Heinz Jussen

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Heinz Jussen (* 1941 in Jülich) ist ein deutscher Realschullehrer und Friedensaktivist.

Leben und Wirken

Nach seiner Volksschulzeit und einer Lehre zum Bergmann von 1954 bis 1957 wechselte er bereits ein Jahr später aufgrund der beginnenden Bergbaukrise zur Polizei. Dort wurde er nach entsprechender Ausbildung bis 1975 als Streifenpolizist, Greiftruppenausbilder, Wasserwerferkommandant und Lehrer für Selbstverteidigung in Antiterrorgruppen eingesetzt.

Abgestoßen von der Gewalterfahrung auf beiden Seiten der Akteure wie beispielsweise bei den Ostermärschen, verschiedenen NPD-Parteitagen, den Protesten beim Schahbesuch 1967 und anderen Großdemonstrationen, quittierte er seinen Dienst und begann in Aachen ein Lehramtsstudium. Nach seinem erfolgreichen Abschluss war er als Realschullehrer tätig, zunächst an der Realschule Kohlscheid, dann an der Abendrealschule in Aachen und zuletzt von 2003 bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2006 als Leiter an der Abendrealschule in Bonn. Seine ersten Aktivitäten als Friedensaktivist und Umweltschützer fanden nach der Nuklearkatastrophe von Tschernobyl im Jahr 1986 statt, als er die Gruppe „Eltern, Kinder, Lehrer gegen Atomkraftwerke“ (EKLAT) gründete und im gleichen Jahr Mitinitiator der Gründung des ökologischen Bauprojekts „Alte Windkunst“ in Jülich war.

Nach einer Begegnung mit einem traumatisierten 16-jährigen bosnischen Schüler in seiner Schule in Aachen, der Jussen auf die zunehmenden politischen und sozialen Probleme in seinem Heimatland wenige Monate vor dem Bosnienkrieg von 1992 bis 1995 hinwies, organisierte Jussen zum Jahreswechsel 1992/1993 eine erste Fahrt nach Tuzla in Bosnien-Herzegowina. Er war dabei der erste Auswärtige, der selbst am Steuer eines LKWs mit den Hilfsgütern in die völlig abgeschnittene Stadt vordringen konnte.[1] Dabei geriet er mehrfach unter Beschuss und wurde einmal sogar von einer paramilitärischen Einheit unter Erschießungsandrohung gefangen gehalten.

Diese Aktion bestärkte jetzt Jussens vorherrschende pazifistische Einstellung und er gründete daraufhin im Jahr 1993 zusammen mit der „Aktionsgemeinschaft Den Krieg Überleben“ der „Aachener Bosnienhilfe“ und den „Aachener Bewährungshelfer kontra Sozialabbau“ das Aachener Netzwerk für humanitäre Hilfe und interkulturelle Friedensarbeit e. V. Bis 2020 gehörte er als 1. oder 2. Vorsitzender dem Vorstand des Aachener Netzwerks an und wurde anschließend zum Ehrenvorsitzenden ernannt. Mit Hilfe dieses Netzwerks und Spenden aus der Bevölkerung folgten unter Jussens Leitung bis 1999 insgesamt elf Hilfstransporte mit 12 Tonnen Lebensmitteln, Kleidern und Medikamenten nach Tuzla sowie 1998 einen Transport mit 120 Tonnen Kohle für besonders bedürftige Menschen.

Besondere Eindrücke hinterließen bei Jussen der Überfall auf eine Kolonne der jugoslawischen Volksarmee am 15. Mai 1992 und das Massaker von Tuzla vom 25. Mai 1995, die beide als Kriegsverbrechen eingestuft wurden und bei denen mindestens 171 meist junge Menschen starben. Daraufhin schrieb er sein bisher einziges Buch „Suada – eine Geschichte von Feuer und Licht“, das 2005 im Fischer Verlag erschienen ist.

Nachdem durch die Kriege im ehemaligen Jugoslawien die Stimmung zwischen den unterschiedlichen Volksgruppen zunehmend vergiftet worden war, entschloss sich Jussen daraufhin, in der Schule von Novi Grad (Neue Stadt) eine Friedensbühne zu bauen, auf der in jedem Jahr um den UN-Weltfriedenstag am 21. September in Zusammenarbeit mit dem „Rohestheater Aachen“ ein „Friedenstheaterfestival“ stattfinden sollte, das den Namen „Bina Mira“ erhielt, zu Deutsch: „Bühne des Friedens“. Sein Ziel war es, durch Begegnungen, unabhängig von Ethnien, Kulturen, Nationen oder Religionen, Frieden unter den verfeindeten Volksgruppen zu schaffen.[2] Im Jahr 2008 konnte das Festival in Tuzla erstmals stattfinden und wurde seitdem bis 2019 mit Jugendtheatergruppen aus mehr als sechs Ländern elf Mal in unterschiedlichen Städten Europas durchgeführt, darunter in Zrenjanin in Serbien, Banja Luka und Odsak in Bosnien-Herzegowina, aber auch im belgischen Eupen[3] und bisher dreimal in Aachen.

Als nächste Aktion für seine Friedenskampagne organisierte Jussen erstmals 2014 einen Fackellauf unter dem Motto: „Flame for Peace“ von Sarajewo nach Aachen aus, der am 28. Juli, dem Tag der Kriegserklärung Österreichs an Serbien vor 100 Jahren in Sarajevo, begann und am Weltfriedenstag in Aachen endete.[4] Er erhielt dabei maßgebliche Unterstützung von dem amtierenden EU-Parlamentspräsidenten Martin Schulz, dem Schriftsteller Günter Wallraff und dem DG-Parlamentspräsidenten Karl-Heinz Lambertz. An diesem ersten Lauf liefen 15 Läufer und Läuferinnen – später wurden es immer mehr Teilnehmende – durch 56 Städte in zwölf Ländern, unter anderem vorbei an den Schlachtfeldern von Verdun und Hürtgenwald, und legten dabei rund 2.800 Kilometer zurück. An den Etappenorten wurde der Lauftroß dabei von meist hunderten Kindern empfangen und begleitet. Seitdem führt dieser Lauf jährlich mit einem friedenspolitischen Schwerpunktthema als Etappenlauf durch das Dreiländereck Belgien, Deutschland, Niederlande.[5]

Heinz Jussen wurde 1999 für seinen Einsatz in Bosnien-Herzegowina mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet[6] Darüber hinaus wurde er am 3. Oktober 2015 im Rahmen eines Festaktes mit dem Europäischen Sozialpreis vom „Europaverein GPB“ (Gesellschafts-Politische Bildungsgemeinschaft) gewürdigt, bei dem der Politikwissenschaftler Winfried Böttcher die Laudatio hielt.[7][8]

Jussen lebt mit seiner Familie im belgischen Hergenrath, engagiert sich weiterhin für verschiedene Friedensaktivitäten und hält sich mit aktiver Sportausübung fit.

Schriften (Auswahl)

  • Suada : eine Geschichte von Feuer und Licht, Fischer Verlag, Aachen 2005, ISBN 978-3-89514-528-5

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Dem Volk mitten ins Herz getroffen, in: Aachener Woche, Zeitungsverlag Aachen, von 27. Januar 1993
  2. Die Gründungsmitglieder von Bina Mira, Heinz Jussen im Porträt auf den Seiten von bina-mira.de
  3. Tim Fatzaun: Bina Mira öffnet Vorhang in Eupen, in: Grenz-Echo vom 15. September 2017
  4. Flame for Peace
  5. Alexander Schmidt: Das Feuer des Friedens soll weiter lodern, in: Grenz-Echo vom 29. August 2015
  6. Manfred Beissel: Chronik der Stadt Aachen von 1976 bis 2007, Seite 368
  7. Europäischer Sozialpreis 2015, Laudatio von Winfried Böttcher
  8. Heinz Jussen erhält am 3. Oktober den Europäischen Sozialpreis, in: Eschweiler Filmpost vom 9. September 2015