Liewer düd aß Slaawe

aus Wikipedia, der freien Enzyklopädie
Wappen Nordfrieslands nach Vorstellungen aus dem Umkreis von Christian Feddersen

Liewer düd aß Slaawe (deutsch: „Lieber tot als Sklave“; niederdeutsch: „Lever dood as Slav“) ist ein im 19. Jahrhundert erstmals nachgewiesener politischer Wahlspruch auf Friesisch. Er wird seither in zahlreichen friesischen Dialektvarianten und Rechtschreibversionen verwendet, etwa Leewer duad ü(ü)s slaaw oder Lever duad as Slav, aber auch auf Niederdeutsch oder Standarddeutsch.

Geschichte

Vorgeschichte

Die friesische Geschichte und Kultur ist unter anderem von der mittelalterlichen Friesischen Freiheit geprägt, die sich ursprünglich nur auf die südlich der Nordsee lebenden Friesen bezog. Der niederländische Pastor Adriaan Westerman aus Workum veröffentlichte 1653[1] eine Predigtsammlung, in deren Anhang er die 1345 geschlagene Schlacht bei Warns – auch: Schlacht bei Stavoren – beschrieb, in der die Westfriesen den holländischen Grafen Wilhelm IV. töteten. Darin schreibt Westerman, dass der Wahlspruch der siegreichen Friesen Phriso pro Libertate mortem appetit, dat is: Liever doot dan onvrij (wörtlich etwa: „Der Friese nimmt für die Freiheit den Tod in Kauf, das heißt: Lieber tot als unfrei.“) gewesen sei.[2] Damit griff er die lateinische Phrase auf, die Enea Silvio, der spätere Papst Pius II., im 15. Jahrhundert mit Bezug auf die Friesen in seinem Werk Historia de Europa notiert hatte.[3] 1671 wurde der Wahlspruch auch in einer niederländischen Sprichwortsammlung veröffentlicht.[2]

1666 erschien der erste von zwei Bänden von Anton Heimreichs Werk Nord Fresische Chronick („Nordfriesische Chronik“), in dem er den Spruch erstmals auf Deutsch als „Lieber Tod als unfrey!“ angibt und zum ersten Mal auch auf die Nordfriesen bezieht.[4] Statt des Bezugs zur Schlacht bei Warns verlegt Heimreich die Gültigkeit des Spruchs in die Zeit Karls des Großen und der Friesischen Freiheit.

1819 erschien eine von Niels Nikolaus Falck herausgegebene Neuauflage der Heimreichschen Chronik. Dadurch wurde der in Vergessenheit geratene Spruch wieder der Öffentlichkeit zugänglich.

Entstehung

1839 erwähnt Gustav Waldemar Gardthausen im Anhang zu seinem Werk Die Ostsee, Gedicht in drei Gesängen die Friesen und ihre Freiheitsbestrebungen. Er zitiert den lateinischen Ausspruch des Enea Silvio, übersetzt ihn aber erstmals mit „Lieber todt als Sklave!“.[5][6]

In der Zeit der Romantik entstand etwa 1844 auch in Nordfriesland die „Friesische Bewegung“, die sich für die Erhaltung und Weiterentwicklung einer friesischen Identität und gegen die dänische Herrschaft einsetzte. Zu den Hauptakteuren gehörte Christian Feddersen. In seinen bereits 1842 geschriebenen und 1845 veröffentlichten Fünf Worte an die Nordfriesen findet sich erstmals die friesische Formulierung „Liewer düd aß Slaawe“, wenn er den Spruch auch nur aufgreift, um vor einem falschen Freiheitsbegriff zu warnen.[7][8] 1844 fand das erste Heimatfest der Nordfriesen in Bredstedt statt. Dort wurde der Spruch in friesischer und deutscher Sprache auf Fahnen und Ehrenpforten genutzt, dokumentiert unter anderem von Theodor Storm, der am Fest teilnahm.[9] Wenige Monate später fand der Spruch auch bei einem ähnlichen Fest in Schleswig großen Anklang. 1845 verwendete Knut Jungbohn Clement, der als einer der Initiatoren des Heimatfestes gilt, den Spruch in seinem Werk Die Lebens- und Leidensgeschichte der Frisen, insbesondere der Frisen nördlich von der Elbe. Dort schreibt er bereits auf der Impressumsseite: „Lewer duad üs Slaw! Lieber todt als Sklaw!“ Dies sei der „Wahlspruch aller Frisen“.[10] In einem späteren Kapitel notiert er, mit Bezug auf die nordfriesische Vergangenheit: „Unser Wahlspruch [war]: Lewer Duad üs Slaw“.[11]

Verwendung

Inschrift auf dem „Hartwarder Friesen“ in Rodenkirchen von 1914

Der Sylter Christian Peter Hansen berichtete in seiner 1856 erschienenen Chronik der Friesischen Uthlande, dass die Nordfriesen 1252 vor der Schlacht bei Oldenswort, in der sie den dänischen König Abel besiegten,[12] „in Uebereinstimmung mit ihrem alten Wahlspruch (Lewer duad üs Slaaw!)“ schworen „zu siegen oder zu sterben“.[13][14]

In der Ballade Pidder Lüng des deutschen Dichters Detlev von Liliencron über den gleichnamigen Sylter Fischer beendet dieser Spruch in der Schreibweise „Lewwer duad üs Slaav“ jede Strophe.[15] Im Gedicht Die friesische Heimat des Ostfriesen Harbert Harberts wird der Spruch als Lever dood as slav erwähnt.[16]

Das Denkmal (1946) für die Opfer des Nationalsozialismus in Itzehoe hat die Inschrift „LEWER DUAD ÜS SLAAW“

In der Weimarer Republik wurde „Lieber tot als Sklave“ mit Bezug zum Vertrag von Versailles zum Wahlspruch rechter Parteien bis hin zu rechten Sozialdemokraten.[17] Auch den Nationalsozialisten wird die Verwendung des Spruchs zugeschrieben.[18] Die SA verwendete ihn in einem Lied.[19] Jedoch wurde der Spruch auch 1946 auf einem Denkmal für die Opfer des Nationalsozialismus in Itzehoe genutzt.

Ein 2009 erschienenes Album der Rechtsrock-Gruppe Freiheitskampf heißt Lewwer duad üs Slaaw![20] 2015 erschien ein Album der Hardcore-Punk-Band COR mit dem Titel Lieber tot als Sklave.

Auf der Schlüttsieler Schleuse im Außendeich des Hauke-Haien-Kooges steht unterhalb des Friesenwappens der Spruch in der Version „Lewer duad as Slaav“.[21]

Der Spruch „Liewer düd aß Slaawe“ findet sich in unterschiedlicher Schreibweise, abhängig von dem jeweiligen Dialekt, auf friesischen Gedenksteinen, die zu Ehren der Freiheitskämpfe des Mittelalters in friesischen Siedlungsgebieten gesetzt wurden. So wird er in Warns zum Gedenken an die Schlacht bei Warns zitiert, auf dem St.-Veits-Hügel zum Gedenken der Schlacht bei Altenesch, auf dem „Hartwarder Friese“ in Rodenkirchen sowie in Nordfriesland auf dem Königskamp in Oldenswort zur Schlacht 1252.[22]

In Ostfriesland wird der Spruch Lever dood as Slaav als rituelle Antwort auf das Motto Eala Frya Fresena (etwa: „Steht auf, ihr freien Friesen“) gerufen.[23]

Siehe auch

Literatur

  • Rudolf Bülck: Lewer duad üs Slaw – Geschichte eines politischen Schlagworts. In: Zwischen Eider und Wiedau. Heimatkalender Nordfriesland 1979, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum o. J., ohne ISBN, S. 163–193; ursprünglich in: Niederdeutsches Jahrbuch des Vereins für niederdeutsche Sprachforschung. Heft 74. Wachholtz, Neumünster 1951, S. 99–126.
  • Markus Kiel: "Lewwer duad üs Slaav" - ein kleiner Abriss durch die Presseorgane der Landvolkbewegung um Wilhelm Hamkens und Claus Heim 1929-1932 in: "Dor ist wat in de klock", herausgegeben von der Heimatkundlichen Arbeitsgemeinschaft Stadt und Kirchspiel Garding (HAG), Heft 35, 2022.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Rudolf Bülck: Lewer duad üs Slaw – Geschichte eines politischen Schlagworts. In: Zwischen Eider und Wiedau. Heimatkalender Nordfriesland 1979, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum o. J., ohne ISBN, S. 177.
  2. a b Rudolf Bülck: Lewer duad üs Slaw – Geschichte eines politischen Schlagworts. In: Zwischen Eider und Wiedau. Heimatkalender Nordfriesland 1979, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum o. J., ohne ISBN, S. 169.
  3. Rudolf Bülck: Lewer duad üs Slaw – Geschichte eines politischen Schlagworts. In: Zwischen Eider und Wiedau. Heimatkalender Nordfriesland 1979, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum o. J., ohne ISBN, S. 165.
  4. Rudolf Bülck: Lewer duad üs Slaw – Geschichte eines politischen Schlagworts. In: Zwischen Eider und Wiedau. Heimatkalender Nordfriesland 1979, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum o. J., ohne ISBN, S. 175.
  5. Rudolf Bülck: Lewer duad üs Slaw – Geschichte eines politischen Schlagworts. In: Zwischen Eider und Wiedau. Heimatkalender Nordfriesland 1979, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum o. J., ohne ISBN, S. 179.
  6. Gustav Waldemar Gardthausen: Die Ostsee, Gedicht in drei Gesängen. S. 144. Digitalisat bei books.google.de
  7. Geschichte des Wahlspruchs bei nordfriesland.de, abgerufen am 3. Juni 2016
  8. Christian Feddersen: Fünf Worte an die Nordfriesen. Flensburg 1845, S. 12. Digitalisat bei books.google.de
  9. Rudolf Bülck: Lewer duad üs Slaw – Geschichte eines politischen Schlagworts. In: Zwischen Eider und Wiedau. Heimatkalender Nordfriesland 1979, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum o. J., ohne ISBN, S. 182.
  10. Knut Jungbohn Clement: Die Lebens- und Leidensgeschichte der Frisen, insbesondere der Frisen nördlich von der Elbe. Christian Bünsow, Kiel 1845, S. 3. Digitalisat bei books.google.de
  11. Knut Jungbohn Clement: Die Lebens- und Leidensgeschichte der Frisen, insbesondere der Frisen nördlich von der Elbe. Christian Bünsow, Kiel 1845, S. 26. Digitalisat bei books.google.de
  12. Rudolf Bülck: Lewer duad üs Slaw – Geschichte eines politischen Schlagworts. In: Zwischen Eider und Wiedau. Heimatkalender Nordfriesland 1979, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum o. J., ohne ISBN, S. 170.
  13. Christian Peter Hansen: Chronik der Friesischen Uthlande. Altona 1856, S. 40; 2. Aufl., Garding 1877, S. 43
  14. Rudolf Bülck: Lewer duad üs Slaw – Geschichte eines politischen Schlagworts. In: Zwischen Eider und Wiedau. Heimatkalender Nordfriesland 1979, Husum Druck- und Verlagsgesellschaft, Husum o. J., ohne ISBN, S. 163.
  15. Text Pidder Lüng
  16. Text Die friesische Heimat bei mumag.de, abgerufen am 5. Juni 2016
  17. Karl-Joseph Hummel, Christoph Kösters: Kirche, Krieg und Katholiken: Geschichte und Gedächtnis im 20. Jahrhundert. Herder, Freiburg/Breisgau 2014, ISBN 978-3-451-80223-2. Auszüge bei books.google.de
  18. Rede Julius Lebers am 19. Oktober 1929, abgerufen am 4. Juni 2016
  19. „Fruchtbarer Boden für Nazis“. Die Tageszeitung vom 30. Januar 2008, abgerufen am 4. Juni 2016
  20. Eintrag des Albums bei discogs.com, abgerufen am 5. Juni 2016
  21. Astrid Paulsen, Ulrike Looft-Gaude: Die Schwarzen Führer Hamburg - Schleswig-Holstein. Eulen Verlag, Freiburg 1998, ISBN 3-89102-426-6, S. 89
  22. Harry Kunz: Erinnerungsorte in Nordfriesland. Nordfriisk Instituut, Bredstedt 2009, ISBN 978-3-88007-355-5 (husumer-stadtgeschichte.de [PDF; 137 kB; abgerufen am 23. September 2013] S. 164 (Gedenkstein an die Schlacht bei Oldenswort)).
  23. Beschreibung des Wappens bei botschaft-ostfriesland.de, abgerufen am 7. Juni 2016