Il Milione
Il Milione (deutsche Übersetzung: Der Milione) ist der Titel der toskanischen Handschriften und späterer italienischer Drucke einer Ende des 13. Jahrhunderts entstandenen Beschreibung von Marco Polos Reise in den Fernen Osten.
Name
Milione war eventuell die Kurzform des Spitznamens der Polo-Familie Emilione. Die Bezeichnung ist jedoch nicht letztgültig geklärt: Gemeinhin pflegt man sie auch als Anspielung der Zeitgenossen auf Polos wenig glaubwürdig erscheinende Berichte von den sagenhaften Schätzen des Orients zu deuten. Das Buch ist auch bekannt als Le meraviglie del mondo oder Devisement du monde (deutsch: Die Wunder der Welt oder Erzählung der Welt).[1]
Der Titel der ursprünglichen Handschrift des Werkes war französisch und lautete vermutlich Le livre de Marco Polo citoyen de Venise, dit Million, où l'on conte les merveilles du monde („Das Buch des Marco Polo, Bürger der Stadt Venedig, genannt Milione, worin von den Wundern der Welt berichtet wird“).
Entstehung
Nach einem mündlichen Bericht Polos wurde sein Reisebericht zwischen September 1298 und Juli 1299 von Rustichello da Pisa (auch Rusticiano da Pisa) in altfranzösischer Sprache aufgezeichnet. Die beiden Männer waren angeblich 1298 nach der Seeschlacht bei Curzola in Genueser Gefangenschaft geraten. Während der gemeinsamen Haft, in dem als Gefängnis genutzten Palazzo San Giorgio[2], soll Polo seinem Mitgefangenen, der sich zuvor bereits als Sammler und Herausgeber bretonischer Ritterepen hervorgetan hatte, die Erinnerungen an seine Reiseerlebnisse diktiert haben. Die Verwendung der französischen Sprache im italienischen Sprachraum zur Herstellung von Schriftlichkeit wäre dabei nichts Ungewöhnliches gewesen. Auf der verlorengegangenen Urschrift basieren circa 150[3] spätere, mitunter stark verfälschte Manuskripte. Erst die moderne Literaturwissenschaft unternahm es, so weit wie möglich den ursprünglichen Text wiederherzustellen, der dann 1928 in rekonstruierter Form veröffentlicht wurde.
Analyse
Das Werk, das an Umfang, Anzahl bereister Länder und Genauigkeit die anderen mittelalterlichen Reiseberichte übertrifft, ist kein chronologischer Reisebericht, der Ablauf der beiden Reisen wird nur im Prolog geschildert.[4] In den einzelnen Kapiteln werden jeweils geographische Angaben gemacht zu Ländern und Städten, die lokalen Produkte geschildert, Sitten und Sozialformen, historische Begebenheiten und Kuriositäten, wobei Marco Polo sich mehr für das Alltagsleben der Bewohner als die Natur interessiert. Obwohl das Werk ein weitgehend sachlicher Reisebericht ist, enthält es auch bluttriefende Erzählungen von Schlachten, anschauliche Beschreibungen prunkvoller Paläste, zauberhafter Gärten mit fremdartigen Blumen, feierlicher Zeremonien, Götzen und Potentaten. Mit seinen Erzählungen hat Polo ein Werk geschaffen, das sich durchaus mit den französischen Ritterromanen vergleichen lässt. Ein Höhepunkt des Buchs ist die Episode vom „Alten vom Berge“, der in abgewandelter Form bis in die neuere Zeit hinein mannigfaltige Interpretationen erfahren hat. Von historischem Wert ist besonders die Erzählung vom Leben in der prunkvollen Sommerresidenz des großen Khans, sowie über Bräuche des alten chinesischen Kaiserreichs. Der Autor bleibt dabei stets dezent im Hintergrund. Seine Verzauberung durch die fremdartige Umgebung ist aber fortwährend spürbar.
Bedeutung des Werkes
Von Polos Zeitgenossen wurde sein Werk vielfach als Märchensammlung verkannt. Für das nachfolgende Zeitalter der Entdecker besaß es aufgrund der Fülle der in ihm enthaltenen geographischen und ethnographischen Angaben jedoch einen hohen Wert. So hatte Christoph Kolumbus eine Abschrift des lateinischen Reiseberichts in Besitz, die er mit zahlreichen Anmerkungen versah.[5]
Die Glaubwürdigkeit der Berichte Marco Polos ist in der Geschichtsforschung allerdings bis heute umstritten.[6]
Kritische Textausgaben
Bis heute grundlegend für die Franco-italienische Fassung F (erhalten in der Handschrift Paris, B.N. fr. 1116) ist die sogenannte Edizione integrale von Luigi Foscolo Benedetto, Marco Polo: Il milione, prima edizione integrale, a cura di Luigi Foscolo Benedetto, sotto il patronato della città di Venezia. (= Comitato geografico nazionale italiano. Publicazione Nr. 3). L. S. Olschki, Florenz 1928. Berücksichtigenswert sind außerdem die folgenden Ausgaben:
- Revidierte Ausgabe von Benedettos Edition der Version F und der toskanischen Version TA
Gabriella Ronchi: Marco Polo, Milione. Le divisament dou monde. Il Milione nelle redazioni toscana e franco-italiana. mit einem Vorwort von Cesare Segre, Mondadori, Mailand 1982. - Toskanische Fassung TA („Ottimo“)
Valeria Bertolucci Pizzorussa: Marco Polo, Milione. Versione toscana del Trecento. 2. verbesserte Ausgabe, Adelphi, Mailand 1982. - Lateinischer Text der Handschrift Z
Alvaro Barbieri: Marco Polo, Milione: redazione latina del manoscritto Z, versione italiana a fronte. Fondazione Pietro Bembo, Mailand; Guanda, Parma; 1998, ISBN 88-8246-064-9. - Venezianische Fassung VA3 Basishandschrift
Alvaro Barbieri, Alvise Andreose: Il Milione veneto: ms. CM 211 della Biblioteca civica di Padova. Marsilia, Venedig 1999, ISBN 88-317-7353-4. - Französische Fassung Fr („Grégoire“)
Philippe Ménard (leitender Herausgeber): Marco Polo, Le devisement du monde (= Textes littéraires français. Band 533, 552, 568, 575, 586) Droz, Genf 2001–2006, 5 Bände, ISBN 2-600-00479-3, ISBN 2-600-00671-0, ISBN 2-600-00859-4, ISBN 2-600-00920-5, ISBN 2-600-01059-9. - Lateinische Fassung von Francesco Pipino da Bologna P
Justin V. Prášek: Marka Pavlova z Benátek Milion: Dle jediného rukopisu spolu s přislušnym základem latinskym. Česká akademie věd a umění, Prag 1902.
Moderne Übersetzungen
- Die Wunder der Welt - Il Milione G. Basierend auf der franko-italienischen Fassung F und einigen Passagen des lateinischen Zelada-Manuskripts Z, Nachwort von Elise Guignard (= Insel-Taschenbuch Bd. 2981). Insel-Verlag, Frankfurt am Main/ Leipzig 2009, ISBN 978-3-458-34681-4.
Siehe auch
Weblinks
Einzelnachweise
- ↑ Livre qui est appelé le Divisiment dou monde. - online Auf: gallica.bnf.fr; abgerufen am 30. Oktober 2020.
- ↑ Internationale Kolumbus-Ausstellung in Genua 1951. In: Universitas. Band 6, Nr. 2, 1951, S. 825–827.
- ↑ Dietmar Rieger: Marco Polo und Rustichello da Pisa. Der Reisende und sein Erzähler. In: Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit. Rodopi, Amsterdam 1992, ISBN 90-5183-325-3, S. 289
- ↑ Tucci: Marco Polo. In: Robert Auty u. a.: Lexikon des Mittelalters. Band 7: Planudes bis Stadt (Rus'). Deutscher Taschenbuch Verlag, München/ Stuttgart 2003, ISBN 3-423-59057-2, Spalte 71.
- ↑ Gerlinde Tamerl: Der falsche Reiseführer für die neue Welt - Innsbrucker Wissenschafter erforschen den berühmten Marco-Polo-Reisebericht, müssen dabei aber schwierige Aufgaben bewältigen. - Tiroler Tageszeitung Online Auf: tt.com, letztes Update: 14. Januar 2020; zuletzt abgerufen am 3. Juli 2021.
- ↑ Frances Wood: Marco Polo kam nicht bis China. Secker & Warburg, London 1995, ISBN 3-492-03886-7.