Hörigkeit (Psychologie)

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Icon tools.svg

Dieser Artikel wurde auf der Qualitätssicherungsseite des Wikiprojekts Psychologie eingetragen. Dies geschieht, um die Qualität der Artikel aus dem Themengebiet Psychologie zu verbessern. Dabei werden Artikel verbessert oder auch zur Löschung vorgeschlagen, wenn sie nicht den Kriterien der Wikipedia entsprechen. Hilf mit bei der Verbesserung und beteilige dich an der Diskussion im Projekt Psychologie.

Das Wort Hörigkeit benennt eines der möglichen Abhängigkeitsverhältnisse zwischen Menschen.

Begriff

Ursprünglich meinte Hörigkeit die rechtliche Abhängigkeit eines Bauern von seinem Grundherren, eine Rechtsform, welche im Mittelalter entstand und bis ins frühe 19. Jahrhundert verbreitet blieb. Heute bezeichnet man damit die Unterwerfung des eigenen Willens unter die Macht einer anderen Person oder einer Gruppe. Diese Unterwerfung kann erzwungen bzw. mehr oder weniger freiwillig erfolgen und ohne dass sich die betroffene Person dessen bewusst sein muss. Der österreichische Psychologe Werner Stangl definiert den Begriff in seinen Arbeitsblättern: „Unter Hörigkeit versteht man ganz allgemein die gefühlsmäßige Bindung an andere Menschen in einem Ausmaß, in dem die persönliche Freiheit und menschliche Würde aufgegeben werden.“[1] Dabei würden die „Grenzen von Recht und Moral mißachtet“.

Ausprägungen

Anders als beim Gehorsam ist ein psychisches Abhängigkeitsverhältnis der Grund für das bedingungslose Befolgen der Wünsche des Gegenübers und den blinden Glauben an seine Aussagen. Die Basis dieser Art von Abhängigkeit kann sexueller aber auch anderer Natur sein. In der Regel wird bei Hörigkeit von Außenstehenden eine missbräuchliche Nutzung des Abhängigkeitsverhältnisses wahrgenommen, was oft auch tatsächlich der Fall ist, beispielsweise in Fällen von Zuhälterei, in manchen Sekten und auch immer wieder in Paarbeziehungen. Von beiden Seiten gewollt ist die Hörigkeit in der Finanziellen Dominanz, einer Spielart des BDSM, die es in der heutigen Form erst seit der Einführung des Internets gibt.

Die 1941 geborene Soziologin und Politikwissenschaftlerin Sigrid Chamberlain,[2] die durch ihr 2016 in sechster Auflage erschienenes anthropologisches Sachbuch Adolf Hitler, die deutsche Mutter und ihr erstes Kind bekannt wurde, brachte den Hörigkeitsbegriff in Verbindung mit nationalsozialistischer Erziehung, wie sie von Johanna Haarer in deren seinerzeitigem Bestseller Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind propagiert wurde:

„Ein Kind, das vom Beginn seines Lebens an einer nationalsozialistischen Erziehung unterworfen wird, wächst auf mit einer tiefen und immer ungestillten Sehnsucht nach Verbundensein, was es nie kennengelernt hat. Diese immer virulente Sehnsucht nach etwas Unbekanntem macht es anfällig für Hörigkeitsverhältnisse und symbiotische Verstrickungen; es ist prädestiniert dafür, den angeblich magischen oder hypnotisierenden Augen eines Menschen zu erliegen, der vorgibt, es zu verstehen und ihm verspricht, es in einer größeren Gemeinschaft, zum Beispiel der Volksgemeinschaft, aufgehen zu lassen.“

Sigrid Chamberlain: Jahrbuch für Psychohistorische Forschung[3]

Das Thema Hörigkeit wurde in zahlreichen wissenschaftlichen Disziplinen bearbeitet und fand nicht zuletzt mit der Ballade von der sexuellen Hörigkeit Eingang in die Dreigroschenoper von Kurt Weill und Bertolt Brecht.

Die Gestalttherapeutin Karin Daecke, die in ihrer therapeutischen Arbeit Erfahrungen mit durch Sekten geschädigten Patientinnen und Patienten sammeln konnte, bringt den Hörigkeitsbegriff für diese Klientel mit der Wirkung einer „esoterisch-spirituellen Introjektionsmacht“ in Verbindung.[4]

Siehe auch

Literatur

  • Thomas Achner: Hörigkeit und Schuldfähigkeit. Dissertation. München 1993, DNB 931699592.
  • Karin Daecke: Moderne Erziehung zur Hörigkeit? Die Tradierung strukturell-faschistischer Phänomene in der evolutionären Psychologieentwicklung und auf dem spirituellen Psychomarkt. Studie in drei Bänden. Edition Psychotherapie und Zeitgeschichte, Neuendettelsau 2006, ISBN 3-9811319-0-8 (tradierungsstudie.de [abgerufen am 23. Januar 2022]).
  • Ottmar Edenhofer, Martin Kowarsch: Ausbruch aus dem stahlharten Gehäuse der Hörigkeit. Ein neues Modell der wissenschaftlichen Politikberatung. In: Peter Weingart, Gert G. Wagner (Hrsg.): Wissenschaftliche Politikberatung im Praxistest. Velbrück Wissenschaft, Weilerswist 2021, ISBN 978-3-95832-046-8, S. 83–105.
  • Svantje Guinebert: Hörigkeit als Selbstboykott. Eine philosophische Studie zu Autorität, Selbstkonstitution und Autonomie. Mentis, Paderborn 2018, ISBN 978-3-95743-126-4.
  • Richard von Krafft-Ebing: Bemerkungen über "geschlechtliche Hörigkeit" und Masochismus, Jahrbücher für Psychiatrie, Berlin 1892.
  • W. Somerset Maugham: Der Menschen Hörigkeit. Roman. Diogenes, Zürich 2012, ISBN 978-3-257-24207-2 (englisch: Of human bondage. Übersetzt von Mimi Zoff, Susanne Feigl).
  • Jorinde Schulz: Klicklust und Verfügbarkeitszwang. Techno-affektive Gefüge einer neuen digitalen Hörigkeit. In: Rainer Mühlhoff, Anja Breljak, Jan Slaby (Hrsg.): Affekt Macht Netz. Auf dem Weg zu einer Sozialtheorie der Digitalen Gesellschaft. Transcript Verlag, Bielefeld 2019, ISBN 978-3-8376-4439-5, S. 131–153, doi:10.25969/mediarep/13224.
  • Lea Singer: Die Poesie der Hörigkeit. Roman. dtv, München 2019, ISBN 978-3-423-21769-9.
  • Samuel Sugenheim: Geschichte der Aufhebung der Leibeigenschaft und Hörigkeit in Europa. Nachdruck der Ausgabe von 1861. Hansebooks, Norderstedt 2016, ISBN 978-3-7411-6031-8.

Einzelnachweise

  1. Werner Stangl: Hörigkeit, Abhängigkeit, Beziehungssucht. In: Werner Stangls Arbeitsblätter. Abgerufen am 23. Januar 2022.
  2. Autoren: Sigrid Chamberlain. In: Psychosozial-Verlag. Abgerufen am 23. Januar 2022.
  3. Sigrid Chamberlain: Zur frühen Sozialisation in Deutschland zwischen 1934 und 1945. (PDF; 325 KB) In: Jahrbuch für Psychohistorische Forschung, Nr. 2. 2001, S. 247, abgerufen am 23. Januar 2022.
  4. Karin Daecke: Autonomie und Verschmelzungssehnsucht. (PDF; 231 KB) Vortrag auf der Goodman-Tagung, Wien, 12.11.2011. In: Integrative Gestalttherapie. 2011, abgerufen am 24. Januar 2022.