Ost-Jerusalem unter jordanischer Besatzung

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Grenze in Jerusalem mit von den Israelis aufgestellter Warnung, 1951[1]

Ost-Jerusalem unter jordanischer Besatzung beschreibt die Jordanisierung Ostjerusalems während der neunzehnjährigen Besatzungszeit Jordaniens zwischen dem Palästinakrieg 1948 und dem Sechstagekrieg 1967.[2] Es war die Phase der Militärbesatzung der 1948 eroberten Gebiete des Westjordanlandes.

Beschreibung der Ereignisse

Die jordanische Armee hatte im Vergleich zu anderen arabischen Armeen im ersten israelisch-arabischen Krieg relativ erfolgreich agiert.[3] Das Jüdische Viertel der Jerusalemer Altstadt wurde am 18. Mai 1948[3] von ihr eingenommen, worauf sich die Kampfhandlungen auf Latrun[3] konzentrierten, das die israelische Armee befestigte, auch wenn es laut dem UN-Teilungsplan für Palästina (1947) dem arabischen Staat zugeteilt war. Dort erfolgte die Verteidigung der Straße zwischen Jerusalem und Tel Aviv. Israelische Einheiten begannen auf Anweisung David Ben-Gurions und gegen[3] den Rat seiner Generäle am 25.[3] und 30. Mai[3] und am 9. Juni[3] 1948 drei erfolglose Angriffe gegen die Arabische Legion. Ostjerusalem verblieb danach unter der Kontrolle Jordaniens.

König Abdallah ibn Husain I. erhoffte sich einen beträchtlichen Prestigegewinn durch die Aneignung der drittheiligsten Stätten des Islam. Dieses Prestige gab Transjordanien den nötigen Rückhalt zur Ausrufung seiner Eigenstaatlichkeit als Haschimitisches Königreich Jordanien im Januar 1949. Die Einsetzung Abdallahs wurde mit beabsichtigter symbolischer Wirkung in Jericho[4] vollzogen, das genau zwischen Jerusalem und Amman liegt. Dem nationalen Anspruch der Palästinenser, vertreten durch die Regierung des All-Palestine Government,[5] stand Abdallah ablehnend gegenüber, im Vordergrund stand für ihn die „Arabische Einheit“,[4] Jordanien sah er als deren Präfiguration.[4] So wie Israel hatte auch Jordanien den im Teilungsplan der Vereinigten Nationen vorgeschlagenen internationalisierten Status eines Corpus separatum[6] für Jerusalem abgelehnt.[6] Der Historiker Joseph Nevo legte dar,[5] dass Abdallah vielmehr versuchte, den Eindruck zu erwecken, der Wunsch einer Vereinigung des Westjordanlands mit Transjordanien gehe vom Volk aus, worauf der Monarch dies großzügig zu gewähren beabsichtigte, wogegen sich auf der Großveranstaltung in Jericho hauptsächlich die Notabeln aus Jerusalem[5] und Ramallah[5] widersetzten. Das Westjordanland war jedoch dem transjordanischen Teil Jordaniens in wirtschaftlicher Entwicklung und Verbreitung der Lesefähigkeit[5] stark überlegen. Abdallah, der nach Erkenntnis der Historiker auf geheime Abmachungen mit der Jewish Agency, insbesondere mit Golda Meir im November 1947 und in Amman am 10. Mai 1948,[7] zählen konnte,[6][8][9] veröffentlichte im März 1950[10] einen königlichen Erlass zum Verbot[10][6] der Bezeichnung Palästina in allen Landkarten und Verlautbarungen. Am 15. Mai 1950[11] verurteilte die Arabische Liga in einer Erklärung die Annexion vom 16. Dezember 1949.[12]

Israels Minister Mosche Scharet berichtete: „Der König von Transjordanien sagt, er wolle sofortigen Frieden. Wir antworten natürlich, dass auch wir Frieden wollen, aber dass wir nicht rennen, sondern gehen sollten.“[8] Um das Gebiet politisch zu integrieren erhielt die Bevölkerung 1954[11] die jordanische Staatsbürgerschaft,[5][13][6] Reisebeschränkungen[5] und Zollschranken[5] wurden abgeschafft. 60 %[14] aller Jordanier waren nun Flüchtlinge aus Palästina. John Bagot Glubb, ein britischer Offizier im Dienst Jordaniens, klagte, das besonnene und aufgeklärte Wesen Jordaniens sei von Hass getrübt worden.[14] Jerusalem erlebte einen politischen Bedeutungsverlust, erst 1951[4] fanden Wahlen statt. Der gewählte Bürgermeister Aref al-Aref[4] wurde bald wieder abgesetzt, während Raghib al-Naschaschibi,[4] Jerusalems Bürgermeister von 1920 bis 1934, das ehrenvolle aber politisch unbedeutende Amt des Hüters der beiden Harams (Jerusalem und Hebron) erhielt. Nachdem Abdallah am 20. Juli 1951[8] durch den al-Husseini verbundenen[7] 21-jährigen Schneider Abid Ukah[14] in Jerusalem ermordet worden war, wuchs die bereits vorhandene Abneigung der Jordanier gegen Jerusalem, das als potentiell gefährlich galt. Bauvorhaben für alle Bewohner wurden verzögert oder ganz untersagt, das Bauland blieb ungenutzt, um das Wachstum Jerusalems zu verlangsamen.[4]

Die Lage der religiösen Minderheiten war unterschiedlich, während Juden in Folge der Kampfhandlungen Ostjerusalem verlassen hatten und ihre religiösen Einrichtungen dem Zerfall überlassen wurden, bemühte sich die jordanische Verwaltung um gute Beziehungen zu den Christen. Der Bischof der koptischen Christen krönte den jordanischen Monarchen zum „König von Jerusalem“.[15] Jordanien bemühte sich ab 1951 auch zunehmend, aus der Kontrolle über Jerusalem als religiöser Stätte des Islam die angestrebte politische Dividende zu beziehen. So tagte 1953,[9] 1960[9] und 1961[9] der Islamische Weltkongress in der Stadt. Die christlichen Gemeinden, die im Zuge der Kapitulationen des Osmanischen Reiches bis zur Jungtürkischen Revolution 1908 jahrhundertelang gegenüber den Muslimen eine zunehmend[16] privilegierte Stellung eingenommen hatten und deren Rechte danach ab 1917 das britische Mandat geschützt hatte, sahen sich nun erstmals größeren Eingriffen in die Autonomie der Gemeinschaften ausgesetzt.

Die reiche Christin Katy Antonius[15] kehrte zurück und eröffnete ein Waisenhaus in der Altstadt. Die Gastgeberin von Veranstaltungen der gesellschaftlichen Elite erklärte martialisch: „Vor dem jüdischen Staat kannte ich viele Juden in Jerusalem. Heute schlage ich jedem Araber ins Gesicht, der versucht, mit einem Juden Geschäfte zu machen. Wir haben die erste Runde verloren, aber nicht den Krieg.“[15] Jordanien unterstützte die prowestliche Exilkirche mit Sitz in New York und übergab ihr die Immobilien der russisch-orthodoxen Gemeinde, Israel unterstützte die sowjetische Moskauer Kirche.[15] Der US-Vizekonsul Eugene Bird riet der CIA 80.000 US-Dollar[15] für Arbeiten an der russisch-orthodoxen Maria-Magdalena-Kirche auszulegen, um damit Moskau zuvorzukommen.

Neben neu eingeführten administrativen Erschwernissen für arabische Christen und Vertreter ausländischer Kirchen im Alltag (Unterstellung christlicher Schulen unter die staatliche Aufsicht,[9] Grundstück- und Immobilienkaufbegrenzung[9]), die 1953,[9] bei Einführung der Gesetze, deutliche Protestbekundungen jordanischer und ausländischer Christen auslösten, suchte die jordanische Verwaltung jedoch auch die konstruktive Zusammenarbeit mit den religiösen Funktionsträgern und vermittelte[15] zwischen diesen 1961[9] im Hinblick auf die geplante Restaurierung der Grabeskirche. 1964 wurde in Jerusalem Papst Paul VI.[9] von Prinz Muhammad[15] und Prinzessin Firyal[15] im Beisein von Anwar Nusseibeh[15] feierlich empfangen. Zu dem Anlass war ihre seit Jahrhunderten bleigraue Kuppel neu vergoldet[15] worden. Der griechisch-orthodoxe Patriarch verweigerte[15] dem Papst ein schriftlich eingereichtes Gesuch, in der Golgatha-Kapelle beten zu dürfen.

Die christliche Bevölkerung Jerusalems sank von rund 17.000[9] in der Mitte der 1950er-Jahre auf etwa 12.000[9] im Jahr 1967. Der Historiker Mark Tessler schreibt: „Andererseits wurden heilige Stätten des Christentums stets mit Respekt behandelt und ihrem Betrieb und Unterhalt wurden keine nennenswerten Hindernisse in den Weg gelegt.“[9] 1965 wurde der aus einer alten Jerusalemer Notabelnfamilie stammende jordanische Politiker Anwar Nusseibeh[15] zum Gouverneur und Hüter der heiligen Stätten des Islam ernannt. An Ostern[15] besuchte er mit seiner Familie jeweils die Grabeskirche. Die arabische Elite wohnte im Stadtteil Scheich Dscharrah, wo sie ihre Villen besaß.[15] Die amerikanische Kolonie, einstige Niederlassung millenaristischer Christen, wurde von Bertha Spafford[15] zum edlen American Colony Hotel[15] umgewandelt, doch meinte der US-Vizekonsul Eugene Bird: „Die akzeptable Gesellschaft beschränkte sich auf etwa 150 Leute.“[15]

Im Gegensatz dazu war das Verhältnis der jordanischen Verwaltung zu jüdischen Israelis und ausländischen Juden von negativen Gefühlen bestimmt. Im Zuge der Kriegshandlungen waren 22[15] von 27[15] Synagogen zerstört worden. So wurde die Hurva-Synagoge am 26. Mai 1948[15] von Mitgliedern der Arabischen Legion[15] gesprengt. Der Friedhof auf dem Ölberg wurde wiederholt Ziel von Vandalen[9][15] und Grabsteine waren als Baumaterial[9] abtransportiert wurden. Ein Straßenbauprojekt für das Intercontinental Hotel[9] wurde zur Entrüstung jüdischer Kommentatoren durch den Friedhof geführt, was zu Zerstörung führte und die Totenruhe verletzte. Jordanien verweigerte Juden den Zugang zur Westmauer (Klagemauer)[9][15] und teilweise auch zur Berg-Skopus-Exklave,[9] wo sich weiterhin Institutionen der Hebräischen Universität Jerusalem[13] befanden und die unter israelischer Kontrolle verblieb. Als schmerzvoll empfunden wurde von Juden, dass die Westmauer damit erstmals seit der Niederlage der Kreuzfahrer um 1187[15] für sie unerreichbar war. Christlich-arabische Israelis hatten limitierten Zugang nach Ost-Jerusalem an hohen Feiertagen,[9] jüdischen und muslimischen[9] Israelis war die Einreise in jordanisches Gebiet ganz untersagt. Der einzige Grenzübergang war das nach dem einst dort ansässigen Hausbesitzer und Strumpffabrikanten Simchah Mandelbaum[15] benannte Mandelbaumtor,[15] das jedoch kein Tor, sondern nur ein Kontrollpunkt war. Von 1948 bis 1967 waren auch in der Altstadt alle anderen Durchgänge zugemauert. Die bis ins Frühjahr 1949 errichteten Absperrungen aus Stacheldraht[6] und Beton-Mauern[6] mit befestigten Kontrollpunkten[6] zerteilten Jerusalem in zwei Hälften.

Im Sechstagekrieg 1967 besetzte Israel das Westjordanland. Ostjerusalem, mit damals rund 70.000 arabischen Einwohnern, wurde durch ein am 27. Juni 1967 von der Knesset verabschiedetes Gesetz annektiert.[13] Die Bevölkerung erhielt Zugang zu sozialstaatlichen Leistungen[13] Israels, sie behielt ihre jordanische Staatsbürgerschaft. Im Zuge der Ersten Intifada verzichtete Jordanien im Juli 1988[13] auf seine Ansprüche zugunsten der PLO.

Einzelnachweise

  1. Tom Segev: Die ersten Israelis – Die Anfänge des jüdischen Staates. 2. Auflage. Pantheon Verlag (Random House), München 2010, ISBN 978-3-570-55113-4 (Bildteil ohne Paginierung, auf die Seite 208 folgend; englischsprachige Originalausgabe: 1949. The First Israelis, Free Press (Macmillian), New York 1986 und überarbeitete Ausgabe bei Owl Books (Henry Holt), New York 1998; übersetzt von Helmut Dierlamm und Hans Freundl).
  2. Ghada Hashem Talhami: The Middle East in turmoil. Nova Publishers, New York 2002, S. 169.
  3. a b c d e f g David Elkaïm: Histoire des guerres d’Israël – De 1948 à nos jours. In: Collection texto. 2. Auflage. Éditions Tallandier, Paris 2019, ISBN 979-1-02103961-2, S. 41 f.
  4. a b c d e f g Vincent Lemire, avec Katell Berthelot, Julien Loiseau et Yann Potin: Jérusalem, histoire d’une ville-monde des origines à nos jours (Kapitel: Jérusalem en Jordanie : le retour en province (1948–1967)). In: Collection Champs histoire. Éditions Flammarion, Paris 2016, ISBN 978-2-08-138988-5, S. 390–394.
  5. a b c d e f g h Philip Robins: A History of Jordan. Cambridge University Press, Cambridge 2004, ISBN 0-521-59895-8, S. 71–74.
  6. a b c d e f g h Martin Bunton: The Palestinian-Israeli Conflict (= Very Short Introduction. Nr. 359). Oxford University Press, Oxford 2013, ISBN 978-0-19-960393-0, S. 58 ff.
  7. a b Luigi Bruti Liberati: Storia dell’impero britannico 1785–1999 – Ascesa e declino del colosso che ha impresso la sua impronta sulla globalizzazione. Giunti Editore/Bompiani, Firenze 2022, ISBN 978-88-301-0585-0, S. 366, 369.
  8. a b c Alain Gresh: Israel-Palästina – Die Hintergründe eines unendlichen Konflikts. 2. Auflage. Rotpunktverlag, Zürich 2002, ISBN 3-85869-245-X, S. 95, 97 (Originalausgabe: Israël, Palestine. Vérités sur un conflict, Librairie Arthème Fayard, Paris 2001; übersetzt von Bodo Schulze).
  9. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s Mark Tessler: A History of the Israeli-Palestinian Conflict. In: Mark Tessler (Hrsg.): Indiana Series in Middle East Studies. 2. Auflage. Indiana University Press, Bloomington and Indianapolis 2009, ISBN 978-0-253-22070-7, S. 326–329 und die Fußnoten S. 871, 874 (Tessler zitiert zu den Geheimverhandlungen zwischen Abdallah und den zionistischen Entscheidungsträgern insbesondere: Itamar RabinovichThe Road Not Taken: Early Arab-Israeli Negotiations, Oxford University Press, New York 1991, S. 111–167; sowie aus: Avi Shlaim: Collusion across the Jordan: King Abdullah, the Zionist Movement, and the Partition of Palestine, Oxford University Press, Oxford 1988).
  10. a b Simha Flapan: The Birth of Israel – Myths and Realities. Croom Helm Publisher, London and Sydney 1987, ISBN 0-7099-4911-1, S. 150.
  11. a b Jean-Claude Lescure: Le conflict israélo-palestinien en 100 questions (Kapitel 28: La Cisjordanie, province jordanienne?). In: Collection Texto. 2. Auflage. Éditions Tallandier, Paris 2021, ISBN 979-1-02104253-7, S. 98 f.
  12. Anne-Laure Dupont, Catherine Mayeur-Jaouen, Chantal Verdeil: Histoire du Moyen-Orient du XIXe siècle à nos jours. In: Collection U Histoire. Éditions Armand Colin, Malakoff 2016, ISBN 978-2-200-25587-9, S. 237.
  13. a b c d e Amnon Cohen, mit Vorwort von Michel Abitbol und Abdou Filali-Ansary: Juifs et musulmans en Palestine et en Israël – Des origines à nos jours. In: Collection Texto/Collection Histoire partagée. 2. Auflage. Éditions Tallandier, Paris 2021, ISBN 979-1-02104776-1, S. 186, 191, 224, 232, 236.
  14. a b c Karl E. Meyer, Shareen Blair Brysac: Faiseurs de Rois – L’invention du Moyen-Orient moderne. Éditions Hozhoni, Lagorce (Ardèche) 2020, ISBN 978-2-37241-058-8, S. 419 f. (Originalausgabe: Kingmakers. The Invention of the Modern Middle East, W. W. Norton & Co., New York/London 2008; übersetzt von Bernard Frume).
  15. a b c d e f g h i j k l m n o p q r s t u v w x y z Simon Sebag Montefiore: Jerusalem – Die Biographie. 4. Auflage. Nr. 17631. Fischer Taschenbuch Verlag, Frankfurt am Main 2014, ISBN 978-3-596-17631-1, S. 676 f., 679, 681, 884, 687 f., 690 (Originalausgabe: Jerusalem. The Biography, Weidenfels & Nicolson, London 2011; übersetzt von Ulrike Bischoff und Waltraud Götting).
  16. Michelle U. Campos: Ottoman Brothers – Muslims, Christians, and Jews in Early Twentieth-Century Palestine. Stanford University Press, Stanford (California) 2011, ISBN 978-0-8047-7068-2, S. 62 ff., 82.