Hertie-Stiftung

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Gemeinnützige Hertie-Stiftung
Hertie-Stiftung.svg
Rechtsform: Stiftung des bürgerlichen Rechts
Zweck: Wissenschaft in Forschung und Lehre, Erziehung, Volks- und Berufsbildung, Europäische Integration, mildtätige Zwecke
Vorsitz: Frank-Jürgen Weise
Geschäftsführung: John-Philip Hammersen, Elisabeth Niejahr, Astrid Proksch, Rainer Maucher
Bestehen: Gründung 1974
Stifter: Hans-Georg Karg,
Brigitte Gräfin von Norman (auf Initiative ihres 1972 verstorbenen Vaters Georg Karg, Inhaber der Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH)
Stiftungskapital: Marktwert des Anlagevolumens rund 1 Milliarde Euro (per 31.12.2019)
Mitarbeiterzahl: 50
Sitz: Frankfurt am Main
Website: www.ghst.de

Die Gemeinnützige Hertie-Stiftung ist eine deutsche Stiftung, die auf dem Lebenswerk des 1972 verstorbenen Stifters Georg Karg, Inhaber der Hertie Waren- und Kaufhaus GmbH, aufbaut.[1] Der Name Hertie beruht auf Namensteilen von Hermann Tietz, Kapitalgeber und Familienmitglied der jüdischen Unternehmerfamilie Tietz, die 1882 die Warenhäuser gründete. Die Hertie-Stiftung ist heute eine der größten weltanschaulich unabhängigen und unternehmerisch ungebundenen Stiftungen in Deutschland. Vorstandsvorsitzender ist Frank-Jürgen Weise, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Bundesagentur für Arbeit und ehemaliger Leiter des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge.

Tätigkeitsfelder

Die Arbeit der Hertie-Stiftung konzentriert sich auf zwei Leitthemen: Gehirn erforschen und Demokratie stärken. Die Projekte der Stiftung sollen modellhafte Impulse innerhalb dieser Themen setzen. Im Fokus stehen dabei immer der Mensch und die konkrete Verbesserung seiner Lebensbedingungen.

Gehirn erforschen

Die Erforschung des Gehirns und seiner Erkrankungen entspricht dem Stifterwillen. 27 Prozent aller EU-Bürger sind von Hirnkrankheiten betroffen. Insbesondere Alzheimer wird wahrscheinlich künftig eine große gesellschaftliche Herausforderung sein.

In diesem Arbeitsgebiet verfolgt die Stiftung drei wesentliche Ziele: Sie will wissenschaftsfreundliche Strukturen in der Hirnforschung schaffen, um die Bedingungen für Spitzenforschung zu optimieren. Mit gezielten Nachwuchsprogrammen werden Talente gefördert. Veranstaltungen und Informationsangebote rund um das Gehirn sollen das Verständnis für die Neurowissenschaften in der Gesellschaft erhöhen. Die Bekämpfung von Multipler Sklerose sowie die Förderung von Betroffenen und ihrem Umfeld für Erleichterungen im Alltag sind ein weiteres Schwerpunktthema in diesem Bereich.

Beispielhafte Förderungen und Projekte sind:

  • das Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen, eines der größten und modernsten neurowissenschaftlichen Zentren bundesweit,
  • das Hertie Network of Excellence in Clinical Neuroscience, ein Forschungsnetzwerk und Nachwuchsförderprogramm für die klinischen Neurowissenschaften
  • der Eric Kandel Young Neuroscientists Prize als Auszeichnung des herausragenden wissenschaftlichen Nachwuchses in den Neurowissenschaften
  • der Hertie-Preis für Engagement und Selbsthilfe für Projekte von Selbsthilfegruppen und sehr engagierten Menschen im Bereich MS und neurodegenerativen Erkrankungen

Demokratie stärken

Demokratie sei die Basis für Frieden, Freiheit und Sicherheit und Grundpfeiler unserer Gesellschaft. Doch die Entwicklungen in Deutschland, Europa und der Welt würden deutlich machen, wie schnell sich die Zustände verändern können.[2]

In eigenen Projekten und gemeinsam mit Partnern arbeitet die Stiftung vor allem in den drei Bereichen Gutes Regieren, Demokratische Öffentlichkeit und Gesellschaftlicher Zusammenhalt. Sie unterstützt Personen, die sich für das Gemeinwesen engagieren, sie macht Bildungsangebote für Verantwortungsträger und sie fördert Talente.

Beispielhafte Förderungen und Projekte sind:

  • Die Hertie School, eine staatlich anerkannte Hochschule, die qualifizierte junge Menschen auf Führungsaufgaben im öffentlichen Bereich, in der Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft vorbereitet
  • Das START-Programm, das Stipendien an engagierte Jugendliche mit Migrationserfahrung vergibt und bei der Gestaltung ihrer Bildungsbiografie unterstützt
  • Jugend debattiert, das bundesweite Debattentraining im Schulunterricht ab Klasse 5 und Wettbewerb unter der Schirmherrschaft des Bundespräsidenten
  • MITWIRKEN, ein mehrstufige Förderprogramm für Projekte und Initiativen, die sich für ein demokratisches Miteinander in der Gesellschaft einsetzen
  • Jugend entscheidet, das Hertie-Programm für innovative Kommunen, um gemeinsam mit Jugendlichen eine Entscheidung zu einem lokalpolitischen Thema zu treffen.

Stiftungsvermögen

Der Marktwert des Anlagevolumens beträgt rund 1,2 Milliarde Euro (per 31. Dezember 2021). Mit einem jährlichen Fördervolumen zwischen 20 und 25 Mio. Euro gehört die Hertie-Stiftung zu den größten privaten Stiftungen Deutschlands. Seit 1998 besteht keinerlei Unternehmensbindung mehr.[2][3]

Organisation

Kuratorium

Die Mitglieder des Kuratoriums prägen die Gesamtentwicklung der Stiftung. Vorsitzender des Kuratoriums ist Hans-Jörg Vetter, stellvertretende Vorsitzende ist Maria Böhmer. Zum Ehrenvorsitzenden wurde Michael Endres ernannt.[4][3]

  • Hans-Jörg Vetter, Vorsitzender, ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank und ehemaliger Vorsitzender des Vorstands der Landesbank Baden-Württemberg und der Baden-Württembergische Bank
  • Michael Endres, Ehrenvorsitzender und ehemaliges Vorstandsmitglied der Deutsche Bank AG
  • Maria Böhmer, Stellvertretende Vorsitzende, Staatsministerin im Auswärtigen Amt a. D., Präsidentin der Deutschen UNESCO-Kommission
  • Andreas Barner, ehemaliger Vorstandsvorsitzender Boehringer Ingelheim Pharma GmbH & Co. KG; jetzt: Mitglied des Gesellschaftsausschusses der C.H. Boehringer Sohn AG & Co. KG
  • Petra Gerster, Journalistin, Moderatorin und Publizistin
  • Nico Hofmann, CEO/ Geschäftsführer UFA GmbH, Regisseur, Drehbuchautor
  • Frank Mattern, ehemaliger Senior-Partner McKinsey & Company Inc.
  • Annette Schavan, Bundesministerin a. D.
  • André Schmitz-Schwarzkopf, Vorstandsvorsitzender der Schwarzkopf-Stiftung
  • Wolfgang Schön, Direktor Max-Planck-Institut für Steuerrecht und Öffentliche Finanzen
  • Sascha Spoun, Präsident der Leuphana Universität und Gastprofessor an der Universität St. Gallen (HSG)
  • Peter Torry, ehemaliger britischer Botschafter in Berlin
  • Nikolaus von Bomhard, Vorsitzender des Aufsichtsrats der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft
  • Otmar Wiestler, Präsident der Helmholtz-Gemeinschaft, Berlin

Die Mitglieder des Kuratoriums und eingeladene Fachkundige treffen sich zweimal im Jahr und beraten den Vorstand.

Vorstand

Der Vorstand leitet und überwacht die Arbeit der Stiftung. Vorsitzender ist Frank-Jürgen Weise, stellvertretender Vorsitzender ist Bernd Knobloch (ehemaliges Vorstandsmitglied der Commerzbank AG). Weitere Vorstandsmitglieder sind Sabine Gräfin von Norman, Rainer Neske (Vorsitzender des Vorstands Landesbank Baden-Württemberg und Baden-Württembergische Bank) und Gordon Riske (ehemaliger Vorsitzender des Vorstands der Kion Group).

Kontroverse

Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die Warenhauskette der jüdischen Unternehmerfamilie Tietz arisiert und die geschäftsführende Eigentümerfamilie aus dem Unternehmen gedrängt. Der damals neu eingesetzte Geschäftsführer und spätere Inhaber Georg Karg führte daraufhin das in „Hertie“ umbenannte Unternehmen bis in die 1970er Jahre, baute die Warenhauskette aus und überführte das Unternehmen in die gemeinnützige Hertie-Stiftung.[5][6]

Die Aufarbeitungsstrategie zur NS-Vergangenheit der Hertie-Stiftung geriet im Jahr 2020 öffentlich in die Kritik.[5][7] Rund 150 aktuelle und ehemalige Studierende der Hertie School in Berlin fordern als Initiative Her.Tietz eine „offene und verantwortungsvolle Aufarbeitung“ der Stiftungsgeschichte.[8][9] Im November 2020 gab die Stiftung bekannt, dass sie für die wissenschaftliche Aufarbeitung der Vorgeschichte des Vermögens die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte beauftragt hat.[10][11][12]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jahresbericht 2019
  2. a b Wir über uns: Gemeinnützige Hertie-Stiftung. Abgerufen am 2. Juni 2022.
  3. a b Jahresbericht 2021. Abgerufen am 2. Juni 2022.
  4. Mitglieder des Kuratoriums. Abgerufen am 2. Juni 2022.
  5. a b Thorsten Schmitz: Hertie und die Hitler-Diktatur – War da was? In: Sueddeutsche.de. 16. Oktober 2020, abgerufen am 4. Dezember 2020.
  6. Darius Ossami: Erinnerungskultur in Berlin: Hertie erinnert sich zu spät. In: Die Tageszeitung. 12. November 2020, abgerufen am 17. November 2020.
  7. Christoph David Piorkowski: Im Namen von Hermann Tietz: „Arisierungs“-Geschichte holt Hertie-School ein. In: Tagesspiegel.de. 13. November 2020, abgerufen am 4. Dezember 2020.
  8. Her.Tietz – Our Motivation, Goal, and Approach. In: hertietz.de. Abgerufen am 17. November 2020 (englisch).
  9. Hubert Spiegel: Hertie-Stiftung in der Kritik: Ein historisches Markenzeichen. In: FAZ.net. 26. November 2020, abgerufen am 4. Dezember 2020.
  10. Christoph David Pirokowski: Hertie-Stiftung stellt sich „Arisierungs“-Geschichte. In: Tagesspiegel.de. 30. November 2020, abgerufen am 4. Dezember 2020.
  11. Hubert Spiegel: Auf in die Archive! In: FAZ.net. 30. November 2020, abgerufen am 4. Dezember 2020.
  12. Nils Klawitter: Hertie-Stiftungsvorstand zum Nazi-Erbe: „Mir hätte das Thema Arisierung präsenter sein müssen“. In: Spiegel.de. Abgerufen am 17. Dezember 2020.