Hans Steinhoff

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Hans Steinhoff (* 10. März 1882 als Johannes Reiter in Marienberg, Sachsen[1]; † 20. April 1945 in Glienig, Brandenburg) war ein deutscher Filmregisseur.

Leben

Steinhoff begann ein Medizinstudium in Leipzig, das er abbrach. Er entschied sich, Schauspieler zu werden und gab sein Debüt 1903 in Braunschweig am Tourneetheater „Nachtasyl“. Er war dann Theaterschauspieler und Sänger in München und avancierte kurz vor dem Ersten Weltkrieg zum Oberregisseur am Metropol-Theater in Berlin. Seit 1914 wirkte er als Regisseur an Varieté-Bühnen in Wien.

1921 führte er erstmals Filmregie bei einer Adaption von Gottfried Kellers Erzählung Kleider machen Leute. In der Zeit von 1921 bis 1933 drehte Steinhoff zahlreiche Filme verschiedener Genres: Von der Komödie über die Literaturverfilmung bis zum Melodram. Er arbeitete auch mit dem damaligen Drehbuchautor und späteren Filmregisseur Billy Wilder zusammen, so etwa bei Scampolo, ein Kind der Straße (1932) mit Dolly Haas, und gehörte damals zu den ersten deutschen Regisseuren, die in Joinville, dem europäischen Zentrum für die Herstellung von filmischen Mehrsprachen-Versionen — vor der standardmäßigen Synchronisation —, tätig wurden.[2]

Steinhoff fühlte sich schon vor 1933 nationalsozialistischen Ideen verpflichtet und wurde in der Zeit des Nationalsozialismus von der gleichgeschalteten Presse systematisch protegiert.[3]

Für seinen Film Hitlerjunge Quex (1933),[4] nach dem gleichnamigen Roman von Karl Aloys Schenzinger, erhielt er das goldene Ehrenabzeichen der Hitlerjugend. Der Film fand ungeteilte Zustimmung der nationalsozialistischen Führungsriege. Selbst Joseph Goebbels, der vergleichbare „Zeitfilme“ im Dienste der NS-Propaganda wie z. B. SA-Mann Brand oder Hans Westmar als „Gesinnungsschwarten“ nicht sonderlich schätzte,[5] wertete den Film aufgrund dessen straffer Inszenierung[6] höher ein.[7] Der Film darf als Vorbehaltsfilm in der Bundesrepublik nur mit Einschränkungen öffentlich aufgeführt werden, was ebenso auf Steinhoffs NS-Propagandafilm Gestern und heute von 1938 zutrifft.[8]

Gustaf Gründgens spielte die Hauptrolle in Tanz auf dem Vulkan (1938). Steinhoff behauptete, den Filmstoff nach Motiven Jean-Gaspard Deburaus 15 Jahre lang den Studios vergeblich vorgeschlagen zu haben, weil er stets an Gründgens als Hauptdarsteller festhielt.[9] Robert Koch, der Bekämpfer des Todes (1939) stilisierte den Entdecker des Tuberkulose-Erregers zur Führerfigur. In dem Film Die Geierwally (1940) wurde eine starke Frau den Erfordernissen staatlicher Propaganda entsprechend zur Hauptperson. Auch bei Rembrandt (1942), ist der Einfluss nationalsozialistischer Kulturlenkung unübersehbar.[10] Bei den Dreharbeiten in den okkupierten Niederlanden zwischen dem 18. Oktober 1941 und dem 14. April 1942 trat Steinhoff zudem laut Augenzeugen als linientreuer Nationalsozialist mit demonstrativem Hitlergruß und mit Parteiabzeichen auf, was in der Berliner Zeit niemals vorgekommen war.[11]

Von den Dreharbeiten zu seinem letzten Film Shiva und die Galgenblume (1945), der wegen der deutschen Kapitulation nicht fertiggestellt werden konnte und die Filmkarrieren einiger Darsteller für mehrere Jahre unterbrach,[12] floh Steinhoff als erster von Prag aus in Richtung Berlin. Am 20. April 1945 wollte er mit einer Junkers Ju 52 nach München fliegen[13]. Bei Glienig in Brandenburg wurde das Flugzeug vom Boden aus mit Leuchtspurgranaten beschossen, wie der Ingenieur Kurt Runge, der einzige Überlebende, berichtete.[14] Die Opfer des Abschusses wurden in einem Massengrab ("Zum Gedenken an 18 unbekannte Kriegstote") in Glienig beigesetzt.

Hans Steinhoff im Urteil von Zeitgenossen und Nachwelt

In seiner 1975 erschienenen Autobiografie „Kauf dir einen bunten Luftballon“ äußert sich der Drehbuchautor und Regisseur Géza von Cziffra negativ über Steinhoff. Dieser sei bei den Schauspielern wegen seiner übertriebenen Linientreue sehr unbeliebt gewesen. O. W. Fischer habe über Steinhoff gesagt: „Er ist brauner als Goebbels und schwärzer als Heinrich Himmler.“[15] Hans Albers habe Steinhoff als „das größte Arschloch des Jahrhunderts“ und als „Schwein“ bezeichnet. Steinhoffs Lieblingsausspruch sei „Der Herr Minister wünscht es so!“ gewesen, wobei unter dem „Minister“ Goebbels zu verstehen gewesen sei.[16] Cziffra schreibt weiter: „Steinhoff, der in den letzten Tagen des Krieges bei jeder skeptischen Äußerung mit Anzeige und Gefängnis drohte, war der erste, der Prag verließ, ohne seinen Film zu beenden. Er ging nach Berlin, und von dort wollte er am 20. April mit der letzten Lufthansa-Maschine, die aus dem bereits umzingelten Berlin nach Spanien flog, fliehen. Aber das Flugzeug stürzte nach Beschuss nahe Glienig (Brandenburg) ab.“

Auch Billy Wilder äußerte sich abschätzig über Steinhoff, der einige Drehbücher Wilders verfilmt hatte: „Ein Mann ohne jedes Talent. Er war ein Nazi, ein hundertprozentiger sogar. Aber es gab auch viele Nazis, die Talent hatten. Ich würde nie sagen, daß die Leni Riefenstahl kein Talent hatte … Aber ich sage über Steinhoff, daß er ein Idiot war, aber nicht weil er Nazi war, er war auch ein sehr schlechter Regisseur“.[17][18]

Frederik D. Tunnat bezeichnete Hans Steinhoff in seiner Biografie des Drehbuchautors Karl Gustav Vollmoeller, mit dem Steinhoff 1923 bei Inge Larsen zusammengearbeitet hatte, als „dienstbare[n] (…) Zauberlehrling seiner nationalsozialistischen Meister Goebbels und Hitler“.[19] Georg C. Klaren schrieb über Steinhoff in einem Aufsatz, er sei ein „ebenso angeberischer wie prominenter“ Regisseur gewesen.[20]

Filmografie

Weblinks

Literatur

  • Horst Claus: Filmen für Hitler – Die Karriere des NS-Starregisseurs Hans Steinhoff. Filmarchiv Austria, Wien 2013, ISBN 978-3-902781-27-7.[25]
  • Géza von Cziffra: „Kauf dir einen bunten Luftballon.“ Erinnerungen an Götter und Halbgötter. Herbig, München und Berlin 1975, ISBN 3-7766-0708-4, S. 304–305.
  • Kay Weniger: Das große Personenlexikon des Films. Die Schauspieler, Regisseure, Kameraleute, Produzenten, Komponisten, Drehbuchautoren, Filmarchitekten, Ausstatter, Kostümbildner, Cutter, Tontechniker, Maskenbildner und Special Effects Designer des 20. Jahrhunderts. Band 7: R – T. Robert Ryan – Lily Tomlin. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2001, ISBN 3-89602-340-3, S. 465 f.
  • Brigitte Bruns: Steinhoff, Hans. In: Neue Deutsche Biographie (NDB). Band 25, Duncker & Humblot, Berlin 2013, ISBN 978-3-428-11206-7, S. 202 (Digitalisat).

Einzelnachweise

  1. Horst Claus: Filmen für Hitler – Die Karriere des NS-Starregisseurs Hans Steinhoff. Filmarchiv Austria, Wien 2013, S. 17.
  2. In den ehemaligen Pariser Pathé-Studios, die die amerikanische Paramount auf den letzten Stand der Technik gebracht hatten, wurden Dutzende solcher Mehrsprachen-Versionen hergestellt; vgl. den verlinkten Programmauszug »Die „sogenannte Carriere“ des Hans Steinhoff« (S. 29), Thema einer Retrospektive zu Steinhoff im Berliner Zeughaus 2014.
  3. Der Deutsche Film 2.4, Oktober 1937, S. 110; Interview-Porträt Hans Steinhoff sprich sich aus. In: Film-Kurier, 15. Januar 1935.
  4. Werner Faulstich: Filmgeschichte. UTB Fink, Paderborn 2005, S. 96.
  5. Felix Moeller: Der Filmminister. Goebbels und der Film im Dritten Reich. Berlin 1998, S. 152f.
  6. Thomas Arnold, Martin Loiperdinger: Märtyrerlegenden im NS-Film. Leske + Budrich, Opladen 1991, S. 32.
  7. Manuel Köppen: Wunschkonzert – Der Film in Zeiten des Blitzkriegs. In: Claudia Glunz, Artur Pełka, Thomas F. Schneider (Hg.): Information Warfare: die Rolle der Medien (Literatur, Kunst, Photographie, Film, Fernsehen, Theater, Presse, Korrespondenz) bei der Kriegsdarstellung und -deutung. V & R unipress, Göttingen 2007, S. 385ff., hier S. 386.
  8. Unter Vorbehalt bei dhm.de
  9. Hans Steinhoff: Meine Filmarbeit mit Gustaf Gründgens. In: Licht-Bild-Bühne 188, 12. August 1938.
  10. Manuel Köppen, Erhard Schütz: Kunst der Propaganda: der Film im Dritten Reich. Verlag Peter Lang, Bern u. a., 2. überarb. Aufl. 2008, ISBN 978-3-03911-727-7, S. 70–75.
  11. Ingo Schiweck: „(…) weil wir lieber im Kino sitzen als in Sack und Asche.“ Der deutsche Spielfilm in den besetzten Niederlanden 1940–1945. Waxmann, Münster/New York 2002, S. 336.
  12. So z. B. im Fall Elisabeth Flickenschildts, die erst 1949 wieder vor der Kamera stand. Vgl. Horst O. Hermanni: Von Dorothy Dandridge bis Willy Fritsch: Das Film ABC. BoD – Books on Demand, 2009, S. 346.
  13. https://aviation-safety.net/database/record.php?id=19450420-5&lang=de
  14. Vgl. Horst Claus, S. 517f.
  15. Vgl. Dorin Popa: O.W. Fischer: seine Filme, sein Leben. Heyne, München 1989, S. 38.
  16. Vgl. Ed Sikov: On Sunset Boulevard: The Life and Times of Billy Wilder. Hyperion, New York 1998, S. 18, 33.
  17. Zitiert in: Heinz Gerd Rasner, Konrad Wulf: Billy Wilders Filme, 1979.
  18. Vgl. Joe Hembus, Christa Bandmann: Klassiker des deutschen Tonfilms, 1930–1960. Goldmann, München 1980, S. 86: „Der Steinhoff, an den erinnere ich mich allerdings. Das ist doch der Mann, der später Hitlerjunge Quex gemacht hat. Das war ein Scheißer, der Steinhoff, ein Mann ohne jedes Talent“.
  19. Frederik D. Tunnat: Karl Vollmoeller. Dichter und Kulturmanager. Eine Biographie. tredition, Hamburg 2008, S. 453.
  20. Georg C. Klaren in Von der Filmidee zum Drehbuch, Verlag Bruno Henschel und Sohn, Berlin 1949, S. 29.
  21. Rolf Giesen, Manfred Hobsch: Hitlerjunge Quex, Jud Süss und Kolberg. Die Propagandafilme des Dritten Reiches. Dokumente und Materialien zum NS-Film. Schwarzkopf & Schwarzkopf, Berlin 2005, S. 34.
  22. Vaclav Demling: Der Propagandafilm im Dritten Reich am Beispiel von Hans Steinhoffs „Der alte und der junge König“. GRIN Verlag 2009.
  23. Lutz Schmökel: Der Spielfilm „Robert Koch – der Bekämpfer des Todes“ im Kontext antisemitischer Propaganda im dritten Reich. GRIN Verlag 2007.
  24. Ulrike Reim: Der „Robert-Koch“-Film (1939) von Hans Steinhoff, Kunst oder Propaganda? In: Medizin im Spielfilm des Nationalsozialismus. Hrsg. v. Udo Benzenhöfer, Wolfgang U. Eckart, Tecklenburg 1990, S. 22–33.
  25. Rezension In Die Welt, 10. September 2013, online einsehbar, Kontrolliert 16. September 2013