Lehmbau

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Wohngebäude (tighremt) aus Stampflehm in Aït-Ben-Haddou, Marokko

Lehmbau bezeichnet die Errichtung von Bauwerken aus Lehm und die so entstandenen Bauwerke selbst. Dabei werden verschiedene tragende und nichttragende Bauweisen angewandt. Tragende Wände werden überwiegend aus Stampflehm, Lehmziegeln oder als Holzfachwerk mit Gefachen aus Lehm erstellt. Leichtlehm mit unterschiedlichen Zuschlägen hat gegenüber Lehm eine geringere Rohdichte und Druckfestigkeit.

Lehm als Baustoff

Fachwerkhaus mit freigelegter Konstruktion mit Gefachen mit Holzgeflecht und Lehmbewurf und Gefachen mit Lehmziegeln in Bad Langensalza

Zusammensetzung

Der zum Bauen verwendete Lehm ist eine Mischung aus Ton, Schluff (Feinstsand) und Sand, die feucht in Form gebracht und dann getrocknet wird. Wenn der Lehm zu viel Sand enthält (er ist zu mager), wird er bröckelig; zu viel Ton (er ist zu fett) hingegen bewirkt, dass er Risse bekommt. In vielen Gegenden wird dem Lehm Stroh zugesetzt; dies ist nicht unbedingt erforderlich, bewirkt aber eine geringere Dichte des entstehenden Materials und damit bessere Wärmedämmeigenschaften. Außerdem wirkt das Stroh als Armierung der Rissbildung entgegen.

Teilweise wird auch Kuhdung oder Pferdemist beigemischt. Der zweitere enthält – weil das Pferd kein Wiederkäuer ist, also die Cellulose nicht zersetzt wird – einen hohen Anteil an unverrottbaren Faserstoffen. Außerdem gehen die organischen Anteile des Dungs mit den mineralischen Lehmbestandteilen komplexe Verbindungen ein, die die technischen Eigenschaften deutlich verbessern. Eine Zugabe von Kalk wirkt hierbei als Desinfektionsmittel, neutralisiert die Säuren zu Salzen – dies erhöht die Wasserspeicherkapazität – und schließt die Oberfläche der Zellulosen auf, sodass sie sich besser im Lehm verankern.

Heute kann man von einer Renaissance des Lehmbaus sprechen. Oft kann der Lehm direkt an der Baustelle aus dem Boden gewonnen werden. In den meisten Dörfern finden sich noch alte Lehmkuhlen, aus denen früher der Lehm abgebaut wurde. Firmen, die auf wirtschaftliches Arbeiten angewiesen sind, greifen auf heute erhältliche Fertigprodukte zurück. Der Lehm wird hier trocken und fein gemahlen in Säcken geliefert und kann mit einem Freifallmischer wie Zementmörtel bzw. Beton verarbeitet werden. Moderner Baulehm enthält diverse andere Faserstoffe, Speicher- und Quellstoffe, die die Verformung durch die Materialfeuchtigkeit kontrollieren, sowie, als sog. „Thermolehm“, wärmedämmende und wärmespeichernde Materialien.

Positive Eigenschaften

Das Klima in Lehmgebäuden ist angenehm, da der Lehm ein hohes Wärmespeicherungsvermögen aufweist und damit temperaturausgleichend wirkt. Auch die Luftfeuchtigkeit wird stabilisiert, da Lehm Feuchtigkeit speichert und langsam aufnimmt oder abgibt.

Gegenüber Zement hat Lehm einige sehr positive Eigenschaften, die ihn für ökologisches Bauen interessant machen.

  • Lehm ist schadstofffrei (abgesehen von freigesetzten Radon-Isotopen wie Thoron[1]) und hautfreundlich.
  • Zur Aufbereitung und Verarbeitung wird sehr wenig Primärenergie benötigt.
  • Lehm wirkt luftfeuchteregulierend und ist diffusionsfähig.
  • Trockener Lehm wirkt antibakteriell und abweisend gegen Schädlinge.
  • Lehm konserviert Holz.
  • Lehm ist vollständig recycelbar.
  • Lehm speichert Wärme.
  • Lehm bindet Schadstoffe.
  • Lehm ist schwer entflammbar.

So schafft Lehm ein für den Menschen angenehmes und gesundes Raumklima. Im Sommer, wenn es draußen sehr heiß ist, sind die Räume in einem Lehmhaus angenehm kühl. Im Winter schützt der Lehm durch seine feuchteregulierende Eigenschaft vor zu trockener Raumluft. Bei Lehm muss darauf geachtet werden, dass dieser unvergütet angeboten wird. In der heutigen Zeit werden Lehmputze mit Klebstoffen versehen, um die Verarbeitung zu vereinfachen. Dies schränkt den Lehm in seinen positiven Eigenschaften wesentlich ein. Nur unvergütete, reine Lehmverputze können die Eigenschaften uneingeschränkt weitergeben.

Lehmbautechnik

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Weilburg, Hessen, Haus Hainallee 1 – höchstes Stampflehmgebäude Deutschlands

Bauweisen

Lehmbau kann sowohl im Auftrag auf hölzerne Grundstrukturen, aber wegen der höheren Druckbelastbarkeit vor allem mit luftgetrockneten Ziegeln oder im Stampflehmbau durchgeführt werden. Generell sind die Mauern von Lehmgebäuden massiv angelegt. Zum Mauern mit Ziegeln wird als Mörtel und zum Verputzen das gleiche Material wie zur Herstellung der Ziegel verwendet. Die in Oberägypten und Nordsudan bekannten „nubischen Gewölbe“ aus Lehmziegel können ohne Schalung mit einer beweglichen Hilfslehre errichtet werden. Beim Stampflehmbau ist ein meist hölzerner Rahmen erforderlich.

In den meisten Fachwerkhäusern ist Lehm entweder in Form von Lehmziegeln mittels Lehmmörtel vermauert oder bei Ausfachungen als klebefeuchte Mischung mit gehäckseltem Stroh o. ä. Fasermaterial (auch „Weller“ genannt) auf ein Weidengeflecht oder Holzstaken aufgebracht (Klaiben). Daneben existiert die Stampflehm-Bauweise, auch Pisee- oder Pisé-Bauweise genannt. Hier wird eine erdfeuchte Lehmmischung in eine Schalung eingebracht und verdichtet (Beispiel: die Kapelle der Versöhnung in Berlin). Bei der ehemals in Thüringen und Sachsen verbreiteten Lehmwellerbauweise wird das Lehmgemisch unter Verzicht auf die Schalung direkt zur Wand aufgeschichtet.

Holzbalken werden in Lehmwände eingebaut, um Tür- oder Fensterrahmen zu erhalten oder um daran etwas befestigen zu können, z. B. Hängeschränke. Lehmhäuser werden meistens außen mit Holz verschalt, um sie gegen Feuchtigkeit zu schützen. Zementhaltiger Mörtel hat ein anderes Ausdehnungsverhalten bei Temperaturänderungen als Lehm und ist daher als Fassadenputz ungeeignet. Außenputze für Lehmwände enthalten Ziegelmehl, Kalk und höchstens eine minimale Zementzugabe. Neuerdings sind in Europa industriell gefertigte Lehmbausteine unterschiedlicher Formate, Lehmwandplatten, zum Teil mit Nut und Feder, und Lehmputze für den Innenausbau erhältlich.

Temperaturregulierung und Dämmung

Aufgrund der hohen spezifischen Wärmekapazität sind Lehmwände in der Lage, Temperaturunterschiede auszugleichen. In warmen Regionen sorgen deshalb dicke Wände für ein angenehmes Innenklima. Lehm ist ein guter Wärmeleiter. Durch Beimischung von dämmenden Materialien wie z. B. Korkschrot, Perlite, Vermiculite oder Blähton kann die Wärmeleitfähigkeit herabgesetzt werden (Leichtlehm). In kälteren Regionen sollte eine Wärmedämmung wie üblich an der Außenwand angebracht sein.

Konstruktiver Feuchtigkeitsschutz

Die Form des Lehmziegels ist durch Vernässen korrigierbar. Durch Kapillarwirkung ziehen Lehmziegel Wasser aus stehender Nässe. Durch Wasser wird ein Lehmbau schnell beschädigt, oberflächliche Feuchtigkeit dagegen richtet keinen Schaden an. Daher ist es in feuchten (humiden) Klimagebieten erforderlich, die Außenwände durch geeignete Schalung aus Holz oder entsprechende Dachüberstände zu schützen und für Drainage des umgebenden Geländes zu sorgen. Lehmwände sollten stets eine Steinschicht oberhalb des Erdreichs mit aufliegender Trennlage besitzen, um keine Nässe aus dem Boden ziehen zu können.

In trockenen (ariden) Klimazonen sind Lehmgebäude sehr dauerhaft. Lehmbauweise ist traditionell in bäuerlichen Gesellschaften ohne industrielles Transportwesen üblich. Bis heute sind Lehmbauten im mittleren Osten, nördlich und südlich der Sahara, in Spanien (Mudéjares-Architektur), bei den Pueblo-bauenden Indianern Nordamerikas und in den Anden üblich.

Befestigung von Gegenständen

Sofern der Lehm bei der Trocknung stark komprimiert wurde, können gewöhnliche Kunststoffdübel (mit nicht zu kleinem Durchmesser) verwendet werden.

Leichte Gegenstände wie Bilder und Badezimmerschränke können einfach durch das Einschlagen von Nägeln und das Einschrauben von Span- oder Trockenbauschrauben mit grobem Gewinde (ohne Vorbohren) befestigt werden. Gegebenenfalls sollte zunächst ein Lochblech mit mehreren Schrauben angebracht werden, welches die eigentlich lasttragende Schraube abstützt. Zur Vergrößerung der Traglast eignen sich alternativ spezielle Dübel zur Verwendung in Lehm, Porenbeton und Gipsbauplatten.[2][3] Zum Tragen größerer Lasten müssen die Dübel besonders im Untergrund verankert werden. Zur Verteilung auftretender Druckspannung kann ein Holzbrett auf der Wandoberfläche aufgelegt oder in die Wand eingelassen werden.

Bekannte Lehmbauten

  • Das größte Lehmgebäude der Welt war die Zitadelle der iranischen Stadt Bam, die durch ein Erdbeben am 26. Dezember 2003 weitgehend zerstört wurde.
  • Zahlreiche Lehmgebäude finden sich auch in den Städten Djenné und Timbuktu des Staates Mali. Die Stadt Djenné zählt ebenso wie die Große Moschee von Djenné zum Weltkulturerbe. In Timbuktu gehören die Lehmmoscheen von Timbuktu zum UNESCO-Welterbe.
  • Auch die Berbergebiete im Süden Marokkos sind weltbekannt für ihre Lehmarchitektur (siehe Berberarchitektur).
  • Bekannt ist auch die Lehmarchitektur auf der arabischen Halbinsel, insbesondere im Jemen; hier insbesondere im Norden (Saada) und Osten des Landes (Hadramaut). Auch in der Hauptstadt Sana'a sind neben Bauten aus gebrannten Ziegeln verschiedentlich ältere Lehmziegelhäuser erhalten.
  • Das größte (Stampf-)Lehmgebäude in Deutschland ist ein 6-geschossiges Wohnhaus aus dem Jahr 1836 in Weilburg. Ein aktuelles Beispiel dieser Bautechnik ist die 1999 errichtete Kapelle der Versöhnung in Berlin als erster öffentlicher Stampflehmbau seit 150 Jahren.
  • Das im Jahr 2019 bezogene Bürogebäude des Bio-Handelsunternehmens Alnatura ist Europas größtes Bürogebäude aus Lehm. Die 12 Meter hohe Fassade wurde aus insgesamt 384 Stampflehm-Elementen zusammengesetzt.[4] Die Elemente waren 350 cm breit, 70 cm tief und 100 cm lang dicken und wurden zu 32 selbsttragenden Elementen zusammengesetzt, die in der Mitte des Gebäudes mit einem Stahlbeton-Gerippe verbunden sind.[4][5]
  • Das 2014 fertiggestellte Kräuterzentrum des Kräuterbonbon-Herstellers Ricola ist der größte Lehmbau Europas.[6] Aus 666 einzelnen Stampflehm-Elementen wurde die Fassade des 111 m langen, 28,9 m breiten und 10,8 m hohen Gebäudes zusammengesetzt. Der Lehm wurde in einem Umkreis von 10 Kilometern um die Baustelle herum gewonnen.[6]
Aït-Ben-Haddou mit ausgetrocknetem Flusstal des Assif Mellah – die beiden unten rechts im Bildvordergrund zu sehenden Tore sowie die seitlich angrenzenden Mauern wurden als Filmkulisse (Holz, Styropor, Kunstharz) errichtet, um die Wirkung des in sich geschlossenen Stadtbildes über das eigentliche Maß hinaus zu verstärken.

Das von der UNESCO zum Weltkulturerbe gekürte Schibam auf einer Talerhebung im Wadi Hadramaut im Südjemen wird wegen seiner bis zu neunstöckigen Hochhäuser gar als „Chicago der Wüste“ bezeichnet. Die alte Stadt umfasst eine Fläche von 250 × 350 Metern und ist für ihre mehrstöckigen Wohnhäuser aus Lehmziegeln berühmt. Viele der Gebäude sind bis zu 25 Meter hoch und haben ein Alter von bis zu 500 Jahren. Die Stabilität der Häuser wird unter anderem durch eine konsequente Verringerung der Mauerstärken nach oben gesichert, sowie durch ein rigides Modulsystem von Wand- und Fensterachsen und einem System von Holzsäulen und Holzdecken, mit denen die Lehmwände miteinander verzahnt sind. Die Lehmoberflächen müssen regelmäßig erneuert werden. Die Dächer und sensible Bauteile sind durch Kalkputz geschützt, der nur ca. alle 25 Jahre erneuert werden muss. Auch die Bergoasensiedlung von Aït-Ben-Haddou in Marokko ist als Weltkulturerbe anerkannt.

Siehe auch

Literatur

  • Roger Boltshauser, Martin Rauch: Haus Rauch – Ein Modell moderner Lehmarchitektur / The Rauch House, A Modell of Modern Clay Architecture. Birkhäuser, Basel 2013, ISBN 978-3-03821-196-9.
  • Otto Kapfinger: Rammed Earth. Birkhäuser, Basel 2002, ISBN 3-7643-6461-0.
  • Bernhard Kolb: Beispiele Biohaus. Bio- u. Solarhäuser im deutschsprachigen Raum. 2. Auflage. Müller, Karlsruhe 1984, ISBN 3-924466-01-7.
  • Tom Leiermann: Shibam, Leben in Lehmtürmen. Weltkulturerbe im Jemen. Reichert, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-89500-644-9.
  • Wolfgang Lenze: Fachwerkhäuser, restaurieren – sanieren – modernisieren. Materialien und Verfahren für eine dauerhafte Instandsetzung. 3. erweiterte Auflage. Fraunhofer-IRB, Stuttgart 2004, ISBN 3-8167-6431-2.
  • Toni Miller: Lehmbaufibel. Darstellung der reinen Lehmbauweisen. (1947) Nachdruck: VDG Weimar und Bauhaus-Universitätsverlag, Kromsdorf 2015, ISBN 978-3-95773-084-8.
  • Gernot Minke: Handbuch Lehmbau – Baustoffkunde, Techniken, Lehmarchitektur. 7. Auflage, Ökobuch, Staufen bei Freiburg 2009, ISBN 978-3-936896-41-1.
  • Ulrich Röhlen, Franz Volhard: Lehmbau Regeln. Begriffe – Baustoffe – Bauteile. 3. überarbeitete Auflage. Vieweg + Teubner, Wiesbaden 2009, ISBN 978-3-8348-0189-0 (= Praxis).
  • Ulrich Röhlen, Christof Ziegert: Lehmbau Praxis. Planung und Ausführung. Bauwerk, Berlin 2010, ISBN 978-3-89932-125-8.
  • Valentina Filemio: The Architecture and Mechanics of Earthen Structures (PDF). In: Karl-Eugen Kurrer, Werner Lorenz, Volker Wetzk (Hrsg.): Proceedings of the Third International Congress on Construction History. Neunplus, Berlin 2009, ISBN 978-3-936033-31-1, S. 579–586

Weblinks

Commons: Lehmbau – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary: Lehmbau – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Thoron und Radon in Innenräumen. In: helmholtz-munich.de. Abgerufen am 14. März 2022.
  2. Arbeitsblatt Innendämmung. (PDF; 900 kB) In: claytec.de. März 2021, S. 10, abgerufen am 14. März 2022.
  3. Fester Halt in Lehm. (PDF; 23,3 MB) In: tox.de. 13. November 2020, abgerufen am 14. März 2022.
  4. a b Enrico Santifaller: BAUWELT - Hauptsitz von Alnatura in Darmstadt. 1. September 2019, abgerufen am 17. Dezember 2020.
  5. Peter Carstens: Neue Alnatura-Zentrale: Hier entsteht Europas größtes Bürogebäude aus Lehm. 1. November 2017, abgerufen am 17. Dezember 2020.
  6. a b Jenny Keller: Ein Lehmbau für Laufen. In: Neue Zürcher Zeitung. 15. Februar 2013, abgerufen am 17. Dezember 2020.