Hubert Rüsch
Hubert Rüsch (* 13. Dezember 1903 in Dornbirn; † 17. Oktober 1979 in München[1][2]) war ein deutsch-österreichischer Bauingenieur. Er arbeitete und forschte im 20. Jahrhundert in Deutschland auf dem Gebiet des Stahlbetonbaus. Rüsch leistete bedeutende Beiträge zur Entwicklung des Stahlbeton-Schalenbaus, der Spannbetonbauweise und der Theorie des plastischen Verhaltens des Betons.
Ausbildung und Wirken
Hubert Rüsch studierte von 1922 bis 1926[1] an der Technischen Hochschule München Bauingenieurwesen, u. a. bei Ludwig Föppl und Heinrich Spangenberg und entwickelte sein Interesse für weitgespannte Dachkonstruktionen aus „Eisenbeton“, der dann Stahlbeton genannt wurde.
Direkt nach seinem Studium 1926 ging Rüsch zur Firma Dyckerhoff & Widmann AG (Dywidag) und unterstützte dort Ulrich Finsterwalder bei der Tragwerksplanung der Großmarkthalle Frankfurt am Main, deren Dach erstmalig aus betonierten flachen Kreiszylindersegmentschalen bestand.[3] Dann wirkte Rüsch unter der Leitung von Franz Dischinger auch mit bei Konstruktion und Berechnung der Betonschalenbauten der Großprojekte Großmarkthalle Leipzig und Markthalle Basel.[3]
1931 promovierte er bei seinem Münchner Lehrer Ludwig Föppl[4] zu dem Betonbauthema „Theorie der querversteiften Zylinderschalen für schmale, unsymmetrische Kreissegmente“.
Ab 1931 und bis 1934 leitete er das Konstruktionsbüro der Dywidag-Niederlassung Buenos Aires und kehrte 1935 zurück nach Deutschland.[5] In den folgenden Jahren entstanden unter Rüschs Leitung im In- und Ausland zahlreiche Betonschalenbauten, darunter Planetarien, Sport- und Flugzeughallen, Bahnsteigdächer und vor allem Shedhallen. Bedeutendstes Beispiel war die 166.000 Quadratmeter große Halle des Volkswagenwerks in Wolfsburg.[3] Eine zentrale Rolle spielte Rüsch ab 1943 im Rahmen der Entwicklung der Spannbeton-Norm DIN 4227.[6]
1948 wurde Hubert Rüsch auf den Lehrstuhl für Massivbau seines Lehrers Heinrich Spangenberg an der Technischen Hochschule München berufen[7] und wurde zu einem der führenden deutschen Spezialisten für die Theorie des Stahlbetons, den Spannbeton sowie das plastische Verhalten von Beton.[3] 1951/52 und 1961/ 62 war Rüsch Dekan der Baufakultät, zu der auch die Architektur gehörte.[3][1] Nach seiner Emeritierung 1969 wurde Herbert Kupfer auf den Lehrstuhl für Massivbau der TH München berufen; dieser war zuvor Student, Doktorand und Wissenschaftlicher Assistent[8] sowie später auch Biograph von Hubert Rüsch.
Bis zu seiner Emeritierung nahm Rüsch durch seine Mitwirkung in zahlreichen internationalen Verbänden, etwa der Fédération Internationale de la Précontrainte (FIP) oder dem Comité Européen du Béton (CEB) Einfluss auf die Entwicklung des Stahlbetonbaus.
Vereinzelt war Hubert Rüsch auch als Architekt tätig; so plante und baute er nach dem Zweiten Weltkrieg sein eigenes Wohnhaus auf dem Bödele (Geißkopf) bei Dornbirn.[9]
Mitwirkung bei Ingenieurbauten (Auswahl)
- Großmarkthalle, Frankfurt am Main, 1926–1928
- Großmarkthalle, Leipzig, 1927–1929
- Markthalle, Basel, 1929
- Volkswagenwerk, Wolfsburg, 1938–1940
Ehrungen
- 1938: Edward Longstreth Medaille des Franklin-Instituts Philadelphia[1]
- 1957: Emil-Mörsch-Denkmünze des Deutschen Beton-Vereins[1]
- 1959: Ehrendoktor der Technischen Hochschule Dresden[1]
- 1962: Wason-Medaille des American Concrete Institute[3][1]
- 1969: Stahlbetonbau, Berichte aus Forschung und Praxis. Hubert Rüsch gewidmet. Hrsg. von Georg Knittel, Herbert Kupfer. Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, Berlin/München 1969. [Festschrift, enthält u. a.: Seiten VII ff. biographische Angaben, Seiten XI ff. Veröffentlichungen und Vorträge von Hubert Rüsch, Seiten XIII f. von Professor Rüsch betreute Doktorarbeiten.]
- 1972: Carl-Friedrich-Gauß-Medaille der Braunschweigischen Wissenschaftlichen Gesellschaft[1]
- 1976: Alfred-E.-Lindlau-Preis des American Concrete Institute[1]
- 1977: Foreign Associate der National Academy of Engineering, USA[1]
Hubert Rüsch zum Andenken wird seit 1983 vom Deutschen Beton- und Bautechnik-Verein der Rüsch-Forschungspreis alle zwei Jahre „jeweils auf dem Deutschen Bautechnik-Tag an einen jungen Forscher für eine Arbeit auf dem Gebiet des Betonbaus verliehen, die in dessen ersten sieben Berufsjahren entstanden ist.“[10]
Schriften (Auswahl)
- Theorie der querversteiften Zylinderschalen für schmale, unsymmetrische Kreissegmente, Dissertation, TH München 1931.
- Shedbauten in Schalenbauweise, System Zeiss-Dywidag. In: Beton- und Stahlbetonbau, Band 35, 1936, S. 159–165.
- Die Hallenbauten der Volkswagenwerke in Schalenbauweise, System Zeiss-Dywidag. In: Bauingenieur, Band 20, 1939, Heft 9/10, S. 123–129.
- Spannbeton-Erläuterungen zu DIN 4227. Richtlinien für Bemessung und Ausführung, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, München 1954 (7. neubearbeitete Auflage 1981). Digitalisat der Auflage von 1954 auf portal.dnb.de, abgerufen am 26. Mai 2022.
- mit Herbert Kupfer: Bemessung von Spannbetonbauteilen. In: Beton-Kalender, Band 43, Teil 1, Ernst & Sohn 1954, S. 401–468, und Beton-Kalender, Band 69, Teil 1, 1980, S. 989–1086.
- Berechnungstafeln für rechtwinklige Fahrbahnplatten von Straßenbrücken. Hrsg. Deutsche Ausschuss für Stahlbeton (DAfStb), Heft 106, 1957.
- Stahlbeton – Spannbeton. vol. 1: Die Grundlagen des bewehrten Betons unter besonderer Berücksichtigung der neuen DIN 1045. Werkstoffeigenschaften und Bemessungsverfahren. Werner Verlag, Düsseldorf 1972.
- (Mit D. Jungwirth) Stahlbeton – Spannbeton. Bd. 2: Die Berücksichtigung der Einflüsse von Kriechen und Schwinden auf das Verhalten der Tragwerke. Werner-Verlag Düsseldorf 1976.
Privates
Hubert Rüsch entstammte einer vorarlbergischen Fabrikantenfamilie (Rüsch-Werke, Dornbirn[11]), ist ein Urkenkel des Fabrikanten Josef Ignaz Rüsch, ein Enkel des Unternehmers Alfred Rüsch und ein Onkel des Politikers und Zivilingenieurs Karl-Werner Rüsch. Er verbrachte Kindheit und Jugend in Dornbirn. Hubert Rüsch hatte drei Kinder[7], starb 1979 und liegt, zusammen mit seiner Ehefrau Trudi, geb. Meier (1912–1977), im Rüsch-Familiengrab in Dornbirn begraben.[12]
Literatur
(chronologisch)
- Emil Gustav Bornemann: Hubert Rüsch 70 Jahre. In: Beton- und Stahlbetonbau, Jg. 68 (1973), Heft 12, S. 300–301.
- Zum Gedenken an Hubert Rüsch, Ansprachen bei der Trauerfeier am 24.10.1979, Ehrungen, Lebenslauf, Veröffentlichungen und Doktorarbeiten. Hrsg. Lehrstuhl für Massivbau der TU München. Verlag Wilhelm Ernst & Sohn, München, 1979.
- Herbert Kupfer: Hubert Rüsch (1903 bis 1979). Der Wegbereiter des modernen Massivbaus. In: Jahrbuch 1997 der VDI-Gesellschaft Bautechnik. VDI-Verlag, Düsseldorf 1997, S. 227–285.
- Herbert Kupfer: Bauingenieur mit internationalem Ruf. Erinnerungen an Hubert Rüsch. In: TUM Mitteilungen, Heft 1/2004, S. 41–42, mit Porträtfoto. (Digitalisat auf portal.mytum.de, abgerufen am 26. Mai 2022.)
- Herbert Kupfer: Hubert Rüsch 100 Jahre – Wie kamen seine großartigen Beiträge als Ingenieur, Forscher und Hochschullehrer zustande? In: Bauingenieur, Jg. 78, 2003, Heft 12, S. 581 ff. (Mit umfangreichem Schriftenverzeichnis von Hubert Rüsch.) - Langfassung im Internet auf docplayer.org, abgerufen am 18. April 2022.
- Klaus Stiglat: Bauingenieure und ihr Werk, Ernst & Sohn, München 2003.
- Karl-Eugen Kurrer: The History of the Theory of Structures. Searching for Equilibrium. Ernst & Sohn, München 2018, S. 766 f und S. 1054 f (Biografie), ISBN 978-3-433-03229-9.
Weblinks
- Rüsch, Hubert auf der Internetseite der Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt der Technische Universität München (bgu.tum.de), abgerufen am 18. April 2022.
- Hubert Rüsch, auf structurae.net, abgerufen am 18. April 2022. (Mit Angabe eines falschen Geburtsjahrs „1904“.)
Einzelnachweise
- ↑ a b c d e f g h i j Rüsch, Hubert auf der Internetseite der Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt der Technische Universität München (bgu.tum.de), abgerufen am 18. April 2022
- ↑ Rüsch, Hubert, Dr. In: lexikon.dornbirn.at (Dornbirner Familienbuch). Amt der Stadt Dornbirn, abgerufen am 19. April 2022.
- ↑ a b c d e f Herbert Kupfer: Bauingenieur mit internationalem Ruf. Erinnerungen an Hubert Rüsch. In: TUM Mitteilungen, Heft 1/2004, S. 41–42, hier S. 41.
- ↑ Dissertationen (1907-1945). In: mathematik.de. Deutsche Mathematiker-Vereinigung, abgerufen am 18. April 2022 (Suchmaske: Hubert Rüsch).
- ↑ Herbert Kupfer: Bauingenieur mit internationalem Ruf. Erinnerungen an Hubert Rüsch. In: TUM Mitteilungen, Heft 1/2004, S. 41–42, hier S. 41 (Digitalisat auf portal.mytum.de, abgerufen am 26. Mai 2022).
- ↑ Spannbeton-Erläuterungen zu DIN 4227. Richtlinien für Bemessung und Ausführung, Verlag von Wilhelm Ernst & Sohn, München 1954 (Digitalisat auf portal.dnb.de, abgerufen am 26. Mai 2022), S. III, Vorwort.
- ↑ a b Herbert Kupfer: Hubert Rüsch 100 Jahre – Wie kamen seine großartigen Beiträge als Ingenieur, Forscher und Hochschullehrer zustande? In: Bauingenieur, Jg. 78, 2003, Heft 12, S. 581 ff.
- ↑ Kupfer, Herbert auf der Internetseite der Ingenieurfakultät Bau Geo Umwelt der Technische Universität München (bgu.tum.de), abgerufen am 19. April 2022.
- ↑ Wem gehört das Bödele? Eine Kulturlandschaft verstehen. Ausstellungskatalog. Hrsg. Nikola Langreiter, Petra Zudrell. Residenz Verlag, Salzburg 2020, ISBN 978-3-7017-3511-2, S. 294.
- ↑ Rüsch-Forschungspreis. In: betonverein.de. Deutscher Beton- und Bautechnik-Verein e.V., Berlin, abgerufen am 18. April 2022.
- ↑ Vgl. Werner Matt: Die Fabrikantenfamilie Rüsch. In: Rüsch Werke Dornbirn. Der bedeutendste Metallbetrieb Vorarlbergs im Industriezeitalter. Hrsg. Klaus Fessler, Werner Matt. Stadtarchiv Dornbirn, Dornbirn 2017, ISBN 978-3-901900-53-2, S. 1–33, hier S. 27 ff., auf Seite 27 Abbildung mit Stammbaum von Hubert Rüsch und seinen Geschwistern.
- ↑ Inschriften auf der Grabplatte des Rüsch-Familiengrabs in Dornbirn, Friedhof Markt, Arkade 19. Abbildung: Rüsch Werke Dornbirn. Der bedeutendste Metallbetrieb Vorarlbergs im Industriezeitalter. Hrsg. Klaus Fessler, Werner Matt. Stadtarchiv Dornbirn, Dornbirn 2017, ISBN 978-3-901900-53-2, S. 30.
Personendaten | |
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NAME | Rüsch, Hubert |
KURZBESCHREIBUNG | deutscher Bauingenieur |
GEBURTSDATUM | 13. Dezember 1903 |
GEBURTSORT | Dornbirn |
STERBEDATUM | 17. Oktober 1979 |
STERBEORT | München |