Herrenstand (Böhmen)

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Der Herrenstand war ein Teil der böhmischen Ständeordnung. Aufgrund seiner staatsrechtlichen Stellung unterschied er sich vom übrigen titulierten Adel im Heiligen Römischen Reich.

Geschichte

Sitzung des Böhmischen Landtags im Jahre 1564 unter Maximilian II.

Ursprünge

In schriftlichen Quellen des 9. und 10. Jahrhunderts scheint in Böhmen und Mähren eine Gruppe vermögender Personen auf, welche die moderne Geschichtswissenschaft als Magnatenaristokratie bezeichnet hat.[1] Diese Schicht übertraf besitzmäßig die übrigen Bewohner des Landes. Ihre exklusive Stellung versuchte sie in der Regel durch das Verbot von Heiraten mit niedriger gestellten Personen zu bewahren. Mit der Zeit gelang es einem Teil dieser Magnaten sowie anderen fähigen Personen wichtige Posten im bewaffneten Gefolge des Landesherrn oder in der Verwaltung der landesfürstlichen Burgen einzunehmen.[1] Aus dem Umfeld des Landesherrn aus der Dynastie der Přemysliden, zu denen diese Gefolgschaftsaristokratie in einem, zuweilen auch erblichen Dienstverhältnis stand, bildete sich seit dem 11. Jh. mit seinem Einverständnis aus wenigen Individuen der Adel heraus, dessen Aufstieg zunächst mit dem Militärdienst für den Landesherrn verbunden war.[1]

Ab der Wende vom 11. zum 12. Jh. verlieh der Landesherr seinen Gefolgsleuten außerdem für ihre Tätigkeit in der Hof- und Landesverwaltung und für Kriegsdienste auch Grundbesitz, den er ihnen zur persönlichen Nutzung überließ. Zu den moralischen Anforderungen eines Adeligen des Frühma.s gehörte die Treue gegenüber dem Landesherrn, die Nützlichkeit des Dienstes, Tapferkeit und Mut. Die Herkunft von adeligen Eltern musste noch nicht unbedingt ein vorrangiges Merkmal eines Adeligen sein. Mehr als die vornehme Herkunft trugen persönlicher Reichtum und Macht zur Distinktion von den übrigen Bevölkerungsgruppen bei. Ohne größere Schwierigkeiten konnten auch vermögende Männer, die auf keine altehrwürdigen Ahnenreihen zurückblicken konnten, in den Adelsrang aufsteigen. Diese einflssreichen und wohlhabenden Männer in den Diensten des Landesherrn begannen sich mit kleinen Gefolgschaften mittelloser Personen zu umgeben, die ihnen zur Durchsetzung ihrer Macht- und Vermögensinteressen in Gebieten helfen sollten, die ihnen der Landesherr für treue Dienste als Einflusssphäre zugewiesen hatte. In späterer Zeit wuchs gerade aus dieser weniger einflussreichen und weniger vermögenden Schicht der künftige niedere Adel.[1]

Einfluss der Magnaten unter den Přemysliden

Obwohl ab der Mitte des 11. Jahrhunderts in der Přemyslidendynastie eine Erbfolgeordnung galt, ist in der Umbruchszeit des 11. und 12. Jahrhunderts sich wiederholende Kämpfe um den Prager Fürstenthron beobachten. Die Schlüsselrolle spielte dabei die relativ kleine Gruppe böhmischer Magnaten, die über das Wahlrecht verfügten. Der Kreis der möglichen Kandidaten für den Fürstenthron war aber auf Angehörige der Přemyslidendynastie eingeschränkt und die Wahlen hatten daher oft nur den Charakter einer Akklamation. Die wiederholten Wahlen und Entthronungen hatten einen Zusammenhang mit dem Machtkampf innerhalb des Přemyslidenhauses, der fürstlichen Gefolgschaften der einzelnen Kandidaten und einzelner böhmischer Magnatengruppen.[2] Am Beginn der Entwicklung des Adels stand die přemyslidische Gefolgschaft (družina), deren führende Mitglieder ab dem 10. Jahrhundert fürstliche Beamte wurden und einen Teil der staatlichen Einnahmen erhielten Diese „Großen“ (Magnaten, velmoži), wie sie von einem Teil der gegenwärtigen tschechischen Geschichtswissenschaft genannt werden, verfügten über praktisch keinen politischen Einfluss haben. Ihre Rolle habe sich vielmehr auf Äußerungen der Zustimmung zur Politik des Herrschers beschränkt.[3]

Die sogenannten Großen hätten ursprünglich keinen eigenen freien Grundbesitz gehabt, da sich alles Land im Obereigentum des Fürsten befunden habe, allenfalls besaßen sie kleinere Höfe mit einer familia aus Sklaven oder Unfreien. Ab dem späten 12. Jahrhundert sollen diese Großen oder Benefiziare sich an der faktischen Privatisierung des Staates beteiligt und den Boden des Herrschers usurpiert haben, der die Ausstattung ihrer Benefizien bildete. So entwickelten sie sich nach und nach zu großen Grundeigentümern.[3]

Entwicklungen

Erst die Erblichkeit der Eigentumsverhältnisse und die Zugehörigkeit zum Umfeld des Herrschers – erlauben es, die böhmische und mährische Elite des 10. bis 13. Jahrhunderts als Erbadel im vollen Sinne des Wortes zu klassifizieren. Im 13. Jahrhundert kam es zu einer größeren Territorialisierung des Adels, was nicht nur mit einer Umstrukturierung der Besitzverhältnisse innerhalb des Landes, sondern auch mit einer Übernahme der Standards der Ritterkultur, vor allem in der Form privater Residenzen (Burgen) verbunden war.[4]

Die starke Institutionalisierung der adeligen Mitherrschaft im Lande wurde durch die chaotischen Verhältnisse nach dem Tode Premysl Otakars II. erleichtert, da der Adel zum ersten Mal als politischer Faktor hervortrat. Seine Befriedungs- und staatserhaltenden Bemühungen hatten aber sozusagen unmittelbar eine weitere wesentliche Einschränkung der Herrschergewalt in Form der Beherrschung des Landesgerichtes und der Durchsetzung der Landtafeln als ewige Garantien für das freie Eigentum des Adels zur Folge. Die neuen Institutionen sicherten im Verein mit dem wachsenden politischen Einfluss des Adels bei den Landtagen der früher nur informellen Landesgemeinde das unifizierende Skelett für das Landrecht.[5] Das faktische machtpolitische Gewicht des Adels zeigte sich nachhaltig nach dem Aussterben der Pfemysliden im Jahre 1306. Die Führer der Landesgemeinde setzten nicht nur eine echte Wahl des Königs, sondern auch ihre eigenen Forderungen in Form der Wahlkapitulationen durch.[6] In seinen Wahlkapitularien musste König Johann dem einheimischen Adel 1311 zugestehen, dass Ämter nur mit Böhmen und Mährern besetzt werden durften. Darin drückten sich der Machtgewinn des Adels und die Herausbildung eines böhmischen Nationalgefühls aus. Mit der Thronbesteigung Johanns von Luxemburg in Böhmen sind die so genannten „Inauguraldiplome“, das heißt zu Gunsten der böhmischen und mährischen Adeligen erlassene Privilegien, verbunden. Die ursprüngliche Version des Privilegiums formulierten wahrscheinlich die Adeligen im Laufe des Landtages im Dezember 1310 in Prag.[7]

siehe Entstehung der Landstände

Die Angehörigen des niederen Adels versuchten, in den Herrenstand einzudringen, aber das war nicht leicht. Nach der hussitischen Revolution schloß sich nämlich der Herrenstand definitiv ab. Ganz geschlossen konnte er allerdings nicht sein: aus demographischen und politischen Gründen nahm der Herrenstand immer neue Personen und damit Familien auf. [8]

Es ist kennzeichnend für den Hochadel im 15. Jahrhundert, daß zur Neuaufnahme im allgemeinen Reichtum und Macht nicht genügten. Adelige, welche die Aufnahme erstrebten, suchten meist nachzuweisen, daß ihre Vorfahren zu diesem Stand gehörten. So berief sich z. B. der Beneš von Veitmil(Weitmühl) darauf, daß Karl IV. schon bei seinen Vorfahren für gewöhnlich einen Herrentitel benützte. Andere Kandidaten beriefen sich auf ihr Wappen, das mit dem Wappen einer Herrenfamilie gleich oder ihm ähnlich sei. In einigen Fällen schreckten die Adeligen auch vor Urkundenfälschungen nicht zurück, um den Herrenrang ihrer Vorfahren zu beweisen, und die Stosové von Kounic (Stoss von Kaunicz) ließen sich sogar ein Epos schreiben, das in seiner Form der sogenannten Dalimil-Chronik ähnelte, um zu behaupten, ihre Vorfahren seien namhafte Große im 12. Jahrhundert gewesen.[9]

Das alles belegt, daß der edle Ursprung in jener Zeit beim Herrenstand für das bedeutendste Kriterium galt. Es ist andererseits bezeichnend, daß einige reiche und mächtige Ritterfamilien in Böhmen, beispielsweise die Trčkové von Lípa (Trčka von Lípa), in Mähren die Ritter von Ojnic, zu dieser Zeit nicht einmal den Versuch machten, zum Herrenstand aufzusteigen. [9]

Neuzeit

1497 beschlossen die Herren in Böhmen, über die Aufnahme neuer Mitglieder in den Herrenstand stets auf dem Landtag abzustimmen. Ein neuer Herr musste die vornehme Herkunft seines Geschlechtes nachweisen und die Landrichter ersuchen, Aufzeichnungen seines freien Besitzes zu den Landtafeln zu nehmen.[10] Diese Anforderungen wurden im Jahre 1500 in der Wladislawschen Landesordnung rechtlich verankert, in der darüber hinaus 47 Herrengeschlechter namentlich genannt wurden, denen die höchsten Ämter im Lande vorbehalten sein sollten.[10] Zugleich wurde eine Rangfolge bestimmt.[11] Der führende Platz gleich hinter dem König gehörte im Königreich Böhmen dem Regenten des Rosenberger Geschlechtes.[10] Ulrich II. von Rosenberg hatte sich diesen Status nebst Ländereien allerdings durch Urkundenfälschung und falschen Eintrag in der Landtafel verschaft.[12]

In dieser ältesten böhmischen Herrenstandsordnung vom 18. März 1500 wurde festgelegt, dass niemand in den Herrenstand aufzunehmen sei, der nicht den Ritterstand seiner Familie über vier Generationen nachweisen konnte und darüber hinaus musste nicht nur der König, sondern zusätzlich auch die alten Herrenstandsfamilien selbst einer möglichen Aufnahme zustimmen. Zu diesem Zeitpunkt gab es nur 30 solcher alten Herrenstandsfamilien in Böhmen,[11] die im Böhmischen Landtag die Geschicke des Landes lenkten.

Die politischen Veränderungen nach der Schlacht am Weißen Berg ermöglichten es dem König, die Einflussnahme der alten Geschlechter abzuschwächen. Mit der verneuerten Landesordnung vom 10. Mai 1627 wurde auch eine neue Ständepyramide in Böhmen geschaffen. An der Spitze stand die hohe Geistlichkeit (der Erzbischof von Prag, die übrigen Bischöfe usw.), es folgte der Herrenstand, der neben den Freiherren und Grafen nun auch die Herzöge und Fürsten einschloss, dann der Ritterstand mit Landbesitz und schließlich die Königlichen Städte. Zur Aufnahme in den Herrenstand genügte jetzt jedoch die Verleihung eines Freiherren-, Grafen- oder Fürsten-Titels durch den König von Böhmen oder das Inkolat an eine entsprechende ausländische Familie. Das Mitspracherecht der bisherigen Herrenstandsfamilien war entfallen. Gehörte jemand nur dem Ritterstand an, so erhielt er zunächst die Aufnahme in den böhmischen Freiherrenstand. Erst drei Generationen später erfolgte die Verleihung des alten Herrenstandes oder auch der Titel Alter böhmischer Freiherr. Von dieser Wartefrist befreit, waren die Familien, in der bereits zuvor zumindest eine Linie den Freiherren- oder Grafenstand erhalten hatte. Die besondere Stellung des böhmischen Herrenstandes endete mit der Auflösung der ständischen Verfassung und mit der Landesverfassung für das Königreich Böhmen von 1849.[13][14] Doch sahen sich dessen ehemalige Mitglieder noch bis 1918 als Bewahrer und Hüter der Rechte des Landes Böhmen.

Bedeutung

Neun der dreizehn höchsten Staatsämter durften nur von Mitgliedern des Herrenstandes besetzt werden. Dazu gehörte das Amt des Oberstburggrafen von Prag, des Oberstlandhofmeisters oder des Oberstlandmarschalls. Darüber hinaus gehörte der Betreffende dem Landtag an, unterstand einer privilegierten Gerichtsbarkeit, genoss persönliche Steuerfreiheit und anderes. Diese Elite im Königreich Böhmen erhielt eine staatsrechtliche Stellung, die weit über der des vergleichbaren Adels in anderen Ländern lag.

Literatur

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b c d Václav Bůžek S. 41
  2. Dalibor Janiš S. 278
  3. a b Bůžek, Grubhoffer, Jan: Wandlungen des Adels S. 273
  4. Bůžek, Grubhoffer, Jan: Wandlungen des Adels S. 281
  5. František Šmahel S. 220
  6. František Šmahel S. 221
  7. Dalibor Janiš S. 285
  8. Jaroslav Mezník S. 78
  9. a b Jaroslav Mezník S. 79
  10. a b c Bůžek, Grubhoffer, Jan: Wandlungen des Adels S. 290
  11. a b Roman von Procházka Bohemia S. 112-113
  12. Vaclav Buzek: A. ROSENBERG in: Höfe und Residenzen im spätmittelalterlichen Reich. Grafen und Herren Residenzforschung Band 15. IV Teilband 2 Herausgegeben von Werner Paravicini S. 1226–1232
  13. Landesverfassung für das Königreich Böhmen vom 30. Dezember 1849
  14. Landesverfassung für das Königreich Böhmen vom 30. Dezember 1849, siehe § 11