Laryngitis gastrica

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Klassifikation nach ICD-10
J37.0 chronische Laryngitis
ICD-10 online (WHO-Version 2019)

Unter Laryngitis gastrica versteht man eine nichtbakterielle, entzündliche Reaktion der Schleimhaut im Kehlkopf und umgebendem Rachen durch einen Reflux (lat. refluxus „Rückfluss“) von Magensekret, in dem besonders Magensäure und Pepsin wesentliche Bestandteile sind. Der Name der Erkrankung leitet sich von lateinisch "larynx": Kehlkopf, "-itis": Endung für Entzündungen und "gaster": Magen ab. Andere Bezeichnungen lauten Stiller Reflux, Laryngitis posterior, laryngopharyngealer Reflux (LPR), NERD (Non esophageal refluxe disease = nicht-ösophageale Refluxkrankheit) oder EERD (extra esophageal refluxe disease).

Ursachen und Beschwerden

Als Hauptursache für Laryngitis gastrica gilt ein gastroösophagealer Reflux (englisch GERD, gastroesophageal reflux disease), bei dem Mageninhalt in die Speiseröhre gelangt. Die darin enthaltene Magensäure verursacht Schäden an der Speiseröhre sowie an den Stimmbändern und Schleimhäuten.

Lupenlaryngoskopisches Bild einer schweren Laryngitis gastrica

Als typische Beschwerden werden genannt:

Befunde

Im lupenlaryngoskopischen Bild fallen vor allem Hyperplasien der Schleimhäute überwiegend der posterioren (hinteren) Anteile des Kehlkopfes, des Ösophaguseingangs und der Rachenhinter- und Seitenwände auf. Typisch ist eine Hellfärbung und Fältelung der Schleimhäute, aufgrund der Verdickung entfaltet sich der Recessus piriformis weniger gut. Je nach Liegegewohnheiten kann durch überwiegend nächtlichen Reflux eine Bevorzugung einer Seite beobachtet werden. In neueren, experimentellen Studien konnten negative Einwirkungen des Reflux auf die Mikrostruktur der Larynxschleimhaut nachgewiesen werden. So führt der Magensaft zu einem verminderten Widerstand der Mucosabarriere mit der Folge leichteren Eindringens von Schadstoffen in tiefere Zellschichten.[1] Eine andere Untersuchung wies Veränderungen im Immunsystem der Schleimhaut (bei sogenannten Killerzellen) infolge eines Reflux nach.[2]

Diagnostik

Standard ist nach wie vor das endoskopische Bild, auch wenn einzelne Studien gezeigt haben, dass die Befunde sehr variabel sein können und daher bei verschiedenen Untersuchern zu unterschiedlicher Interpretation führten. Als apparative Untersuchung zum direkten Nachweis eines Reflux zählt die 24h-pH-Metrie, wobei die klassischen Sonden mit Messpunkten im Magen und unteren Ösophagus nicht optimal sind, da nur ein Messpunkt im Hypopharynx den Reflux in der Zielregion erfassen kann. Daher sind spezielle Messsonden mit entsprechender Konfiguration besser geeignet. Zur allgemeinen Abklärung einer Ursache (z. B. Hiatushernie) ist eine Magenspiegelung erforderlich (siehe auch Refluxösophagitis). Auch bereits ein nicht-obstruktives Schnarchen kann refluxfördernd sein, da durch die Verlegung der Atemwege ein erheblicher Druckgradient vom Magen zum Thorax-/Halsraum entsteht.[3][4][5] Der thorakale Unterdruck bei (frustraner) Inspiration steigt erheblich an, der Magensaft wird nach oben gesaugt. Daher ist ggf. auch eine Polysomnographie im Schlaflabor, optimalerweise mit Somnoendoskopie, erforderlich.

Verbreitung und sozio-ökonomische Folgen

Nach Untersuchungen sind ca. 20 % der US-Amerikaner von einem Reflux bis in den Hals betroffen.[6] Pahn fand bei 1000 Patienten, die wegen einer Stimmstörung die Ambulanz aufsuchten, in 41 % Zeichen einer Laryngitis gastrica, während umgekehrt 10 % von Patienten mit einem ösophagealen Reflux zusätzlich über Globusgefühl, Räuspern und Missempfindungen im Larynxbereich klagten.[7] Es gibt daher Schätzungen über die sozio-ökonomischen Folgen dieser Erkrankung: nach einem Audit des britischen National Health Services werden jährlich etwa 4 % (entspricht ca. 24 Millionen €) der Ausgaben für Protonenpumpenhemmer für diese Refluxform aufgewendet[2] Ebenfalls gibt es Untersuchungen über die verminderte Lebensqualität durch eine Laryngitis gastrica.[8] Zudem haben Patienten mit einer Laryngitis gastrica ein erhöhtes Risiko zur Karzinomentstehung im Kehlkopf.[9] Nach einer US-amerikanischen epidemiologischen Studie von 2018 an älteren Patienten besteht eine Assoziation eines gastroösophagealen Reflux’ und einem Karzinom im unteren Aerodigestivtrakt. Dieser epidemiologische Zusammenhang müsse allerdings hinsichtlich der Kausalität überprüft werden.[10] Daher sollten Patienten mit einer Laryngitis gastrica, besonders bei weiteren Risikofaktoren wie Nikotin- und Alkoholkonsum, langfristig hinsichtlich einer Tumorentstehung beobachtet werden.

Therapie

Valide Studien zur Therapie sind bis dato nicht vorhanden, viele weisen qualitative Mängel auf, die Ergebnisse sind sehr heterogen.[11][12][13] Trotzdem gilt international die medikamentöse Behandlung mit Protonenpumpenhemmern (PPI) als Therapie der Wahl. Da der für den Larynx schädliche Reflux überwiegend nachts auftritt, wird (auch) eine abendliche Gabe als sinnvoll beschrieben. Neueste Studien zeigen jedoch, dass PPI nicht besser als Placebo wirken. Gleichzeitig zeigen Untersuchungen, dass nicht nur die Säure im Refluat, sondern auch die enthaltenen Pepsine eine große Rolle bei der Entstehung der Symptome spielen. Da die PPI nur die Säureproduktion unterdrücken, nicht jedoch die Produktion der Pepsine, sind PPI als Behandlungsmaßnahme unzureichend. Daher nimmt die medizinische Bedeutung von Ernährungstherapie und Operationen gegenüber den PPI zu. Auf diese Weise kann der Reflux selbst und damit auch der Fluss von Pepsinen in Hals, Atemwege und Kehlkopf unterbunden werden.[14][15] Bei relevantem Schnarchen führt eine CPAP-Therapie zu einer signifikanten Besserung des laryngealen Schleimhautbildes.[3] Je nach weiteren Beschwerden (Ösophagus, Bronchien) sind zusätzliche, organspezifische Therapiemaßnahmen erforderlich. Bei durch die Schleimhautbelastung induzierter, sekundärer Stimmstörung ist nach Besserung der Schleimhautveränderungen eine Stimmtherapie angezeigt.

Literatur

  • Jürgen Wendler, Wolfgang Seidner, Ulrich Eysholdt: Lehrbuch der Phoniatrie und Pädaudiologie. 4. Auflage. Thieme-Verlag, Stuttgart 2005, ISBN 3-13-102294-9.
  • J. P. Pearson, S. Parikh, R. C. Orlando, N. Johnston, J. Allen, S. P. Tinling, N. Johnston, P. Belafsky, L. F. Arevalo, N. Sharma, D. O. Castell, M. Fox, S. M. Harding, A. H. Morice, M. G. Watson, M. D. Shields, N. Bateman, W. A. McCallion, M. P. van Wijk, T. G. Wenzl, P. D. Karkos, P. C. Belafsky: Review article: reflux and its consequences – the laryngeal, pulmonary and oesophageal manifestations. Conference held in conjunction with the 9th International Symposium on Human Pepsin (ISHP) Kingston-upon-Hull, UK, 21-23 April 2010. In: Aliment Pharmacol Ther. 33 Suppl 1, 2011, S. 1–71, PMID 21366630 (wiley.com [PDF]).

Einzelnachweise

  1. E. Erickson, M. Sivasankar: Simulated Reflux Decreases Vocal Fold Epithelial Barrier Resistance. In: Laryngoscope. 2010 August; 120(8), S. 1569–1575. Freier Artikel
  2. a b L. E. Rees, L. Pazmany, D. Gutowska-Owsiak, C. F. Inman, A. Phillips, C. R. Stokes, N. Johnston, J. A. Koufman, G. Postma, M. Bailey, M. A. Birchall: The mucosal immune response to laryngopharyngeal reflux. In: Am J Respir Crit Care Med. 2008 Jun 1;177(11), S. 1187–1193. Freier Artikel
  3. a b B. T. Green, W. A. Broughton, J. B. O'Connor: Marked improvement in nocturnal gastroesophageal reflux in a large cohort of patients with obstructive sleep apnea treated with continuous positive airway pressure. In: Archives of Internal Medicine. 2003 Jan 13;163(1), S. 41–45. Freier Artikel
  4. P. Demeter, A. Pap: The relationship between gastroesophageal reflux disease and obstructive sleep apnea. In: Journal of Gastroenterology. 2004 Sep;39(9), S. 815–820. PMID 15565398
  5. A. M. Zanation, B. A. Senior: The relationship between extraesophageal reflux (EER) and obstructive sleep apnea (OSA). In: Sleep Medicine Reviews. 2005 Dec;9(6), S. 453–458. PMID 16182575
  6. J. A. Koufman, M. R. Amin, M. Panetti: Prevalence of reflux in 113 consecutive patients with laryngeal and voice disorders. In: Otolaryngology – Head and Neck Surgery. 2000;123, S. 385–388. PMID 11020172
  7. J. Pahn, A. Schlottmann, G. Witt, W. Wilke: Diagnostik und Therapie der Laryngitis gastrica. In: HNO. 2000, 48, S. 527–532. PMID 10955230
  8. N. Connor, K. Palazzi-Churas, S. Cohen, G. Leverson, D. Bless: Symptoms of extraesophageal reflux in a community-dwelling sample. In: J Voice. 2007;12, S. 189–202. PMID 16472972
  9. M. F. Vaezi, M. A. Qadeer, R. Lopez, N. Colabianchi: Laryngeal cancer and gastroesophageal reflux disease: a case-control study. In: Am J Med. 2006; 119, S. 768–776. PMID 16945612
  10. Charles A. Riley, Eric L. WU et al.: Association of gastroesophageal reflux with malignancy of the upper aerodigestive tract in elderly patients. In: JAMA Otolaryngolgy-Head&Neck Surgery. Band 144, Nr. 2, Februar 2018, S. 140–148, doi:10.1001/jamaoto.2017.2561 (jamanetwork.com [abgerufen am 9. Januar 2019]).
  11. M. Ptok, A. Ptok: Laryngopharyngealer Reflux und kehlkopfassoziierte Beschwerden. In: HNO. Band 60, Nr. 3, 2012, S. 200–205, doi:10.1007/s00106-011-2441-6, PMID 22402900.
  12. J. S. Lee, Y. C. Lee, S. W. Kim, K. H. Kwon, Y. G. Eun: Changes in the Quality of Life of Patients With Laryngopharyngeal Reflux After Treatment. In: Journal of Voice. 2014, doi:10.1016/j.jvoice.2013.12.015, PMID 24598356 (Online).
  13. J. Waxman, S. Yalamanchali, E. S. Valle, T. Pott, M. Friedman: Effects of Proton Pump Inhibitor Therapy for Laryngopharyngeal Reflux on Posttreatment Symptoms and Hypopharyngeal pH. In: Otolaryngol Head Neck Surg. 2014, PMID 24647643 (sagepub.com).
  14. C. Reimer, P. Bytzer: Management of laryngopharyngeal reflux with proton pump inhibitors. PMC 2503658 (freier Volltext).
  15. Refluxgate. Unterschiede in der Behandlung von GERD und Stillem Reflux.