Hanna Bekker vom Rath

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Selbstporträt mit Hut (um 1948)

Hanna Bekker vom Rath (* 7. September 1893 in Frankfurt am Main; † 8. August 1983 in Bad Nauheim) war eine deutsche Malerin, Sammlerin und Kunsthändlerin.

Das Blaue Haus, Wohnsitz von Hanna Bekker vom Rath bis 1983, Kapellenstraße 11 in Hofheim am Taunus

Leben

Jugend

Hanna vom Rath war eine Tochter des Frankfurter Industriellen Walther vom Rath und seiner Frau Maximiliane geb. Meister. Sie war somit eine Enkelin von Wilhelm Meister, einem der Gründer der Farbwerke Hoechst, und Urenkelin des Malers Jakob Becker. Sie führte ihren Geburtsnamen Hanna vom Rath bis zu ihrer Heirat mit Paul Bekker, hieß von da an korrekt nur Hanna Bekker und unterschrieb auch Briefe mit diesem Namen. Ihr Geburtsname vom Rath war aber unter ihren Künstlerfreunden bekannt, und man fügte ihn gern dem bürgerlichen Namen hinzu. Mit der Firmierung des Frankfurter Kunstkabinetts Hanna Bekker vom Rath 1947 übernahm auch sie selbst den Doppelnamen für ihr öffentliches Auftreten.

Künstlerische Anfänge

Früh entdeckte sie ihre Liebe zur Kunst, nahm privaten Mal- und Zeichenunterricht bei Marie Paquet-Steinhausen in Frankfurt, Ottilie Roederstein in Hofheim am Taunus und Ida Kerkovius in Stuttgart, die dem Kreis um Adolf Hölzel angehörte. Mit Ida Kerkovius verband sie eine lebenslange Freundschaft.

Reisen mit Paul Bekker

Zurück in Frankfurt suchte sie die Orte auf, an denen sie die künstlerische Avantgarde sehen und ihren Vertretern oder deren Arbeiten begegnen konnte. Sie besuchte Ausstellungen der Kunsthandlung Ludwig Schames und begegnete ihrem späteren Ehemann Paul Bekker, der als Musikkritiker der Frankfurter Zeitung die zeitgenössische Musik besprach. Sie begleitete ihn zu Konzerten nach Berlin, München und machte sich an all diesen Orten mit der Gegenwartskunst vertraut.

Künstlerfreundschaften

In den Zwanziger Jahren schloss sie Freundschaft unter anderem mit Ludwig Meidner, Alexej von Jawlensky, Karl Schmidt-Rottluff, Emy Roeder. Zunächst spontane Unterstützung einzelner Künstler verdichtete sich später zu anhaltender Mission. Sie kaufte Werke an, lud die Maler nach Hofheim in ihr Blaues Haus und führte sie dort mit Sammlern zusammen[1]. 1929 gründete sie die „Gesellschaft der Freunde der Kunst von Alexej von Jawlensky“ in Wiesbaden.[2] Sie zählt neben Hedwig Brugmann, Mela Escherich und Lisa Kümmel zu den sogen. „Nothelferinnen“[3] des Künstlers. Jawlenskys Werkverzeichnis belegt ein Gemälde mit Widmung an Bekker vom Rath. Sie erhielt das Gemälde, die „Variation: Von Frühling, Glück und Sonne“, 1929 als Weihnachtsgeschenk.[4] Einige Werke dieser Künstler, die einst im Besitz von Bekker vom Rath waren, sind heute im Besitz des Städel-Museums.[5][6][7][8]

Heimliche Ausstellungen

Die Kulturpolitik der Nationalsozialisten suchte von der Machtübernahme an moderne Kunst zurückzudrängen, verhinderte Ausstellungen und belegte Künstler mit Malverbot. Werke zeitgenössischer bildender Künstler wurden aus Museen entfernt, einige wurden verkauft, andere wurden in der Wander-Ausstellung „Entartete Kunst“ in herabsetzender Weise vorgeführt, der Rest sollte vernichtet werden und wurde auch vernichtet (abgesehen von Ausnahmen). Damals organisierte Hanna Bekker in ihrer Berliner Atelierwohnung in der Regensburger Straße heimliche Ausstellungen mit Werken der Verfemten. Sie folgte damit dem Beispiel couragierter Kunsthändler wie Günther Franke oder dem inzwischen umstrittenen Ferdinand Möller und setzte dies bis zum Frühjahr 1943 fort.[9]

Nach Kriegsende: Galeriegründung und Reisen

Frankfurter Kunstkabinett in der Braubachstraße, Februar 2009

1947 gründete sie das Frankfurter Kunstkabinett Hanna Bekker vom Rath, das zunächst den unter dem nationalsozialistischen Regime als entartet diffamierten Künstlerfreunden ein Forum bot. Zu ihrem Künstler- und Freundeskreis gehörten nun auch Ernst Wilhelm Nay, der sich 1945 bis 1952 in Hofheim niederließ, die Fotografin Marta Hoepffner, die dort ihre private Fotoschule eröffnete, sowie deren Lehrer Willi Baumeister. Auch Ludwig Meidner, aus dem Exil zurückgekehrt, lebte zwischen 1955 und 1963 in einem Stadtteil Hofheims. Zu den emigrierten Künstlern, Sammlern und Kunsthändlern nahm sie wieder Kontakt auf und stellte durch deren Berichte und bei ersten Reisen nach Frankreich und in die Schweiz fest, dass im Ausland viele Künstleremigranten durch die zwölf Jahre Diktatur in ihren Gastländern nicht wahrgenommen worden waren.

„Botschafterin der Kunst“

Seit 1952 unternahm sie Reisen, auf denen sie die einst Verfemten und junge Künstler in Nord- und Südamerika, Südafrika, Indien, Griechenland und dem Nahen Osten präsentierte und wurde so als „Botschafterin der Kunst“ bekannt.

Heute befindet sich ein Teil ihrer Privatsammlung deutscher Expressionisten mit Schwerpunkt Alexej von Jawlensky im Museum Wiesbaden. Das Stadtmuseum Hofheim am Taunus besitzt eine Sammlung von Hanna Bekkers eigenen Werken. Darüber hinaus widmet es sich in Ausstellungen und Katalogen ihrem Leben und Wirken. Mehrere ihrer Bilder befinden sich im Salzburger Museum Kunst der Verlorenen Generation.[10]

Ausstellungen

  • 1993: Die Malerin Hanna Bekker (1893–1983), Eine Ausstellung zu ihrem 100. Geburtstag, Stadtmuseum Hofheim am Taunus.
  • 2013: Malerische Dialoge mit Hanna Bekker vom Rath, Stadtmuseum Hofheim am Taunus.

Auszeichnungen

Literatur

  • Bekker vom Rath, Hanna. In: Hans Vollmer (Hrsg.): Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler des XX. Jahrhunderts. Band 2: E–J. E. A. Seemann, Leipzig 1955, S. 159.
  • Museum Wiesbaden (Hrsg.): Zwischen Brücke und Blauem Reiter. Hanna Bekker vom Rath als Wegbereiterin der Moderne. Köln 2013, ISBN 978-3-86832-162-3.
  • Die Malerin Hanna Bekker 1893–1983. Ausstellung vom 05.11.1993–27.02.1994, Hrsg.: Magistrat der Stadt Hofheim am Taunus–Kulturamt/Stadtmuseum, 1994. Bearbeitet von M. Stein-Steinfeld, ISBN 3-933735-01-7
  • Ulrike Fuchs: Die Kunstvermittlerin Hanna Bekker vom Rath: Die Anfänge des Frankfurter Kunstkabinetts Hanna Bekker vom Rath. Verlag Peter Lang, Frankfurt/Main 2013, ISBN 978-3-631-62957-4.
  • Marian Stein-Steinfeld: Hanna Bekker vom Rath – Handelnde für Kunst und Künstler. Biografie der Malerin, Mäzenin, Sammlerin und Vermittlerin. Frankfurt 2018, ISBN 978-3-934123-27-4.
  • Marian Stein-Steinfeld: Bekker vom Rath, Hanna im Frankfurter Personenlexikon (überarbeitete Onlinefassung), sowie in: Wolfgang Klötzer (Hrsg.): Frankfurter Biographie. Personengeschichtliches Lexikon. Erster Band. A–L (= Veröffentlichungen der Frankfurter Historischen Kommission. Band XIX, Nr. 1). Waldemar Kramer, Frankfurt am Main 1994, ISBN 3-7829-0444-3, S. 56 f.

Weblinks

Anmerkungen

  1. Jürgen Petersen: Hanna Bekker vom Rath. Eine „Botschafterin der Muse“ schuf in Frankfurt ein einzigartiges Kunstkabinett. In: Die Zeit vom 16. Mai 1957.
  2. Bernd Fäthke: Alexej Jawlensky, Köpfe radiert und gemalt, Die Wiesbadener Jahre. Galerie Draheim, Wiesbaden 2012, S. 27.
  3. Alexander Hildebrand: Alexej Jawlensky in Wiesbaden. Reflexe auf Leben und Werk (1921–1941). in Ausst. Kat.: Jawlenskys japanische Holzschnittsammlung. Eine märchenhafte Entdeckung. Edition der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten, Bad Homburg v.d.H., Nr. 2, 1992, S. 56 ff.
  4. „Für Hanna Bekker von Ihrem dankbaren Freund.“; Maria Jawlensky, Lucia Pieroni-Jawlensky, Angelica Jawlensky (Hrsg.): Alexej von Jawlensky, Catalogue Raisonné of the oil-paintings Bd. 2, München 1992, Nr. 943.
  5. Karl Schmidt-Rottluff: Adorant, 1917/18. Schenkung erklärt unter "Texte". Abgerufen am 23. August 2021.
  6. Alexej von Jawlensky: Stillleben mit violetter Schale, 1912. Städel-Museum, abgerufen am 23. August 2021.
  7. August Macke: Nacktes Mädchen mit Kopftuch, 1910. siehe unter "Forschung: Provenienz". Städel-Museum, abgerufen am 23. August 2021.
  8. Max Beckmann: Eisgang, 1923. siehe unter "Forschung: Provenienz". Städel-Museum, abgerufen am 23. August 2021.
  9. Schwerpunkte, 30 Neuerwerbungen aus der Sammlung Hanna Bekker vom Rath. Museum Wiesbaden, 1988 ISBN 978-3-89258-004-1, S. 16ff.
  10. 03 - Künstler & Werke. In: Museum Kunst der Verlorenen Generation. Abgerufen am 23. Januar 2022 (österreichisches Deutsch).