Machtspruch

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Ein Machtspruch ist eine außerordentliche Lösung in einem Streit, bei dem durch die Staatsmacht, die oberste Gewalt im Staate oder eine bemächtigte Partei ein geregeltes Verfahren nicht eingehalten wird.

Hintergründe

Der oberste Machthaber im Staat, etwa Kaiser oder König, greift in die mündlich, schriftlich oder durch Gewohnheitsrecht übliche Rechtsprechung ein. Damit umgeht der Souverän die übliche Verfahrensweise kraft seiner Prärogative. Historische Gründe waren endlose Streitereien von untergebenen Herrschaften, die durch einen königlichen Machtspruch gelöst wurden.

Ein Machtspruch war nur von einem Herrscher auszusprechen, der nicht selbst der oberste Richter war. Einem obersten Richter steht das festgeschriebene Recht zur Lösung von Streitigkeiten definitiv zu. Die zu Grunde liegende Vorstellung lautete princeps legibus solutus (von den Gesetzen gelöst), wonach der Herrscher nicht an die eigenen Gesetze gebunden war. Mitunter stand ein Machtspruch zu einer – eigentlich letztinstanzlichen – Gerichtsentscheidung im Widerspruch.

Machtsprüche im Sinne einer absolutistischen Dominanz finden sich nicht nur bei weltlichen Herrschern in Form der Kabinettsjustiz, sondern auch die Priesterschaft nutzte ihre Position dazu. Insbesondere der Papst konnte über die geistliche Herrschaft ein Machtwort auch gegen den Souverän aussprechen, wie dies in der Redewendung „Roma Locuta – Causa finita“ zum Ausdruck kommt.

Der Souverän war in der Lage, ihm genehme oder für seinen Machterhalt gewünschte Lösungen zu finden und mit einem Machtspruch durchzusetzen. Subjektiv, also aus der Sicht des Souveräns, lag kein Missbrauch vor, da seine Position solche Handhabungen ermöglichte und von ihm forderte. 1779 wurde von Friedrich dem Großen ein Machtspruch im Prozess gegen den Müller Arnold als berechtigt angesehen. Ein Machtspruch setzt sich über bestehende Rechtsvorschriften hinweg, die Wirkung des Machtspruches kann dabei durchaus rechtskonform, aber wohl auch rechtswidrig sein.

„Ich habe mich entschlossen, niemals in den Lauf des gerichtlichen Verfahrens einzugreifen; denn in den Gerichtshöfen sollen die Gesetze sprechen, und der Herrscher soll schweigen […].“

Friedrich der Große, Das Politische Testament, 1752

Bereits in mittelalterlichen Ständeregelungen wurde solche unbegrenzte, souveräne Handhabung oft durch verfassungsartige Regelungen eingeschränkt. Im Allgemeinen Landrecht war zwar ein Passus vorgesehen, der den Machtspruch verhindern sollte, aber in der gültigen Fassung war dies nicht enthalten.

Ein Ziel der Dreiteilung der Staatsmacht in Legislative, Exekutive und Jurisprudenz war es, den Missbrauch eines Machtspruchs durch den König oder eine Kabinettsorder oder durch die gesetzgebende Behörde zu verhindern. Insbesondere sollten so Möglichkeiten geschaffen werden, um die Entscheidung des Souveräns zu überprüfen.

„Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt.“

Artikel 1 des deutschen Gerichtsverfassungsgesetzes

Ein unabhängiger Richter soll nach dem Recht und der Gerechtigkeit entscheiden. Ist das fragliche Gesetz „unerträglich ungerecht“ oder verleugnet das Gesetz aus Sicht des Interpreten bewusst die Gleichheit aller Menschen, so kann es zu Konflikten kommen. Im deutschen Recht wird dann auf die sog. Radbruchsche Formel abgestellt.

„Wo also […] Gerechtigkeit nicht einmal erstrebt wird, können die so geschaffenen Anordnungen nur Machtsprüche sein, niemals Rechtssätze […]; so ist das Gesetz, das gewissen Menschen die Menschenrechte verweigert, kein Rechtssatz. Hier ist also eine scharfe Grenze zwischen Recht und Nicht-Recht gegeben, während wie oben gezeigt wurde, die Grenze zwischen gesetzlichem Unrecht und geltendem Recht nur eine Maßgrenze ist […].“

Gustav Radbruch: Vorschule der Rechtsphilosophie. 2. Auflage, Göttingen 1959, S. 34.

Alleinherrscher als Gesetzgeber

Ein König und Alleinherrscher hat Einflussmöglichkeiten, das Recht nach Gesetz seinen Interessen anzupassen, oder vielmehr durch seine Vorgaben und seine Lobby anpassen[1] zu lassen. Heinrich VIII. trennte seine Kirche nicht nur vom Papst, er ließ auch die gesetzlichen Grundlagen, die Bills, vom Parliament von den Peers, dem Klerus und den Gemeinen schaffen, um sich auf dieser Basis „gesetzestreu“ von Anna Boleyn und seinen anderen Frauen durch die jeweilige Todesstrafe zu trennen. In Oxford ließ er 1545 einen Professor und dessen Schüler auspeitschen, weil sie das Griechische anders aussprachen als der König selbst. Die notwendige „Bill“, dass dem König nicht zu widersprechen ist, hatte seine Gesetzgeber, insbesondere das Parliament beschlossen und gebilligt.[2]

Übertragene Bedeutung

Im übertragenen Sinn kann ein Machtspruch auch auf Diskussionen und Dispute angewandt sein. In bestimmten Situationen und bei andauernden Streiten kann ein Machtspruch den Abbruch erreichen. Wenn aus unterschiedlichen Gründen oder missbräuchlich durch einen Partner oder eine Partei einseitig eine endgültige Meinung eingebracht wird, kann dies allerdings auch eine optimale Lösung verhindern. Der Begriff wird in diesem Sinn auch bei Teamdiskussionen benutzt, wenn ein Verantwortlicher den Streit in seinem Interesse beendet.

„Der Charakter der Machtsprüche besteht demnach in Wahrheit, oder Größe, mit ungemeiner Kürze und Nachdruk verbunden. Sie bewürken ohne Veranstaltung, Ueberzeugung und Bewundrung, und man fühlt sich dabey so mächtig ergriffen, daß man nicht anders denken, oder empfinden kann. Sie gehören deswegen unter die höchsten und wichtigsten Schönheiten der Beredsamkeit und Dichtkunst, weil sie wichtige und zugleich dauerhafte Eindrüke machen. Was man erst durch langes Nachdenken würde erkennet, oder nach langem Bestreben würde gefühlt haben, kommt uns dabey plözlich, und wie durch ein Wunderwerk in das Gemüth. Sie sind als kostbare Juweelen anzusehen, sowol durch den Glanz ihrer Schönheit, als durch innerlichen Werth, höchst schäzbar.“

Hierokles: Die Wollust für den lezten Endzwek halten[3]

Historische Fälle

Literarische Beispiele

Literatur

  • Holger Erwin: Machtsprüche:das herrscherliche Gestaltungsrecht ex plenitudine potestatis in der Frühen Neuzeit. Böhlau, Köln Weimar 2009.online-Fassung

Weblinks

Einzelnachweise

  1. „Der ganze Haufen von Denunzianten, die sich ja immer an Höfen von Tyrannen befinden …“ (J. Wiese)
  2. J. Wiese: Die sechs Frauen Heinrichs VIII. Ehetragödien und Ehekomödien eines königlichen Blaubarts. Peter J. Oestergaard Verlag, Berlin-Schöneberg 1931
  3. Sulzer