Bezugspflege

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Die zwischenmenschliche Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und Pflegekraft als neues Hauptmerkmal

Bezugspflege (englisch: Primary Nursing, Abkürzung: PN) beschreibt eine ganzheitlich orientierte Vorgehensweise innerhalb der Arbeitsorganisation der Kranken- und Altenpflege, bei der die Zuordnung einer Pflegekraft zu einer bestimmten Gruppe Pflegebedürftiger den Arbeitsablauf innerhalb einer Pflegeeinheit strukturiert. Wesentliches Prinzip der Bezugspflege ist die dezentrale und am Pflegeprozess orientierte Delegation der Verantwortung für alle pflegerischen Tätigkeiten an eine bestimmte Pflegefachperson, der sogenannten Bezugspflegekraft. Dies umfasst ebenfalls die patientenbezogene Administration und die Arbeitsorganisation zugeordneter Pflegehilfskräfte, Auszubildender und anderer Hilfskräfte sowie die zeitweise Übergabe an die Funktionspflege benachbarter Fachbereiche der Diagnose oder Therapie.

Die Bezugspflege ist im Gegensatz zur tätigkeitsorientierten Funktionspflege oder dem System der zeitlichen Verantwortlichkeit für eine Schicht, die als Bereichspflege oder Gruppenpflege bezeichnet wird, ein an den Patienten orientiertes und auf den Pflegeprozess ausgerichtetes Pflegesystem.

Die Bezeichnung ´Bezugspersonenpflege´ ist zutreffender, da eine ´Bezugsperson´, in Form einer Pflegefachkraft mit festgeschriebener Zuständigkeit für die Verantwortung und Steuerung des Pflegeprozesses, die ´Pflege´ bei einem Pflegebedürftigen durchführt. Und dieses geschieht über einen längeren Zeitraum auf Basis einer ehrlichen zwischenmenschlichen Beziehung. Bezugspersonenpflege ist primär ein Organisationssystem. Es soll sich verwirklichen mit dem systematischen Zusammenspiel von festgeschriebener Zuständigkeit einer Pflegefachkraft und somit seiner Verantwortlichkeit, sowie der ehrlichen zwischenmenschlichen Beziehung zwischen Pflegebedürftigen und Pflegekraft. Durch die fixierte persönliche Verantwortlichkeit und die ehrliche, partnerschaftliche und verlässliche Beziehung wird die Bezugspersonenpflege definiert, dabei sind Beziehung und Verantwortung Grundelemente oder Hauptmerkmale dieses Pflegeorganisationssystems. (J.Schumacher/2001)

Geschichte

Bezugspersonenpflege wurde als Primary Nursing von Marie Manthey an einer Universitätsklinik in Minneapolis (USA) Ende der 1960er-Jahre entwickelt und eingeführt. Seit Mitte der neunziger Jahre gibt es auch in Deutschland Ansätze, dieses Pflegeorganisationssystem umzusetzen. 2007 gründete der DBfK in Berlin das Deutsche Netzwerk Primary Nursing, das als Expertengruppe unter dem Dach des Verbandes tätig ist und einen Bezug zur pflegerischen Praxis herstellt.[1]

Kernelemente

Bezugspersonenpflege ist durch vier Kernelemente gekennzeichnet:[1]

  • Die Verantwortung für pflegerische Entscheidungen wird durch eine Pflegefachperson übertragen bzw. übernommen.
  • Kontinuität in der Versorgung entsteht durch die Zuteilung der täglichen pflegerischen Arbeit nach der Methode des Fallmanagements
  • Direkte Kommunikation mindert das Risiko von Informationsverlusten.
  • Der Pflegeplanende ist zugleich Pflegedurchführender.

Prozessorientierung

Bei der Bezugspflege werden alle grund- und behandlungspflegerischen Maßnahmen, die für einen Pflegebedürftigen oder eine bestimmte Gruppe zu Pflegender durchgeführt werden, einer bestimmten Pflegekraft übertragen, die alle Pflegeprozesse und deren Dokumentation eigenverantwortlich plant und diese weitgehend übernimmt. Einzelne Aufgaben können hierbei von der Bezugspflegekraft an zugeordnetes Hilfspersonal wie Pflegehelfer oder Zivildienstleistende delegiert werden, ebenso können Auszubildende mit Pflegemaßnahmen betraut werden.

Einteilung und Zuordnung

Die Zuteilung einer Gruppe von Pflegebedürftigen zu einer Bezugspflegekraft muss zunächst nach der erwarteten durchschnittlichen Leistungsdauer pro Patient und Schicht erfolgen. Die Zuordnung kann weiter sowohl räumliche Kriterien, beispielsweise einen Flurabschnitt, ein Stockwerk (Bereichspflege) oder einige bestimmte Zimmer (Zimmerpflege), aber auch ausgewählte pflegerische Kriterien berücksichtigen. Dies können zum Beispiel die Anforderungen der Empfänger der Dienste in einer bestimmten Pflegestufe oder einer bestimmten Erkrankung wie Diabetes mellitus oder Demenz sein, die je nach Zeitbedarf und Schwierigkeitsgrad der Pflege und Aus- und Fortbildungsstand des Pflegenden einer entsprechend qualifizierten Pflegekraft zugeordnet werden können (Gruppenpflege).

Vorteile

Die Vorteile der Bezugspflege liegen außer in der Dezentralisation und der damit verbundenen Selbststeuerung durch die leistenden Pflegekräfte vor allem in der Eigenverantwortlichkeit des Pflegenden für die Zeiteinteilung. Die bessere Unterstützung der Pflegetätigkeit wird außerdem durch einen steten Informationsfluss zwischen der anhaltend zugeordneten Pflegekraft und dem jeweiligen Pflegebedürftigen erreicht. Hierdurch wird die somatische, aber auch die psychosoziale Pflegeanamnese erleichtert und die Durchsetzung der Pflegeplanung erreicht eine höhere Bedürfnisorientierung (Outcome).

Der Prozesskreis der Planung der eigenen Pflegedurchführung wie auch der Durchsetzung von Leistungen anderer Pflegepersonen und der Evaluation ist geschlossen. Die Pflegedokumentation wird durch die Bindung an die Bezugsperson mit dem direkten Informationsfluss und die Kenntnis aller zusammenhängenden Pflegeprozesse bei der Bezugsperson erleichtert.

Die Pflegefachkräfte haben in diesem System ihrem Wissenstand angemessene Entscheidungs- und Handlungsspielräume, die allgemeine Motivation und die erreichte Zufriedenheit ist gegenüber dem Bereichspflegesystem höher. Die Aufgabenlast der Stations- und Schichtleitungen im Bereich der Administration und Koordination verlagert sich zum größten Teil auf die Bezugspflegekräfte. Häufig ist der Zeitaufwand für die Koordination geringer als in der Bereichspflege, Pflegehandlungen an einzelnen Patienten und Bewohnern können besser strukturiert werden, Wegezeiten und ablaufbedingte Wartezeiten nehmen ab. Für die Pflegebedürftigen ergibt sich aus der Bezugspflege ein erleichterter Kontakt zur Pflegefachkraft und der Aufbau eines Vertrauensverhältnisses wird gefördert. Die Tagesstruktur kann innerhalb des Bezugspflegesystems einfacher an die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen (Arbeitszeitmodell) angepasst werden.

Nachteile

Jenseits der Bezugsperson steigt der Koordinationsbedarf und es bleiben die Informationsübergänge zu anderen Mitarbeitern der Funktionspflege wie bisher erforderlich. Durch eine gewissenhafte und gut strukturierte Dokumentation lassen sich jedoch Übergabezeiten deutlich reduzieren. Gleichzeitig wird mittelbar eine Hierarchie der Bezugspfleger und der im selben Bereich eingesetzten, aber ansonsten bezugslosen Hilfskräfte eingeführt. Die gegenseitige Unterstützung darf nicht an der Zuordnung der Bezugspersonen scheitern.

Wenn die Pflegekräfte sich in der zum Teil sehr intensiven Auseinandersetzung mit Bewohnern oder Patienten, insbesondere in Bereichen mit hoher psychischer Belastung wie beispielsweise im Umgang mit psychisch oder dementiell Erkrankten überfordert fühlen, ist es die Rolle der Stationsleitung, diese Pflegenden zu unterstützen. Viele Bezugspflegende berichten, dass sie nicht wieder in der Bereichspflege arbeiten könnten, da sie nicht mehr gesamtheitlich Verantwortung übernehmen können, was die Arbeit "chaotischer" und weniger professionell gestalte.

In der Bezugspflege muss der Informationsfluss zwischen den Mitarbeitern organisiert sein. Um alle Pflegekräfte über die einzelnen Pflegebedürftigen zu informieren, sollte Wert auf eine geeignete und gewissenhafte Dokumentation gelegt werden. Der notwendige Anteil an examinierten Pflegekräften ist nicht notwendigerweise höher, jedoch können einzelne isolierte Aufgaben nur bedingt aus dem Pflegeprozess losgelöst und delegiert werden.

Wegen der nach individuellen Patienten- oder Bewohnerbedürfnissen differenzierten Pflegeplanung dauert die Einarbeitung neuer Mitarbeiter länger als bei rein tätigkeitsorientierter Pflege.

Literatur

  • Michael Ammende: Handbuch für die Stations- und Funktionsleitung: Neue Herausforderungen als Chance für die Praxis. Georg Thieme Verlag, 2003, Seite 21–50, ISBN 3131250321
  • Michael Brater, Anna Maurus: Das schlanke Heim: Lean Management in der stationären Altenpflege, Vincentz Network GmbH & Co KG, 1999, Seite 77–130, ISBN 3878706111
  • Thomas Elkeles, Barbara Bromberger, Hans Mausbach, Klaus-Dieter Thomann: Arbeitsorganisation in der Krankenpflege: Zur Kritik der Funktionspflege, Mabuse-Verlag, 1990, ISBN 3925499415
  • Liliane Juchli, Ursula Geißner, Edith Kellnhauser, Martina Gümmer, Susanne Schewior-Popp, Franz Sitzmann: Thiemes Pflege, Georg Thieme Verlag, Seite 79–80, ISBN 3135000109
  • Rüdiger Bauer, Günter Kreuzpaintner: Die Beziehungspflegeplanung in der Bezugspflege in Altenhilfeeinrichtungen. (PDF; 133 kB) In: Die Schwester, Der Pfleger, Ausgabe 06/2005
  • Hans-Joachim Schlettig, Ursula von der Heide: Bezugspflege. Springer Verlag, Berlin, 2000, ISBN 3540639632

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Deutsches Netzwerk Primary Nursing; abgerufen am 13. Juli 2019