Kōjō no Tsuki
Kōjō no Tsuki (jap.
, wörtlich: „Der Mond über der Burgruine“; poetisch auch: „Ruine im Mondlicht“) ist ein Gedicht des Lyrikers Doi Bansui. Es wurde von Rentarō Taki vertont und ist als Volkslied in Japan weithin bekannt.
Gedicht
Doi Bansui (1871–1952) war Anglist. Er wurde in Sendai geboren. Er studierte an der Kaiserlichen Universität Tokio. Von 1901 bis 1904 studierte er in London, Paris und Leipzig. Nach seiner Rückkehr unterrichtete Bansui an der Kaiserlichen Tohoku-Universität. Er starb in Sendai.
Das Gedicht Bansuis entstand im Rahmen einer Auftragsarbeit des Konservatoriums Tokyo (heute: Tōkyō Geijutsu Daigaku) als Text zu einem Lied für die Mittelschule. Das Gedicht bzw. der Liedtext Bansuis trug zunächst den Titel Kōjō Tsuki (
). Der ursprüngliche Text, der einen vierteiligen Aufbau (auch Kishōtenketsu) besitzt, lautet:
春高楼の花の宴
巡る盃影さして
千代の松が枝分け出
でし 昔の光今いづこ
秋陣営の霜の色
鳴きゆく雁の数見せて
植うる剣に照り沿ひし
昔の光今いづこ
今荒城の夜半の月
変わらぬ光誰がためぞ
垣に残るはただ葛
松に歌ふはただ嵐
天上影は変はらねど
栄枯は移る世の姿
映さんとてか今も尚
ああ荒城の夜半の月
Der Begriff Chiyo (
, Zeile 3) bedeutet üblicherweise „tausend Jahre“ oder eine lange Zeit, ist aber auch im Begriff Chiyoki (
) der Beiname der Kiefer. Die Kunyomi-Lesung der Schriftzeichen
lautet zwar Chiyo, doch wenn man stattdessen die Onyomi-Lesung verwendet, so ergibt sich für
die Lesung Sendai. Bereits Date Masamune hat für Sendai die Kanji
(Kyūjitai:
) verwendet. Date Masamune beherrschte als Daimyō mit dem Date Klan die Tōhoku-Region, deren größte Stadt Sendai ist. Er errichtete auch die Burg Sendai, die auch den Namen Aoba Burg trägt. Da Doi Bansui aus Sendai stammte, handelt es sich hier um ein Wortspiel (Kakekotoba), indem im Wort Chiyo auf die Stadt Sendai angespielt wird. Zudem wird auf diese Weise das Bild der Kiefer, die die Zeiten überdauert (
), durch die Substitution der Lesung von Chiyo durch Sendai mit dem Bild einer Kiefer (an der Burg) von Sendai (
) verknüpft. Die Bedeutung der Schriftzeichen für Sendai (Stadt) können bildlich auch zu (
, Sennin no sumu takadai – Anhöhe, wo die Sennin[Anm. 1] wohnen) expandiert werden. Die Burg Sendai, die Data Masamune errichtete und in der er residierte, ist eine Höhenburg (jap.
, sanjō, yamajirō), die auf einer Anhöhe steht, an deren Fuße sich Sendai als Burgstadt (Jōkamachi) entwickelte.
Lied
Als Doi Bansui in London studierte, traf er auf Rentarō Taki, der ebenfalls im Auftrag des Konservatoriums Tokyo, die Melodie komponierte. Die ursprüngliche Melodie, die 1901 mit dem Text Bansuis[Anm. 2] erstmals veröffentlicht wurde, war ursprünglich als Vokalwerk („Mubanso“) ohne musikalische Begleitung in h-Moll konzipiert. 1917 schuf Yamada Kōsaku unter dem Titel Hana no en (
) zusätzlich eine Instrumentalfassung für Klavier. Er änderte den Grundton der Tonart unter Beibehaltung des Tongeschlechts, indem er das Stück um eine Terz nach oben und damit von h-Moll in d-Moll transponierte. Auch das Tempo und den Rhythmus des Liedes änderte er von 8 zu 16 Takten.
1918 wurde das Lied vom Musikverlag Sonoo als Solo-Gesangsstück unter dem Titel Kōjō no Tsuki publiziert. Der Komponist Mori Kazuya (1915–1998) berichtet von einer Vorlesung des Assistenzprofessors Kunihiko Hashimoto, gehalten 1927 am Konservatorium Tokyo. Hashimotos Ausführungen nach sollte Europäern die d-Moll-Version Kōsakus zu Gehör gebracht werden. In Rentarōs Originalfassung fällt das E in hana no En (Zeile 1) mit einem durch ein Kreuz (#) erhöhten Ton zusammen. Dieses als Zigeunermoll bekannte Charakteristikum, den vierten Ton der harmonischen Molltonleiter zu erhöhen, sei kennzeichnend für Zigeunerlieder und es führe dazu, dass Europäer die Melodie mit ungarischen Volksliedern assoziieren und nicht für eine japanische Melodie hielten. Um diesen Effekt zu vermeiden, habe Tamaki Miura, die erste japanische Opernsängerin von Weltruhm, Yamada gebeten, in seiner Bearbeitung das Kreuz wegzunehmen, da sie Kōjō no Tsuki bei vielen Gelegenheiten in Europa sang. Eine Aufnahme mit Klavierbegleitung Yamadas, aber der ursprünglichen Melodie (also 8 Takte) gibt es mit dem Countertenor Yoshikazu Mera.
Liedtext
Japanisch | Transkription | Teilübersetzung[1] |
---|---|---|
『荒城の月』 |
『Kōjō no Tsuki』 |
『荒城の月』 |
Früher gab es am Gebäude des Sakurano Department Stores am Hauptbahnhof von Sendai Lautsprecher aus denen die Melodie von Kōjō no Tsuki täglich um 10:00, 12:00, 15:00 und 17:00 Uhr ertönte.
Rezeption
Weitere Vertonungen sind:
- In der belgischen Abtei Chevetogne wird Kōjō no Tsuki in der Bearbeitung von Yamada Kosuke als Kirchenhymne (Hymne der Cherubim) gesungen. Diese Version wurde 2004 von der französischen Black-Metal-Band Deathspell Omega aufgegriffen und in den Song Carnal Malefactor integriert.[2]
- Ein Jazz Arrangement von Thelonious Monk befindet sich unter dem Titel "Japanese Folk Song" auf seinem Album Straight No Chaser von 1967.
- Eine der bekanntesten Fassungen stammt von der deutschen Heavy-Metal-Band Scorpions, Ende der 1970er-Jahre während eines Konzertes im Nakano Sun Plaza, Tokio, als Ballade gespielt und später auf dem Live-Album Tokyo Tapes veröffentlicht.[3]
- Außerdem wurde Kōjō no Tsuki von Yngwie Malmsteen 1984 während der Alcatrazz Japan Tour gespielt.
- 1992 entsteht eine Aufnahme mit dem Schweizer Tenor Ernst Haefliger in deutscher Sprache (vergriffen).[4][1]
- 2003 erfolgte eine erneute Einspielung von Bariton Tōru Tanabe und Pianist Matthias Gräff-Schestag auf Deutsch unter dem Titel „Ruinen im Mondschein“ in „Alte und neue Lieder aus Japan: 31 japanische Lieder mit Klavierbegleitung; in deutscher Übersetzung, hrsg. von Toru Tanabe und Matthias Gräff-Schestag“, (ISMN M-50087-920-6).[5]
Anmerkungen
Einzelnachweise
- ↑ a b 歌語と独語と 『荒城の月』の詩的色(Memento des Originals vom 14. Januar 2016 im Internet Archive) Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis. (Kago to dokugo Kōjō no Tsuki no jiteki iro; PDF; 893 kB)
- ↑ Morgawse Arth: DEATHSPELL OMEGA - Carnal Malefactor. In: YouTube . 24. September 2010.
- ↑ 荒城の月のすべて. (Nicht mehr online verfügbar.) Kotenha.com, archiviert vom Original am 5. Oktober 2011; abgerufen am 16. März 2012 (japanisch). Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.
- ↑ Tokyo Gakugei University OPAC - Ernst Haefliger singt japanische Lieder
- ↑ Presseecho auf der Webseite des Baritons Toru Tanabe
Weblinks
- Text und Noten des Originals von Rentarō in h-moll (PDF; 122 kB) – japanisch mit lateinischer Umschrift
- Diskografie zu Haefliger – Haefliger sings Japanese songs by German Vol. 1-3
- Zum Gedenken an Rentarō Taki (deutsch)
- Hörbeispiel und japanischer Text