Johann Friedrich Gensichen

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Johann Friedrich Gensichen (* 30. Januar 1760 in Driesen; † 7. September 1807 in Königsberg) war ein Freund Immanuel Kants.

Leben

Gensichens Vater war Pfarrer, die Mutter eine Schwester von Johann Timotheus Hermes. Dieser war von Goethe und Schiller im „Xenienstreit“ befehdet worden.

Zum Studium ging Gensichen nach Königsberg, wo sein Onkel Mitarbeiter in der Kirchenverwaltung war. Nach Studienabschluss wurde Gensichen zunächst Hauslehrer für zwei Dönhoff-Söhne, die 20 km südöstlich von Königsberg aufwuchsen. Später traf er sie als Studenten in Königsberg wieder – oft bei dem Hofprediger und Mathematik-Professor Johann Schultz.

Zwischen 1769 und 1775 war Schultz Pfarrer in Löwenhagen, dem Kirch-Ort der Gräflichen Familie Dönhoff. Später wurde er nach Königsberg berufen – als Pfarrer und später auch als Ordentlicher Mathematik-Professor. Zwischen 1780 und 1806 schrieb er Bücher und Artikel zu dem ganz neuen Thema „Mathematik des Unendlichen“. Weitere Bücher von Schultz zeigen ihn als engagierten Kant-Versteher.

Gensichen hat im Hause Schultz oft an Gesellschaften, Gesprächs- und Spiele-Abenden teilgenommen.

Seit 1790/91 hat er Mathematik-Vorlesungen gehalten; Im Jahr 1795 wurde er außerordentlicher Mathematik-Professor. Die (hohe) Geldsumme, die er dabei als Kaution einzuzahlen hatte, lieh ihm Professor Christian Jakob Kraus.

Seit 1791 war Gensichen Leiter des (einzigen) Königsberger Studentenwohnheimes. Später wurde er auch Zweiter Bibliothekar der Uni-Bibliothek – und schließlich Rendant der gesamten Universität.

Gensichen und Kant: eine Freundschaft

Als Gensichen im Jahr 1791 nach Königsberg zurückkam, bat Kant ihn, die „Himmelstheorie“ von 1755 auf den neuesten Stand der Astronomie zu bringen. Gensichen übernahm die Aufgabe – wobei er zusätzlich auch die Sprache des Buches modernisierte. So entstand für „Über den Bau des Himmels“ (1791) ein authentischer Auszug aus Kants Himmelstheorie – zusammen mit Beiträgen von Wilhelm Herschel. Diese übersetzte der Pfarrer Georg Michael Sommer aus dem Englischen.

Seitdem und bis hinein in Kants Sterbemonat gehörte Gensichen zu dessen Mittags-Tischgästen.

Kant hatte Gensichen in einem frühen Testament zu seinem Haupterben eingesetzt. Später drängelte der Pfarrer Wasianski sich in Kants Hauswirtschaft hinein und dominierte sie. Er erreichte, dass Kant mehrere Änderungen im Testament zu Wasianskis Gunsten vornahm, während Gensichens Anteil erheblich verkleinert wurde. Immerhin erbte Gensichen – neben etwas Geld – Kants Taschenuhr und Bibel und ca. 400 Bücher aus Kants Bibliothek. 

Am 7. September 1807 starb er an „Nervenfieber“ (Typhus), das von französischen bzw. russischen Soldaten in das erwähnte Studentenwohnheim getragen worden war.

Der Theologiestudent Samuel Neumann, dem Gensichen Kants Bibel geschenkt hatte, hielt die Leichenpredigt.

Ein Katalog von Gensichens hinterlassenen Büchern und Heften wurde gedruckt. Darin ist auch eine Anzahl von Klavier-Noten aufgelistet. In seiner Wohnung hatte sich ein Instrument befunden.

Veröffentlichungen

Gensichens erstes Buch „Bestätigung der Schultzischen Theorie der Parallelen…“ erschien während seiner Hauslehrer-Zeit.

Später schrieb er einige (meist anonym veröffentlichte) Rezensionen. So etwa zwei Besprechungen von Fichtes Offenbarungs-Kritik: die ersten Bewertungen des Buches überhaupt. (Fichte hatte für einige Monate in Königsberg gelebt und sich mit Gensichen angefreundet.) – Starke Indizien deuten darauf hin, dass Gensichen auch der Rezensent von Schultzens „Versuch einer genauen Theorie des Unendlichen“, von 1788 war. Diese Besprechung enthält Königsberger Insider-Wissen – und Schultzens Buch wird nur sehr moderat kritisiert. Im Buch selbst findet man auch einige inhaltliche Ergänzungen Gensichens.

An dem anderen Buch („Über den Bau des Himmels“) haben mehrere Autoren mitgewirkt. Im Zentrum steht jedoch Gensichenss Neufassung der Kant’schen Himmelstheorie.

Im Verzeichnis von Gensichens Büchern (= Versteigerungskatalog) von 1808 finden sich auffallend viele Schriften (Hefte) zur Arithmetik: eigene Handschriften „ad suas ideas“ – und von anderen Autoren.

1898 – Jahrzehnte nach Kants Tod – haben Wissenschaftler ein wiedergefundenes 1791er Gensichen-Manuskript der Himmelstheorie für „von Kants Hand“ gehalten. Wilhelm Dilthey schrieb dazu in der „National-Zeitung“ vom 11. November 1898, dass er in dem Manuskript „Änderungen von Kants Hand“ gefunden habe. Tatsächlich aber lassen sich darin Spuren von Kants „Hand“ nicht finden. In dem Papier stammt alles von Gensichen.

Spätere Wirkungen

Die spätere Entwicklung der Mathematik verdankt sich auch Wirkungen von Gensichens und Schultzens mathematischer Arbeit: In Prag griff Bernard Bolzano (1781–1848) Königsberger Impulse auf und nannte dabei mehrmals Gensichen. Cantor besaß Bolzanos Buch. Er schickte es an Dedekind – und dieser berief sich, als er seine neue Definition unendlich großer Mengen vortrug, auf Bolzanos Vorarbeit.

Literatur

  • Abegg, Johann Friedrich: Reisetagebuch von 1798, hg. v. W. u. J. Abegg, Frankfurt a. M. 1976.
  • Bolzano, Bernard: Paradoxien des Unendlichen, Leipzig 1851.
  • Dedekind, Richard: Was sind und was sollen die Zahlen? 4. Aufl. 1918.
  • Fichte, Johann Gottlieb: Nachgelassene Schriften der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1780–1791, Bad Cannstatt 1962, S. 417.
  • Gensichen, Johann Friedrich: Bestätigung der Schultzischen. Theorie der Parallelen und Widerlegung der Bendavidschen Abhandlung über die Parallellinien. Ein Versuch. Königsberg 1786.
  • Gensichen, Otto Franz. Ein märkisches Pfarrergeschlecht. In: Neue Preußische (Kreuz-)Zeitung Nr. 457 vom 11. November 1888, S. 1.
  • Gensichen, Hans-Peter: Der junge Freund des alten Kant. Norderstedt 2017, besonders S. 9f + 161.
  • Herschel, William; Gensichen, Johann Friedrich; Sommer, Georg Michael: Über den Bau des Himmels. Drey Abhandlungen aus dem Englischen übersetzt. Nebst einem authentischen Auszug aus Kants allgemeiner Naturgeschichte und Theorie des Himmels. Königsberg 1791.
  • Reusch, Christian Friedrich: Kant und seine Tischgenossen, Königsberg nach 1847.
  • Schubrig, Gerd: Ansätze zur Begründung theoretischer Terme in der Mathematik. Die Theorie des Unendlichen bei Johann Schultz (1739–1805). In: Historia Mathematica 9 (4), 441–484.
  • Schultz, Johann: Prüfung der Kantischen Critik der reinen Vernunft, 1. Theil, 1789 u. 1791. 
  • Stark, Werner: Nachforschungen zu Briefen und Handschriften Immanuel Kants. Berlin 1993.
  • Verzeichniß der Bücher des verstorbenen Professor Johann Friedrich Gensichen, wozu auch die demselben zugefallenen Bücher des Professor Kant gehören … Königsberg 1808; Nachdruck: Amsterdam 1968.