Henner Misersky

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Henner Misersky, eigentlich Henrich Misersky (* 25. Dezember 1940 in Jena) ist ein deutscher Leistungssportler und Skilanglauftrainer. Nach seiner Verweigerung des staatlich organisierten Dopings im DDR-Leistungssport wurde er als Trainer entlassen. In den späteren Jahren seines Lebens gewann Misersky zahlreiche deutsche Seniorenmeisterschaften im Skilanglauf und mehrere Goldmedaillen bei Seniorenweltmeisterschaften.[1]

Leben

Misersky machte eine Ausbildung als Zahntechniker, absolvierte berufsbegleitend eine Sonderreifeprüfung und studierte an der Universität Jena Sportwissenschaft.[2] Als aktiver Leistungssportler lief er Mittel- und Langstrecken, seine Paradedisziplin war der 3000-Meter-Hindernislauf. Er erhielt die staatliche Auszeichnung „Meister des Sports“. Von 1957 bis 1972 nahm er ohne Unterbrechung an DDR-Leichtathletik-Meisterschaften teil. 1958 wurde er für den SC Chemie Halle DDR-Vizemeister im 1500 m Hindernislauf der A-Jugend.1960 DDR-Juniorenmeister mit neuem DDR-Rekord, den er im gleichen Jahr dreimal verbessert hatte (ebenfalls SC Chemie Halle). Seine beste Platzierung bei den Senioren war der zweite Platz bei den DDR-Meisterschaften 1965, den dritten Rang erreichte er 1966 für den SC Motor Jena und 1971 für den Hochschulsportverein der TH Ilmenau, wo er ab 1969 als Hochschulsportlehrer tätig war. 1966 und 1967 wurde er für die Friedrich-Schiller-Uni Jena DDR-Studentenmeister. Seine persönliche Bestleistung im Hindernislauf betrug 8:38,2 (erzielt 1966).[3] Im Juli 1965 lief er deutsche Jahresbestzeit.8:38,6"[4][5] Zudem betrieb er Skilanglauf und erreichte 1967 und 1968 bei „DDR-Bestenermittlungen“ (einer Art Amateurmeisterschaft ohne Clubsportler) den ersten Platz über 30 Kilometer.[6]

Henner Misersky heiratete Ilse Schönemann, 1961 DDR-Meisterin und „Meister des Sports“ im 800-Meter-Lauf.[7] Sie bekamen zwei Töchter, Heike und Antje.

Wegen seiner Bekanntschaften mit westdeutschen Sportlern wurde Misersky zum Beobachtungsobjekt des Ministeriums für Staatssicherheit.[8] So hatten ihn Manfred Letzerich und der Zweite der Deutschen Leichtathletik-Meisterschaften 1965 über 3000 Meter Hindernis, Helmut Neumann, 1966 in der DDR besucht.[9] Spitzel trugen noch weitere Anzeichen zusammen, die ihn aus der Sicht des MfS als politisch unzuverlässig erschienen ließen, unter anderem politische Äußerungen zum Prager Frühling[10] und eine angebliche Mitwisserschaft der Republikflucht von Jürgen May, die ihm jedoch nicht nachgewiesen werden konnte. In einem Bericht an die Staatssicherheit gab der spätere Präsident des Landessportbunds Thüringen, Manfred Thieß, eine negative Beurteilung seiner „charakterlichen Haltung und politischen Einstellung“.[11] Misersky konnte sein Studium mit dem Diplom beenden, seine wissenschaftliche Laufbahn an der Jenaer Universität aber nicht fortsetzen.

Er wurde Hochschulsportlehrer und Trainer für Ausdauersport an der Technischen Hochschule Ilmenau und ab 1983 Nachwuchstrainer Skilanglauf auf Grund einer Delegierung (Lösung leistungssportlicher Aufgaben) zum SC Motor Zella-Mehlis, Kinder- und Jugendsportschule Oberhof. Seine Töchter Heike und Antje waren als Skilangläuferinnen im Jugendbereich erfolgreich. Nach seiner Weigerung, den von ihm trainierten Langläuferinnen (darunter seine Tochter Antje) männliche Hormone als Dopingmittel zu verabreichen, wurde er 1985 fristlos als Trainer entlassen.[1] Seine Tochter, unter Druck gesetzt, trat aus der DDR-Nationalmannschaft zurück und durfte im Folgewinter bei den DDR-Langlaufmeisterschaften ihren Titel nicht verteidigen. Siehe Biografie der Tochter Antje Harvey, Biathlon-Olympiasiegerin 1992.

1992 warf er in einem Fernsehinterview bei den Olympischen Winterspielen in Albertville dem Deutschen Skiverband vor, dopingbelastete Trainer aus der DDR übernommen zu haben. Er befürwortete öffentlich flächendeckende Dopingkontrollen im Skisport und trat in Prozessen gegen Dopingtäter als Zeuge auf.[1] Von der Landesregierung Thüringens wurde Misersky als Trainer rehabilitiert und erhielt ab 1992 eine Anstellung über die Kultusbehörde als Spezialsportlehrer für Ski-Langlauf am Sportgymnasium Oberhof.

2018 trat er wegen unüberbrückbarer Differenzen mit der damaligen Vorsitzenden Ines Geipel aus der Doping-Opfer-Hilfe (DOH) aus, deren Gründungsmitglied er war.

Ines Geipel reichte im Jahr 2018 sieben Unterlassungsklagen gegen Misersky ein, die das Berliner Kammergericht in zweiter Instanz jedoch im Oktober 2021 abwies. Er hatte sich kritisch zu Veröffentlichungen und Falschangaben im Zusammenhang mit sportlichen Leistungen und Falschangaben zu einer vermeintlichen Opferbiografie geäußert. Die Tageszeitung resümierte im Dezember 2020: „Hinter den persönlichen Auseinandersetzungen, die vor Berliner Gerichten gelandet sind, liegt ein grundsätzlicher Streit über die Interpretation der Dopinggeschichte im DDR-Sport.“[12] Misersky sei der festen Überzeugung, „auch aus eigener Erfahrung, dass man als Trainer, Arzt, als erwachsener Athlet, definitiv Nein zum Doping in der DDR sagen konnte“. Er sieht bei der Mehrzahl von ehemaligen erwachsenen DDR-Reisekader-Sportlern eine Mitverantwortung und auch bei Geipel selbst starke Anhaltspunkte für selbstbestimmtes, wissentlich praktiziertes Doping.

Misersky ist Mitautor des Dossier „Blackbox Doping-Opfer – wie Politik und Öffentlichkeit mit fragwürdigen Zahlen getäuscht werden“.[13]

Ehrungen

Für seine generelle Haltung gegen Doping wurde er 2009 mit der Heidi-Krieger-Medaille vom DOH ausgezeichnet. 2010 erhielt er die goldene Ehrennadel des Thüringer Skiverbands. Am 25. Mai 2012 wurde er in die Hall of Fame des deutschen Sports aufgenommen. 2019 wurde er wegen seine Verdienste für einen fairen dopingfreien Sport vom Fachmagazin „German Road Races“ als Trainer des Jahres gewählt.

Literatur

  • Eintrag Misersky, Henrich in: Klaus Amrhein: Biographisches Handbuch zur Geschichte der deutschen Leichtathletik. 1898–2005. Darmstadt 2005. Zugänglich über World Biographical Information System Online
  • Jutta Braun und Michael Barsuhn: Zwischen Erfolgs- und Diktaturgeschichte – Perspektiven der Aufarbeitung des DDR-Sports in Thüringen. Verlag Die Werkstatt, 2015. ISBN 978-3-7307-0082-2

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c Robert Hartmann: Biografie, Mai 2012. Website der Hall of Fame des deutschen Sports, online.
  2. Kuhlmann: Henner Misersky wird 80 Jahre alt, 2020, S. 40.
  3. Misersky, Henrich in: Klaus Amrhein: Biographisches Handbuch zur Geschichte der deutschen Leichtathletik, 2005.
  4. Der DVfL der DDR hatte Misersky deshalb für das Leichtathletik-Europa-Cup-Finale in Stuttgart nominiert. Diesen Start verhinderte das MfS mit einem Blitztelegramm an den SC Motor Jena. online.
  5. DDR-Meisterschaften in der Leichtathletik
  6. Hans-Georg Kremer: Ehrentafel des Jenaer Universitätssports. „Hall of Fame.“ 2017, online.
  7. Kurzbiografie zu: Antje Misersky. In: Wer war wer in der DDR? 5. Ausgabe. Band 1. Ch. Links, Berlin 2010, ISBN 978-3-86153-561-4..
  8. Kuhlmann: Henner Misersky wird 80 Jahre alt, 2020, S. 40.
  9. Manfred Letzerich: Bemerkenswertes aus meinem Tagebuch des Sports. Teil 3 (1965–1967), online.
  10. Kuhlmann: Henner Misersky wird 80 Jahre alt, 2020, S. 40.
  11. Henner Misersky im Munzinger-Archiv (Artikelanfang frei abrufbar); Michael Barsuhn: Beitritt mit Folgen. Chronik der Wende: Die Gründung der Landessportbünde in Ostdeutschland. Deutschlandfunk, 19. September 2010, online.
  12. DDR-Staatsdoping: Nicht nur Opfer - Vor Gericht wird über die Lebensgeschichte einer Dopingopfer-Aktivistin gestritten. Dabei wird auch die Rolle der Sportler im DDR-System verhandelt. - taz (vom 7. Dezember 2020)
  13. https://docplayer.org/134878920-Blackbox-doping-opfer-hilfe.html