Jans muß sterben

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Jans muß sterben ist eine Erzählung von Anna Seghers, die um 1925 entstand, unter den 1940 in Paris zurückgelassenen Papieren von Pierre Radványi spät entdeckt wurde und 2000 in Berlin erschien.

In dem Text aus dem unfertigen Manuskript im Nachlass der Autorin wird das Sterben eines siebenjährigen Arbeiterjungen aus der Sicht von Mutter, Vater und dem kleinen Jans erzählt.

Inhalt

Jans Jansen treibt sich gern mit gleichaltrigen Jungen unter der Brücke herum, die den Fluss überspannt. Die halsbrecherischen Klettertouren in dem eisernen Bauwerk sind lebensgefährlich, werden aber von den jungen Eltern nicht verboten. Der Vater Martin Jansen arbeitet in der Fabrik. Die Mutter Marie umsorgt die kleine, in beengten Vorstadtverhältnissen zurückhaltend lebende Familie. Jans’ Bett steht im elterlichen Schlafzimmer. Der Junge beobachtet die nächtlichen „Turnübungen“ der kräftigen, unbekleideten Mutter.

Als Jans eine heimtückische Krankheit befällt, flüstert die Mutter den titelgebenden Satz: „Jans muß sterben“[1] Der Vater schickt – auf dem Wege zur Arbeit – einen Arzt. Dieser ist machtlos und empfiehlt Bettruhe im abgedunkelten Schlafzimmer. Aus Jans’ Mund rieselt manchmal ein Blutfaden. Gesichtchen und Körper des Jungen schrumpfen ins Greisenhafte. Jans’ Sterben zieht sich über Monate hin. Wahrscheinlich als Spätfolge oben erwähnter Bettgymnastik wird Anna geboren. Da der Arzt Jans nicht helfen kann, lockert er seine Vorschrift. Jans darf sogar wieder in die Schule; allerdings eine Klasse tiefer. Beim Klettern im Unterbau der Brückenkonstruktion stürzt Jans ab und stirbt.

Form

Fritz J. Raddatz meint am 14. Dezember 2000 in der Zeit, in dem noch unfertigen Manuskript hätte Anna Seghers vor der Publikation sicherlich manches gestaltet. Diese angebrachte Relativierung soll für alle nun folgenden fixierten Gedankensplitter im Auge behalten werden: Gleich im sechsten Satz sieht es ganz so aus, als erhöbe sich die Erzählerin über die trostlose Ebene der Realität: „...zwischen... Pfeilern... kletterten behend die kleinen Knaben herum, die im vorigen Sommer bei diesem Spiel ertrunken waren...“[2]

Und überhaupt muss der Leser bei anderer Gelegenheit indefinites Erzählen in dem sonst so konkreten Text verkraften. Als zum Beispiel die kleine Anna gezeugt wird (siehe auch oben unter Inhalt), erlebt der nicht aufgeklärte kleine Jans den Akt als turnerische Übung der entkleideten Mutter. Da der Vater ziemlich unbeweglich bleibt, käme vielleicht eine Reitstellung in Frage. Diese Positionierung passte zu der in dieser Ehe unzweideutig dominierenden Mutter[3] über den bis gegen Ende des Textes hin feigen Vater[4]. Wenn es Anna in der Geschichte nicht gäbe, dann könnte jene Turnübung der Mutter unter Umständen als harmloseres schwankendes Tanzen[5] – streng am zwielichtig-irreführenden Text bleibend – bagatellisiert werden.

Einerseits scheint es, als sei Anna Seghers bei Freud in die Schule gegangen. Wenn die in der Erzählung kaum handelnde Anna einmal ausgeklammert wird, dann herrscht in der kleinen Familie so etwas wie eine Dreiecksbeziehung. Jans genießt den Anblick der unbekleideten Mutter – zum Beispiel den Anblick des Busens – wenn Anna gestillt wird. Andererseits handelt es sich nicht um eine ödipale Angelegenheit. Denn Jans hasst den Vater keineswegs. Dazu fehlt jeder Anlass. Der Vater umsorgt den sterbenden Jungen mindestens so treusorgend wie die liebe Mutter.

Manche Wendung ist ungewöhnlich. Angesichts des todernsten Themas muss der Leser gelegentlich aufkommende Heiterkeit unterdrücken. Wenn zum Beispiel der nicht gehbehinderte Vater die Mietshaus-Treppe steigt, zieht er „sich mit schweren verwickelten Beinen das Geländer herauf“[6].

Rezeption

Besprechungen nach dem Erscheinen

  • 7. Oktober 2000, Christel Berger, Neues Deutschland: „Der Tod, das Glück. Jans muß sterben, eine bislang unbekannte Erzählung der jungen Anna Seghers“
  • 17. Oktober 2000, Magdeburger Volksstimme: „Jans muß sterben. Seghers-Erzählung erstmals als Buch“
  • 28. Oktober 2000, H. M., Thüringer Allgemeine: „Der Junge Jans Jansen muss sterben. Als Netty Reiling zu Anna Seghers wurde. Aufbau präsentiert eine bislang unbekannte Erzählung aus ihrem Frühwerk“
  • 11. November 2000, Monika Melchert, Ostthüringer Zeitung Gera: „In Kopf und Herz sehen. Jans muß sterben – eine Erzählung aus dem Nachlass von Anna Seghers“
  • 17. November 2000, Helga Bittner, Rheinische Post Düsseldorf: „Wenig denken und nie zweifeln. Zum 100. Geburtstag von Anna Seghers – Jans muß sterben – eine Erzählung aus ihrem Frühwerk wurde jetzt erstmals veröffentlicht“
  • 18. November 2000, Andrea Köhler, Neue Zürcher Zeitung
  • 14. Dezember 2000, Fritz J. Raddatz, Die Zeit
  • Axel Helbig: „Jans muß sterben. Erstausgabe von Anna Seghers früher Erzählung im Aufbau-Verlag“. Ostragehege Heft IV. 2000
  • 18. Januar 2001, Hans-Jürgen Schmitt, Frankfurter Rundschau

Spätere Äußerungen

  • Gunnar Decker beanstandet im Nachwort der verwendeten Ausgabe, die kleinbürgerliche Umgebung schaut dem Sterben Jans’ ungerührt zu[7] und die kerngesunde Anna tritt bei den kinderlieben Jansens an die Stelle Jans´.

Literatur

Erstausgabe

  • Anna Seghers: Jans muss sterben. Erzählung. Mit einer Nachbemerkung von Pierre Radvanyi und einem Nachwort von Christiane Zehl Romero. Aufbau-Verlag, Berlin 2000. 89 Seiten, ISBN 978-3-351-03499-3

Ausgaben

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Verwendete Ausgabe, S. 7, 7. Z. v. u.
  2. Verwendete Ausgabe, S. 21, 17. Z. v. o.
  3. siehe zum Beispiel verwendete Ausgabe, S. 22, 18. Z.v.o.
  4. siehe zum Beispiel verwendete Ausgabe, S. 23, 1. Z.v.u.
  5. Verwendete Ausgabe, S. 15 Mitte
  6. Verwendete Ausgabe, S. 23, 6. Z.v.u.
  7. Gunnar Decker im Nachwort der verwendeten Ausgabe, S. 292