Griechenland weitgehend unbekannten Inseln, die meist neutral und indeklinabel sind (
, „Mainau“).
Ländernamen
Auch Ländernamen im Griechischen haben – wie im Deutschen der Sudan, die Schweiz – ein bestimmtes grammatisches Geschlecht, Pluralformen ergeben sich aus einigen Selbstbezeichnungen der Staaten (
, f. Pl. – „die Niederlande“;
– „die Vereinigten Staaten von Amerika“). Viele Namen von Ländern bzw. Staaten tragen die Endung
und sind feminin (
, „Italien“;
, „Deutschland“;
, „Frankreich“), doch gibt es auch maskuline (
, „Kanada“) und neutrale Formen (
).
Siehe auch
Anmerkungen
Literatur
- Konstantin Amantos: Die Suffixe der neugriechischen Ortsnamen. Beitrag zur neugriechischen Ortsnamenforschung. München 1903.