Litiskreszenz

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Die Litiskreszenz (lateinisch lis infitiando crescit in duplum ‚der Streitwert wächst durch Leugnen auf das Doppelte‘) ist ein altziviler Verfahrensgrundsatz aus dem römischen Vollstreckungsrecht und bekannt seit der frühen Republik.[1] Konnte eine Haftungs- oder Schuldfrage gerichtlich geklärt werden und war eine pfandmäßige körperliche Sicherung des Schuldners für Vollstreckungszwecke erfolgreich, dann durften von seiner Seite oder von Dritten keine Einreden mehr erhoben werden, um nicht Gefahr zu laufen einer Doppelung der Streitsumme ausgesetzt zu sein.[2]

Voraussetzung für diese Strafverschärfungsregel war ein Urteil, das in einem vorangegangenen Spruchformelprozess (legis actio per manus iniectionem) ergangen und bei dem das persönliche Erscheinen des Schuldners angeordnet war.

Durch die Litiskreszenz wurde die Haftungssumme verdoppelt, wenn der Beklagte einen Sachverhalt leugnete, der entweder offenkundig bereits feststand oder auch unstreitig gestellt worden war,[3] oder durch den Bürgen oder einen beitretenden Dritten (vindex) unberechtigt bestritten worden war.[2] Die Regel wurde bei eindeutigen Sachverhalten angewendet, wozu Rechtsgeschäfte gehörten, die durch eine Mancipatio zustande gekommen waren.[4] Eine Verurteilung übte eine Schadenswiedergutmachung beim Geschädigten und eine Straffunktion beim Haftenden aus. Während der mittleren Republik konnte der Anspruch durch eine actio legis Aquiliae geltend gemacht werden.[5]

Wurde die Summe nicht beglichen, wurde die Vollstreckung vollzogen, der Schuldner seinem Gläubiger zu dessen Verwendung zugesprochen. Regelungen dafür enthielten die XII Tafeln (3,3–5). Dazu gehörten die temporäre Festsetzung oder ursprünglich auch die pfandrechtliche Verwertung des Schuldners an Markttagen (Verkauf als Sklave) und bei Unverkäuflichkeit die Tötung.[6] Später bürgerte sich statt Verkauf und Tötung die Schuldknechtschaft ein.[2]

Rezeption

Das preußische Landrecht griff den Grundsatz der Litiskreszenz auf und wendete diesen Grundsatz bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts an.[7] Durch eine Verurteilung zum doppelten Streitwerte sollte mutwilliges Dementieren verhindert werden.

Im Zuge des usus modernus pandectarum wurde die Litiskreszenz weitergehend erforscht. So war es bei der actio legis Aquiliae eine Möglichkeit, wie die Schadenssumme den eigentlichen Schaden übersteigen konnte.[8]

Quellen

Literatur

  • Franz Wieacker: Römische Rechtsgeschichte. C.H.Beck, München 1989, ISBN 978-3-406-32987-6, S. 248
  • Lisa Isola: Überlegungen zur Litiskreszenz bei der actio ex testamento. In: Ulrike Babusiaux, Wolfgang Kaiser, Franz-Stefan Meissel (Hrsg.): Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Romanistische Abteilung. 137, Heft 1. De Gruyter, 2020, ISSN 2304-4934, S. 70–135, doi:10.1515/zrgr-2020-0003.

Einzelnachweise

  1. Thomas Rüfner: Der Formularprozess. Universität Trier, 9. Januar 2008, S. 7, abgerufen am 23. Februar 2021.; Max Kaser: Das römische Zivilprozessrecht. Hrsg.: C.H.Beck. 2. Auflage. München 1996, ISBN 978-3-406-40490-0, S. 140 (Vorschau verfügbar Google Books).
  2. a b c Iwan von Müller (Begr.), Walter Otto, Hermann Bengtson (Forts.), Max Kaser (Verf.): Handbuch der Altertumswissenschaft (10,3,3,1. Das altrömische, das vorklassische und klassische Recht. 1955.) § 40; S. 132–138 (137).
  3. Digesten: Liber 9; Digesten 9,2,23,10. In: Ulpian 18. Buch zum Edikt. The Roman Law Library, abgerufen am 26. Februar 2021 (Latein).; Deutsche Übersetzung der Fundstelle D. 9,2,23,10. Abgerufen am 26. Februar 2021.
  4. Philipp Scheibelreiter: Zwischen furtum und Litiskreszenz: Überlegungen zur poena dupli der actio ex causa depositi. Universität Wien, S. 142–146, abgerufen am 23. Januar 2021.
  5. The Institutes of Justinian : Book 4 – S 4,6,19. In: Institutiones Iustiniani. The Roman Law Library, abgerufen am 26. Februar 2021 (englisch).
  6. Aulus Gellius 20, 1, 46 f.
  7. Ina Ebert: Pönale Elemente im deutschen Privatrecht. Von der Renaissance der Privatstrafe im deutschen Recht. 2004, ISBN 978-3-16-148174-1, S. 60 (Vorschau verfügbar Google Books).
  8. Harry Dondorp: Die aestimatio damni der Lex Aquilia nach dem Verständnis der Juristen des Usus Modernus Pandectarum. In: Ulrike Babusiaux, Wolfgang Kaiser, Franz-Stefan Meissel (Hrsg.): Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Romanistische Abteilung. 136, Heft 1. De Gruyter, 2019, ISSN 2304-4934, S. 296–321, doi:10.1515/zrgr-2019-0011.