Homosexualität in der Ukraine

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Homosexualität in der Ukraine ist zwar legal, stößt aber in großen Teilen der Gesellschaft auf Ablehnung.

Rechtslage

Seit 1991 ist Homosexualität in der Ukraine legal.[1] Das Schutzalter ist einheitlich auf 16 Jahre angeglichen. Eine Gleichgeschlechtliche Ehe oder Eingetragene Partnerschaft wurde bisher in der Ukraine gesetzlich nicht erlaubt. Ein Diskriminierungsschutz aufgrund der sexuellen Orientierung besteht gesetzlich seit 2014.[2] Auf der von Russland annektierten Halbinsel Krim ist ukrainisches Recht nicht durchsetzbar, dort gilt de facto russisches Recht, siehe Homosexualität in Russland.

2011 reichten sechs Abgeordnete verschiedener Fraktionen, unter anderem der Kommunistischen Partei und Vaterlandspartei, im ukrainischen Parlament einen Gesetzesentwurf ein, der die Verbreitung von Informationen über Homosexualität als „Propagierung von Homosexualität“ unter Strafe stellen soll.[3][4] Der Entwurf stieß auf Widerstand unter anderem in den Reihen des Parteienbündnisses „Unsere Ukraine“ und von LGBT-Verbänden.[3] Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch protestierte in einem Brief an das ukrainische Parlament gegen das aus ihrer Sicht diskriminierende und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßende Gesetzesvorhaben.[5]

Am 16. Mai 2012 wurde erneut ein Gesetzesentwurf ins ukrainische Parlament eingebracht, der bestehende Gesetze „zum Schutz der Moral“ sowie das Presse- und Verlagswesen betreffende Gesetze ändern und jegliche Verbreitung von Informationen über Homo- und Bisexualität unter Strafe stellen soll.[6] Der Gesetzentwurf wurde im Oktober 2012 vom ukrainischen Parlament angenommen.[7]

Im November 2015 wurde ein Gesetzentwurf im ukrainischen Parlament verabschiedet, der die Diskriminierung am Arbeitsplatz aufgrund von Merkmalen wie Alter, Nationalität, Rasse, Behinderung, HIV-Status und sexueller Orientierung künftig verbietet.[8][9]

Gesellschaftliche Situation

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Demonstration der Bürgerinitiative „Liebe gegen Homosexualität“ im September 2008 in Kiew.

Die gesellschaftliche Einstellung gegenüber Homosexualität ist eher ablehnend. Das amerikanische Meinungsforschungsinstitut Pew Research Center ermittelte 2007 in einer repräsentativen Umfrage, dass nur 19 Prozent der befragten Ukrainer Homosexualität für einen akzeptablen Lebensstil hielten, während 69 Prozent dies ablehnten.[10] Eine Umfrage des gleichen Instituts 2019 ergab keine Veränderung. Damit lag die Ukraine hinsichtlich der Toleranz gegenüber Homosexualität unter allen untersuchten europäischen Staaten auf dem vorletzten Rang vor Russland.[11] Zu ähnlichen Ergebnissen kam eine Umfrage des kanadischen Meinungsforschungsinstituts Angus Reid Public Opinion in der Ukraine von 2007, wonach 81,3 Prozent der Befragten gleichgeschlechtliche Beziehungen unter keinen Umständen für akzeptabel hielten, nur 5,7 Prozent hielten sie grundsätzlich für annehmbar.[12] Homosexuelle Beziehungen wurden demnach negativer bewertet als Verkehrsvergehen, Unhöflichkeit, Ehebruch, Sterbehilfe, Steuerhinterziehung, Abtreibung oder Sex vor der Ehe, lediglich Ladendiebstahl und Fahren unter Alkoholeinfluss erfuhren noch deutlichere Ablehnung. In einer repräsentativen Umfrage der ukrainischen Organisation Nasch Mir von 2011 befürworteten dagegen 36 %, dass Homosexuelle gleiche Recht haben sollen.[13]

Der Europarat warnte 2017 vor einer "deutlichen Zunahme" gewalttätiger Übergriffen auf Homosexuelle. Seit 2014 sollen mindestens sechs Menschen wegen ihrer Homosexualität ermordet worden sein.[14]

Homophobe Einstellungen werden unter anderem auf das Erbe der Sowjet-Ära zurückgeführt, als Homosexualität noch unter Strafe stand, aber auch auf religiösen Konservatismus.[15] In medizinischen Lehrbüchern wird Homosexualität als "Geisteskrankheit" und "sexuelle Perversion" eingestuft.[14]

Eine kleine homosexuelle Community findet sich vorrangig in der Hauptstadt Kiew sowie in geringerem Umfang in Odessa.[16] Die für den 20. Mai 2012 in Kiew organisierte erste „Gay Parade“ des Landes musste aufgrund gewaltsamer Übergriffe durch Nationalisten und erzkonservative orthodoxe Christen am Startpunkt der Parade kurzfristig abgesagt werden.[17] Nachdem eine für den 25. Mai 2013 in Kiew geplante Gay-Pride Parade ursprünglich gerichtlich untersagt worden war, fand an diesem Tag letztlich dennoch, unter starkem Polizeischutz, eine Demonstration mit ca. 100 Teilnehmern für die Gleichstellung von Homosexuellen statt.[18][19][20] Der für den 5. Juli 2014 geplante „March of Equality“ wurde von den Sicherheitsbehörden abgesagt[21][22]. Im Juni 2015 überfielen Mitglieder des rechtsextremen Prawyj Sektor eine LGBT-Parade in Kiew.[23]

Am 12. Juni 2016 ist es den LGBT-Aktivisten gelungen, den „March of Equality“ in Kiew zu organisieren. Die Aktion mit Beteiligung von 1500 Menschen verlief ohne ernstzunehmende Zwischenfälle und wurde von über 5000 Sicherheitskräften und 1200 Mitgliedern der Nationalgarde bewacht.[24]

Im Mai 2019 setzte die europäische Sektion der International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association (ILGA) die Ukraine auf Platz 34/35 unter 49 europäischen Ländern, was den Schutz der Rechte von Homosexuellen angeht.[25]

Siehe auch

Weblinks

Commons: Homosexualität in der Ukraine – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Einzelnachweise

  1. State-sponsored Homophobia. (PDF; 392 kB) In: ILGA Report. ILGA, Mai 2008, archiviert vom Original am 6. März 2009; abgerufen am 2. Juli 2009 (englisch).
  2. Дискриминация гомосексуалов в Украине запрещена по решению Высшего специализированного суда. In: Gay.ru. Alexandra Lopata, 25. Mai 2014, abgerufen am 10. August 2014 (russisch).
  3. a b Julia Rjabtschun: Radaabgeordnete reichen Gesetzentwurf zum Verbot der „Propaganda von Homosexualität“ ein. In: Kommersant Ukraina. Ukraine Nachrichten, 23. Juni 2011, abgerufen am 5. November 2011.
  4. Gefährliche Küsse. In: sueddeutsche.de. 25. April 2013, abgerufen am 14. Juni 2018.
  5. Ukraine: Reject Homophobic Law. Censoring Information on Homosexuality Would Violate Rights. Human Rights Watch, 16. Oktober 2011, abgerufen am 5. November 2011 (englisch).
  6. Ukraine: Gesetz zum Verbot der Bewerbung von Homosexualität in Parlament eingebracht. thinkoutsideyourbox.net, 20. Mai 2012, abgerufen am 13. Juni 2012.
  7. queer.de: Homophobie, Auch Ukraine für Verbot von Homo-Propaganda
  8. Queer.de: Ukraine beschließt doch Gesetz gegen Diskriminierung
  9. BBC:Ukraine passes anti-discrimination law
  10. Sharp Differences Over Homosexuality. (PDF; 1,9 MB) In: 47-Nation Pew Global Attitudes Survey, S. 35. Pew Research Center, 4. Oktober 2007, archiviert vom Original am 3. Februar 2012; abgerufen am 4. November 2011 (englisch).
  11. Views of Homosexuality Around the World. In: Pew Research Center's Global Attitudes Project. 25. Juni 2020, abgerufen am 22. März 2022 (amerikanisches Englisch).
  12. Ukrainians Decry Shoplifting, Drunk Driving. Angus Reid Public Opinion, 18. Dezember 2007, archiviert vom Original am 23. Oktober 2011; abgerufen am 4. November 2011 (englisch).
  13. Bundeszentrale für politische Bildung: Statistiken: Einstellung zu Homosexualität in der Ukraine. Abgerufen am 22. März 2022.
  14. a b Vermehrt Angriffe auf Homosexuelle. In: Zeit Online. 19. September 2017, abgerufen am 22. März 2022.
  15. Helen Fawkes: Elton John gig divides Ukrainians. BBC News, 17. Juni 2007, abgerufen am 2. Juli 2009 (englisch).
  16. Vladimir Matveyev: Trembling in Ukraine. (Nicht mehr online verfügbar.) Jewish Telegraphic Agency, archiviert vom Original am 29. Juli 2009; abgerufen am 2. Juli 2009 (englisch).
  17. Angriffe auf Schwule in Kiew: Polizei schaute zu. In: die tageszeitung, 22. Mai 2012. Abgerufen am 13. Juni 2012.
  18. Für Samstag vorgesehene Homosexuellenparade in Kiew verboten@1@2Vorlage:Toter Link/www.otz.de (Seite nicht mehr abrufbar, Suche in Webarchiven Info: Der Link wurde automatisch als defekt markiert. Bitte prüfe den Link gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. , Ostthüringer Zeitung vom 23. Mai 2013
  19. Homosexuelle demonstrieren erstmals in Kiew, Die Zeit vom 25. Mai 2013
  20. Zwanzig Minuten Anerkennung, Sueddeutsche Zeitung vom 28. Mai 2013
  21. CSD-ABSAGE IN KIEW. Hamburger Morgenpost, 10. Juli 2014, abgerufen am 18. August 2014.
  22. KIEVPRIDE 2014 AUS SICHERHEITSGRÜNDEN ABGESAGT. CSD München, 10. Juli 2014, archiviert vom Original am 19. August 2014; abgerufen am 18. August 2014.
  23. Kiew: Gewalt gegen Homosexuellen-Marsch. In: derstandard.at. Abgerufen am 12. Juli 2015.
  24. Alyona Zhuk: LGBT Pride march in Kyiv held without violence. In: Kyiv Post. 12. Juni 2016, abgerufen am 3. November 2021 (englisch).
  25. Side A Rainbow Europe Map 2019. In: ILGA. Mai 2019, abgerufen am 3. November 2021 (englisch).