Margarete Bieber

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Margarete Bieber (* 31. Juli 1879 in Schönau, Westpreußen; † 25. Februar 1978 in New Canaan, Connecticut, USA) war eine deutsch-amerikanische Klassische Archäologin und Hochschullehrerin, der 1933 als Jüdin die Lehrerlaubnis entzogen wurde. Sie war die erste habilitierte Professorin der Archäologie an einer deutschen Universität und gilt als Pionierin des Frauenstudiums.

Leben

Margarete Bieber wurde in einer säkularen jüdischen Familie als Tochter eines wohlhabenden Mühlenbesitzers geboren. Daher war es ihr finanziell möglich, sich ab 1899 auf dem humanistischen Privatgymnasium von Helene Lange in Berlin auf das Abitur vorzubereiten, das sie als Externe 1901 in Thorn als erste Frau in Westpreußen ablegte. Auf dem Gymnasium war sie von Hildegard Wegscheider in Deutsch und Philosophie unterrichtet worden.[1]

Ab dem Wintersemester 1901/02 begann sie ein Studium in Berlin, wo sie den Status einer Gasthörerin hatte, da Frauen offiziell erst im Wintersemester 1908/1909 das Recht auf Immatrikulation zugestanden wurde. Ihre Teilnahme an Lehrveranstaltungen hing von der Erlaubnis des jeweiligen Professors ab. Sie studierte zunächst Germanistik und Philosophie für das Lehramt, interessierte sich jedoch zunehmend für die Antike und belegte Vorlesungen über griechische Skulptur bei Reinhard Kekulé von Stradonitz. 1904 ging sie nach Bonn, um Vorlesungen bei dem Archäologen Georg Loeschcke zu hören, bei dem sie 1907 mit einer Arbeit über Das Dresdner Schauspielrelief als zweite Frau an der Bonner Universität promoviert wurde.[2]

Nach der Promotion ging sie nach Rom (1907–1908), wo sie sich mit Walter Amelung und Friedrich Spiro anfreundete, und unternahm in den folgenden Jahren Forschungsreisen in den Mittelmeerraum, um Denkmäler der griechischen und römischen klassischen Kunst zu studieren. Als erste klassische Archäologin erhielt sie 1909/10 ein Reisestipendium des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI). Bis 1914 forschte sie zunächst in Athen, dann in Rom und wurde 1913 Korrespondierendes Mitglied des DAI. Nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges musste sie nach Deutschland zurückkehren und arbeitete dort als Rot-Kreuz-Helferin. Ab Ostern 1915 war sie als Vertretung für die eingezogenen Gerhart Rodenwaldt und Valentin Müller Assistentin ihres jetzt an der Berliner Universität lehrenden Doktorvaters Loeschcke. Als dieser kurz darauf erkrankte und im November 1915 starb, übernahm sie die Vertretung von Loeschckes Lehrstuhl, bis der zum Nachfolger berufene Ferdinand Noack ihr die Lehrtätigkeit verbot und Bieber nur noch private Kurse abhalten konnte.

Nach mehreren erfolglosen Anläufen wurde sie schließlich 1919 auf Fürsprache Rodenwaldts an der Universität Gießen zur Habilitation zugelassen, noch vor der offiziellen Regelung von 1920. Somit wurde sie die erste Privatdozentin der Universität Gießen. 1923 wurde sie nach der Mathematikerin Emmy Noether als zweite Frau in Deutschland zur 'planmäßigen außerordentlichen' Professorin ernannt.[3] Ab 1928 leitete sie das Gießener Institut für Altertumswissenschaften, da der ordentliche Lehrstuhl aus finanziellen Gründen nicht neu besetzt wurde. Alles sah danach aus, dass sie im Jahr 1933 den Lehrstuhl erhalten würde. Da sie bei den Nationalsozialisten als Jüdin galt, wurde sie im Juli 1933 auf Grundlage des „Berufsbeamtengesetzes“ entlassen. Als Begründung wurde jedoch nicht der § 3 („nicht arische Abstammung“), sondern der § 4 („politische Unzuverlässigkeit“) angegeben.[4]

Freunde überzeugten sie, 1934 Deutschland in Richtung USA zu verlassen, wo sie zunächst am Barnard College in New York lehrte. Die „American Association of University Women“ empfahl sie an die Columbia University, wo sie von 1935 bis 1948 als Gastprofessorin im Department of Art History and Archaeology unterrichtete. 1940 erhielt sie die amerikanische Staatsbürgerschaft. Auch nach ihrer Pensionierung unterrichtete sie bis 1956 weiter, dabei als die erste Gastprofessorin an der Princeton University (1949/50).

Nach 1945 musste sie sich juristisch ihre in Gießen erarbeiteten Pensionsansprüche erkämpfen. Sie blieb bis ins Alter wissenschaftlich aktiv und lebte zuletzt bei ihrer Adoptivtochter Ingeborg Sachs. Im hohen Alter von 98 Jahren starb sie in New Canaan im Staat Connecticut (USA).

Biebers besonderes Forschungsgebiet war die antike Kleidung, der sie seit ihrer Berliner Zeit umfangreiche Studien widmete, daneben das antike Theater und die antike Plastik. Sie veröffentlichte weiterhin Beiträge zur Antikenrezeption und zu Skulpturen in amerikanischen Museen.

Ehrungen

Von der Justus-Liebig-Universität Gießen wurde sie 1959 zur ersten Ehrensenatorin ernannt. 1971 wurde sie in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. Der ehemalige Kunsthistorische Hörsaal der Universität Gießen in der Ludwigstraße 34 wurde 1997 nach Margarete Bieber benannt.

BW

2009 ehrte die Stadt Gießen Margarete Bieber mit einem Denkmal in der Plockstraße im Rahmen der Reihe „Gießener Köpfe“. Die Bronzebüste wurde vom Bildhauer Henrich Wienecke aus Heuchelheim geschaffen.[5]

Publikationen (Auswahl)

  • Das Dresdener Schauspielrelief. Ein Beitrag zur Geschichte des tragischen Kostüms und der griechischen Kunst. Dissertation, Universität Berlin 1907.
  • Die antiken Sculpturen und Bronzen des königlichen Museum Fridericianum in Cassel. Marburg 1915.
  • Die Denkmäler zum Theaterwesen im Altertum. Habil.-Schrift, Universität Gießen 1919.
  • Griechische Kleidung. Berlin 1928.
  • The History of the Greek and Roman Theater, Princeton University Press, 1939, 1961
  • The sculpture of the Hellenistic age. Columbia University Press, New York 1955.
  • Entwicklungsgeschichte der griechischen Tracht. 1967.
  • Ancient copies. Contributions to the history of Greek and Roman art. New York University Press, New York 1977.

Literatur

  • Larissa Bonfante; Rolf Winkes: Bibliography of the works of Margarete Bieber. For her 90th birthday July 31, 1969. New York 1969.
  • Rolf Winkes: Margarete Bieber zum 95. Geburtstag. In: Gießener Universitätsblätter 1 (1974), S. 68–75.
  • Addenda to the bibliography of the works of Margarete Bieber. In: American Journal of Archaeology 79 (1975), S. 147–148.
  • E. B. Harrison: Margarete Bieber, 1879–1978. In: American Journal of Archaeology 82 (1978), S. 573–575.
  • Larissa Bonfante: Margarete Bieber. In: Gnomon 51 (1979), S. 621–624.
  • Larissa Bonfante: Margarete Bieber (1879–1978). An Archaeologist in Two Worlds. In: Claire Richter (Hrsg.): Women as Interpreters of the Visual Arts, 1820–1979. London 1981, S. 239–274.
  • Hans-Günter Buchholz: Margarete Bieber, 1879–1978. Klassische Archäologin. In: Gießener Gelehrte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Marburg 1982, 58–73.
  • Bruno W. Reimann: Emigration und Entlassung. Die Gießener Universität in den Jahren nach 1933. In: Gideon Schüler (Hrsg.): Zwischen Unruhe und Ordnung. Ein deutsches Lesebuch für die Zeit von 1925 bis 1960. Gießen 1989
  • Larissa Bonfante: Archäologin in zwei Welten. Margarete Bieber. Vorreiterin für die Emanzipation der Frau in der Altertumswissenschaft. In: Antike Welt 28 (1997), S. 178.
  • Eva-Marie Felschow: Schwieriger Anfang, jähres Ende und ein Neubeginn in der Ferne. Das Schicksal der Margarete Bieber. In: Horst Carl u. a. (Hrsg.): Panorama 400 Jahre Universität Giessen. Societäts-Verlag, Frankfurt 2007, ISBN 978-3-7973-1038-5, S. 278–283.
  • Matthias Recke: Bieber, Margarete. In: Peter Kuhlmann, Helmuth Schneider (Hrsg.): Geschichte der Altertumswissenschaften. Biographisches Lexikon (= Der Neue Pauly. Supplemente. Band 6). Metzler, Stuttgart/Weimar 2012, ISBN 978-3-476-02033-8, Sp. 103–105.
  • Matthias Recke: Margarete Bieber (1879–1978). Vom Kaiserreich bis in die Neue Welt. Ein Jahrhundert gelebte Archäologie gegen alle Widerstände. In: Jana Esther Fries, Doris Gutsmiedl-Schümann (Hrsg.): Ausgräberinnen, Forscherinnen, Pionierinnen. Ausgewählte Porträts früher Archäologinnen im Kontext ihrer Zeit. Waxmann, Münster 2013, ISBN 978-3-8309-2872-0, S. 141–150.
  • Hans Peter Obermayer: Margarete Bieber im Exil. In: Derselbe: Deutsche Altertumswissenschaftler im amerikanischen Exil. Eine Rekonstruktion. De Gruyter, Berlin 2014, S. 35–107.
  • Bieber, Margarete. In: Lexikon deutsch-jüdischer Autoren. Band 2: Bend–Bins. Hrsg. vom Archiv Bibliographia Judaica. Saur, München 1993, ISBN 3-598-22682-9, S. 418–423.
  • Carmen Arnold-Biucchi, Martin Beckmann (Hg.): Sculpture and coins. Margarete Bieber as Scholar and Collector, Cambridge: Harvard University Press 2018 (Loeb Classical Monographs; 16), ISBN 978-0-674-42837-9.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Margarete Bieber: Wie ich Universitätsprofessor wurde. In: Neue Freie Presse, 20. August 1923, S. 6 (Online bei ANNO).Vorlage:ANNO/Wartung/nfp
  2. Matthias Recke: „Besonders schauerlich war die Anwesenheit von Frl. Bieber“. Die Archäologin Margarete Bieber (1879–1978) – Etablierung einer Frau als Wissenschaftlerin. In: Jana Esther Fries, Ulrike Rambuscheck, Gisela Schulte-Dornberg (Hrsg.): Science oder Fiction?: Geschlechterrollen in archäologischen Lebensbildern. Bericht der 2. Sitzung der AG Geschlechterforschung während des 5. Deutschen Archäologen-Kongresses in Frankfurt (Oder) 2005. Waxmann Verlag, Münster 2007, ISBN 978-3-8309-1749-6, S. 212f.
  3. Hans Peter Obermayer: Deutsche Altertumswissenschaftler im amerikanischen Exil. Eine Rekonstruktion, Walter de Gruyter Verlag, Berlin/Boston 2014, ISBN 978-3-11-030279-0, S. 36
  4. Hans Peter Obermayer (2014), ebd., S. 40/41
  5. Damen-Trio mit "schwerer Geburt" - "Gießener Köpfe" in Plockstraße erinnern an Hedwig Burgheim, Margarete Bieber und Agnes von Zahn-Harnack. In: Giessener Anzeiger. 21. Januar 2009.