Handbuch des Schwindels

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Das Handbuch des Schwindels, erstmals 1922 in München erschienen, ist ein kritisch-satirisches Buch des Schriftstellers Ewald Gerhard Seeliger, das damals für einiges Aufsehen sorgte. Während das Buch beschlagnahmt wurde, handelte sich sein Autor eine Anklage und die Einweisung in die Irrenanstalt Haar ein. Die Diagnose, die die Psychiater stellten, lautete auf Hypomanie. Seeliger wurde Unzurechnungsfähigkeit (§ 51) bescheinigt, was den Nebeneffekt hatte, dass er künftig keine Steuern mehr zu zahlen brauchte. Er durfte die Anstalt nach sechs Wochen verlassen. Das Gerichtsverfahren wurde nach drei Jahren auf Kosten der Staatskasse eingestellt.[1]

Das eher schmale Werk, das sich augenzwinkernd als Lexikon ausgibt (rund 1.000 Stichworte,[2] von Adam bis Zwist), ist keine Anleitung zum Betrug. Vielmehr deckt der pazifistisch eingeschworene Schriftsteller in bissiger Sprache „Gewaltschwindel“ und „Sperren“ in allen möglichen Formen auf, um seine Leser gegen das Betrogenwerden (um beispielsweise die Freiheit) zu wappnen. Den "Hauptsperrer" erblickt er im Staat.

Rezeption

Anlässlich der „Wiederentdeckung“ des Handbuchs des Schwindels im Jahr 1986 wies Wolfgang Harms auf eine formale Ähnlichkeit mit dem Wörterbuch des Teufels des nordamerikanischen Schriftstellers Ambrose Bierce von 1906/1911 hin. Dem Nachwort der Neuausgabe ist nicht zu entnehmen, ob und inwieweit sich Seeliger und sein Freund Richard Dehmel von Bierce inspirieren ließen. Dessen Knappheit hält der deutsche „Feuerreiter der Aufklärung, neben dem die philosophischen Staatskatheder allesamt, husch, in Asche abfallen“[3], nur streckenweise ein. Für Jörg Drews sind die meisten Artikel des Handbuchs „glänzend“ geschrieben, dabei „voll analytischen Scharfsinns und zugleich voller wortreichem Geschimpfe und hemmungsloser Beredsamkeit; ihre Argumentation ist mäandrierend-assoziativ, die Suada an einigen wenigen Stellen auch vernagelt, aber kaum je wirklich dumm und vor allem nie langweilig.“[4]

Man muss allerdings sagen, argumentiert wird in Seeligers Handbuch eher wenig. Der Deckmantel der Satire und der einmal ausgestellte Freibrief für Polemik enthebt ihn dieser oft mühseligen Notwendigkeit. Was Wunder, wenn sich der feurige Reiter und „graphomanische Großkauz“[5] dabei einige Fehltritte leistet, beispielsweise gegen Homosexuelle und „Zigeuner“.[6] Den Sohn eines Rüstungsfabrikanten und Sprengstoffhersteller Alfred Nobel erklärt er zum „friedlichsten aller Schweden“.[7] Wolfgang Harms bedauert vor allem Seeligers „felsenfesten“ Glauben an die Überlegenheit der deutschen Kultur und Sprache.[8] Henner Reitmeier zeigt sich zudem von Seeligers „Verherrlichung von allem Bäuerlich-Irdischen“ befremdet: „Landbesitz, Landbestellung, Landleben – es ist die reinste Schollenseligkeit.“[9]

In der Nachfolge von Bierce und Seeliger hat die Verfremdung oder Parodie der Form „Lexikon“ durch beispielsweise subjektive, polemische, listige Vorgehensweise bis heute etliche Autoren inspiriert, doch eine Erforschung und Darstellung dieser „Gattung“ der Schein-Lexika (Reitmeier) steht noch aus. Ansätze finden sich bei Monika Schmitz-Emans.[10]

Die folgenden Kostproben aus Seeligers Handbuch sind nach der Neuausgabe 1986 zitiert.

Kostproben

Fahne, das bunte Schwindeltuch der Staatsvergewalt. Wer eine F. hebt, erstrebt, daß den anderen davon möglichst bunt oder zum mindesten rot vor Augen wird. Wer hinter einer Fahne herzieht, zieht über sich selbst her. Der Fahneneid ist der Raub- und Mordschwur auf die alleinseligmachende große Kanone (s. Sakrament). Die einzige menschliche Fahne ist die Wetterfahne.“

Omnibus, Verkehrsgerät für alle Menschen ohne Vorzugsplätze. Die Erde ist der O. der freien Menschheit (s.d.) auf ihrer Reise durch die Ewigkeit (s.d., Verkehr).“

Taufe, Aushebung zur christlich-wortzauberischen Dienstleistung. Da die Kirche keine besäbelten Kreismordwebel (s. Bezirk, Feldwebel) zur Verfügung hat, ist sie schlau genug, ihre Glaubenslehrlinge (s. Rekruten) einzuziehen, wenn sie noch in den Windeln liegen und sich nicht anders wehren können als durch Schreien und Naßmachen. Allein die Kirche läßt sich nicht so leicht verblüffen und widernäßt den vom Wasser seines Lebens tropfenden Täufling mit dem heiligen, tödlichen Sperrwasser der christlichen Götterei (s. Trinität, heilig, Sakrament).“

Witz, richtiger Einfall, überraschende Gedankenverknüpfung, Denkfertigkeit, Lebensgewandtheit, Wahrheitsfindigkeit. Falschdenker sind immer unwitzig, am todernstesten sind die Gesetzgaukler (s. Richter, Sperrschmerzen, Gesetz). Ihre Bücher zeichnen sich durch völlige Witzleere und Todfertigkeit aus. Ein blöderes Buch als ein Strafgesetzbuch (s.d.) ist undenkbar. Die freie Menschheit jedoch ist äußerst witzig, vorwitzig (s. Vorwitz) und neugierig (s. Neugier, Forscher), sie steckt ihre Nase in jeden Dreck, hinter jeden Vorhang und in jede noch so verrammelte Gaukelbude. Nichts erscheint den Staatsmännern so entsetzlich und ungesetzlich wie der vorwitzige, nach Allwissenheit strebende Mensch, und jedem Unmenschenbruder Freimaurer (s. Loge) bebt vor Angst die beschürzte Hose, wenn er an die Möglichkeit denkt, daß ihm sein freier, also sein ganz gewöhnlicher, ein- und ausgesperrter, obdachloser (logen- und logisloser) Menschenstiefbruder schon morgen früh um elfe aufs Dach steigen und in die Ganzgeheimsuppe spucken könnte. Bald werden alle Gewaltschuster reif sein, die für sie fabelhafteste aller Wahrheiten zu entdecken, daß der Staat nur ein allerhöchst fauler Witz, und zwar der allerblödeste und allerfalscheste Einfall des unmenschlichsten, also des allerdümmsten, nämlich des allerfaulsten aller Zweibeiner ist (s. Hirte, Faulheit, Organisation, Staatsordnung).“

Ausgaben

  • Ewald Gerhard Seeliger: Handbuch des Schwindels. Vorwort von Jürgen Lodemann. Nachwort Max Heigl. Frankfurt am Main (Insel Taschenbuch) 1986. ISBN 3-458-32619-7

Einzelnachweise

  1. Neuausgabe (Nachwort) S. 302
  2. laut Wolfgang Harms, in: Allgemeine Zeitung Mainz, 9. Februar 1987
  3. Hans Wollschläger, in: Der Rabe 15, 1986, S. 198
  4. Jörg Drews, in: Süddeutsche Zeitung, 12. Juli 1986
  5. Erhard Schütz, in: Frankfurter Rundschau, 6. Dezember 1986
  6. Neuausgabe S. 107/282
  7. Neuausgabe S. 159
  8. Allgemeine Zeitung Mainz
  9. Henner Reitmeier: Der Große Stockraus, Berlin 2009, S. 218. Seeliger, Sohn eines musizierenden und imkernden schlesischen Dorfschullehrers, hat in diesem nicht unverwandten Relaxikon einen eigenen Artikel
  10. Lexikographisches Schreiben, abgerufen am 29. April 2012