Islam in Armenien

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Der Basar von Eriwan mit der großen Moschee (um 1875)

Der Islam galt über Jahrhunderte hinweg neben Christentum als eine der vorherrschenden Religionen auf dem Territorium des heutigen Armeniens. Eine dominante Rolle spielte der Islam vor allem ab dem 18. Jahrhundert mit der Gründung des Khanats Jerewan.[1]

Islamisierung

Islam begann im siebten Jahrhundert in das Territorium des heutigen Armeniens einzudringen. Arabische und später kurdische Stämme begannen sich nach den ersten arabischen Invasionen im 7. Jahrhundert in Armenien niederzulassen und spielten eine bedeutende Rolle im politisch-sozialen Leben des Landes in folgenden Jahrhunderten.[2] Um ihre Macht zu stärken und den Islamisierungsprozess zu beschleunigen, siedelten die arabischen Kalifen in neu besetzten Gebieten arabische Stämme an.[3] Die islamisch-muslimischen Elemente in armenisch besiedelten Territorien erstarkten sich allerdings erst mit den Eroberungszügen der türkischstämmigen Seldschuken im 11. Jahrhundert. Mit dem Sieg über Byzantinisches Reich in der Schlacht bei Manzikert 1071 brachten Seldschuken große Teile Anatoliens und Armenien unter ihre Kontrolle.[4] Mit mongolisch-tatarischer Invasion im 13. Jahrhundert und dem Feldzug von Timur im 14. Jahrhundert zogen weitere türkische Stämme aus Zentralasien nach Transkaukasien.[5] Ende des 16. bis Anfang des 17. Jahrhunderts wurde das heutige Armenien (vor allem die Provinz Eriwan) zusätzlich noch durch vier Turkstämme – Üstadschli, Alpout, Bayat und Kadscharen bevölkert.[6]

Kulturelles Erbe

Zum Zeitpunkt des Zweiten Russisch-Persischen Krieges (1826–1828) belief sich die Bevölkerungszahl des Khanats Jerewan (Eriwan) auf 107.000 Menschen, darunter 87.000 Muslime (überwiegend Aserbaidschaner). Laut statistischen Daten der Zarenverwaltung, die 1831, d. h. erst drei Jahre nach dem Kriegsende veröffentlicht wurden, ging die Anzahl der muslimischen Bevölkerung in nur kürzester Zeit bis auf 50.000 zurück. Dennoch blieb u. a. die Stadt Eriwan mehrheitlich muslimisch.[7] Nahezu alle Moscheen in Eriwan, die bis 16. Jahrhundert errichtet worden waren, wurden während osmanisch-safawidischer Kriege zerstört, als die Stadt im Zuge kriegerischer Auseinandersetzungen von Hand zu Hand ging.[8] Nach der Einnahme der Stadt durch russische Truppen wurde die 1582 von Türken errichtete Festungsmoschee auf Anweisung des Generals Iwan Paskewitsch in eine russisch-orthodoxe Kirche umgewandelt. Die nach der Fürbitte des Heiligen Muttergottes genannte Kirche wurde am 6. Dezember 1827 eingeweiht.[9] Gemäß statistischem Bericht der Kaukasischen Statthalterschaft des Zarenreichs aus dem Jahr 1870 gab es im Gouvernement Eriwan insgesamt 269 schiitisch islamische Gotteshäuser, die meisten davon auf dem Gebiet des heutigen Armeniens.[10]

Jean-Marie Chopin erwähnt acht Moscheen, die allein Eriwan Mitte des 19. Jahrhunderts beherbergte:

  • Eriwan mit seinen Moscheen und Minaretten bei der Einnahme durch russische Truppen 1827. Gemälde von Franz Roubaud
    Abbas-Mirza-Moschee
  • Mohammed-Chan-Moschee
  • Sali-Chan-Moschee
  • Schah-Abbas-Moschee
  • Nowrus-Ali-bek-Moschee
  • Blaue Moschee
  • Sartip-Chan-Moschee
  • Hadschi-Dschafar-bek Moschee[11]

N.I.Woronow geht von insgesamt 60 Moscheen in der Ujesd Eriwan (eine kleinere Verwaltungseinheit innerhalb des Gouvernements Eriwan) aus.[12] Der Archäologe Philipp L. Kohl richtete dabei in seinen Untersuchungen die Aufmerksamkeit auf die auffallend geringe Anzahl von muslimischen Kulturdenkmälern in Armenien, obwohl Muslime (Aserbaidschaner, Perser, Kurden) hier bis zum Vertrag von Turkmentschai die überwiegende Mehrheit gebildet hätten: „Unabhängig davon, welchen Statistiken zur demographischen Situation man sich auch zuwendet, besteht kein Zweifel, dass in dieser Region eine Großzahl materieller Denkmäler des Islam hätten existieren sollen. Ihre fast vollständige Abwesenheit kann heute kein Zufall sein.“[13]

Aserbaidschaner

Um die Wende zum 20. Jahrhundert lebten in Eriwan dem Enziklopeditscheski slowar Brockhaus-Efron zufolge 29.000 Menschen, die zu 4 % aus Aserbaidschanern, 48 % aus Armeniern und 2 % aus Russen bestanden.[14] Gemäß der antireligiösen Ausrichtung der Sowjetideologie wurden nach der Etablierung der kommunistischen Herrschaft in Armenien viele islamische Einrichtungen demoliert, andere ähnlich wie die armenischen Kirchen geschlossen.[15]

Durch den Erlass „Über die Umsiedlung von Genossenschaftsbauern und anderer Bevölkerung aus der Armenischen SSR in die Kura-Aras-Niederung der Aserbaidschanischen SSR “ vom 23. Dezember 1947 verloren etwa 150.000 Aserbaidschaner zwischen 1948 und 1953 ihre Heimatorte in Armenien und wurden nach Zentral-Aserbaidschan zwangsumgesiedelt. Deren Häuser besetzten die Armenier aus der Diaspora (überwiegend aus Syrien, Irak und Iran).[16] Dadurch bedingt ging die Anzahl der aserbaidschanischen Bevölkerung in Armenien drastisch zurück. Allein in Jerewan sank deren Anteil 1959 bis auf 0,7 Prozent.[17]

Die Überreste der Abbas-Mirza Moschee in Jerewan (1925). Fotograf Fridtjof Nansen

Mit erneutem Aufflammen des Bergkarabach-Konfliktes Ende der 1980er Jahre flohen etwa 200.000 Aserbaidschaner, die noch 1988 in Armenien lebten und somit die größte ethnische Minderheit bildeten, nach Aserbaidschan bzw. wurden vertrieben.[18] Um die verbliebenen Relikte des kulturreligiösen Erbes der Aserbaidschaner vom Stadtbild Jerewans zu entfernen, wurde im Jahre 1990 eine der letzten und von Aserbaidschanern benutzte Moschee in der Vardanants Str. 22 abgerissen, weil diese, wie Thomas de Waal anmerkt, anders als Blaue Moschee nicht als „persisch“ klassifiziert werden konnte. Die Bezeichnung der Blauen Moschee als persisch wird währenddessen als linguistische Beseitigung der aserbaidschanischen Vergangenheit seitens der Armenier interpretiert, da die meisten Besucher dieses Gotteshauses einst Aserbaidschaner waren.[19]

Kurden

Die massenhafte Ansiedlung der Kurden in Armenien und anderen Territorien des südlichen Kaukasus durch osmanische Sultane begann ab Ende des 16. Jahrhunderts.[20] Als ethnische Minderheit bekamen sie erst mit der Gründung der Demokratischen Republik Armenien 1918 politische Rechte. Ein Vertreter der Kurden wurde ins armenische Parlament gewählt. In der armenischen Armee dienten kurdische Offiziere und stellten kurdische Freiwilligeneinheiten auf.[21] Während stalinistischer Säuberungen wurden Tausende Kurden im Jahr 1937 aus Armenien nach Zentralasien zwangsdeportiert.[22]  Zwischen 1939 und 1959 wurden viele Kurden von der Sowjetmacht entweder als Aserbaidschaner oder Armenier aufgelistet.[23]

Die negativen Folgen des Bergkarabach-Konfliktes zwischen Armenien und Aserbaidschan trafen auch die kurdisch besiedelten Gebiete hart, insbesondere auf der armenischen Seite. Aufgrund ihrer kulturellen Nähe zu Aserbaidschanern erfuhren muslimische Kurden in Armenien Diskriminierungen und mussten Ende der 1980er Jahre nach Aserbaidschan oder in den russischen Nordkaukasus fliehen (insgesamt 18.000 Menschen).[24] Mit der Eroberung aserbaidschanischer Städte Laçın und Kəlbəcər durch armenische Truppen wurde die kurdische Bevölkerung aus den genannten Provinzen vertrieben.[25] 80 Prozent von ihnen ließen sich als Binnenvertriebene in Flüchtlingslagern von Ağcabədi in Aserbaidschan nieder.[26]

Blaue Moschee, Jerewan

2001 lebten in Armenien etwas mehr als 1500 muslimische Kurden.[27]

Gegenwart

Armenien gilt heutzutage als das monoethnischste Land im gesamten post-sowjetischen Raum, wo Armenier 98 Prozent der Landesbevölkerung ausmachen, gefolgt von Jesiden (1,2 %) und weiteren ethnischen Gruppen (0,8 %).[28] Der Anteil der Muslime ist schwindend gering und liegt der letzten Volkszählung aus dem Jahr 2011 zufolge bei lediglich 812 Personen (0,027 % der Gesamtbevölkerung).[29]

Die auf Initiative und mit direkter finanzieller Unterstützung des Irans zwischen 1996 und 1999 restaurierte Blaue Moschee ist die einzig erhaltene schiitisch-islamische Einrichtung in Armenien, die die politischen Turbulenzen des 19. und 20. Jahrhunderts überstanden hat. Sie wird hauptsächlich von iranischen Staatsbürgern, die in Armenien beruflich tätig sind oder als Touristen kommen, genutzt und wurde von der armenischen Regierung im Oktober 2015 für 99 Jahre dem iranischen Staat verpachtet.[30]

Weblinks

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Einzelnachweise

  1. George Bournoutian: Eastern Armenia in the Last Decades of Persian Rule 1807–1828: A Political and Socioeconomic Study of the Khanate of Erevan on the Eve of the Russian Conquest. Undena Publications, 1982, ISBN 978-0-89003-122-3, S. 74.
  2. Aram Ter-Ghevondyan: The Arab Emirates in Bagratid Armenia. Translated by Nina Garsoian. Hrsg.: Calouste Gulbenkian Foundation. Lisbon 1976.
  3. Л.Б.Алаев, К.З.Ашрафян: История Востока. Восток в средние века. Band 2. «Восточная литература» РАН, Москва 2002, ISBN 5-02-017711-3.
  4. Dimitri Korobeinokov: Raiders and Neighbours. The Turks (1040-1304), in: The Cambridge History of the Byzantine Empire, ca. 500-1492. Hrsg.: Jonathan Shepard. Cambridge University Press, Cambridge 2008, S. 692–727.
  5. Л.Б.Алаев, К.З.Ашрафян: История Востока. Восток в средние века. Band 2. «Восточная литература» РАН, Москва 2002, ISBN 5-02-017711-3.
  6. Петрушевский Илья Павлович: Очерки по истории феодальных отношений в Азербайджане и Армении в XVI - начале XIX вв. Изд-во Ленинградского Государственного Ордена Ленина Университета им. А.А. Жданова, Ленинград 1949, S. 58. und 74.
  7. Richard Hovannisian: The Armenian People: From Ancient to Modern Times, Volume I: The Dynastic Periods: From Antiquity to the Fourteenth Century; Volume II: Foreign Dominion to Statehood: The Fifteenth Century to the Twentieth Century. St. Martin's Press, New-York 1997, ISBN 978-0-312-10168-8, S. 112. und 493.
  8. electricpulp.com: EREVAN – Encyclopaedia Iranica. Abgerufen am 2. März 2018 (englisch).
  9. Потто Василий Александрович: Кавказская война. Персидская война 1826–1828 гг. Band 3. Издательство «Центрполиграф», Москва 2000, ISBN 5-4250-8099-9, S. 359.
  10. Главное Управление Наместника Кавказского: 1869. Кавказский календарь на 1870 год. Tипография Главного Управления Наместника Кавказского., Тифлис 1869.
  11. Chopin, Jean-Marie: Исторический памятник состояния Армянской области в эпоху ея присоединения к Российской империи. Типография императорский Академии Наук, Санкт -Петербург 1852, S. 468.
  12. Н. И. Воронов.: Сборник статистических свѣдѣній о Кавказѣ. Императорское русское географическое общество. Кавказскій отдѣл., Санкт-Петербург 1869, S. 71.
  13. Philip L. Kohl/Clare P. Fawcett: Nationalism, Politics and the Practice of Archaeology. Cambridge University Press, Cambridge 1995, ISBN 978-0-521-55839-6, S. 155.
  14. Энциклопедический словарь Брокгауза и Ефрона 1890-1907: Эривань. Abgerufen am 2. März 2018 (russisch).
  15. Markus Ritter: The Lost Mosque(s) in the Citadel of Qajar Yerevan: Architecture and Identity, Iranian and Local Traditions in the Early 19th Century. Hrsg.: Iran and the Caucasus. Vol. 13, Nr. 2, 2009, S. 244.
  16. Vladislav Zubok: A Failed Empire: The Soviet Union in the Cold War from Stalin to Gorbachev. University of North Carolina Press, Chapel Hill/London 2007, ISBN 978-0-8078-3098-7, S. 58.
  17. Lenore A. Grenoble: Language Policy in the Soviet Union. Springer Science & Business Media/Kluwer Academic Publishers, 2003, ISBN 978-1-4020-1298-3, S. 135.
  18. International Protection Considerations Regarding Armenian Asylum-Seekers and Refugees. (PDF) (Nicht mehr online verfügbar.) United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), 2003, archiviert vom Original am 16. April 2014; abgerufen am 3. März 2018 (englisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.ecoi.net
  19. Thomas de Waal: Black Garden: Armenia and Azerbaijan Through Peace and War. 10th-year of Anniversary Edition, Revised and Updated. New-York University Press, New-York/London 2013, S. 80–81.
  20. Lia Evoyan/Tatevik Manukyan: Religion as a factor in Kurdish identity discource in Armenia und Turkey. In: Ansgar Jödicke (Hrsg.): Religion and Soft power in the South Caucasus. 2017, ISBN 978-1-138-63461-9, S. 150.
  21. Гажар Аскеров: Курдская диаспора в странах СНГ. Бишкек 2005, S. 48.
  22. Lokman I. Meho and Kelly L. Maglaughlin: Kurdish Culture and Society: An Annotated Bibliography. Greenwood Press, Westport, Connecticut/London 2001, ISBN 0-313-31543-4, S. 22.
  23. Alexandre Bennigsen and S. Enders Wimbush: Muslims of the Soviet Empire. A Guide. C.Hurst and Company, London 1985, ISBN 1-85065-009-8, S. 210.
  24. Thomas de Waal: Black Garden: Armenia and Azerbaijan through Peace and War. New-York University Press, New-York/London 2003, ISBN 0-8147-1944-9, S. 304.
  25. Azerbaijan. Seven Years of Conflict in Nagorno-Karabakh. (PDF) Human Rights Watch/Helsinki, Dezember 1994, abgerufen am 3. März 2018 (englisch).
  26. Ариф Юнусов: Этнический состав Азербайджана (по переписи 1999 года). 12. März 2001, abgerufen am 3. März 2018 (russisch).
  27. Europe MRG Directory. Armenia. (PDF) Minority Rights Group International. World Directory of Minorities, abgerufen am 3. März 2018 (englisch).
  28. The Major Ethnic Groups Of Armenia. In: WorldAtlas. (worldatlas.com [abgerufen am 3. März 2018]).
  29. Sevak Karamyan: Armenia. Muslim Populations. In: Jørgen Nielsen,Samim Akgönül,Ahmet Alibašić,Egdunas Racius (Hrsg.): Yearbook of Muslims in Europe. Band 6. Brill, Leiden/Boston 2014, S. 36.
  30. Антон Евстратов: Голубая мечеть в Ереване — центр городской истории и персидской культуры. (Nicht mehr online verfügbar.) Archiviert vom Original am 6. März 2018; abgerufen am 3. März 2018 (russisch).  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/iransegodnya.ru