Hängen

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Detail eines Gemäldes von Antonio Pisanello, 1436–1438

Als Erhängen oder Hängen (veraltend auch: Henken[1]) wird die Tötung durch Zusammenschnüren des Halses oder Brechen des Genicks in einer – meistens laufenden – Schlinge unter Einfluss des Körpergewichts bezeichnet. Das Erhängen ist eine der häufigsten Methoden des Suizids und zugleich eine der ältesten Hinrichtungsarten. Strangulation ist der rechtsmedizinische Oberbegriff für Erhängen, Erdrosseln oder Erwürgen.

Eine Sonderform, die nichts mit Strangulation zu tun hat, war die „Judenstrafe“, das Hängen an den Füßen, das in der frühen Neuzeit an Juden praktiziert wurde.[2]

Varianten

Es werden drei Varianten unterschieden. Sie zeichnen sich durch die Art aus, wie das Seil und die Galgenkonstruktion aufgebaut sind.

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William Marwood, vor 1883

Kurzer Fall

Beim kurzen Fall wird der Verurteilte auf einem Auto, Karren, Pferd oder sonstigem Gegenstand so positioniert, dass dieser Gegenstand unter ihm wegbewegt werden kann. Durch die Kompression der arteriellen Gefäße im Hals, d. h. der Kopfschlagadern (Arteria carotis) und der Wirbelsäulenschlagadern (Arteria vertebralis), tritt ein sofortiger Durchblutungsstopp des Gehirns ein, der innerhalb von 5 bis 10 Sekunden zur Bewusstlosigkeit führt.[3] Das eigene Körpergewicht ist dabei mehr als ausreichend, um den Verschluss dieser Gefäße zu bewirken. Eine Stauung tritt nur auf, wenn die Kompression nicht vollständig ist, was beim freien Hängen in der Regel nicht der Fall ist. Der Tod tritt durch den Sauerstoffmangel im Gehirn ein, der bereits nach 3–5 Minuten zu irreversiblen Schäden führt.[4] Vor 1850 wurde hauptsächlich diese Methode angewandt.

Standardfall

Diese Variante kam in den 1860er-Jahren in England auf. Die Fallhöhe betrug zwischen 1,20 und 1,80 Meter. Wissenschaftliche Details über diese Methode wurden vom irischen Arzt Samuel Haughton veröffentlicht.

Langer Fall

1872 wurde eine neue Form des Erhängens von William Marwood eingeführt, die als wissenschaftliche Verbesserung gegenüber dem Standardfall galt. Die Länge des Seils wurde anhand von Körpergröße und Gewicht genau so bestimmt, dass dem Delinquenten das Genick gebrochen, aber eine Enthauptung vermieden wurde.

Medizinische Aspekte

Lange Zeit wurde angenommen, Hängen bzw. Erhängen führe in kurzer Zeit zu einem schmerzfreien Tod. Dies konnte für die Methode ohne Genickbruch allerdings durch rechtsmedizinische Versuche von Nicolae Minovici Anfang des 20. Jahrhunderts widerlegt werden. Demnach führt die Unterbrechung der Blutzufuhr des Gehirns zu erheblichen Schmerzen.[5]

Suizid

Rechtsmedizinisch wird zwischen typischem und atypischem Erhängen unterschieden. Beim typischen Erhängen hängt der Körper in einer frei schwebenden Position und der über die Strangfurche nachweisbare Aufhängepunkt befindet sich hinten in der Mitte des Nackens. Beim atypischen Erhängen berührt der (möglicherweise auch sitzende oder liegende) Körper teilweise den Untergrund und der Aufhängepunkt liegt meistens seitlich verschoben oder vorne am Hals. Diese Einteilung ist insofern relevant, als es beim typischen Erhängen zu einem sofortigen Verschluss der Halsarterien und somit zu keinen Stauungsblutungen kommt. Im Gegensatz dazu kommt es beim atypischen Erhängen zu einer asymmetrischen Kompression der Karotiden, woraus Stauungsblutungen resultieren. Stimmt dieser Zusammenhang zwischen Knotenposition und Stauungsblutung bei einer Leiche nicht überein, muss von einer Fremdeinwirkung ausgegangen werden, die üblicherweise ausführliche polizeiliche und forensische Abklärung erfordert.[6]

Hinrichtungen

Im Mittelalter und in der frühen Neuzeit ähnelte das Erhängen langsamem Erdrosseln: Das Gewicht des Körpers drückte den Strick auf den Adamsapfel, die Drossel, und schnürte dabei die Luftröhre ab.[7]

In Österreich-Ungarn war es üblich, den Delinquenten an einem Richtpfahl hochzuheben, ihm die Schlinge um den Hals zu legen und dann den Körper ruckartig nach unten zu ziehen. Dadurch wurden Halsschlagadern und Wirbelarterien zusammengepresst. Manchmal drückte auch der Zungengrund gegen die Rachen­hinterwand und verlegte so die Atemwege. Der Verurteilte verlor rasch das Bewusstsein und starb durch Unterbrechung des Blutflusses im Gehirn (auch der venöse Abfluss des Blutes wird durch die äußere Kompression unterbunden).

Wird am Galgen der lange Fall (der Long Drop) angewandt (wie in Großbritannien bis zur Abschaffung der Todesstrafe; derzeit noch in einigen US-Staaten, Singapur, Malaysia, Kuwait und Irak), fällt der Verurteilte durch eine plötzlich geöffnete Falltür im Boden je nach der in Abhängigkeit von seinem Gewicht und Körperbau berechneten Stricklänge etwa 1,5–2,6 Meter hinab, ehe der Strang den Sturz ruckartig bremst.[8] Die beabsichtigte, aber nicht immer eintretende Folge ist eine Fraktur des Dens axis (Genickbruch), wobei durch die Verschiebung der Bruchstücke dieses Knochens die Medulla oblongata (verlängertes Mark) gequetscht und damit beschädigt werden soll, wo sich zentrale Kreislauf- und Atemzentren befinden. Diese Form des Erhängens führt bei Männern häufig zu postmortalen Erektionen.[9] Ansonsten hat es neurophysiologisch gesehen denselben Effekt wie das Enthaupten. Ist der Strick zu lang bemessen, kann es zum Abreißen des Kopfes kommen (wie im Falle von Barzan Ibrahim at-Tikriti); ist er zu kurz, wird der Verurteilte möglicherweise nicht sofort bewusstlos.

Strafvollzug (Todesstrafe)

Im Strafvollzug werden Hinrichtungen durch Erhängen meistens an einem Galgen durchgeführt.

Früher nannte man das Erhängen auch „Richten mit trockener Hand“ im Gegensatz zum Enthaupten, dem „Richten mit blutiger Hand“. In alter Zeit forderte die Tötung durch Erhängen – im Unterschied zum Enthaupten – kein besonderes Geschick. Dadurch wurde die Suche nach Henkern erleichtert.

Im Gegensatz zur ehrenvollen Enthauptung, die meistens Verurteilten höheren Ranges vorbehalten blieb, wurde das unehrenhafte Erhängen solchen niederen sozialen Ranges oder Vogelfreien, die dann oft auch am Galgen verbleibend den Vögeln zum Fraß überlassen wurden, zuteil. Dieses wirkte teilweise bis ins 20. Jahrhundert fort. So ließ die NS-Justiz viele Widerstandskämpfer gegen die Hitler-Diktatur hängen. Auch die durch das Nürnberger Tribunal verhängten Todesurteile lauteten „death by hanging“.

Diese Form der Todesstrafe in den Vereinigten Staaten wurde zuletzt am 25. Januar 1996 an Billy Bailey in Delaware vollstreckt.

Aus dem 17. Jahrhundert ist ein Fall aus Brilon bekannt, bei dem ein bereits verstorbener Delinquent gehängt wurde.[10]

Sonderform

Für Juden war in der frühen Neuzeit das Kopfüberhängen an den Füßen bestimmt, die sogenannte Judenstrafe, wobei als Verschärfung oft Hunde mitgehängt wurden, wie ein Holzschnitt aus der 1586 in Augsburg erschienenen Schweizer Chronik des Johann Stumpf zeigt. Dies geschah auch, um den Delinquenten zum Übertritt zum Christentum zu zwingen. Tat er dies, wurde die Strafe in Enthauptung umgewandelt und der Leichnam regulär beerdigt.[2]

Aberglaube

Das Verbleiben der Leichen am Galgen konnte zur Folge haben, dass Leichenteile entfernt wurden, denn ihr „Schelmbein“ (Knochen) oder „Armsünderschmalz“ (Fett) galten im Mittelalter als heil- und zauberkräftig. Der Daumen eines Diebes etwa sollte im Spiel Glück bringen, und der Galgenstrick diente zum Zähmen wilder Pferde.[11] Von Alraunen, die ebenfalls für magische Praktiken eingesetzt wurden, glaubte man, sie entstünden durch herabtropfenden Urin und Ejakulat der Gehängten. Sie wurden daher auch „Galgenmännchen“ genannt.

Literatur

  • Richard J. Evans: Rituale der Vergeltung. Die Todesstrafe in der deutschen Geschichte 1532–1987. Kindler, Berlin 2001, ISBN 3-463-40400-1 (Originaltitel: Rituals of retribution. Übersetzt von Holger Fliessbach).
  • Heiner Lück: Galgen. In: Albrecht Cordes, Heiner Lück, Dieter Werkmüller, Ruth Schmidt-Wiegand (Hrsg.): Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Aachen–Geistliche Bank. 2., völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Band 1. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-503-07912-4, Sp. 1917–1926.
  • Charles Duff: A Handbook on Hanging. The History Press, Stroud 2011, ISBN 0-7524-6068-4.
    • Charles Duff: Henkerfibel. Ein Familien- und Erbauungsbuch. Ein kurzer Abriß der Kunst des Hängens. Aus dem Englischen übertragen von Gertrud Reyersbach. Vorrede von Léo Lania. Schultz, Berlin 1931, DNB 572932375.
  • V. A. C. Gatrell: The Hanging Tree, Execution and the English People 1770–1868. Oxford Univ. Press, Oxford/New York 1996, ISBN 0-19-285332-5.
  • Fred Harvey Harrington: Hanging Judge. University of Oklahoma Press, Norman 1996, ISBN 0-8061-2839-9.
  • Traugott Vitz: Langes Seil, schneller Tod. Wie Großbritannien seine Mörder hängte. Verlag Kirchschlager, Arnstadt 2016, ISBN 978-3-934277-66-3.
  • R. Michael Wilson: Legal Executions in the Western Territories, 1847–1911. Arizona, Colorado, Idaho, Kansas, Montana, Nebraska, Nevada, New Mexico, North Dakota, Oklahoma, Oregon, South Dakota, Utah, Washington and Wyoming. Mcfarland & Co Inc., Jefferson, N.C. 2010, ISBN 0-7864-4825-3.

Weblinks

Commons: Hängen – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. hen|ken (schwaches Verb; Perfektbildung mit »hat«; veraltend), von mhd., ahd. henken = hängen machen; (auf)hängen; hängen. In: duden.de, (zuletzt) abgerufen am 1. Juni 2016.
  2. a b Wolfgang Schild: Die Geschichte der Gerichtsbarkeit. Nikol Verlagsgesellschaft, Hamburg 1997, ISBN 3-930656-74-4, S. 66. Lizenz von: Verlag Georg D. W. Callwey, München 1980.
  3. Serie: Kuriose Experimente am Menschen: Hängen für die Wissenschaft. Abgerufen am 3. Juni 2019.
  4. Burkhard Madea: Rechtsmedizin. 3. Auflage. Springer, Berlin/Heidelberg 2014, ISBN 978-3-662-43499-4.
  5. Serie: Kuriose Experimente am Menschen: Hängen für die Wissenschaft. Abgerufen am 3. Juni 2019.
  6. T. Plattner, K. Yen, U. Zollinger, E. Aghayev, R. Dirnhofer: Differenzierung von typischem und atypischem Erhängen. In: Rechtsmedizin. Band 14, 2004, S. 266–270 (springer.com).
  7. Gerd Althoff, Hans-Werner Goetz, Ernst Schubert: Menschen im Schatten der Kathedrale. Primus Verlag, Darmstadt 1998, ISBN 3-89678-090-5, S. 341.
  8. The history of judicial hanging in Britain 1735–1964. Drop tables. Abgerufen am 8. November 2012 (englisch, 5 feet (=1,5 m) bis 8 feet 6 inches (=2,59 m)).
  9. Arnold Melman und Elliot Letter: The Urologic Evaluation of Impotence. In: Helen Singer Kaplan (Hrsg.): The evaluation of sexual disorders. Psychological and medical aspects. Brunner/Mazel, New York 1983, ISBN 0-87630-210-X, S. 167.
  10. Vgl. den Artikel Melchior Berthold.
  11. Gerd Althoff, Hans-Werner Goetz, Ernst Schubert: Menschen im Schatten der Kathedrale. 1998, S. 339.