Haartransplantation
Die Haartransplantation oder auch Haarverpflanzung bezeichnet die Verpflanzung von Körperhaar. Haartransplantationen kommen vor allem bei Haarausfall zur Anwendung,[1] sowohl bei Männern als auch bei Frauen. Der Eingriff wird – insbesondere bei Männern – als emotional besetztes Thema gesellschaftlich diskutiert.[2][3]
Geschichte
Seit dem 18. Jahrhundert wird von – unterschiedlich erfolgreichen – Versetzungen behaarter Hautteile bei Tieren und Menschen berichtet. Als erste Arbeit zur Haartransplantation gilt die 1822 erschienene Dissertation des deutschen Mediziners Johann Friedrich Dieffenbach.[4]
Bis zum 19. Jahrhundert gab es diesbezüglich keine bedeutenden Weiterentwicklungen. 1939 beschrieb erstmals der japanische Arzt Shōji Okuda (
) die Durchschlagstechnik (Punchtechnik) in der Haarversetzung.[5][6]
Er benutzte kleine Durchschläge (engl. punches), um behaarte Hautteile in andere Bereiche der Kopfhaut sowie in Augenbrauen und Schnurrbärte zu verpflanzen. Die verpflanzten behaarten Hautteile produzierten auch in ihrer neuen Position erfolgreich Haare.[7] Allerdings sah Okuda diese Vorgehensweise nur für Brandopfer vor. Er dachte noch nicht an die Möglichkeit, seine Technik gegen den weitverbreiteten androgenetischen Haarausfall einzusetzen, der auch als erblich bedingter Haarausfall bezeichnet wird. In den 1960er Jahren wurden die Techniken durch Norman Orentreich wesentlich erweitert.[8] 1986 stellte der Münchener Arzt Manfred Lucas auf dem VII. International Congress of Dermatologic Surgery in London die flächendeckende Behandlung mit Mini- bzw. Micrografts vor und war damit weltweit einer der Ersten, die dieses Verfahren propagierte.
Die neueste Methode, die Entnahme einzelner Haarfollikel, wurde erstmals vom Japaner Masumi Inaba beschrieben.[9] Diese Methode wurde 2002 von William R. Rassman verfeinert und Follicular Unit Extraction genannt.[10]
Die verschiedenen Techniken unterscheiden sich stark, wobei vergleichende kontrollierte Studien weitgehend fehlen. Für ein gutes Endergebnis ist entscheidend, dass der Haaransatz natürlich ist (etwa mit Wirbeln und Wellen).[11]
Methoden der Haarverpflanzung
Punch
Die Punch- oder auch Stanztechnik ist die älteste Methode. Shōji Okuda verpflanzte mit 4-mm-Zylindern behaarte Hautteile. Die gewonnenen Transplantate erzeugten sehr unnatürliche, büschelartige Ergebnisse.[12]
Streifen & Einsetzung Mini/Micrografts (MMG)
Diese Methode ist in Deutschland die am häufigsten anzutreffende Haarverpflanzungs-Methode. Dabei wird aus dem Haarkranz ein behaarter Hautstreifen entnommen und in sogenannte mittlere Hautteile und kleinere Hautteile mit Haarwurzeln zergliedert. Man nennt diese einzelnen Haare oder Haarinseln auch Mini- bzw. Micrografts. Danach werden dann die Grafts in die vorher vorbereiteten Gebiete eingesetzt.[13] Die Prozedur wird sitzend in örtlicher Betäubung durchgeführt und dauert zwischen 3 und 9 Stunden, wobei ein Großteil der Zeit zur Vorbereitung der Transplantate benötigt wird.
Streifenentnahme & Einsetzung follikularer Einheiten (FUI bzw. FUT)
Diese Methode ist die Weiterentwicklung der Mini/Micrograft-Technik. Hier wird auch ein behaarter Hautstreifen aus dem Haarkranz entnommen. Jedoch wird dieser unter einem hochauflösenden Mikroskop in die natürlichen Bündelungen des Haares (Follikulare Einheiten) zergliedert. Diese follikularen Einheiten (Follicular Unit = FU) werden dann in die vorher vorbereiteten Gebiete eingepflanzt.
Follicular Unit Extraction (FUE)
Die Follicular Unit Extraction (FUE), die Gewinnung follikularer Einheiten, bezeichnet die Entnahme, die Zwischenlagerung (Storage) und die Implantation (Insertion) follikularer Einheiten (FU). Die Einheiten sind natürliche Gruppierungen von ein bis vier (in seltenen Fällen auch fünf) Haaren, sogenannten Grafts. Diese Methode zählt zu den zurzeit modernsten Möglichkeiten der Haarverpflanzung.
Für die Haarverpflanzung sind diese follikularen Einheiten von großer Bedeutung, da Haare nicht einzeln, sondern in natürlichen Bündelungen wachsen. Bei einer FUE-Transplantation werden diese Haargruppierungen (meist aus einer Kleinstgruppe von etwa 1–5 natürlich zusammengehörenden Wurzeln) mit einer Hohlnadel aus dem Haarkranzbereich entnommen und in die entsprechenden Bereiche eingesetzt. Zum Eingriff werden Extraktions-Nadeln verwendet, die Grafts in einer Größe von 0,5 mm bis 1 mm entnehmen können. Vor dem Verpflanzen erfolgt eine Prüfung auf die Gesundheit der Gruppe. Bis zur Implantation werden die Transplantate in einer Nährlösung aufbewahrt. Anschließend transplantiert der Arzt die follikularen Einheiten in die kahlen Kopfareale. Das Einsetzen erfolgt meistens mit der Pinzette in einen kleinen Hautschlitz, der mit speziell angefertigten Klingen mit einer Breite von 0,6–1,5 mm erreicht wird. Es kann auch eine Injektionskanüle verwendet werden. Zu beachten ist der richtige Winkel des Haares und eine zum Empfängerareal passende Dichte.[14]
Großer Vorteil ist, dass die Entnahmestelle nicht genäht werden muss, sie verschließt sich eigenständig noch am selben Tag. Nach der Operation können etwa eine Woche lang kleinere Krusten sichtbar sein. Auch wenn der Verbleib kleiner punktförmiger Narben wahrscheinlich ist, sind diese mit dem bloßen Auge kaum zu erkennen. Ein weiterer großer Vorteil dieser Methode ist die Möglichkeit, auch Körperhaare zu transplantieren. Bei der Transplantation von Körperhaaren muss allerdings beachtet werden, dass diese meist eine andere Struktur und Farbe als Kopfhaare haben. Nachteil der FUE-Methode ist der erhöhte Zeitaufwand bei der Einzelentnahme. Der Arbeitsaufwand für solch eine Behandlung ist sehr intensiv. Inzwischen gibt es Hohlnadeln, bei denen die Drehbewegung durch einen Motor erfolgt, und sie ermöglichen dadurch eine wesentlich schnellere Entnahme. Das höhere Gewicht und die größere Geschwindigkeit dieser Geräte bergen das Risiko von Schäden am Haar oder umliegenden Gewebe.
Crosspunch-Methode
Mehrfach wurde in der Literatur berichtet, dass ein ästhetisch ansprechenderes Behandlungsergebnis erzielt werden kann, wenn bei der Implantation der Transplantate der Insertionswinkel berücksichtigt wird.[15][16]
Da lockiges Haar grundsätzlich die darunterliegende Kopfhaut besser kaschiert als dies bei glattem Haar der Fall ist, wird im Zuge der Crosspunch-Technik versucht, auch für glattes Haar eine bessere optische Abdeckung der Kopfhaut zu erzielen. Hierzu werden die Bohrungen in der Empfängerfläche in leicht gegeneinander abgestuften Winkeln von etwa 5 bis 8° gesetzt, sodass die später eingesetzten Transplantate ebenfalls einen leichten Neigungswinkel zueinander aufweisen. Auf diese Weise wird der Effekt eines besseren Kopfhautabdeckung, den lockiges Haar von Natur aus bereits mit sich bringt, auch für glattes Haar ermöglicht.[17]
Um ein natürlich wirkendes Resultat zu erzielen, muss beachtet werden, dass bei der Rekonstruktion der Haarlinie die natürliche Wuchsrichtung der Haare berücksichtigt wird und die Crosspunch-Technik erst nach der Rekonstruktion der Haarlinie eingesetzt wird.[17]
Haarausfall bei Frauen
Der Haarausfall bei Frauen hat oft genetische Ursachen, wobei Schilddrüsenkrankheiten oder hormonelle Veränderungen oft die Auslöser sind. Nicht nur der Haarverlust selbst, sondern auch immer dünner werdende Haare können die Folge sein. Hierbei ist eine medikamentöse Behandlung meist ausreichend. Ursachen für den Haarverlust können körperliche oder psychische Belastungen sein. Folgende Faktoren können einen Verlust der Kopfbehaarung auslösen: hormonelle Veränderungen (Menopause), Hautkrankheiten, Operationen, Schilddrüsenprobleme, Schwangerschaft, extremer Stress.
Kosten einer Haartransplantation
Die Kosten der Haartransplantation richten sich in der Regel nicht nach der Fläche, sondern nach der Anzahl der Transplantate. Durch eine Pauschalierung der Kosten pro verpflanzter follikularer Einheit können Berechnungsprogramme bei der Darstellung der zu erwartenden Kosten helfen. Eine exakte Berechnung der benötigten follikularen Einheiten ist jedoch auch damit nicht möglich, da bei der Kostenabschätzung auch die Dichte der Haare in der der Zielregion benachbarten Zone mit einbezogen werden müssen. Aus diesem Grund können die genauen Kosten nur nach einer Untersuchung oder mit Hilfe von Fotografien der betroffenen Bereiche angegeben werden.
Behandlungsmöglichkeiten
Durch Einsatz von Micrografts/FUE kommt die Haartransplantation (Eigenhaarwurzelverpflanzung) heute nicht nur im Oberkopfbereich bei erblich bedingtem Haarausfall (Alopecia androgenetica), sondern u. a. auch bei
- Rekonstruktion von Augenbrauen
- Wimperntransplantation nach Alopecia mechanica
- Bartersatz nach Hasenschartenkorrektur
- Ersatz von Schamhaaren
- narbige traumatische Alopezie
- ausgebrannte Alopecia areata
- Alopecia triangularis congenita
zum Einsatz.
Einzelnachweise
- ↑ T. Dirschka u. a.: Leitfaden ästhetische Medizin. Elsevier, Deutschland, 2002, ISBN 3-437-23090-5, S. 248–284.
- ↑ Claudia Becker: Kopfschmuck : Warum sind Männer eitel, wenn‘s um die Haare geht? In: DIE WELT. 13. April 2013 (welt.de [abgerufen am 22. Dezember 2017]).
- ↑ https://www.bunte.de/stars/wotan-wilke-moehring-haartransplantation-61978.html. Abgerufen am 22. Dezember 2017.
- ↑ Ralph M. Trüeb, Won-Soo Lee: Male Alopecia: Guide to Successful Management. Springer Science & Business Media, 2014, ISBN 978-3-319-03233-7, S. 13 (google.de [abgerufen am 23. Juli 2021]).
- ↑ Shoji Okuda: The study of clinical experiments of hair transplantation. Nr. 46. Japanese Journal Dermatology and Urology, 1939, S. 537–587.
- ↑ Kenichiro Imagawa, Shigeki Inui: A visit to the house of Dr. Shoji Okuda. In: Hair Transplant Forum International. Band 19, Nummer 6, 2009, S. 200–202. doi:10.33589/19.6.0200
- ↑ A. Berger u. a.: Plastische Chirurgie. Springer, 2004, ISBN 3-540-00129-8, S. 13. (online)
- ↑ Norman Orentreich: Autografts in Alopecias and Other Selected Dermatological Conditions. In: Annals of the New York Academy of Sciences. Band 83, Nr. 3, 1. November 1959, ISSN 1749-6632, S. 463–479, doi:10.1111/j.1749-6632.1960.tb40920.x (wiley.com [abgerufen am 14. November 2017]).
- ↑ Damkerng Pathomvanich, Kenichiro Imagawa: Hair Restoration Surgery in Asians Springer. Springer Science & Business Media, 2010, ISBN 9784431996590, S. 133.
- ↑ W. R. Rassman, R. M. Bernstein, R. McClellan, R. Jones, E. Worton, H. Uyttendaele: Follicular unit extraction: minimally invasive surgery for hair transplantation. In: Dermatologic Surgery Band 28, Nummer 8, August 2002, S. 720–728, PMID 12174065.
- ↑ Ein bisschen Bauch und Glatze, und du bist raus. (PDF) In: Süddeutsche Zeitung. Abgerufen am 18. Dezember 2017.
- ↑ R. Azar: Minimalinvasive Haartransplantation. Springer, Deutschland, 2015, ISBN 978-3-642-54559-7, S. 22.
- ↑ A. Meves u. a.: Intensivkurs Dermatologie. Elsevier, Deutschland, 2006, ISBN 3-437-41162-4, S. 392–395. (online)
- ↑ R.Azar: Minimlainvasive Haartransplantation. Springer, Deutschland, 2015, ISBN 978-3-642-54559-7, S. 79–84
- ↑ Mohammed Alhaddab, Thomas Kohn, Mark Sidloi: Effect of graft size, angle, and intergraft distance on dense packing in hair transplant. In: Dermatologic Surgery: Official Publication for American Society for Dermatologic Surgery [et Al.] Band 31, Nr. 6, Juni 2005, ISSN 1076-0512, S. 650–653; discussion 654, PMID 15996414.
- ↑ Yong Miao, Bing-Cheng Liu, Zhe-Xiang Fan, Zhi-Qi Hu: Evaluation Indicators of Aesthetic Effects on Hair Transplantation. In: Annals of Plastic Surgery. 77 Suppl 1, Februar 2016, ISSN 1536-3708, S. S30–31, doi:10.1097/SAP.0000000000000778, PMID 26954740, PMC 4972479 (freier Volltext).
- ↑ a b A. Lehmann: Eigenhaartransplantation mittels Crosspunchmethode. In: Journal für Ästhetische Chirurgie. Band 10, Nr. 1, 1. März 2017, ISSN 1867-4305, S. 43–46, doi:10.1007/s12631-016-0070-3 (springer.com [abgerufen am 29. April 2018]).