Herschelstraße 31 (Hannover)

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Fassade des Hauses als Sitz des Sozialverbands Deutschland im November 2015 in nächtlicher Illumation in den Nationalfarben Frankreichs nach dem Anschlag auf die Satirezeitschrift Charlie Hebdo

Das Haus Herschelstraße 31 in Hannover ist der Sitz vom SoVD Landesverband Niedersachsen e.V. als Teil des Sozialverbands Deutschland.[1] Unter derselben Adresse wurde zur Zeit des Nationalsozialismus eines der sogenannten „Judenhäuser“ betrieben.[2]

Geschichte

Die Immobilie Herschelstraße 31 war Ende des 19. Jahrhunderts am 11. Juli 1899 in das Eigentum des Rentiers Theodor Borchers übergegangen, der privat jedoch in der Bödekerstraße 5 wohnen blieb.[3] Spätestens während der Weimarer Republik stand Gebäude im Besitz des Kaufmannes[4] und Spielwarenhändlers[5] Moritz Klompus (gestorben 1935),[6] der zwischen seinen Mietern die dritte Etage des Hauses selbst bewohnte.[4]

Nach der Machtergreifung im Jahr 1933 durch die Nationalsozialisten gipfelten antisemitische Diskriminierung, Verfolgung und Entrechtung der Juden zunächst in den Novemberpogromenen 1938. Durch die dabei angerichteten Zerstörungen verlor auch die Eigentümerin des Gebäudes Herschelstraße 31, die damals 75-jährige Kaufmanns-Witwe Rosette Klompus, geborene Jacoby (geboren 15. August 1863 in Jeßnitz), den größten Teil ihres Betriebsvermögen. Weitere Enteignungen erfolgten im Zuge der „Arisierungen“, in deren Folge der Korbmachermeister Heinrich Ritter für „das Warenlager der nichtarischen Firma Rosette Klompus“ einen Teil des Kaufpreises von weniger als 3000 Reichsmark auf ein Sperrkonto bei der Vereinsbank Hannover einzahlte. Einen weiteren Teil ihres Vermögens hatte die bald darauf zwangsweise in „Rosette Sara Klompus“ umbenannte Hauseigentümerin als sogenannte „Judenvermögensabgabe“ an das Finanzamt am Goetheplatz zu überweisen.[6]

Während 1941 anfangs laut dem Adressbuch der Stadt Hannover des Jahres noch mehrere nichtjüdische Mieter im Haus Herschelstraße 31 verzeichnet waren, verließen diese – bis auf die beiden im Erdgeschoss geführten Gewerbetriebe – das Gebäude. Im September 1941 leitete der NSDAP-Gauleiter Hartmann Lauterbacher die nach ihm benannte „Aktion Lauterbacher“ ein, durch die auch das Haus in der Herschelstraße zu einem der 16 sogenannten „Judenhäuser“ in Hannover umfunktioniert wurde:[7] Rund 70 Personen aus anderen jüdischen Privatwohnungen wurden dort zwangseingewiesen; bis Dezember 1941 erhöhte sich ihre Zahl bis auf etwa 150. Einer davon war Norbert Prager, der spätere Holocaust-Überlebende und Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Hannovers, der mit seiner Ehefrau Frieda in das „Judenhaus“ in der Herschelstraße eingewiesen wurde. Er musste sich zeitweilig mit sieben anderen Männern ein Zimmer teilen.[2]

Anfang Dezember 1941[7] begann mit dem „großen Dezembertransport“[2] die Umquartierung jüdischer Männer, Frauen und Kinder in der zum Sammellager umfunktionierten Israelitischen Gartenbauschule Ahlem; die Einweisung in Massenquartiere bereiteten zugleich die bald darauf einsetzenden Deportationen[7] durch die Gestapo vor unter Mitwirkung von Stadtverwaltung, Polizei, Justiz, Reichsbahn und Finanzverwaltung.[8] Infolge der Deportationen sank die Zahl der in der Herschelstraße 31 lebenden Menschen auf durchschnittlich 60 bis 70 Personen. Dort wohnten dann hauptsächlich „Ehepaare in nichtprivilegierten Mischehen, denen jeweils ein Zimmer zugeteilt wurde.“[2]

Der massive Backsteinbau mit Vorderhaus und zwei Seitenflügeln hatte über dem Erdgeschoss mit einem Zwischengeschoss vier Obergeschosse und einen Dachboden. Im Erdgeschoss einschließlich der Seitenflügel waren Anfang der 1940er Jahre die Geschäftsräume vom Automobilhandel Burgdorf sowie die Korbhandlung Heinrich Ritter untergebracht.[2]

Inschriften für Georg Josef Awigdor und Rosette Klompus am Mahnmal für die ermordeten Juden Hannovers

1942 war das gesamte Vermögen der Hauseigentümerin Klompus, das in ihren letzten Jahren von August Hülsmeyer verwaltet worden war, „vollständig zugunsten des Deutschen Reiches eingezogen“ worden. Rosetta Sara Klompus war zuvor in die Wunstorfer Landstraße 1 eingewiesen[6] die ebenfalls zum „Judenhaus“ umfunktionierte Israelitische Gartenbauschule Ahlem.[9] und anschließend am 23. Juli 1942 in das KZ Theresienstadt deportiert worden.[10]

Anfang 1943 lebten noch 35 jüdische Familien, insgesamt mindestens 72 Menschen in der Herschelstraße 31, darunter 8 Personen, die im August des Jahres verhaftet, ins Arbeitserziehungslager Lahde verschleppt und dort ermordet wurden. Anfang Oktober des Jahres waren im „Judenhaus“ in der Herschelstraße noch etwa 50 Männer und Frauen sowie der Sohn von Norbert Prager untergebracht, bevor das Gebäude während der Luftangriffe auf Hannover in der Nacht vom 8. auf den 9. Oktober 1943 vom Erdgeschoss angefangen in Brand geschossen war und schließlich völlig zerstört worden war. Die Zwangsuntergebrachten konnten sich auf die brennende Straße retten und blieben für kurze Zeit obdachlos, bevor nahezu alle von der Gestapo zusammengeholt und beispielsweise am 25. Februar 1945 mit dem letzten Transport nach Theresienstadt deportiert wurden.[2]

Im Bildarchiv des Historischen Museums Hannover findet sich eine nach dem 8./9. Oktober 1943 gefertigte Fotografie mit der Ruine des Hauses Herschelstraße, über dessen ausgebombten Räumen im Erdgeschoss die erhaltenen Buchstaben „H. ITTE“ für das Korbwarengeschäft von H. Ritter zu erkennen sind.[2]

In einem in der Nachkriegszeit gebauten Neubau an Stelle des vormaligen „Judenhauses“ richtete dann der Sozialverband Deutschland seine Geschäftsräumlichkeiten ein.[1]

Siehe auch

Literatur

  • Marlis Buchholz: v. a. Herschelstraße 31. In dies.: Die hannoverschen Judenhäuser. Zur Situation der Juden in der Zeit der Ghettoisierung und Verfolgung 1941 bis 1945 (= Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens. Band 101), Verlag August Lax, Hildesheim 1987, S. 126–133.
  • Ingeborg Pauluhn: Die Familie Klompus. In dies.: Jüdische Migrantinnen und Migranten im Seebad Norderney 1893–1938. Unter besonderer Berücksichtigung des Kinder-Erholungsheimes U.O.B.B. Zion-Loge XV. No. 360 Hannover und jüdischer Geschäftsbetriebe. (zugleich Dissertation 2011 an der Universität Oldenburg), IGEL-Verlag Literatur & Wissenschaft, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86815-541-9, S. 266 ff. (Vorschau über Google-Bücher).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. a b Impressum auf der Seite sovd-hannover-stadt.de, zuletzt abgerufen am 29. Mai 2022.
  2. a b c d e f g Marlis Buchholz: v. a. Herschelstraße 31. In dies.: Die hannoverschen Judenhäuser. Zur Situation der Juden in der Zeit der Ghettoisierung und Verfolgung 1941 bis 1945 ( = Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens. Band 101), Verlag August Lax, Hildesheim 1987, S. 126–133.
  3. Adreßbuch. Stadt- und Geschäfts-Handbuch der Königlichen Haupt- und Residenzstadt Hannover, der Stadt Linden, sowie der Ortschaften Döhren-Waldhausen und Ricklingen. 1900, Abtheilung 1, Teil 2: Straßen- und Häuserverzeichniß in alphabetischer Ordnung der Straßenname mit Angabe der Haus-Eigenthümer und Bewohner. Klindworth’s Verlag, Hannover 1900, S. 284 (dfg-viewer.de).
  4. a b Adressbuch der Stadt Hannover (ABH) 1933, II. Teil, S. 11 (dfg-viewer.de).
  5. ABH 1933, Teil 1, S. 241 (dfg-viewer.de).
  6. a b c Ingeborg Pauluhn: Die Familie Klompus. In dies.: Jüdische Migrantinnen und Migranten im Seebad Norderney 1893 - 1938. Unter besonderer Berücksichtigung des Kinder-Erholungsheimes U.O.B.B. Zion-Loge XV. No. 360 Hannover und jüdischer Geschäftsbetriebe. (zugleich Dissertation 2011 an der Universität Oldenburg), IGEL-Verlag Literatur & Wissenschaft, Hamburg 2011, ISBN 978-3-86815-541-9, S. 266 ff. (Vorschau über Google-Bücher).
  7. a b c Peter Schulze: Aktion Lauterbacher. In: Stadtlexikon Hannover. S. 17.
  8. Peter Schulze: Deportationen von Juden. In: Stadtlexikon Hannover. S. 124.
  9. Waldemar R. Röhrbein: Israelitische Gartenbauschule Ahlem. In: Stadtlexikon Hannover. S. 318–319.
  10. Inschrift auf dem Mahnmal für die ermordeten Juden Hannovers.

Koordinaten: 52° 22′ 40″ N, 9° 44′ 10,4″ O