Henschelverlag

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie

Der Henschelverlag war ein 1945 in Ost-Berlin gegründeter, auf viele Kunstsparten spezialisierter Verlag in der DDR. Nach einigen Besitz- und Namenswechseln in der Nachwendezeit firmiert der Verlag heute unter der Bezeichnung Seemann Henschel GmbH & Co. KG mit Sitz in Leipzig.

Geschichte

Bühnenvertrieb und Verlag Bruno Henschel und Sohn (1945–1951)

Am 20. Oktober 1945 wurde die Offene Handelsgesellschaft Verlag Bruno Henschel und Sohn in Berlin gegründet. Namensgeber Bruno Henschel war zuvor Leiter der Volksbühnen-Verlags- und Vertriebs-GmbH, die 1933 von den Nationalsozialisten liquidiert wurde. Aus den Restbeständen des Volksbühnenverlages begann Bruno Henschel gemeinsam mit seinem Sohn nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Bühnenvertrieb aufzubauen. Bereits im Herbst 1945 schloss der Verlag seinen ersten Aufführungsvertrag ab. Mit Unterstützung der Sowjetischen Militäradministration konnte Bruno Henschel seinen Bühnenvertrieb um einen Zeitschriften- und Buchverlag erweitern. Ab Juni 1946 erschien der Theaterdienst. Informationsblätter für Bühne, Film und Musik und ab Juli 1946 die Zeitschrift Theater der Zeit, beide wurden unter sowjetischer Lizenz herausgegeben. 1947 folgten zwei weitere Zeitschriften: die Dramaturgischen Blätter und die Volksbühne, die jedoch beide im Laufe des Jahres 1948 wieder eingestellt werden mussten.[1] Die ersten Bücher des Verlages kamen 1947 auf den Markt. Dies waren zunächst hauptsächlich Dramen, die auch der Bühnenvertrieb im Programm hatte, sowie Veröffentlichungen, welche die aktuellen Entwicklungen im Theater- und Filmwesen dokumentieren sollten. Ab 1948 publizierte der Verlag Titel zu Ästhetik und Kunstkritik. Hinzu kamen schließlich noch die Editionsbereiche Musiktheater, Film, künstlerische Selbstzeugnisse wie Briefe und Tagebücher sowie Belletristik, die sich dem Verhältnis zwischen Künstler und Gesellschaft widmete. 1951 etablierte der Verlag die Profillinie „Bildende Kunst“ und 1955 schließlich die „Unterhaltungskunst“. Bertolt Brecht vergab die Aufführungsrechte seines Gesamtwerkes an Henschel, Heiner Müller folgt ihm später.[2] Bis 1990 gab es nur noch geringfügige Änderungen des Profils. Henschel war damit der einzige Verlag der DDR, der sich allen Künsten widmete.[3]

Henschelverlag Kunst und Gesellschaft (1952–1990)

1951 wurde der Verlag mit dem Deutschen Filmverlag und dem Deutschen Funkverlag zum Henschelverlag Kunst und Gesellschaft fusioniert. Im Zuge dieser Zusammenlegung überführte Bruno Henschel sein Unternehmen 1952 in SED-Eigentum.

Der Bühnenvertrieb übernahm Anfang der 1950er Jahre den Aufbau-Bühnenvertrieb, der von Friedrich Eisenlohr geleitet wurde. Seither hatte henschel SCHAUSPIEL, wie die Abteilung später hieß, Monopolstatus bei der Vermittlung von Theaterstücken für die Sprechbühne in der DDR inne. Die musikdramatische Abteilung henschel MUSIKBÜHNE wurde ebenfalls seit Anfang der 1950er Jahre aufgebaut.[4] Nach der Fusion wuchs auch der Zeitschriftensektor des Verlags deutlich an: Henschel verlegte das Organ des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR Musik und Gesellschaft (1951–1990), die Deutsche Architektur (1952–1960), welche allerdings nach acht Jahren an den VEB Fachbuchverlag abgegeben wurde, die Deutsche Filmkunst (1953–1962), die Zeitschrift Unser Rundfunk (1953–1957), den Filmspiegel (1954–1991), die artistik (1955–1995), welche 1969 in Unterhaltungskunst umbenannt wurde, Melodie und Rhythmus (1957–1991) sowie FF Funk und Fernsehen der DDR (1958–1969). Später kamen noch das Organ des Verbandes der Bildenden Künstler der DDR die Bildende Kunst (1965–1990), die vom Verband der Film- und Fernsehschaffenden herausgegebene Zeitschrift Film und Fernsehen (1973–1990) sowie das in Zusammenarbeit mit dem Institut für Kulturbauten entwickelte Blatt Bauten der Kultur (1976–1983) hinzu. 1967 übernahm Kuno Mittelstädt die Leitung des Verlages. Er blieb bis 1992 Verlagsdirektor. Der Henschelverlag Kunst und Gesellschaft hatte zu diesem Zeitpunkt bereits eine gefestigte Stellung im Verlagsgefüge der DDR inne.[1] Er konnte zum Beispiel die Veröffentlichung mehrere Werke von Peter Weiss, Volker Braun, Heiner Müller, Rudi Strahl und Günther Weisenborn vorweisen. Zum Stamm der wissenschaftlichen Autoren von Sekundärliteratur gehörten unter anderem Werner Hecht, Fritz Erpenbeck, Horst Seeger und Werner Timm.[5] Die drei Verlagsbereiche Theatervertrieb, Buchverlag und Zeitschriften waren soweit profiliert, dass es bis zum Ende der DDR zu keinen größeren Veränderungen mehr kam.

In den 1980er Jahren hatte der Verlag 125 Angestellte, brachte 70 bis 80 Bücher im Jahr heraus und verlegte sieben Zeitschriften. Etwa ein Viertel der Verlagsproduktion ging ins Ausland und brachte so dringend benötigte Devisen in die DDR.[2] 1988 erschienen 53 Erstausgaben und 20 Nachauflagen. Der Umsatz lag bei etwa 247 Millionen Mark, der Gewinn bei 3,0 Millionen Mark.[6]

Henschel Verlag (seit 1990)

Infolge der politischen Umwälzungen 1989/90 gründeten die Mitarbeiter des Verlages im April 1990 die Henschel Verlag GmbH, von der sich bereits einen Monat später, die ehemalige Bühnenvertriebsabteilung für Sprechbühnenwerke unter der Firmierung Henschel Schauspiel Theaterverlag GmbH abspaltete. Mit Hilfe eines Kredites der PDS erwarb die neugegründete Mitarbeiter-GmbH den alten Henschelverlag Kunst und Gesellschaft von der SED-PDS und versuchte sich auf dem gesamtdeutschen Markt zu etablieren. Die henschel MUSIKBÜHNE wurde im Juni 1991 an den Bärenreiter-Verlag in Kassel verkauft. 1992 geriet der Henschel Verlag unter Treuhandkontrolle. Auch der Henschel Schauspiel Theaterverlag stand zeitweise im Fokus der Treuhand, erlangte aber nach einer Ausgleichszahlung endgültig seine Unabhängigkeit. Der Henschel Verlag musste nach einem schlechten Wirtschaftsjahr 1991 einen Großteil seiner Zeitschriften aufgeben und schließlich im August 1992 Konkurs anmelden. Im Frühjahr 1993 erwarb Silvius Dornier das Unternehmen für eine symbolische Mark vom Insolvenzverwalter und gliederte den Verlag in die Dornier-Verlagsgruppe ein, zu der die ostdeutschen Verlage E. A. Seemann, Edition Leipzig und Urania gehörten. Der ehemalige Cheflektor Horst Wandrey wurde zum Geschäftsführer bestellt. Während Henschel weiterhin seine Büroräume in Berlin unterhielt, blieben Edition Leipzig und der traditionsreiche Verlag E. A. Seemann weiterhin in Leipzig beheimatet. 1996 wurde die Verlagsgruppe zur Dornier Medienholding verschmolzen, die bereits sechs Jahre später aufgelöst wurde. Bevor es zur Schließung der Verlage kam, kauften die leitenden Mitarbeiter Dr. Jürgen A. Bach und Bernd Kolf die drei Publikationshäuser Henschel, Seemann sowie Edition Leipzig und gründeten zusammen mit dem Verlag Koehler & Amelang die Gruppe Seemann Henschel GmbH & Co. KG mit Sitz in Leipzig. Das Berliner Büro des Henschel Verlags wurde im April 2009 aufgegeben.[6] 2017 wurde der Verlag von Michael Kölmel, dem Inhaber von Zweitausendeins, übernommen.[7]

Buchreihen

Theater

  • Maxim Vallentin (Hrsg.): Bühne der Wahrheit. Schriftenreihe für das neue deutsche Volkstheater
  • Zeitgenössische Dramatik
  • Schriften zur Theaterwissenschaft
  • Die bunte Puppenkiste
  • Materialbände Bertolt Brecht
  • Internationale Dramatik
  • Dramatiker der DDR
  • Theaterpraxis
  • Laientheater
  • Kindertheater
  • Puppentheater

Musik und Musiktheater

  • Jahrbuch der Komischen Oper
  • Horst Seeger (Hrsg.): Oper heute. Ein Almanach der Musikbühne

Unterhaltungskunst

  • Helga Bemmann (Hrsg.): Klassische Kleine Bühne
  • Neue Kleine Bühne
  • Ernst Günther, Heinz P. Hofmann, Walter Rösler (Hrsg.): Kassette. Rock, Pop, Schlager, Revue, Zirkus, Kabarett, Magie (erste Ausgabe u.d.T. Kassette. Ein Almanach für Bühne, Podium und Manege)
  • Kabarett aktuell

Film, Funk und Fernsehen

  • Heinz Baumert, Hermann Herlinghaus: Jahrbuch des Films
  • Hörspiele (erste Ausgabe u.d.T. Hörspieljahrbuch)
  • Filmwissenschaftliche Bibliothek
  • Film/Funk/Fernsehen

Bildende Kunst

  • Berlin in der Kunst
  • Welt der Kunst

Verschiedenes

  • Große Sowjet-Enzyklopädie
  • Künstlergeschichten
  • Künstler unserer Zeit
  • Hugo Fetting (Hrsg.): Theater und Film
  • dialog
  • Taschenbuch der Künste
  • Veröffentlichungen der Deutschen Bauakademie

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Franziska Galek: „Lesedramatik“ im Henschelverlag Kunst und Gesellschaft bis 1990. In: Universitätsbibliothek Leipzig in Zusammenarbeit mit dem Leipziger Arbeitskreis zur Geschichte des Buchwesens (Hrsg.): Leipziger Jahrbuch zur Buchgeschichte. Band 18. Harrassowitz Verlag, 2009, ISSN 0940-1954, S. 245–306.
  2. a b Ralf Stabel: Wo die guten Bücher herkommen. Kenntnisreich und weltoffen durch Krisen und Wenden - 75 Jahre Henschelverlag. In: nd Die Woche vom 17./18. Oktober 2020, S. 13
  3. Dieter Mornhinweg, Werner Schindhelm: Bibliografie 1946–1985. Bücher, Kalender und Zeitschriften. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1987, ISBN 3-362-00172-6, Buchreihen, S. 77–132.
  4. Susanne Misterek: Polnische Dramatik in Bühnen- und Buchverlagen der Bundesrepublik Deutschland und der DDR (= Mainzer Studien zur Buchwissenschaft. Band 12). Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2002, ISBN 978-3-447-04502-5, Der Bühnenvertrieb henschel SCHAUSPIEL im Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, S. 63–76.
  5. Dieter Mornhinweg, Werner Schindhelm: Bibliografie 1946–1985. Bücher, Kalender und Zeitschriften. Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin 1987, ISBN 3-362-00172-6, Register, S. 139–158.
  6. Leipziger Bücher. Zukunft für Seemann und Henschel. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 30. September 2017, S. 14.