Münchner Kanalisation
Die Münchner Kanalisation ist Abwassersystem in München Es umfasst ein 2.400 Kilometer langes Kanalnetz (dazu kommen noch etwa 4.000 Kilometer Anschlusskanäle der Privathaushalte), hat ein mögliches Stauvolumen von 700.000 Kubikmetern in 13 Auffangbecken und befördert täglich 560.000 Kubikmeter Abwasser. Insgesamt speisen etwa 1,8 Millionen Menschen ihr Abwasser in das Netz ein.[1]
Geschichte
Vor 1900
1811 entstand der Abwasserkanal vom Promenadeplatz zum Hofgraben. Offiziell durften da keine Fäkalien rein, sondern nur Urin, das ist aber nicht eingehalten worden.[2] In den nächsten Jahren entstanden unsystematisch ca. 21 km weitere Kanäle. Allerdings wurde immer noch der Großteil an Fäkalien und Unrat einfach auf der Straße oder in Abortgruben entsorgt.
1836 erkannte der Arzt und Hygieniker Max von Pettenkofer die Ursache der immer wiederkehrenden Seuchen (vor allem der Cholera) in der schlechten Wasserver- und -entsorgung der Münchner Bürger. Seine Versuche, eine systemische Wasserversorgung und Abwasserentsorgung einzurichten, scheiterten am Geldmangel und am Desinteresse der Politik. Erst die Choleraepidemie von 1854, die 3000 Münchner Bürger das Leben kostete (darunter als prominentestes Opfer die bayerische Königin Therese) brachte ein Umdenken. Die innerhalb kurzer Zeit auf 130.000 Anwohner angewachsene Stadt München versorgte bis dahin ihre Bürger mit Pumpbrunnen, deren Wasserqualität durch das Abwasser im Boden stark beeinträchtigt war. Pettenkofer erreichte, dass die Regierung von Oberbayern die Stadtverwaltung München mit dem Ausbau des Kanalsystems beauftragte.
Der Bauingenieur und spätere Stadtbaurat Arnold Zenetti plante den Bau und verantwortete die Durchführung des ersten Sielsystems der Schönfeld-, Max- und Ludwigsvorstadt (Bauzeit 1862 bis 1887). Er wurde nach Hamburg entsandt, um das dort schon existierende Kanalnetz zu studieren. Zurück in München baute er zunächst 25 Kanäle in der Münchner Innenstadt. In seiner Ära werden ungefähr 50 Kilometer Kanäle gebaut, die nicht mehr in den nächsten Stadtbach führen, sondern in die Isar.[3] Der britische Ingenieur James Gordon wurde angeheuert, um einen Gesamtentwässerungsplan für München zu erstellen. Da Solln im Süden etwa 90 Meter höher als Freimann im Norden liegt, konnte in München die kostengünstigere Schwemmkanalisation eingeführt werden, bei der Regenwasser den Dreck fortspült.[1]
1885 entstand in der Stadtverwaltung München eine erste Abteilung zur Stadtentwässerung. Anfangs war insbesondere die Kanalreinigung wichtig, da sich die Anwohner immer wieder über die Geruchsbelästigung beschwerten. 1899 wurde die Schwemmkanalisation eingeführt, was zur Durchsetzung des Spülklosetts in München führte.
Ab 1900
Das Münchner Kanalnetz wurde stetig systematisch erweitert. Zur Jahrhundertwende war es auf 225 Kilometer angewachsen. Rund 78 Prozent der damals 480.000 Einwohner waren an das Kanalsystem angeschlossen. Durch die Verbesserung der hygienischen Situation sank die Sterblichkeit deutlich von 41,7 Personen je 1000 Einwohner im Jahr 1879 auf 15,6 Personen je 1000 Einwohner im Jahr 1910.
Sämtliche Abwässer der Stadt wurden nach Norden geleitet und landeten ungeklärt in der Isar. Der ganze Dreck floss an Freising und Landshut vorbei, was dort natürlich wütende Proteste hervorrief. 1926 ging dann das erste Münchner Klärwerk Gut Großlappen in Betrieb. In den folgenden Jahrzehnten wurde das Kanalnetz systematisch weiter ausgebaut, die Abwassermenge stieg weiter an. 1989 wurde das zweite Münchner Klärwerk Gut Marienhof in Betrieb genommen. 1998 ging eine Klärschlammverbrennungsanlage am Klärwerk Gut Großlappen in Betrieb.
Seit 2006 sind praktisch alle Münchner Bürger und Betriebe (99,9 Prozent) an das 2400 km lange Abwasserentsorgungssystem angeschlossen. Die Abwassergebühren pro Person und Jahr liegen unter 100 Euro.[4]
Beschreibung
Für Planung, Bau und Betrieb der Anlagen ist die Münchner Stadtentwässerung verantwortlich. Diese bietet auch Führungen durch das Kanalsystem an.[5][6]
Kanäle
Das Kanalnetz verläuft von Süden nach Norden und nutzt so das natürliche Gefälle aus. Die Kanäle haben Abmessungen von 25 cm bei den kleinsten bis 3,50 m Breite × 5,20 m Höhe bei den größten. Sechzig Prozent sind begehbar, der Rest sind Rohre. Es gibt 35.000 Einstiege und über 80.000 Schächte.[7]
Regenrückhalteanlagen
In München fallen circa 1000 mm Niederschlag pro Jahr, was den höchsten Wert aller deutschen Großstädte darstellt. Bei sehr starken Regenfällen sind die Kanäle und die beiden Klärwerke trotz doppelter Auslegung überlastet. Um eine sichere Ableitung der durch den Regen stark verdünnten Abwässer zu gewährleisten, gibt es im Stadtgebiet momentan 23 Regenauslässe, die vom Kanalnetz direkt in die Isar führen.
Seit 1979 gilt die gesetzliche Auflage, dass 90 Prozent der abbaubaren Schmutzstoffe durch ein Klärwerk geleitet werden müssen. Um diese Auflage zu erfüllen, werden große Niederschlagsmengen in unterirdischen Regenrückhalte- und Regenüberlaufbecken zwischengespeichert und bei nachlassenden Niederschlag kontrolliert den Klärwerken zugeleitet. Selbst bei sehr starken Niederschlägen wird eine Einleitung von Mischwasser in die Isar so weitgehend vermieden. Bei starken Niederschlägen wird das Mischwasser aus dem Kanal über eine Betontrennwand in die aus mehreren Teilbecken bestehenden unterirdischen Bauwerke geleitet. Ist ein Teilbecken gefüllt, läuft das Wasser weiter in das nächste Becken. Im Falle des zweistöckigen Regenrückhaltebeckens unter dem Hirschgarten werden die unteren Becken über Fallschächte gefüllt. Die Entleerung der oberen Becken erfolgt durch das Öffnen eines Schiebers, bei den tiefer liegenden Becken durch Pumpwerke. Durch einen Ablaufkanal wird das Mischwasser wieder dem städtischen Kanalnetz und somit einer Reinigung in den Klärwerken zugeführt.
Insgesamt betreibt die Münchner Stadtentwässerung 14 Regenrückhalteanlagen:
- die Regenüberlaufbecken (Leinthaler Brücke 44.000, Schenkendorfstraße 20.000, Gyßlingstraße 60.000, Vorfeld Großlappen 60.000),
- die Regenrückhaltebecken (Oberwiesenfeld 80.000, Bertha-von-Suttner-Weg 10.000, Albert-Schweitzer-Straße 4.000, Hirschgarten 90.000),
- sowie die Regenrückhaltekanäle (Becker-Gundahl-Straße 2.000, Verbindungskanal 80.000, Thalkirchner Straße 10.000, Notumlauf Klärwerk Gut Marienhof 8.000, Nordwest-Sammler Abschnitt I 200.000, Nordwest-Sammler Abschnitt II 35.000) mit einem Gesamtvolumen von 703.000 Kubikmetern.[8]
Zur Veranschaulichung: Dies entspricht in etwa einer Wassermenge, mit der sich das Spielfeld der Allianz Arena 100 Meter hoch unter Wasser setzen ließe.
Abwasserreinigung
Das Abwasser wird in den zwei Kläranlagen Gut Großlappen und Gut Marienhof gereinigt und wird zur Nachklärung von Gut Großlappen aus in die Fischteiche am Ismaninger Speichersee und zu einem kleineren Teil in den Speichersee selbst und von Gut Marienhof aus über den Mittleren-Isar-Kanal in die Isar geleitet.
Sonstiges
Die Stadtentwässerung München hat in ihrer Kanalbetriebsstation an der Schleißheimer Straße 387A einen Trainingskanal. Hier können sich Mitarbeiter abseilen und in einem nachgebauten 1,50 Meter hohen Kanal die Reinigung üben.[9]
Die Münchner Kanalisation war u. a. Drehort für Tatort, Schimanski und Notizen aus der Provinz.
Siehe auch
Einzelnachweise
- ↑ a b 17 Stufen in den Münchner Untergrund. In: sueddeutsche.de. 23. März 2018, abgerufen am 13. Oktober 2018.
- ↑ https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/muenchen/kanalisation-in-muenchen-blick-in-die-unterwelt-e739186/
- ↑ https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/muenchen/kanalisation-in-muenchen-blick-in-die-unterwelt-e739186/
- ↑ https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/muenchen/kanalisation-in-muenchen-blick-in-die-unterwelt-e739186/
- ↑ Unser Freizeittipp: Ein Stockwerk tiefer – Führung durch die Münchner Kanalisation. münchen.tv, 12. Oktober 2017.
- ↑ Führung durch die Kanalisation – München von unten – Landkreis München. Süddeutsche.de, 14. März 2011.
- ↑ https://projekte.sueddeutsche.de/artikel/muenchen/kanalisation-in-muenchen-blick-in-die-unterwelt-e739186/
- ↑ https://stadt.muenchen.de/dam/jcr:35ee58e7-8fac-41ea-bde1-228b5cc83653/hirsch_Hirschgarten_kl.pdf
- ↑ Melanie Staudinger: So wird Münchens Untergrund in Schuss gehalten. In: sueddeutsche.de. 4. Mai 2018, abgerufen am 13. Oktober 2018.