Jochen Sachse (Mediziner)

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Jochen Sachse (* 7. November 1931 in Halle (Saale); † 6. Januar 2005) war ein deutscher Neurologe und Facharzt für Physiotherapie.

Werdegang

Sachse hat die Manuelle Therapie im Rahmen der Physiotherapie in der DDR maßgeblich mit aufgebaut und ihre Verbreitung in der Lehre aktiv gefördert. Er gehört damit zu den ersten Ärzten, die in Deutschland die Grundlagen und praktische Anwendung der Manuellen Medizin begründet und gemeinsam mit H.-D. Wolff aus Trier von Anfang an auf eine wissenschaftliche Basis gestellt haben. Sachse hat sein Medizinstudium 1957 in seiner Geburtsstadt Halle abgeschlossen und in den folgenden Jahren seine Pflichtassistenz an den dortigen Kliniken geleistet. Die Facharztweiterbildung erfuhr er an der Universitätsklinik für Neurologie und Psychiatrie Halle bei dem von ihm überaus geschätzten Helmut Rennert (1920–1994), dessen „Lehrbuch der Neurologie und Psychiatrie“ er später durch ein Kapitel „Physiotherapeutische Maßnahmen in der Neurologie“ ergänzte. In Halle hat er ziemlich rasch spezifische Funktionsbereiche besetzt, wie Neuroradiologie, Physiotherapie und EEG. Als Neurologe war Sachse für das funktionelle Denken in der Manuellen Medizin sensibilisiert. Durch seine Zweitfacharztausbildung an der Poliklinik für Physiotherapie der Charité und bei seiner stationären Tätigkeit als Neurologe in der Klinik für Physiotherapie in Berlin-Buch ergab sich eine fruchtbringende Kombination zur tieferen Analyse von Funktion und Dysfunktion des Bewegungssystems, wodurch er eine Brücke zwischen Nerven- und Bewegungssystem schlagen konnte, Basis der heutigen Manuellen Medizin. In den Jahren 1969 bis 1975 führte Sachse eine neurologisch-manualmedizinische Spezialsprechstunde durch. Im Jahr 1975 übernahm er die Leitung des großen ambulanten Institutes für Physiotherapie in Berlin-Friedrichshain mit 70 Mitarbeitern. Dort etablierte er die ambulante Diagnostik, Therapie und Rehabilitation von Funktionsstörungen des Bewegungssystems neben dem bereits umfangreich vorhandenen Therapieangebot der gesamten Physiotherapie. Sachse setzte das Standardwerk zur Heilmassage seiner Vorgängerin, Anneliese Hamann, 1986 mit der Herausgabe von „Massage in Wort und Bild“ fort.

Angeregt durch seinen Vetter H.-D. Wolff hat er ab 1958 über sieben Jahre an einem Kurssystem der FAC teilgenommen, das unter Wolffs und Karel Lewits Leitung im Erzgebirge abgehalten wurde. Hier hat Sachse frühzeitig die Kontakte zur Prager Schule hergestellt, die er als enge Beziehungen ab den 1960er Jahren pflegte. insbesondere zum Neurologen und Manualmediziner Karel Lewit (1916–2015) und Vladimir Janda (1928–2003) mit dem Spezialgebiet der Neurologischen Rehabilitation und den Muskelfunktionstests. Dank dieser engen Beziehungen konnte das Prager Konzept, welches in der Manuellen Medizin die Einheit von Diagnostik, Therapie und Rehabilitation funktionspathologischer Krankheitsbilder des gesamten Bewegungssystems, einschließlich der Muskulatur und ihrer Steuerung sah, in die Lehrinhalte zur Manuellen Therapie integriert werden.

Sachse setzte sich für eine exakte Funktionsuntersuchung ein, er lehrte dazu die manualmedizinischen Techniken. Er war über Jahrzehnte der leitender Ausbilder für Manuelle Medizin in Berlin (DDR) und wurde so zum Begründer des „Berliner Konzeptes“ bzw. der „Berliner Schule“ der Manuellen Medizin, aus der die Ärztegesellschaft für Manuelle Medizin – Ärzteseminar Berlin (ÄMM) e.V. hervorging.

Er führte die Gruppe der manualmedizinisch tätigen Ärzte in der „Gesellschaft für Physiotherapie der DDR“ zunächst mit Günther Metz in eine „Arbeitsgemeinschaft Manuelle Therapie.“ und später in eine eigene „Sektion Manuelle Therapie“ dieser Gesellschaft, in der sie fast 90 % der Mitglieder stellte. Er ist mutig auch dem Widerstand in der eigenen Lehrerschaft begegnet, als in den 1970er-Jahren die Bedeutung der Muskulatur in der Manuellen Medizin zunehmend evident wurde. Die Physiotherapeuten hat Sachse stets als Partner des Arztes wahrgenommen. 1988 zwang ihn seine angeschlagene Gesundheit zur Aufgabe seiner Leitungsfunktion im Institut. Er wirkte aber als Schulleiter auch nach der Wiedervereinigung und der Gründung der ÄMM und deren Aufnahme in die Deutsche Gesellschaft für Manuelle Medizin (DGMM) 1991 weiter, bis 1998 Frau Karla Schildt-Rudloff, seine Koautorin in Buch- und Lehrtexten, in diese Funktion eintrat. Bereits 1969 hat er seine fundamentale Arbeit zur „Hypermobilität des Bewegungssystems als potenzieller Krankheitsfaktor“ veröffentlicht, die 1976 durch einen gestuften Test zur Beurteilung des Bewegungstyps ergänzt und 1984 durch den Aspekt der zentralen Koordinationsstörung erweitert wurde. 1973 kam die Erstauflage der „Manuellen Untersuchung und Mobilisationsbehandlung der Extremitätengelenke“ heraus, das vor Sachses Tod im Jahre 2005 bereits in 7. Auflage erschienen war. Sein Referat 1978 auf der 25. Jahrestagung der Gesellschaft für Orthopädie (DDR) in Dresden über „Manualmedizinische Aspekte der zervikalen Schmerzsyndrome am Beispiel der Segmentlockerung“ rief den Orthopäden die funktionelle Denkweise als Condition sine qua non für Diagnostik und Therapie am Bewegungssystem ins Gedächtnis, die schon durch Alfred Schanz in die Definition der Orthopädie einbezogen wurde. Mit Karla Schildt-Rudloff zusammen hat er 1989 die ÄMM-eigene Arbeitsanleitung „Wirbelsäule. Manuelle Untersuchung und Mobilisationsbehandlung“ veröffentlicht, ein Werk, das an Präzision der Ausformulierung motorischer Abläufe auf diesem Gebiet kaum zu überbieten sein dürfte. Sachse wurde 1993 Ehrenmitglied der ÄMM und der tschechischen Ärztegesellschaft Jana Evangelisty Purkyně.

Schriften

  • Massage in Wort und Bild. Grundlagen und Durchführung der Heilmassage. Begründet von Anneliese Hamann. G. Fischer 1987, ISBN 978-3-43711135-8.
  • Manuelle Untersuchung und Mobilisationsbehandlung der Extremitätengelenke. Berlin, 1973
  • Manuelle Medizin im Wandel der Jahrzehnte. Folge 1: Jochen Sachse, MM 1999, S. 48–52 5. K. Schildt-Rudloff, J. Sachse, G. Harke: Wirbelsäule. Manuelle Untersuchung und Mobilisationsbehandlung für Ärzte und Physiotherapeuten, München, 2016
  • Reversible hypomobile articular dysfunction. Manuelle Medizin 1998 36:176–181

Literatur

  • R. Lemke, H. Rennert: Neurologie und Psychiatrie. 1965.

Weblinks

Quellen

  • Hermann Tlusteck: Jochen Sachse – zu seinem Tode, Jochen Sachse – In Memory. Phys Med Rehab Kuror 2005; 15(3): 185–186 doi:10.1055/s-2005-866844
  • Giesela Coburger: Geschichte in Geschichten – Die Entwicklung der Physiotherapeuten in der Manuellen Therapie in der DDR und der ÄMM e.V. Eigenverlag, Berlin 2016, ISBN 978-3-00-053256-6.
  • Wilfried Witte: Unerhörte Leiden. Die Geschichte der Schmerztherapie in Deutschland im 20. Jahrhundert. Campus Verlag, Frankfurt/New York 2017, ISBN 978-3-593-50660-9.