Heiliger Berg

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Der Kailash in Tibet, der „heiligste Berg der Welt“; auch Symbol für den Weltenberg der Schöpfung

Als heiliger Berg wird ein Berg bezeichnet, der als Heiligtum besondere religiöse oder kultische Bedeutung hat.

Merkmale

Die religiöse Verehrung geografischer Orte, die auch von praktischer Relevanz für das Leben der Menschen waren, ist aus verschiedenen Zeiten und Kulturen bekannt. Der Begriff Animismus impliziert den Glauben an die Beseeltheit der Natur und ihrer Erscheinungen, ein häufiges Kennzeichen der als Ethnische Religionen zusammengefassten Vorstellungen. Als Elemente des Volksglaubens findet der Glaube an heilige Orte auch als Pantheismus Eingang in die Traditionen einiger Weltreligionen. Daneben gelten für den Menschen als Symbol, Personifikation oder Manifestation der höheren Mächte.

Die Gründe und Formen der Verehrung von Bergen und Hügeln sind vielfältig:

  • Die Erhebungen können als Gottheiten oder häufiger als Wohnort von Göttern, Geistern oder Dämonen betrachtet werden. Unter den als heilig erachteten Bergen finden sich viele Vulkane, von denen besondere Gefahr ausging: Naturgefahren zu personifizieren und zu vergöttlichen (Theismus), und darum auch zu verehren (Theolatrie), findet sich wohl in allen Kulturen (vergl. den Begriff ‚Vulkan‘ selbst, nach dem römischen Gott des Feuers: Einem Gott des Feuers werden als Schmiedegott dann auch Erdbeben zugeschrieben). Andererseits ist vulkanische Asche häufig wichtig für die Fruchtbarkeit ganzer Landstriche.
  • Auch Berge, die wichtige Ressourcen, etwa Bodenschätze oder Wasserreserven, beispielsweise heilige Quellen, bergen, und herausragende Gipfel bzw. Massive, deren klimatische Wirkung (Regenfälle) die Bodenfruchtbarkeit des Landes positiv beeinflussten oder gutes Jagdgebiet darstellen, werden häufig mythifiziert und mystifiziert.
  • Exponierten Wetterbergen, die als Wetterscheiden, Keimzellen für Gewitter, häufige Windrichtung oder Indikatoren für Wetterumschwünge bekannt sind, wurde schicksalhafte Macht zugesprochen: Der Schluss, der Berg „mache“ das Wasser, Wetter und andere Naturereignisse, oder Rohstoffe und Beute, führt in einem animistischen Weltbild zum Versuch, ihn durch Ehrerweisung oder Opfer zu beeinflussen („gnädig zu stimmen“).

Neben besonders hohen beziehungsweise freistehenden Bergen, die Orientierungspunkte (Landmarken) für Territorien oder Reisen darstellen, werden oft Berge mit markanter Form verehrt. Dies gilt etwa für pyramiden- und kegelförmige Berge, Felszinnen oder solche, deren Gestalt an Menschen (Anthropomorphismus) oder Tiere erinnert (Zoolatrie), womit eine besondere Verbindung von Lebewesen und Berg angenommen wird (Totemismus).

Ein anderer Grund für die Verehrung von Bergen kann die Assoziation mit einem besonderen Ereignis, etwa einer göttlichen Offenbarung oder einer heiligen Person sein – etwa am Berg Sinai. Berge können aber auch Wohnorte der Toten darstellen (Ahnenkulte) und als verfluchte Orte, etwa als Tanzplatz von Hexen, gelten (magische Konzepte). In etlichen Kosmogonien wird auch der „Nabel der Welt“ (als Erdmittelpunkt einer flachen Erde, oder Aufhängepunkt einer am Himmelsgewölbe hängenden runden Erde) an einem bestimmten Berg lokalisiert.

Häufig werden heilige Berge markiert oder durch rituelle Zeichen oder Gegenstände, beispielsweise Steinsetzungen (Steinmännchen, Tempelbauten, im christlichen Kulturkreis durch Gipfelkreuze) gekennzeichnet. Außerdem gelten bestimmte religiöse Regeln, so kann die Besteigung solcher Berge auf einen bestimmten Personenkreis oder bestimmte Zeiten bzw. Rituale beschränkt, oder überhaupt ein Sakrileg oder Tabu sein. Andererseits kann die Besteigung oder auch Umrundung Ziel von Wallfahrten sein, oder die Gipfelregion – durch ihre Nähe zum Himmel und den höheren Mächten – geeigneter Platz für Meditation, Einsiedelei oder mönchische Gemeinschaften.

Heilige Berge behalten ihren besonderen Status oft über lange Zeit und den Wechsel mehrerer Kulturen und Religionen hinweg. Vorchristliche Kultstätten wurden etwa im Zuge der Christianisierung mit christlichen Wallfahrtsorten überbaut. Bergen zugeschriebene oder assoziierte Gottheiten und Konzepte werden durch die Entsprechungen des eigenen Glaubenssystems übernommen.

Heilige Berge in verschiedenen Regionen

Europa

Berg Athos

Asien

Naher Osten
  • Göbekli Tepe in der Türkei ist mit ca. 11.500 Jahren die älteste derzeit bekannte Tempelanlage der Welt. Sie wurde vermutlich bereits von nomadisch lebenden Jägern und Sammler errichtet und später von anderen Kulturen übernommen.
  • Mons Casius/Ḫazzi/Ṣapan war ein heiliger Berg bei den Hethitern, Hurritern, in Ugarit, im Antiken Syrien und er wird auch im Alten Testament genannt.
  • Höhenheiligtümer der levantinischen Bronze- und Eisenzeit
  • Berg Sinai/Berg Horeb, an dem Mose Gott begegnete und die Zehn Gebote erhielt
  • nach der Überlieferung ist der Ararat der Berg, auf dem die Arche Noah nach der Sintflut auf Grund lief. Nach altarmenischem Glauben als „Mutter der Welt“ wichtige Rolle bei der Erschaffung der Welt, auch Wohnsitz von Berggeistern.
  • Tempelberg, Stadtberg Jerusalems, zentrale heilige Stätte dreier Weltreligionen, viele Jahrhunderte als Zentrum der Erde betrachtet (siehe TO-Karte); damit verbunden auch Zion, der Thron Gottes
  • Berg Karmel („Weingarten Gottes“), schon vorisraelitisch verehrt
  • Der Damāwand spielt eine wichtige Rolle in der iranischen Mythologie und im Zoroastrismus. Er ist Ort vieler Heldensagen und Sitz des Drachen Azhi Dahaka, einer apokalyptischen Figur.
  • dem Süphan Dağı, Türkei wurden als dem Berg Eidoru von den Urartäern Tieropfer dargebracht
Südasien
Machapuchare, 6997 m (Sitz des Amitabha, Buddha des grenzenlosen Lichts)
  • Meru, mythologischer Berg, Zentrum des Universums in der hinduistischen und buddhistischen Kosmologie. Er wird mit verschiedenen realen Bergen identifiziert.
  • Emai Shan, einer der vier Heiligen Berge des Buddhismus, China, Provinz Sichuan, Klosterberg mit Pilgerweg bis zum Gipfel. Weltkulturerbe, gelistet seit 1996.
  • Kailash – verehrt von Hindus, Buddhisten und Bön, Quellgebiet der vier größten Ströme des Indischen Subkontinents; auch Mount Everest (nepal. Sagarmatha „Stirn des Himmels“/tibet. Chomolungma „Mutter des Universums“), Annapurna („die Nahrung spendende Göttin“, Beiname der Göttin Parvati) und viele andere Berge des Himalaya werden mit Gottheiten in Verbindung gebracht, oder als Gottheit personifiziert. Der Machapucharé im Annapurna-Massiv gilt als Sitz des Amitabha, des Buddha des grenzenlosen Lichts.
  • Der Arunachala in Indien gilt als heiliger Berg des Hinduismus als Verkörperung des Shiva-Linga.
  • Auch in Südindien werden zahlreiche Berge als heilig verehrt; in der tamilischen Sprache heißen sie oft Tirumalai oder Thirumalai.
  • Der Adam’s Peak in Sri Lanka galt bereits in prähistorischer Zeit den Veddas als heilig. Er wird heute von Christen, Moslems, Hindus und Buddhisten gleichermaßen verehrt. Eine Vertiefung in seinem Gipfelplateau (Sri Pada, heiliger Fuß) wird je nach Glauben als Fußabdruck Buddhas, Adams, Shivas, oder des Apostels Thomas verehrt.
Merapi – 2914 m (Sitz von Geistern und Göttern)
Südostasien
  • Der Gunung Merapi in Indonesien, einer der gefährlichsten Vulkane der Erde, der aber auch für äußerst fruchtbare Böden sorgt, gilt als Sitz von Bergdämonen und eines unsichtbaren Königs der die Anwohner vor Ausbrüchen schützt. Dieser Glauben ließ bereits mehrfach Evakuierungsversuche scheitern und forderte so mehrere Todesopfer.
  • Dem Apo auf den Philippinen, einem aktiven Vulkan, sollen Menschenopfer dargebracht worden sein.
  • Dem Bromo auf Java werden bis heute in einer jährlichen Prozession Tiere und andere Gaben geopfert. Einer Legende zufolge geht dies auf ein Menschenopfer zurück, das dort zur Beendigung einer langen Kinderlosigkeit dargebracht wurde.
Ostasien
  • Heilige Berge in China – die chinesische Kultur blickt auf eine lange Verehrung besonders reizvoller Berge zurück, sie sind auch teils dem Buddhismus und Daoismus heilig (chinesisch 
    五嶽
     / 
    五岳
    , Pinyin
    Wǔyuè
     – „Fünf Gipfel“,
    四大佛教名山
    ,
    Sìdà Fójiào Míngshān
     – „Vier große, buddhistische, berühmte Berge“). Wahrzeichen der chinesischen Kultur ist der Huang Shan (
    黄山
     – „Gelber Berg“), Anhui. Religiöse Zentren sind auch das Wutai-Gebirge (
    五台山
    ,
    Wǔtái Shān
    ), bei Wutai, Shanxi, und die beiden Potala, der Putuo Shan (
    普陀山
    ,
    Pǔtuó Shān
    , Luojia), Zhejiang, und der Mar-po-ri („Roter Berg“) von Lhasa, Standort des Potala-Palast, die beide auf den buddhistischen Avalokiteshvara-Mythos Bezug nehmen. Auch der Lu Shan (
    廬山區
     / 
    庐山区
    ,
    Lúshān
     – „Berg der Einsiedlerhütte“ bei Guling) gilt als besonders ehrfurchtgebietend, ebenso die Berge von Guilin (
    桂林
    ,
    Guìlín
    ) am Li-Fluss, der nach Peking meistbesuchten touristischen Destination Chinas
  • Fuji-san, Haku-san und Tateyama gelten als die „drei heiligen Berge Japans“ (
    日本三霊山
    , Nihon sanreizan), aber zahlreiche andere Berge; Drei Berge von Dewa (vergleiche auch die hundert berühmten Berge Japans
    日本百名山
    die auf Kyūya Fukadas Buch von 1964 zurückgehen[1])
  • Der Nyainqêntanglha in Tibet, vorbuddhistische Berggottheit des Nordens, „Schützer der Welt“, später in den buddhistischen Glauben integriert
  • Gatö Jowo in Tibet
  • Miwa, Mimoro oder Miwa-yama, heiligster Berg Japans. Schon seit vorgeschichtlicher Zeit verehrt, Heiligtum der Berggottheit Ōmononushi, Wallfahrtsort der Sake-Brauer. Der Miwa ist im Gegensatz zu den meisten anderen heiligen Bergen Japans nicht etwa als Sitz einer Gottheit geheiligt, sondern per se heilig.
  • Der Burchan Chaldun in der Mongolei ist ein buddhistisches Heiligtum, wird aber vor allem aber als Geburtsort und Grabstätte von Dschingis Khan als heiliger Berg der Mongolen bis heute offiziell verehrt.

Afrika

  • Ol Doinyo Lengai, für die Massai Sitz des Regen- und Wolkengottes Ngai
  • Kilimandscharo, Teil des Sonnenkults der Chagga, Haus Gottes („Ngaia Ngai“) für die Massai, wiederum Bezug auf den Gott Engai
  • Vergöttlichten Namen hat auch der Atlas, der das Himmelsgewölbe stützt – der Mythos steht mit antikem Konzept des Endes der Welt bei den Säulen des Herakles, am Übergang des Mittelmeeres (des Meeres an sich) zum die seinerzeit bekannte Erde umfließenden Okeanos (dem Atlantik): Der Atlas ist der letzte feste Rand der Erde.

Australien und Ozeanien

  • Uluṟu, für die Pitjantjatjara-Aborigines Teil ihres Schöpfungsmythos, des Uluru-Mythos. Durch seine Topographie und seine fehlende Erdbedeckung sorgt der Fels für Ablaufen von Regenwasser an seinen Flanken und damit für Fruchtbarkeit in seiner unmittelbaren Umgebung. Ähnliches gilt für die Kata-Tjuṯa-Felsen.
  • Der Kīlauea auf Hawaiʻi wird als Sitz der Göttin Pele verehrt. Sie soll durch Blumenopfer am Kraterrand besänftigt werden.

Nordamerika

Mount Shasta, Kalifornien – 4322 m
  • Mount Shasta, Heiligtum der nordamerikanischen Klamath-Indianer, Wohnstätte des „Großen Geistes“. Heute Kraftzentrum der New-Age-Bewegung und diverser Sekten
  • Die San Francisco Peaks gelten den Hopi als heilig. Sie spielen eine Rolle in ihrem Schöpfungsmythos und werden als Wetterberge für den Sitz der Wettergeister (Kachinas) gehalten. Sie werden in jährlichen Festen zur Sommersonnenwende verehrt und sind bis heute ein Pilgerziel.
  • Mount Graham, heiliger Berg der Apachen, langjährige Kontroversen um die Errichtung des Large Binocular Telescope auf heiligem Boden.
  • Black Hills, heilige Berge der Lakota.
  • Die Vulkane Popocatépetl und Iztaccíhuatl werden als Sitz von Berggöttern verehrt, gelten aber auch selbst als Gottheiten, die als Strafe für böse Taten von anderen Göttern versteinert wurden. Der Popocatépetl stellt in dieser Sage den Geliebten des Iztaccíhuatl, der „Weißen Frau“, dar. Im Rahmen des „Festes des Berges“ (Tepeilhuitl) wurden Nachbildungen der Berge aus Teig rituell enthauptet und verspeist.

Südamerika

  • Illimani, für die Aymara als Wettergott eine der höchsten Gottheiten. Ihm werden Cocablätter, Lamaföten, Bier, Zigaretten und andere Gegenstände geopfert, um die Fruchtbarkeit des Landes zu gewährleisten
  • Llullaillaco, als Wasserspender vergöttlicht, vermutlich auch Ort für Menschenopfer, höchstgelegene archäologische Funde der Welt
  • Ampato in Peru, heiliger Berg der Inka, Fundort der Mumie Juanita, die dort geopfert wurde. Der Ampato war wie der Llullaillaco als Wasserberg geheiligt.
  • Ausangate in Peru, jährlich Ziel Tausender Pilger zum Schneesternfest. Ihm werden Heilkräfte zugeschrieben, Opfer an ihn sollen eine gute Ernte sichern.
  • Die Berge Chimborazo und Tungurahua werden von den Puruhá als Stammvater und Urmutter ihres Volkes verehrt.
  • Der Cerro Calvario in Bolivien galt bereits vor der Zeit der Inka als heilig, heute ist er ein Marienwallfahrtsort.

Literatur

  • Herbert Arlt (Hrsg.): Realität und Virtualität der Berge. Röhrig Universitätsverlag, St. Ingbert 2002, ISBN 3-86110-315-X.
  • Johanna Bernhardt: Berge - Throne der Götter. In: Oesterreichischer Alpenverein (Hrsg.): bergundsteigen. Nr. 3, 2005, S. 28–37 (web.archive.org [PDF; 4,1 MB; abgerufen am 29. Oktober 2021]).
  • INST (Hrsg.): Die Namen Der Berge. (Presseinformation auf inst.at – Materialien der Konferenz in der Ramsau am Dachstein, 31. Mai bis 4. Juni 2001).
  • Karl Gratzl (Hrsg.): Die heiligsten Berge der Welt. Verlag für Sammler, Graz 1990, ISBN 3-85365-083-X.
  • Karl Gratzl: Mythos Berg. Lexikon der bedeutenden Berge aus Mythologie, Kulturgeschichte und Religion. Hollinek, Purkersdorf 2000, ISBN 3-85119-280-X.

Europa:

  • Helga Dirlinger; INST Institut zur Erforschung und Förderung regionaler und transnationaler Kulturprozesse (Hrsg.): Sermons in Stone - Theologie und die Wahrnehmung der Berge um 1700. (Memento vom 14. Januar 2013 im Webarchiv archive.today) In: Die Namen Der Berge. (Konferenz Ramsau 2001)
  • Jacek Woźniakowski: Die Wildnis. Zur Deutungsgeschichte des Berges in der europäischen Neuzeit. Suhrkamp, Frankfurt 1987, ISBN 3-518-58029-9 (polnisch: Góry niewzruszone. Übersetzt von Theo Mechtenberg).
  • Stiftung Bibliothek Werner Oechslin, Einsiedeln (Hrsg.): Heilige Landschaft – Heilig Berge. Achter Internationaler Barocksommerkurs. gta Verlag, Zuerich 2011, ISBN 978-3-85676-249-0.

Asien:

  • Andreas Gruschke (Hrsg.): Die heiligen Stätten der Tibeter. Mythen und Legenden von Kailash bis Shambhala. Diederichs Verlag, München 1997, ISBN 3-424-01377-3.
  • Andreas Gruschke: Wege zu den Göttern. Die heiligen Berge Tibets. In: Hagia Chora. Zeitschrift für Geomantie. Nr. 20, Februar 2005, S. 36–43.
  • Herbert Tichy (Hrsg.): Zum heiligsten Berg der Welt. Seidel Verlag, Wien 1937.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. vergl. 100 Famous Japanese Mountains, engl. Wikipedia