Henri-Irénée Marrou

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Henri-Irénée Marrou (* 12. November 1904 in Marseille; † 11. April 1977 in Bourg-la-Reine) war ein französischer Historiker mit besonderem Schwerpunkt auf der Geschichte der christlichen Spätantike.

Leben

Geboren als Sohn katholischer Eltern, wurde Marrou aufgrund seiner hervorragenden Studien an der École normale superieure in Paris aufgenommen und erhielt dort im Jahre 1929 die Lehrbefugnis in Geschichte. Von dort aus wechselte Marrou an die École française de Rome, um dort intensive Forschungen über den heiligen Augustinus zu betreiben. Mit Emmanuel Mounier, der ebenfalls über Augustinus forschte und zusammen mit Marrou als Gründer der Zeitschrift „Études Augustiniennes“ gilt, verband ihn auch die Zusammenarbeit an der Zeitschrift Esprit.

Marrou unternahm Studienreisen nach Neapel und nach Kairo, bevor er in Nancy und später in Montpellier lehrte. Er schrieb seine Dissertation über den heiligen Augustinus und das Ende der antiken Kultur. Die Doktorwürde erhielt er hierfür im Jahre 1937.

Während des Zweiten Weltkriegs engagierte sich Marrou im Widerstand (Résistance). Von 1945 bis 1976 war er Professor für die Geschichte des Christentums an der Sorbonne in Paris. In dieser Zeit verfasste Marrou seine Hauptwerke.

Marrou war einer der ersten Mitarbeiter der Sammlung „Sources Chrétiennes“, in der Texte der Kirchenväter in der Originalsprache und mit französischer Übersetzung veröffentlicht werden. Er gab außerdem die Reihe Patristica Sorbonensia (1957ff.) heraus, die es allerdings nur auf neun Bände brachte.

Auch politisch engagierte sich Henri Irénée Marrou: Er bezog während des Algerienkrieges öffentlich Stellung und verurteilte die Folterpraxis, wodurch er sich eine Hausdurchsuchung einhandelte. Das zweite vatikanische Konzil fand seine volle Zustimmung, da er neben den Fundamentalisten auch die Marxisten bekämpfte. Die Ereignisse des Mai 1968 erfüllten ihn mit Misstrauen. 1967 wurde er zum Mitglied der Académie des Inscriptions et Belles-Lettres gewählt.[1] Seit 1965 war er korrespondierendes Mitglied der British Academy[2] und seit 1968 der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

Sein erstes Buch „Saint Augustin et la fin de la culture antique“ (1938) wurde ins Deutsche und Italienische übersetzt. Marrou untersuchte in diesem Werk Augustins Verhältnis zur antiken Bildung und Wissenschaft. In den Mittelpunkt seiner Studie rückte er Augustins Schrift De doctrina christiana, die er als eine „charte fondamentale de la culture chrétienne“ bezeichnete. Er stellte die These auf, dass sich in De doctrina christiana das Ende der antiken Kultur ankündige. Sein Buch „Histoire de l'education dans l'antiquité“ (1948) wurde ins Englische, Portugiesische, Spanische, Polnische, Deutsche und Italienische übersetzt. Es ist „das klassische Standardwerk zur intellektuellen Bildung in der Zeit der späten Republik“.[3]

Der Historiker André Mandouze (1916–2006) schrieb in seinem Nachruf auf Marrou in der Zeitung Le Monde: „Der Name von Marrou wird immer verbunden sein mit der Entdeckung (oder der Wiederentdeckung) eines weiten Feldes: dem der christlichen Spätantike.“[4]

Seine Tochter Françoise Marrou-Flamant (1931–2015) war Professorin an der Universität Aix-Marseille und machte sich als Übersetzerin aus dem Russischen ins Französische einen Namen.

Bedeutende Schüler Marrous waren der Stoizismus-Forscher Michel Spanneut und Charles Pietri.

Schriften (Auswahl)

  • Geschichte der Erziehung im klassischen Altertum. Freiburg 1957.
  • Augustinus in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Aus dem Französischen übersetzt von Christine Muthesius. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1958.
  • Les troubadours. Éditions du Seuil, Paris 1961.
  • Augustinus und das Ende der antiken Bildung. Paderborn u. a. 1981, 2. Auflage 1995.

Literatur

  • Pierre Riché: Henri Irénée Marrou. Historien engagé. Ed. du Cerf, 2003 (Biografie).
  • Charles Pietri: Marrou, Henri-Irénée, in: TRE 22 (1992) 182–183.
  • Jean Delumeau: La vie et l’oeuvre d’Henri-Irénée Marrou, in: CRAI 2004, 223–227.
  • Gert Melville: Kategorien des Metahistorischen – Forschungsziel eines neuen geschichtswissenschaftlichen Selbstverständnisses?, in: Philosophisches Jahrbuch 82 (1975) 188–206.

Einzelnachweise

  1. Mitglieder seit 1663: Marrou, Henri-Irénée. Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, abgerufen am 24. Januar 2021.
  2. Deceased Fellows. British Academy, abgerufen am 5. Juli 2020.
  3. Klaus Bringmann: Augustus. Darmstadt 2007, S. 254.
  4. Zitiert nach Michael Bentley: Companion to historiography. London 1997, S. 70.

Weblinks