Ludwig Guttmann

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Ludwig Guttmann

Sir Ludwig Guttmann, CBE (* 3. Juli 1899 in Tost, Oberschlesien, Deutsches Reich; † 18. März 1980 in Aylesbury, Buckinghamshire, Vereinigtes Königreich) war ein Neurologe und Neurochirurg. In der Zeit des Nationalsozialismus emigrierte er nach England und schuf dort die Grundlagen für die Behandlung Querschnittgelähmter. Er war Förderer des Behindertensports und Begründer[1] der Paralympischen Spiele.

Leben

Als Ludwig Guttmann drei Jahre alt war, zog seine Familie nach Königshütte. 1917 legte er dort sein Abitur am humanistischen Gymnasium ab. Anschließend wurde er zum Militärdienst einberufen. Ab 1918 studierte er Medizin in Breslau, ab 1919 an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg und an der Julius-Maximilians-Universität Würzburg[2] und er wurde 1924 approbiert. Er war Mitglied im Kartell-Convent der Verbindungen deutscher Studenten jüdischen Glaubens (K.C.) und Mitgründer des deutsch-jüdischen Wanderbundes „Kameraden“[3]. Anschließend arbeitete er in der Neurologischen Klinik in Breslau, wo er sich 1930 im Fach Neurologie habilitierte. 1933 wurde er Facharzt für Neurologie und im selben Jahr von seinem Posten als Chefarzt am Wenzel-Hancke-Krankenhaus in Breslau aufgrund des nationalsozialistischen Berufsverbots für Juden entlassen.

Anschließend arbeitete er als Oberarzt in der Abteilung für Neurologie am Jüdischen Krankenhaus Breslau weiter, 1937 wurde er zudem Direktor des Krankenhauses. Am 8. November 1938 während der Judenverfolgungen der Reichspogromnacht gewährte er dort 64 Juden Zuflucht.[4] Guttmann lernte von dem Pionier der Neurochirurgie Otfried Foerster an dessen Forschungsinstitut in Breslau, der ihn 1939 zu seinem ersten Assistenten machte.[5]

Im gleichen Jahr 1939 konnte er nach Großbritannien fliehen. Zwischen 1939 und 1943 war er in der Neurochirurgischen Abteilung in Nuffield tätig. 1943 erhielt er von der britischen Regierung den Auftrag, das National Spinal Injuries Centre als erste Spezialklinik für Wirbelsäulenverletzte im Stoke Mandeville Hospital in Aylesbury aufzubauen. Die Initiative ging von der Royal Air Force aus, um die Behandlung und Rehabilitation der wirbelsäulenverletzten Piloten zu gewährleisten, „die häufig beim Landeanflug mit ihren durch Beschuss beschädigten Bombern abstürzten“.[6] Bis 1967 war er Direktor der Klinik. Guttmann entwickelte bis heute gültige Methoden zur Behandlung von Querschnittgelähmten. Gleichzeitig förderte er die sportliche Betätigung von Behinderten in diesem Zentrum.

Erstmals 1948 führte er die Stoke Mandeville Games für Behinderte durch. Im Gründungsjahr der Spiele nahmen 16 kriegsversehrte Männer und Frauen mit Rückenmarksverletzungen an diesen teil. Die Teilnehmer maßen sich im Bogenschießen.[7] 1952 beteiligten sich bereits 130 Sportler aus verschiedenen Ländern an den Wettkämpfen. 1956 erhielt Ludwig Guttmann den Fearnley Cup als Würdigung seines Beitrags zur Förderung der olympischen Idee.

1960 war Guttmann am Ziel, in Rom wurden erstmals die Paralympischen Spiele durchgeführt.[8] Diese finden seitdem meist nach den Olympischen Spielen in derselben Stadt statt.

Am 15. Februar 1961 gründete Guttmann die British Sports Association for the Disabled (Britischer Behindertensportverband).[9]

Guttmann erhielt hohe britische und internationale Auszeichnungen, er wurde 1966 in Großbritannien als Knight Bachelor in den Adelsstand erhoben und erhielt in Deutschland das Große Verdienstkreuz mit Stern. Nach ihm ist auch das Ludwig-Guttmann-Haus der Orthopädischen Universitätsklinik Heidelberg benannt.

Ab Mitte der 1960er Jahre wurde er auch wieder in Deutschland aktiv, zunächst als Berater des Bundesarbeitsministeriums und für den Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften. Besonders war er beratend am Aufbau eines ersten Zentrums für Querschnittverletzte in Deutschland tätig und war entscheidend bei der Errichtung der Abteilung für Rückenmarkverletzte an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau beteiligt, bei deren Einweihung 1969 er auch einen Gastvortrag hielt.

Ludwig-Guttmann-Preis

Der Ludwig-Guttmann-Preis der Deutschsprachigen Medizinischen Gesellschaft für Paraplegie e. V. „wird für eine hervorragende wissenschaftliche Arbeit auf dem Gebiet der umfassenden Rehabilitation Querschnittgelähmter und der damit verbundenen Forschung verliehen“.[10]

Ehrungen

Datei:Gedenktafel Ludwig Guttmann (Königshütte).jpg
Gedenktafel für Ludwig Guttmann an der Wand des Krankenhauses in Chorzów, in dem Guttmann als Pfleger gearbeitet hat

Schriften (Auswahl)

  • Die Schweißsekretion des Menschen in ihren Beziehungen zum Nervensystem. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. Bd. 135 (Dezember 1931), S. 1–48, doi:10.1007/BF02864049
  • Motorische und vegetative Grenzzonenreflexe bei Läsionen peripherer und zentraler Abschnitte des Nervensystems. In: Zeitschrift für die gesamte Neurologie und Psychiatrie. Bd. 147 (Dezember 1933), S. 291–307, doi:10.1007/BF02870448.
  • Otfried Foerster, Ludwig Guttmann: Cerebrale Komplikationen bei Thrombangiitis obliterans In: Archiv für Psychiatrie und Nervenkrankheiten. Bd. 100 (1933), S. 506–511, doi:10.1007/BF01814753.
  • The Place of Our Spinal Paraplegic Fellow-Man in Society: A Survey on 2000 Patients (= Dame Georgina Buller Memorial Lecture. 1959).
  • Franz Karl Kessel, Ludwig Guttmann, Georg Maurer: Verletzungen der Wirbelsäule und des Rückenmarks. Verletzungen der peripheren Nerven. (= Neuro-Traumatologie mit Einschluß der Grenzgebiete Band 2). Urban & Schwarzenberg, München 1971, ISBN 3-541-01341-9.
  • Spinal Cord Injuries: Comprehensive Management and Research. Blackwell, Oxford 1973, ISBN 0-632-09680-2.
  • Sport and Recreation for the Mentally and Physically Handicapped. In: The Journal of the Royal Society for the Promotion of Health. Bd. 93 (1973), S. 208–221.
  • Textbook of Sport for the Disabled. HM+M, Aylesbury 1976, ISBN 0-85602-055-9.
    • Übersetzung: Sport für Körperbehinderte. Urban & Schwarzenberg, München 1979, ISBN 3-541-08911-3.

Literatur

  • Daniel Dubinski, Hartmut Collmann: Sir Ludwig Guttmann (1899–1980). In: Ulrike Eisenberg, Hartmut Collmann, Daniel Dubinski: Verraten – Vertrieben – Vergessen. Werk und Schicksal nach 1933 verfolgter deutscher Hirnchirurgen. Hentrich & Hentrich, Berlin 2017, ISBN 978-3-95565-142-8, S. 252–287.
  • Erdmann Kreusch, Karl-Ludwig Lemberg, Volkmann: Das Institut für Rückenmarksverletzte in Stoke-Mandeville. In: Bundesministerium für Arbeit (Hrsg.): Rehabilitation in England (= Arbeit und Gesundheit. Neue Folge, Heft 62). Thieme, Stuttgart 1957, S. 149 f.
  • Susan Goodman: Spirit of Stoke Mandeville: The Story of Sir Ludwig Guttmann. Collins, London 1986, ISBN 0-00-217341-7.
  • Joan Scruton: Stoke Mandeville: Road to the Paralympics. Peterhouse, Brill 1998, ISBN 0-946312-10-9.
  • Joseph Walk (Hrsg.): Kurzbiographien zur Geschichte der Juden 1918–1945. Hrsg. vom Leo Baeck Institute, Jerusalem. Saur, München 1988, ISBN 3-598-10477-4.
  • John F. Oppenheimer (Red.) u. a.: Lexikon des Judentums. 2. Auflage. Bertelsmann Lexikon Verlag, Gütersloh u. a. 1971, ISBN 3-570-05964-2.
  • Guttmann, Sir Ludwig, in: Werner Röder; Herbert A. Strauss (Hrsg.): International Biographical Dictionary of Central European Emigrés 1933–1945. Band 2,1. München : Saur, 1983 ISBN 3-598-10089-2, S. 442f.
  • Daniel Westermann: Sir Ludwig Guttmann und seine Sportidee In: Daniel Westermann: Die XXI. Weltspiele der Gelähmten in Heidelberg 1972. Entstehungsgeschichte und Ablauf. Verlag Regionalkultur, Heidelberg u. a. 2014, ISBN 978-3-89735-807-2, S. 33–54.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Paralympics History. In: Internationales Paralympisches Komitee. 2021, abgerufen am 3. Juli 2021 (englisch).
  2. Biographisches Handbuch der deutsch-sprachigen Emigration nach 1933, Vol. 2, S. 356 f, 1983.
  3. Joseph Walk: Kurzbiographien zur Geschichte der Juden, 1918–1945, 1988.
  4. a b Cherrill Hicks: Paralympics founder Sir Ludwig Guttmann’s legacy celebrated in BBC drama. The Paralympic Games were the creation of one remarkable man, whose story is told in a forthcoming BBC drama. In: The Telegraph. 3. August 2012, abgerufen am 3. Juli 2021 (englisch).
  5. J. R. Silver: History of the treatment of spinal injuries. In: Postgraduate medical journal. Band 81, Nummer 952, Februar 2005, S. 108–114, ISSN 0032-5473. doi:10.1136/pgmj.2004.019992, PMID 15701743, PMC 1743190 (freier Volltext).
  6. a b Jürgen Probst: Gedenken der jüdischen Mitglieder der Deutschen Gesellschaft für Unfallheilkunde, Versicherungs- und Versorgungsmedizin Orthopädie und Unfallchirurgie Mitteilungen und Nachrichten, Oktober 2013, S. 606–613.
  7. Die Anfänge der Paralympics
  8. http://www.paralympic.org/paralympic-games/rome-1960
  9. Nigel Thomas, Andrew Smith: Disability Sport: Policy and Society: An Introduction. In: books.google.de. Routledge 2009; Seite 27. Abgerufen am 23. August 2009 (englisch).
  10. Ludwig-Guttmann-Preis der DMGP. In: Deutschsprachige Medizinische Gesellschaft für Paraplegiologie e. V. Abgerufen am 3. Juli 2021.
  11. Archivierte Kopie (Memento vom 18. Juni 2012 im Internet Archive)
  12. Archivierte Kopie (Memento vom 18. Juni 2012 im Internet Archive)
  13. London Gazette. Nr. 43904, HMSO, London, 18. Februar 1966, S. 1891 (PDF, abgerufen am 23. August 2012, englisch).
  14. Maria Teresa Lo Bianco: Lo sport agonistico per disabili. (Memento vom 10. Juni 2013 im Internet Archive) In: CNOS Sport. Abgerufen am 23. August 2012 (italienisch).
  15. Als Heidelberg die "Weltspiele der Gelähmten" rettete. Abgerufen am 27. März 2022.
  16. http://www.ludwig-guttmann-schule.de/main/hi-impressum/impressum/index.html
  17. Sir Ludwig Guttmann: Ein sportliches Google-Doodle zum 122. Geburtstag des Gründers der Paralympics. In: GoogleWatchBlog. 3. Juli 2021, abgerufen am 3. Juli 2021.

Kategorie:Paralympische Geschichte