Jitka Hanzlová

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Jitka Hanzlová (* 1958 in Náchod, ehem. CSSR) ist eine westeuropäische Fotokünstlerin.

Leben

1982 flüchtete Jitka Hanzlová aus Prag und beantragte politisches Asyl in der Bundesrepublik Deutschland. Sie interessierte sich zunächst für Malerei und Zeichnung, bevor sie 1983 für sich die Fotografie als künstlerisches Medium entdeckte. Inspiriert von den Werken Diane Arbus‘[1] und den anonymen Porträts Walker Evans' unternahm sie 1986 ihre ersten Amerika-Reise.

1987 begann sie das Studium der Visuellen Kommunikation an der Universität-Gesamthochschule Essen mit Schwerpunkt Fotografie, das sie 1994 abschließt. 1989 veröffentlichte der Stern ihre erste Werkgruppe unter dem Titel Man nennt es Schule über eine Schule für Asylbewerber. Nach dem Fall der Mauer und dem Ende des kommunistischen Regimes reiste sie zum ersten Mal zurück in ihre tschechische Heimat. Unter dem Eindruck des politischen und sozialen Umbruchs entstand die Serie Rokytnik (1990–1994), eine fotografische Spurensicherung, in der sie die Bewohner, das dörfliche Interieur und den Landschaftsraum ihrer Kindheit porträtiert.

Weitere prägende Impulse erfuhr Jitka Hanzlová durch die Sichtweisen der US-amerikanischen Fotografen Robert Frank und der Protagonisten der New Colour Photography Joel Sternfeld und William Eggleston. Anfang der 1990er Jahre findet sie in Ute Eskildsen, Leiterin der fotografischen Sammlung am Museum Folkwang, Essen[2] und dem Schriftsteller und John Berger wichtige Mentoren, die das Entstehen ihrer später preisgekrönten Arbeiten Rokytnik und Forest (2000–2005) begleiteten.

Werk

Seit 1990 arbeitet Jitka Hanzlová an Werkgruppen, in denen sie natürliche und urbane Lebensräume reflektiert.[3] Im Laufe ihres Schaffens weitete sie das Spektrum des fotografischen Porträts aus auf biologische, physikalische und kosmische Seinsweisen und Transformationsprozesse. Konzeptionell miteinander verbunden addieren sich die Serien zu einem Katalog über Phänomene des Wandels. Biografische Prägungen gehen auf in einer Identitätssuche jenseits lokaler und nationaler Zugehörigkeit.

Mit Rokytnik legte sie die Basis für ihre weiteren Werkgruppen; in Bewohner (1994–1996) Female (1997–2000) und Hier (2005–2010) entwickelte sie einen Porträtstil, der ihr Gegenüber frontal, in natürlichem Licht und an eigenschaftslosen Schauplätzen abbildet. Fotografieren ist für Jitka Hanzlová eng verbunden mit dem Akt der Begegnung, die Kamera ist auf Augenhöhe positioniert, ihr Gegenüber wird zum gleichberechtigten Akteur. Durch die Abwesenheit des Kollektivs wird seine Anwesenheit wahrnehmbar.

In ihren Langzeitprojekten Forest (2000–2005) Vanitas (2009–2012), Horse (2007–2014) und Water (2013–2020) erscheint die Natur nicht nur als physikalischer Bildraum, sondern auch als „psychisches Energiefelds“ aufgeladen mit dem Potential metaphysische Themen sichtbar zu machen. Die subtile Farbgebung und intimen Formate grenzen ihr Werk von den monumentalen und manipulativen Gesten des sozialistischen Realismus ab. «Ihre Fotografie», sagt der Autor Ulf Erdmann Ziegler, «ist nicht nur un- sondern geradezu antiideologisch.»[4] Mit ihrer aktuellen Porträt-Serie Doorway (2022 – ongoing), die sie unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine beginnt, zeigt sie Realitäten fragiler und mobiler Lebensumstände im Exil der Globalisierung und greift erneut das Thema Migration auf.

Von 2005 bis 2007 war sie Gastprofessorin an der Hochschule für bildende Künste Hamburg, von 2012 bis 2016 an der Zürcher Hochschule der Künste.

Zahlreiche internationale Einzel- und Gruppenausstellungen begleiten ihre künstlerische Entwicklung. 2019 realisierte die Nationalgalerie Prag die großangelegte, von Adam Budak kuratierte Einzelausstellung ‘‘Silences‘‘, die erstmalig die konzeptionellen Linien innerhalb ihres Werks sichtbar macht. Jitka Hanzlová nimmt eine zentrale Position in der zeitgenössischen Fotografie ein.

Veröffentlichungen

  • 1995 Rokytník, La Maison de la Photographie, Lectoure 1995
  • 1996 Bewohner, Text von Gertrud Peters, Richter Verlag, Düsseldorf 1996, ISBN 3-928762-68-0
  • 1997 Rokytnik, Text von Leo-Fritz Gruber, Museum Schloß Hardenberg, Velbert 1997, ISBN 3-926133-36-8
  • 1999 Vielsalm, Sunparks Art Project, 1999
  • 2000 Female, Texte von Zdenek Felix und Peter Brinkemper, Schirmer/Mosel Verlag, München 2000, ISBN 978-3-88814-845-3
  • 2001 Bewohner, Text von Urs Stahel, Fotomuseum Winterthur, Winterthur 2001
  • 2005 Forest, Essay von John Berger, Steidl Verlag, Göttingen 2005 ISBN 978-3-86521-210-8
  • 2011 Cahier 2, Jitka Hanzlová, Essays von Janos Frecot, Rudolf Sagmeister, Kicken, Berlin 2011
  • 2012 Jitka Hanzlová, Texte von Isabel Tejeda, Zdenek Felix, John Berger, Terezia Mora, Jesús Carrillo Castillo, Fundacion Mapfre, Madrid 2012, ISBN 978-84-15253-24-2
  • 2013 Hier, Essay von Terezia Mora, Koenig Books, London 2013, ISBN 978-3-86335-324-7
  • 2015 Horse, Vorwort von John Berger, Koenig Books, London 2015, ISBN 978-3-86335-877-8
  • 2017 Cotton Rose, Essay von Ulf Erdmann-Ziegler, Steidl Verlag, Göttingen 2017, ISBN 978-3-86930-127-3.
  • 2018 Vanitas, Essay von Barbara Hoffman-Johnson, Koenig Books, London 2018, ISBN 978-3-96098-446-7
  • 2019 Silences, Essays von Urs Stahel und Adam Budak, Interview mit Zdenek Felix, Nationalgalerie Prag in Kooperation mit Walther König Books, London 2019, ISBN 978-3-96098-739-0

Ausstellungen (Auswahl)

  • 1995 La Maison de la Photographie, Lectoure, Frankreich
  • 1996 Frankfurter Kunstverein, Frankfurt, Deutschland
  • 1997 Museum Schloß Hardenberg, Velbert, Deutschland
  • 1999 Photomuseum Argazki Euskal Museoa, Zaratutz, Spanien
  • 2000 Galeria Raffaella Cortese, Mailand, Italien
  • 2000 Deichtorhallen Hamburg, Hamburg, Deutschland
  • 2001 Fotomuseum Winterthur, Winterthur, Schweiz
  • 2001 Stedelijk Museum, Amsterdam, Niederlande
  • 2005/2006 Museum Folkwang, Essen, Deutschland
  • 2006 Georg Kargl Fine Art, Wien, Österreich
  • 2006 Galeria Raffaella Cortese, Mailand, Italien
  • 2006 MAI 36 Galerie, Zürich, Schweiz
  • 2007 Kicken Gallery, Berlin, Deutschland
  • 2008 Goethe-Institut Riga, Litauen
  • 2010 Kicken Gallery, Berlin, Deutschland
  • 2012 Fundation Mapfre, Madrid, Spanien
  • 2012 Galeria Raffaella Cortese, Mailand, Italien
  • 2012/2013 National Galleries of Scotland, Scottish National Portrait Gallery, Edinburgh, UK
  • 2012 Yancey Richardson Gallery, New York, USA
  • 2013 Galerie MAI 36, Zürich, Schweiz
  • 2013 Museos Gijon, Spanien
  • 2014/2015 Georg Kargl Fine Art, Wien, Österreich
  • 2015 Yancey Richardson Gallery, New York, USA
  • 2018 Gallery Peter Sillem, Frankfurt/Main, Deutschland, Korrespondenzen, John Berger / Jitka Hanzlová
  • 2018 Between Continuum Fotomuseum Braunschweig und Städtische Galerie Wolfsburg
  • 2019 SILENCES, 30 years…, National Gallery Prague, Trade Fair Palace, Prag, Tschechische Republik
  • 2019 Omaggio a Leinardo, Museo della Certosa di Pavia, Pavia, Italien
  • 2020 Water, MAI 36 Galerie, Zürich, Schweiz
  • 2021 Architectures of Life, Galeria Raffaella Cortese, Mailand, Italien
  • 2021 SHEROES of Photography - PART III: Jitka Hanzlová, Kicken Berlin, Deutschland
  • 2022 When the Well's Dry, Jitka Hanzlová & Jürgen Drescher, MAI 36 Galerie, Zürich, Schweiz
  • 2022 DOORWAY, Palazzo da Mosto, Reggio Emilia, Italien

Gruppenausstellungen (Auswahl)

  • 1996 Manifesta I, new european bienal of contemporary art, Museum Chabot, Rotterdam, Holland
  • 1999 Another Girl, Another Planet, Lawrence Rubin, Greenberg Van Doren Fine Art, New York City, USA
  • 2000 There is something you should know, Die EVN Sammlung, Galerie Belvedere, Wien, Österreich
  • 2002 Fusion Cuisine, Deste Fondation, Athen, Griechenland
  • 2002 Contemporary Art Project, Seattle Art Museum, Seattle, USA
  • 2004 Biennale of Photography Moscow 2004, The Moscow Museum of the Modern Art, Moskau, Russland
  • 2004 Pingyao International Photography Show, Pingyao Photography Festival, Pingyao, China
  • 2005 Nach Rokytník, EVN Sammlung, MUMOK Wien, Österreich
  • 2006 Artist’s Choice: Herzog & de Meuron, Perception Restrained, The Museum of Modern Art, New York, USA
  • 2006/2007 In the Face of History, European Photographers in the 20th century, Barbican Art Gallery, London, UK
  • 2006/2007 Der Kontrakt des Fotografen, Akademie der Künste, Berlin, Deutschland
  • 2007 What does the jellyfish want? Museum Ludwig, Köln, Deutschland
  • 2007 In the Face of History, Barbican Centre, London, UK
  • 2008 Glück – welches Glück, Deutsches Hygiene-Museum Dresden, Deutschland
  • 2009 Wildnis wird Garten wird Wildnis - Sonderschau der ART COLOGNE Köln 2009, kuratiert von Janos Frecot, SK Stiftung Köln, Deutschland
  • 2010 Ruhrblicke, SANAA, Zeche Zollverein, RUHR.2010, Essen, Deutschland
  • 2011 Cultured Nature, Stedelijk Museum, Amsterdam, Holland
  • 2011 Photography Calling, Sprengel Museum Hannover, Deutschland, kuratiert von Thomas Weski
  • 2012 Der Mensch und seine Objekte, Museum Folkwang Essen, Deutschland
  • 2015 Faces Then Faces Now, European Portrait Photography since 1990, BOZAR, Centre For Fine Arts, Brüssel, Belgien
  • 2016/2017 mit anderen augen – das portrait in der zeitgenössischen fotografie, Kunsthalle Nürnberg, Deutschland
  • 2017 Portraits, Fundación MAPFRE photography collection, Madrid, Spanien
  • 2017 Seht, da ist der Mensch / Behold The Man, Kunstmuseum Kloster Unser Lieben Frauen Magdeburg, Deutschland
  • 2017 MADE IN GERMANY, German Photography from the 19th Century to Today, XieZielong Photography Art Center, Changsha, China
  • 2017 The Photographic I - Other Pictures, S.M.A.K. Gent, Belgien
  • 2020 SUBJEKT und OBJEKT, Kunsthalle Düsseldorf, Deutschland
  • 2020 NEUE WELTEN. Die Entdeckung der Sammlung#1, Museum Folkwang, Essen, Deutschland
  • 2022 AN INVINCIBLE SUMMER, Fotografia Europea, Pallazo da Mosto, Reggio Emilia, Italien

Auszeichnungen und Stipendien

  • 1993 Otto Steinert Preis, Deutschland
  • 1995 Stipendium DG BANK Frankfurt, Deutschland
  • 1998 Stipendium, Stiftung für Kunst und Kultur des Landes NRW, Düsseldorf, Deutschland
  • 1999 Nominierung für The Citibank Photography Prize 2000, London, UK
  • 2002 Nominierung für The Citibank Photography Prize 2003, London, UK
  • 2003 Grand Prix Award – Project Grant 2003, Arles, Frankreich
  • 2007 Paris Photo Prize for Contemporary Photography, Frankreich
  • 2020 Kunststipendium NRW, Deutschland

Literatur

  • Boris Friedewald: Meisterinnen des Lichts. Große Fotografinnen aus zwei Jahrhunderten. Hrsg.: Boris Friedewald. Prestel, München [u. a.] 2014, ISBN 978-3-7913-4673-1, S. 74–77.

Weblinks

  • Offizielle Website
  • jitkahanzlova.com: [1] Zugriff am 23. Juni 2022 (PDF)
  • kunstaspekte.de: Jitka Hanzlová Zugriff am 26. Dezember 2014
  • deutscheboersephotographyfoundation.org: [2] Zugriff am 23. Juni 2022

Einzelnachweise

  1. https://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/jitka-hanzlova-ausstellung-in-einem-weit-entfernten-dorf-a-1232099.html, Zugriff am 3. Juni 2022
  2. https://www.sueddeutsche.de/kultur/fotografie-ausstellung-im-museum-folkwang-magisch-aufgeladen-1.1324932, Zugriff am 11. Juli 2022
  3. http://www.jitkahanzlova.com/about.htm, Zugriff am 11. Juli 2022
  4. Ulf Erdmann Ziegler, Blumen gießen. Über eine Erfahrung mit Japan, in: Jitka Hanzlová, Cotton Rose, Göttingen 2017