Josef Brandl (Jurist)

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Josef Brandl (* 30. April 1901 in Osterhofen; † 1991 in Passau)[1] war ein deutscher Verwaltungsjurist. Während der Deutschen Besetzung Polens 1939–1945 leitete er im Generalgouvernement die Wirtschaftsabteilungen im Distrikt Krakau und im Distrikt Galizien. Noch 1944 wurde er im Distrikt Galizien kommissarischer Amtschef der Zivilverwaltung. Seiner strafrechtlichen Verfolgung in der Volksrepublik Polen entzog er sich durch Flucht. Brandl lebte bis Anfang der 1950er Jahre als „Karl Müller“ in der Illegalität, ehe er über das Amt Blank, das Bundesministerium der Verteidigung und das Bundesministerium für Atomfragen von 1961 bis 1968 Geschäftsführer des Kernforschungszentrums Karlsruhe war.

Leben

Brandl studierte an der Universität Passau und der Ludwig-Maximilians-Universität München Rechtswissenschaft und Philosophie. 1922 wurde er im Corps Bavaria München recipiert.[1] Als Inaktiver wechselte er an die Julius-Maximilians-Universität Würzburg, an der er 1926 zum Dr. iur. promoviert wurde.[2] Anschließend war er bis 1936 am Landgericht Passau zugelassener Rechtsanwalt. In die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei trat er zum 1. Mai 1933 ein.[3] Im NSKK war er seit 1936 Mitglied.[4]

1936 gab Brandl seine Rechtsanwaltspraxis auf und ging zur Reichsumsiedlungsgesellschaft (RUGes). Dort leitete er bis 1938 die Zweigstellen Eschenbach in der Oberpfalz und Amberg. Zu seinem Aufgabenbereich gehörte die Beschaffung von Grundstücken für die Wehrmacht. Ein dreiviertel Jahr nach dem Anschluss Österreichs wechselte er im Dezember 1938 in die wehrwirtschaftliche Abteilung beim Reichsstatthalter in Wien und arbeitete als wissenschaftlicher Hilfsarbeiter unter Otto Wächter, der die Wiener Dienststelle leitete und Brandls weitere Karriere entscheidend förderte.[5]

Funktionen im Generalgouvernement

Als Otto Wächter nach dem Überfall auf Polen ab Ende 1939 Gouverneur des Distrikts Krakau im Generalgouvernement wurde, folgte ihm Brandl nach Krakau und wurde unter Wächter Leiter der Abteilung Wirtschaft. Die deutsche Besatzung des Generalgouvernements war dadurch charakterisiert, dass die jüdische und große Teile der polnischen Bevölkerung umgebracht wurden. In diesem Gebiet wurde, nachdem kein schneller Sieg im Osten zu erwarten war, parallel zu den Vernichtungsaktionen (Vernichtung durch Arbeit) eine wirtschaftliche Ausbeutungspolitik forciert, die den starken Arbeitskräftemangel in der deutschen Wirtschaft kompensieren sollte. An der Nahtstelle von Vernichtungs- und Ausbeutungspolitik agierte Brandl und kooperierte eng mit der die wirtschaftliche Ausplünderung Polens organisierenden Haupttreuhandstelle Ost (HTO). Bis Februar 1942 führte Brandl seine Dienstgeschäfte im Distrikt Krakau, anschließend im Zuge der Erweiterung des Generalgouvernements in Lemberg, Distrikt Galizien, wo er außerdem ab Februar 1944 nach dem Partisanenanschlag auf den bisherigen Amtsinhaber Otto Bauer kommissarischer Amtschef war.[6]

Brandl war nicht nur über die Verfolgung der Juden und den Holocaust umfassend informiert, sondern laut Stefan Lehnstaedt vom Deutschen Historischen Institut Warschau „eine zentrale Figur für die Ausplünderung von Juden und Polen“.[7] Als Ökonom und „Raubfachmann“, wie der Historiker Bernd-A. Rusinek Brandl bezeichnet, verhandelte Brandl wiederholt mit dem SS- und Polizeiführer (SSPF) von Galizien, Fritz Katzmann, um für die Kriegswirtschaft unbedingt notwendige jüdische Arbeitskräfte von den Deportationen auszunehmen. Im September 1944 wurde Otto Wächter Chef der deutschen Militärverwaltung in Italien. Brandl folgte ihm auch nach Italien.[8]

Illegalität und Karriere nach 1945

Brandl, der zum Kriegsende in Italien in Gefangenschaft geriet, sollte 1946 nach Polen ausgeliefert werden, da er auf einer Liste für Kriegsverbrecher der polnischen Exilregierung in London stand. Im November 1946 konnte er während des Eisenbahntransports nach Polen fliehen.[9] Er tauchte für die nächsten Jahre mit falschen Papieren auf den Namen „Karl Müller“ unter. 1946 firmierte er als „kaufmännischer Geschäftsführer“, 1950 bis 1954 als selbständiger Kaufmann in Heilbronn, vermutlich im Schrotthandel.[10]

Ab 1954 wirkte er – nun wieder als Josef Brandl – in Koblenz am Aufbau der Bundeswehr mit: zunächst in der Vorgängerbehörde des Verteidigungsministeriums, dem Amt Blank, als „Regierungsdirektor zur Wiederverwendung“, dann für die folgenden eineinhalb Jahre beim neu gegründeten Ministerium der Verteidigung. Von dort aus wechselte er im Dezember 1956 in das Bundesministerium für Atomfragen, und zwar als Ministerialrat ins Referat „Grundsatzfragen der Atomwirtschaft“.[10] 1961 wurde Brandl hauptsächlich auf Betreiben Karl Winnackers kaufmännischer Geschäftsführer für das Projekt „Mehrzweckforschungsreaktor“ (MZFR) des Kernforschungszentrums Karlsruhe und blieb dies bis 1968.[11]

Im Laufe dieser sieben Jahre hatte Brandl mit den früheren I.G.-Farben-Chemikern und Managern Gerhard Ritter und Walther Schnurr sowie dem Juristen Rudolf Greifeld drei Geschäftsführerkollegen am Karlsruher Kernforschungszentrum. Alle vier sind dort dem Historiker Rusinek zufolge wegen ihrer Führungserfahrungen im Zweiten Weltkrieg „schneidige Top-down-Entscheider“ gewesen – trotz womöglich unterschiedlicher Charaktere und unterschiedlich ausgewiesener politischer Einstellungen. Zumindest ist nicht nachzuweisen, dass Ritter und Schnurr auch im ideologischen Sinne wie Brandl und Greifeld Nationalsozialisten waren.[12]

Schriften

  • Herausgeber (unter Mitarbeit von Manfred Blechschmidt): Bestimmungen über die Beförderung radioaktiver Stoffe. Loseblattsammlung. Nomos. Baden-Baden 1971 ff.

Literatur

  • Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit (= Veröffentlichungen aus dem Archiv des Karlsruher Instituts für Technologie; 5). KIT Scientific Publishing, Karlsruhe 2019, ISBN 978-3-7315-0844-1; dort insbesondere das Kapitel Dr. jur. Josef Brandl, S. 289–314.

Einzelnachweise

  1. a b Kösener Corpslisten 1996, 13/1484.
  2. Dissertation: Das Verfahren vor dem Einzelrichter im Strafprozess.
  3. Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit (= Veröffentlichungen aus dem Archiv des Karlsruher Instituts für Technologie; 5). KIT Scientific Publishing, Karlsruhe 2019, S. 291.
  4. Dieter Pohl: Nationalsozialistische Judenverfolgung in Ostgalizien, 1941–1944. Oldenbourg, München 1997, ISBN 3-486-56233-9, S. 412; Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit, S. 292.
  5. Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit, S. 292 f.
  6. Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit, S. 299 f. und 309.
  7. Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit, S. 299, Rusinek zitiert hier aus einem Schreiben Lehnstaedts an ihn vom 6. August 2014.
  8. Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit, S. 307–309.
  9. Markus Roth: Herrenmenschen. Die deutschen Kreishauptleute im besetzten Polen – Karrierewege, Herrschaftspraxis und Nachgeschichte. Wallstein, Göttingen 2009, ISBN 978-3-8353-0477-2 (= Beiträge zur Geschichte des 20. Jahrhunderts, Band 9; zugleich Dissertation an der Universität Jena 2008), S. 339 (Anm. 69); Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit, S. 311.
  10. a b Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit, S. 312.
  11. Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit, S. 289 f. und 314.
  12. Bernd-A. Rusinek: Der Fall Greifeld, Karlsruhe – Wissenschaftsmanagement und NS-Vergangenheit, S. 330; vgl. auch die Einzelbiografien zu Rudolf Greifeld (S. 33–244), Gerhard Ritter (S. 255–274) und Walther Schnurr (S. 275–288).