Kontrastive Linguistik

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Die kontrastive Linguistik ist ein Teilbereich der vergleichenden Sprachwissenschaft, in der zwei oder mehrere Sprachsysteme verglichen werden, um Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu beschreiben.[1] Kontrastive Studien können sich mit verschiedenen Sprachebenen beschäftigen, z. B. Unterschiede und Gemeinsamkeiten mehrerer Sprachen im Lautinventar (Phonologie), in der Wortbildung (Morphologie) oder im Satzbau (Syntax). Weitere Arbeitsbereiche sind die kontrastive Pragmatik, kontrastive Textlinguistik und kontrastive Soziolinguistik.[2][3][4]

Das Ziel der kontrastiven Linguistik ist zunächst eine rein deskriptive Erfassung der Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Sprachsystemen, aber häufig entstehen durch die Zusammenarbeit mit anderen Disziplinen wie der Lernforschung auch wichtige Ergebnisse für den Fremdsprachenunterricht.[1]

Terminologie

Neben dem Terminus „kontrastive Linguistik“ findet man auch die Bezeichnungen „kontrastive Analyse“, „kontrastive Grammatik“, „Sprachvergleich“ und „komparative Linguistik“.[5] In Publikationen aus Polen und der DDR findet man auch den Begriff „konfrontative Linguistik“.[6]

Abgrenzung zu anderen Teilbereichen der Sprachwissenschaft

Im Gegensatz zur Sprachtypologie, die möglichst viele Sprachsysteme im Hinblick auf linguistische Universalien untersucht und klassifiziert, konzentriert sich die kontrastive Linguistik auf wenige Sprachen. Häufig werden nur zwei Sprachen kontrastiv gegenübergestellt. Außerdem ist die kontrastive Linguistik eher an der detaillierten Beschreibung und dem Vergleich einzelner Phänomene interessiert, weniger an der überblicksartigen Darstellung wie die Sprachtypologie.[7] Während die Sprachtypologie das Ziel hat, Sprachen zu typisieren und zur linguistischen Theoriebildung beitragen will, ist die kontrastive Linguistik anwendungsorientiert: Die kontrastive Linguistik zielt darauf ab, durch den Sprachvergleich Erkenntnisse zu gewinnen, welche Phänomene beim Fremdsprachenlernen Lernschwierigkeiten bereiten.[8][9]

Im Gegensatz zur vergleichenden Sprachwissenschaft, die diachronisch orientiert ist und Verwandtschaftsverhältnisse zwischen verschiedenen Sprachen aufdecken will, ist die kontrastive Linguistik synchronisch orientiert: Das Hauptinteresse liegt im Vergleich von aktuellen Sprachen und ihren linguistischen Phänomenen ohne Berücksichtigung der Sprachgeschichte oder Verwandtschaftsbeziehungen von Sprachen.[10][8]

Die Sprachkontaktforschung befasst sich mit sprachlichen Phänomenen, die entstehen, wenn Sprecher von zwei angrenzenden Sprachgemeinschaften miteinander in Kontakt treten und sich beeinflussen. Die Sprachkontaktforschung kann als Teilbereich der kontrastiven Linguistik gesehen werden.[11]

Forschungsgebiet

Grundannahmen

Die kontrastive Linguistik geht von den folgenden Grundannahmen aus:

  • Jede Sprache hat ihre spezifischen Eigenheiten. Gemeinsamkeiten zwischen Sprachen führen beim Sprachlernen zu positiven Effekten (positiver Transfer). Unterschiede zwischen Sprachen können zu Fehlern führen (Interferenz). Lerner müssen also hauptsächlich die Unterschiede zwischen der Muttersprache und der Fremdsprache meistern.
  • Eine detaillierte kontrastive Analyse der Sprachen liefert eine Sammlung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden.
  • Die kontrastive Analyse liefert Voraussagen für besonders schwierige Phänomene für Lerner und erlaubt es, passende Lehrmaterialien und -techniken für den Fremdsprachenunterricht zu entwickeln.[12]

Methodik

Sprachen werden bilateral (auch multilateral, gegenseitig) oder unilateral (von einer zur anderen Sprache) in einem bestimmten Phänomen (z. B. Monatsnamen) miteinander konfrontiert und in ihren Gemeinsamkeiten und Unterschieden beschrieben.

Die Phänomene in den Sprachen können dabei konvergent, divergent oder äquivalent sein.

Wissenschaftsgeschichte

Die kontrastive Linguistik hat ihren Ursprung in den 60er und 70er Jahren des 20. Jahrhunderts als neue Grundlage für einen effektiveren Fremdsprachenunterricht.[12] Ausgangspunkt war die Erkenntnis, dass ein Fremdsprachenlehrbuch effektiver ist, das auf die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der Fremdsprache mit der Muttersprache der Lernenden hinweist. Zu diesem Zweck benötigte man zunächst theoretische Erkenntnisse, die die kontrastive Linguistik liefern sollte.[13]

Bald geriet die kontrastive Linguistik in die Kritik, weil sie zu viele andere Faktoren außer dem Kontrast zwischen Sprachen vernachlässigte. So spielen beim Spracherwerb auch eine Rolle, ob es sich um Erst-, Zweit- oder Fremdspracherwerb handelt. Ferner wird der Spracherwerb auch durch das Alter des Lerners und sein Wissen beeinflusst. Obwohl in den 70er und 80er Jahren einige Einführungen in die kontrastive Linguistik entstanden, machte die kontrastive Linguistik wenige Fortschritte, denn es wurden nur sehr wenige umfassende kontrastive Analysen verschiedener Sprachen veröffentlicht. Ein kleiner Impuls für die kontrastive Linguistik ging in ab den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts durch die Entstehung von Lernerkorpora und Parallelkorpora aus, aufgrund dessen einige kontrastive Studien entstanden. Seit den 90er Jahren kann man auch von einem kleinen Revival der kontrastiven Linguistik sprechen, was unter anderem auch durch die Gründung der Zeitschrift Languages in Contrast im Jahr 1999 reflektiert wird.[14]

Ab den 2000er Jahren findet man außerdem kontrastive Analysen von sprachlichen Phänomenen im Internet.[15][16]

Literatur

  • Marlis Hellinger, Ulrich Ammon (Hrsg.) Contrastive Sociolinguistics. Berlin: Mouton de Gruyter 1996, ISBN 978-3110149661.
  • Ekkehard König, Volker Gast: Understanding English-German Contrasts, 3. Auflage. Berlin: Erich Schmidt 2012, ISBN 978-3503137268.
  • Kurt Rein: Einführung in die kontrastive Linguistik. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 1983, ISBN 3-534-08303-2.
  • Reinhard Sternemann (Hrsg.): Einführung in die konfrontative Linguistik. Leipzig: Verlag Enzyklopädie 1983, 147 S., http://d-nb.info/840089414.
  • Özlem Tekin: Grundlagen der Kontrastiven Linguistik in Theorie und Praxis. Tübingen: Stauffenburg 2012, ISBN 978-3-86057-109-5.
  • Joachim Theisen: Kontrastive Linguistik: Eine Einführung. Tübingen: Narr 2016, ISBN 978-3-8233-8016-0.

Weblinks

Wiktionary: Kontrastive Linguistik – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. a b Marlis Hellinger: Kontrastive Grammatik Deutsch/Englisch. Tübingen: Niemeyer, S. 1.
  2. Charles J. Fillmore: Remarks on Contrastive Pragmatics. In: Jacek Fisiak (Hrsg.): Contrastive Linguistics: Prospects and Problems. Mouton de Gruyter, Berlin 1984, ISBN 978-90-279-3260-0, S. 119–141.
  3. Udo Fries: Textlinguistic Analysis of German and English Curricula Vitae. In: Dieter Kastovsky and Aleksander Stwedek (Hrsg.): Linguistics Across Historical and Geographical Boundaries. Mouton de Gruyter, Berlin 1986, ISBN 978-0-89925-180-6, S. 1203–1218.
  4. Marlis Hellinger, Ulrich Ammon (Hrsg.): Contrastive Sociolinguistics. Mouton de Gruyter, Berlin 1996, ISBN 978-3-11-014966-1.
  5. Gerhard Nickel: Kontrastive Linguistik. In: Hans Peter Althaus, Helmut Henne, Herbert Ernst Wiegand (Hrsg.): Lexikon der germanistischen Linguistik. 2. Auflage. Niemeyer, Tübingen 1980, ISBN 3-484-10391-4, S. 633.
  6. Marlis Hellinger: Kontrastive Grammatik Englisch/Deutsch. Niemeyer, Tübingen 1977, ISBN 3-484-40050-1, S. 3.
  7. Joachim Theisen: Kontrastive Linguistik: Eine Einführung. Narr, Tübingen 2016, ISBN 978-3-8233-8016-0, S. 12.
  8. a b Marlis Hellinger: Kontrastive Grammatik Englisch/Deutsch. Niemeyer, Tübingen 1977, ISBN 3-484-40050-1, S. 2.
  9. Joachim Theisen: Kontrastive Linguistik: Eine Einführung. Narr, Tübingen 2016, ISBN 978-3-8233-8016-0, S. 42.
  10. Joachim Theisen: Kontrastive Linguistik: Eine Einführung. Narr, Tübingen 2016, ISBN 978-3-8233-8016-0, S. 15.
  11. Joachim Theisen: Kontrastive Linguistik: Eine Einführung. Narr, Tübingen 2016, ISBN 978-3-8233-8016-0, S. 55.
  12. a b Ekkehard König, Volker Gast: Understanding English-German Contrasts. 3. Auflage. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2012, ISBN 978-3-503-13726-8, S. 1.
  13. Joachim Theisen: Kontrastive Linguistik: Eine Einführung. Narr, Tübingen 2016, ISBN 978-3-8233-8016-0, S. 30.
  14. Ekkehart König, Volker Gast: Understanding English-German Contrasts. 3. Auflage. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2012, S. 1, 2, 7.
  15. Markus Bieswanger: 2 abbrevi8 or not 2 abbrevi8: A Contrastive Analysis of Different Space- and Time-saving Strategies in English and German Text Messages. In: Simeon Floyd, Taryne Hallet, Sae Oshima, Aaron Shield (Hrsg.): Texas Linguistic Forum. Band 50. Austin, Texas.
  16. Torsten Siever, Peter Schlobinski (Hrsg.): Microblogs Global. Eine internationale Studie zu Twitter & Co. aus der Perspektive von zehn Sprachen und elf Ländern. Peter Lang, Frankfurt 2013, ISBN 978-3-631-61436-5.