Luzifer-Rätsel
Das Luzifer-Rätsel (auch unter anderen Namen bekannt) ist ein mathematisches Rätsel aus dem Bereich der Zahlentheorie, das von dem Mathematiker Hans Freudenthal veröffentlicht[1] wurde.
Das Rätsel demonstriert eindrucksvoll, wie bereits einfach formulierte und allgemein erscheinende Voraussetzungen der Ausgangspunkt zu komplexen mathematischen Überlegungen sein können und auch eine präzise und eindeutige Lösung liefern. Es ist deshalb recht weit verbreitet als Übungsaufgabe in der mathematischen Ausbildung oder als intelligentes Preisrätsel.
Das Rätsel
Es kursieren verschiedene Fassungen des Rätsels, die inhaltlich identisch sind und sich lediglich im textlichen Rahmen unterscheiden. Eine populäre Fassung, die zur Bezeichnung „Luzifer-Rätsel“ führte, lautet in etwa folgendermaßen:
- Die berühmten Mathematiker Carl Friedrich Gauß und Leonhard Euler landen nach ihrem Tod in der Hölle. Luzifer verspricht ihnen die Freiheit, wenn sie die beiden ganzen Zahlen zwischen 1 und 100 (d.h. im Bereich {2,3,…,99}) erraten, die er sich ausgedacht hat. Er nennt Gauß das Produkt und Euler die Summe der beiden Zahlen; darauf entwickelt sich zwischen den Mathematikern folgender Dialog:
- Gauß: „Ich kenne die beiden Zahlen nicht.“
- Euler: „Das war mir klar.“
- Gauß: „Jetzt kenne ich die beiden Zahlen.“
- Euler: „Dann kenne ich sie jetzt auch.“
- Unabhängig von der Frage, ob Gauß und Euler aus der Hölle entkommen, lautet die Aufgabe, allein aus diesen Angaben die beiden Ausgangszahlen zu ermitteln.
Als Freudenthal dieses Problem 1969 publizierte, war es schlichter und ohne Nennung von Personen formuliert. Statt der Obergrenze der beiden gesuchten Zahlen, die nicht gleich sein sollten, wurde die Obergrenze der Summe vorgegeben.[2] An der Lösung ändert sich dadurch nichts.
Die Lösung
Die beiden gesuchten Zahlen seien und , für beide gilt , Gauß kennt das Produkt beider Zahlen, Euler die Summe .
- Gauß: „Ich kenne die beiden Zahlen nicht.“
Gauß bestimmt zunächst die Primfaktorzerlegung von . Die Zahlen und kann er sofort bestimmen, wenn einer der folgenden Fälle eintritt:
- lässt sich in genau zwei Primfaktoren zerlegen: Der eine Faktor ist , der andere (Vertauschung liefert keine prinzipiell andere Lösung, die Zahl 1 wurde in den Voraussetzungen ausgeschlossen).
- Einer der Primfaktoren von ist größer als : Dieser Faktor muss bereits die eine der beiden gesuchten Zahlen sein; jede Multiplikation mit einem weiteren Faktor würde über hinausgehen.
- besteht aus der dritten Potenz einer Primzahl: Der Faktor wäre dann genau diese Primzahl und wäre .
Da Gauß die Zahlen zu diesem Zeitpunkt noch nicht kennt, kann keiner der drei Fälle vorliegen; die Primfaktorzerlegung von liefert also mindestens drei Faktoren, die alle kleiner als 50 und nicht alle gleich sind.
- Euler: „Das war mir klar.“
Euler sieht aus der Summe , dass die oben genannten Fälle mit Sicherheit nicht vorliegen. Das schließt folgende Werte für aus:
- : Einzige Zerlegung ist , Gauß könnte die Lösung aus dem Produkt eindeutig herleiten.
- : Einzige Zerlegung ist , auch diesen Fall kann Gauß aus dem Produkt eindeutig feststellen.
- : In diesem Bereich könnte einer der beiden Summanden eine Primzahl von bis sein. Bei besteht beispielsweise aus Eulers Sicht die Möglichkeit, dass ist, woraus Gauß mit Sicherheit auf und (oder umgekehrt) gekommen wäre.
- und gerade: Nach der Goldbachschen Vermutung könnten in diesem Fall die beiden Summanden Primzahlen (und dann notwendigerweise kleiner als ) sein. Zwar ist die Goldbachsche Vermutung nicht für alle geraden Zahlen bewiesen, der Bereich ist aber längst überprüft.
- , wobei Primzahl ist (und ): Diese Zahlen erlauben die Zerlegung in die Primzahlen und .
- : In diesem Fall ist eine Zerlegung möglich, die Gauß aus dem Produkt eindeutig ableiten kann ( kommt als Lösungszahl nicht in Frage).
Als einzige mögliche Werte für bleiben Werte der folgenden Menge . Höchstens bei diesen kann Euler sicher sein, dass Gauß die Lösung nicht sofort aus dem Produkt ablesen kann. (Keine davon gehört zu dem dritten o. g. Fall: .)
Da alle Werte in ungerade sind, steht jetzt schon fest, dass eine der Zahlen und gerade ist, die andere ungerade. Ferner sind und in jedem Fall kleiner als .
- Gauß: „Jetzt kenne ich die beiden Zahlen.“
Gauß kann sein Produkt auf mehrere Arten zerlegen, von denen aber nur eine auch eine Summe in ergibt. Unter allen möglichen Fällen sind folgende Spezialfälle hervorzuheben:
- enthält einen ungeraden Primfaktor und mehrfach den Faktor : Der ungerade Faktor ist die eine Lösungszahl, die andere ist eine Zweierpotenz. Das ist in diesem Fall die einzige Aufteilung, die eine gerade und eine ungerade Zahl ergibt.
- enthält (als einen von mindestens drei) einen Primfaktor ab : Dieser Primfaktor ist dann zwingend eine der Lösungszahlen. Die Multiplikation dieses mit einem beliebigen anderen Faktor würde einen Wert über liefern.
- Euler: „Dann kenne ich sie jetzt auch.“
Euler sieht, dass sich seine Summe nur auf eine einzige Weise zerlegen lässt, die einen der oben genannten Fälle liefert. Folgende Werte für scheiden aus, da Euler in diesen Fällen keine eindeutige Lösung bestimmen könnte:
- Alle Werte ab : Diese lassen sich sowohl als wie auch als zerlegen, also zweimal nach dem Typ Spezialfall 2
- : Zerlegung und (beides entspricht Spezialfall 1)
- : Zerlegung und (ebenfalls zweimal Spezialfall 1)
- : Zerlegung und (wieder in beiden Fällen Spezialfall 1)
- : Zerlegung und (die erste ist Spezialfall 1, die zweite ist für Gauß eindeutig aus dem Produkt ablesbar, weil die einzig mögliche andere Aufteilung die Summe liefert)
Damit bleibt der Wert . Gibt es tatsächlich eine (und nur eine) Zerlegung von , die Gauß eindeutig als Lösung identifizieren kann? Dazu müssen alle möglichen Zerlegungen geprüft werden:
- ist für Gauß nicht eindeutig lösbar, da ebenfalls in
- ebenfalls nicht eindeutig ( in )
- ebenso, wegen in
- ebenso, wegen in
- ebenso, wegen in
- ebenso, wegen in
Es verbleibt damit und , eine Lösung, die dem obigen Spezialfall 1 entspricht. Dies ist tatsächlich die einzige Lösung, die alle Bedingungen erfüllt.
Probe
Mit Kenntnis der Lösungszahlen und kann die Situation der Mathematiker leichter nachvollzogen werden. Gauß wurde das Produkt mitgeteilt, Euler die Summe .
Zunächst zerlegt Gauß die Zahl in ihre möglichen Faktorenpaare:
und
Welches der beiden Faktorenpaare zum Ergebnis führte, ist ihm noch nicht bekannt. Euler hat entweder die Summe oder erhalten.
Tabelle 1: Falls Euler die Summe 17 erhalten hat, kann diese aus den folgenden Summanden bestehen:
nach Vorgabe zerlegbar in | Produkt | mögliche Faktorenpaare |
---|---|---|
2 + 15 | 30 | 2 · 15 / 3 · 10 / 5 · 6 |
3 + 14 | 42 | 2 · 21 / 3 · 14 / 6 · 7 |
4 + 13 | 52 | 2 · 26 / 4 · 13 |
5 + 12 | 60 | 2 · 30 / 3 · 20 / 4 · 15 / 5 · 12 / 6 · 10 |
6 + 11 | 66 | 2 · 33 / 3 · 22 / 6 · 11 |
7 + 10 | 70 | 2 · 35 / 5 · 14 / 7 · 10 |
8 + 9 | 72 | 2 · 36 / 3 · 24 / 4 · 18 / 6 · 12 / 8 · 9 |
Tabelle 2: Falls Euler die Summe 28 erhalten hat, kommen folgende Summanden infrage:
nach Vorgabe zerlegbar in | Produkt | mögliche Faktorenpaare |
---|---|---|
2 + 26 | 52 | 2 · 26 / 4 · 13 |
3 + 25 | 75 | 3 · 25 / 5 · 15 |
4 + 24 | 96 | 2 · 48 / 3 · 32 / 4 · 24 / 6 · 16 / 8 · 12 |
5 + 23 | 115 | 5 · 23 |
6 + 22 | 132 | 2 · 66 / 3 · 44 / 4 · 33 / 6 · 22 / 11 · 12 |
7 + 21 | 147 | 3 · 49 / 7 · 21 |
8 + 20 | 160 | 2 · 80 / 4 · 40 / 5 · 32 / 8 · 20 / 10 · 16 |
9 + 19 | 171 | 3 · 57 / 9 · 19 |
10 + 18 | 180 | 2 · 90 / 3 · 60 / 4 · 45 / 5 · 36 / 6 · 30 / 9 · 20 / 10 · 18 / 12 · 15 |
11 + 17 | 187 | 11 · 17 |
12 + 16 | 192 | 2 · 96 / 3 · 64 / 4 · 48 / 6 · 32 / 8 · 24 / 12 · 16 |
13 + 15 | 195 | 3 · 65 / 5 · 39 / 13 · 15 |
14 + 14 | 196 | 2 · 98 / 4 · 49 / 7 · 28 / 14 · 14 |
Gauß: „Ich kenne die beiden Zahlen nicht.“
Euler hat die Summe 17 erhalten. Er wusste bereits, dass Gauß diese nicht eindeutig faktorisieren kann: Keines der Faktorenpaare in Tabelle 1 ist eindeutig.
Euler: „Das war mir klar.“
Gauß schließt daraus, dass Euler nicht die Summe 28 erhalten hat. Euler hätte ansonsten die Möglichkeit in Betracht ziehen müssen, dass Gauß mit dem Produkt 115 oder 187 bereits über eine eindeutige Lösung verfügt.
Gauß: „Jetzt kenne ich die beiden Zahlen.“
Euler kann nun die in Tabelle 1 dargestellten Möglichkeiten prüfen und die gleiche Schlussfolgerung treffen.
Euler: „Dann kenne ich sie jetzt auch.“
Weblinks
- Zahlenrätsel Hier gibt es noch eine schwierigere Version dieses Rätsels von Robert Sontheimer
- Leicht nachvollziehbare programmiertechnische Lösung
Verweise
- ↑ Hans Freudenthal, Nieuw Archief Voor Wiskunde, Series 3, Volume 17, 1969, page 152
- ↑ The Impossible Puzzle (Memento vom 20. Dezember 2014 im Internet Archive) mit Varianten des Rätsels und einem Link zu Lösungen.