Maria Cunitz

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Urania propitia, 1650
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Gedenktafel für Maria Cunitz in Schweidnitz

Maria Cunitz, auch Maria Kunitz und latinisiert Maria Cunitia (* 29. Mai 1610 in Wohlau, Herzogtum Wohlau; † 22. August 1664 in Pitschen) war eine der bedeutendsten Astronominnen der Frühen Neuzeit in Europa.

Geburtsjahr

Schon in der ersten größeren deutschsprachigen Veröffentlichung zu Maria Cunitz wurde 1798 über ihr Geburtsjahr spekuliert.[1] Denn weder ein Eintrag in einem Kirchenbuch noch ein Gelegenheitsgedicht zu ihrer Taufe waren und sind bis heute nachzuweisen. Ebenso fehlt eine gedruckte Leichenpredigt, aus der man hätte diese Angabe entnehmen können. Paul Knötel war wohl der erste, der die Jahreszahl 1604 ins Spiel brachte.[2] Viele andere deutsche Autoren (Arndt, Guentherodt) folgten später dieser Angabe. Da Maria Cunitz sich in ihrem Buch selbst als älteste Tochter bezeichnet und ihre Eltern 1603 heirateten, war diese Jahresangabe nachvollziehbar. Vor allem englischsprachige Veröffentlichungen nannten dagegen 1610 als Geburtsjahr – ohne dies aber letztlich belegen zu können. Ein von Ingrid Guentherodt aufgefundener Sammelband mit Gratulationsgedichten zur ersten Hochzeit von Maria Cunitz in Verbindung mit einem Brief von Elias a Leonibus an Johannes Hevelius aus dem Jahr 1651 erbrachte dann den Nachweis, dass sie tatsächlich 1610 geboren wurde.

Leben

Maria Cunitz wurde 1610 geboren. Ihre Eltern waren der aus einer Gelehrtenfamilie stammende Dr. med. u. phil. Heinrich Cunitz, der in der Kleinstadt Wohlau als Arzt tätig war, und Maria von Scholtz, die Tochter des herzoglich Liegnitzer-Brieger Rates Anton von Scholtz auf Raischmannsdorf. Als kleines Mädchen hielt sich Maria „gänzlich fern vom Puppenspiel“[3] und drängte die Eltern vielmehr, am Unterricht des älteren Bruders teilnehmen zu dürfen. So konnte sie am Ende des fünften Lebensjahres perfekt lesen und eignete sich auf diesem Weg auch Grundkenntnisse der lateinischen Grammatik an. Einen weitergehenden Sprachunterricht gestattete ihr Vater dann jedoch nicht mehr. Vielmehr wurde Maria nun in häuslichen Handarbeiten ausgebildet. So konnte sie nur durch eigene Initiative ihre Kenntnisse der lateinischen Sprache verbessern. Mit elf Jahren erhielt sie Musikunterricht und brachte sich selbst den Umgang mit Noten bei. Ein Jahr später begann sie, Federskizzen anzufertigen. Mit 13 begann sie, ohne fremde Hilfe Französisch zu lernen.

1615 war ihre Familie von Wohlau nach Schweidnitz /Schlesien[4] verzogen. Auch dort arbeitete ihr Vater wieder als Arzt. Mit 13 Jahren wurde Maria am 26. September 1623 mit dem aus einem Bunzlauer Ratsgeschlecht stammenden Juristen David von Gerstmann verheiratet. Dieser stand dem Wissensdrang seiner sehr jungen Frau anscheinend wohlwollend gegenüber, so konnte Maria ihr Französisch verbessern, beschäftigte sich mit Griechisch, erlernte selbständig das Lautenspiel und begann noch zusätzlich, sich für die Astrologie zu interessieren. Nach wenigen Jahren starb Gerstmann, und sie kehrte in ihr Elternhaus zurück.[5]

Etwas später lernte sie den Arzt, Mathematiker und Astronom Elias von Löwen kennen, der fortan ihr Lehrer wurde. Anfang 1629 wurde Schweidnitz von sechs Kompanien Fußvolk des damals gefürchteten Lichtensteinischen Regiments besetzt, um nicht zuletzt durch Einsatz von Gewalt die durchweg evangelische Bevölkerung zur Konversion zu bewegen.[6] Die Familie Cunitz verließ deshalb die Stadt. Nachdem ihr Vater am 8. August 1629 in Liegnitz verstarb, heiratete sie von Löwen. Anschließend zog das Paar in die Kleinstadt Pitschen im damaligen evangelischen Herzogtum Brieg.

Um den Wirren des Dreißigjährigen Krieges zu entgehen, flohen sie weiter ins benachbarte Polen. Dort in Łubnice dicht an der Grenze zu Schlesien, auf einem Gut der Zisterzienserinnen des Klosters Ołobok, hatten beide dann genügend Ruhe, um sich mit einem sehr umfangreichen Projekt zu beschäftigen. Maria Cunitz war bei ihren Studien aufgefallen, dass die Berechnungstabellen des Astronomen Johannes Kepler nicht immer zweckmäßig zu nutzen waren. Sie fand verschiedene neue Methoden, um die Umlaufbahnen der Planeten leichter vorhersagen zu können. Ihre Arbeiten setzten sie in Pitschen fort, wo Elias von Löwen als Arzt tätig war. Im Jahr 1650 schloss sie das Werk Urania propitia ab, durch das sie schnell bekannt wurde. Auf über 500 Seiten mit zweisprachiger lateinischer und deutscher Einleitung und einem zweiten Band mit astronomischen Rechentafeln dokumentierte sie ihre langjährigen Forschungsarbeiten.[7]

Ihr Mann verstarb am 27. April 1661 und sie am 22. August 1664.

Zeitgenossen verehrten sie als „Athene von Schlesien“, der Astronom Jean-Baptiste Joseph Delambre bezeichnete sie noch Jahrzehnte später als „zweite Hypatia“.[7]

In seinem Buch Schlesiens Hoch- und Wohlgelehrtes Frauenzimmer, Nebst unterschiedenen Poetinnen, So sich durch schöne und artige Poesien bey der curieusen Welt bekandt gemacht[8] schreibt 1727 Johann Caspar Eberti[9] über Maria: „Cunicia (Maria) oder Cunitzin, des berühmten Herrn Henrici Cunitii Tochter, […]. Ein gelehrtes Weib, die gleichsam als eine Königin unter dem Schlesischen Frauenzimmer hervorleuchtet; redete 7 Sprachen/ Deutsch/ Italienisch/ Französisch/ Polnisch/ Latein/ Griechisch und Hebräisch, war in der Music wohl erfahren und konnte ein nettes Gemählde verfertigen. Dabey war sie der Astrologie sehr ergeben […]; sie hatte in den Astronomischen Speculationibus ihr größtes Vergnügen […]“.

Ein Venuskrater trägt nach ihr den Namen Cunitz.

Werk

  • URANIA PROPITIA SIVE Tabulae Astronomicae mirè faciles, vim hypothesium physicarum à Kepplero proditarum complexae; facillimo calculandi compendio, sine ulla Logarithmorum mentione, phaenomenis satisfacientes. Quarum usum pro tempore praesente, exacto, & futuro, (accedente insuper facillimá Superiorum SATURN & JOVIS ad exactiorem & coelo satis consonam rationem, reductione) duplici idiomate, Latino & vernaculo succinctè praescriptum cum Artis Cultoribus communicat MARIA CUNITIA. Das ist: Newe und Langgewünschete/ leichte Astronomische Tabelln/ durch derer vermittelung auff eine sonders behende Arth/ aller Planeten Bewegung/ nach der länge/ breite/ und andern Zufällen/ auff alle vergangene/ gegenwertige/ und künfftige Zeits-Puncten fürgestellet wird. Den Kunstliebenden Deutscher Nation zu gutt/ herfürgegeben. Sub singularibus Privilegiis perpetuis, sumptibus Autoris, BICINI Silesiorum, Excudebat Typographus Olsnensis JOHANN. SEYFFERTUS, ANNO M.DCL. (VD17 Verzeichnis der Drucke des 17. Jahrhunderts, VDNummer= 39:125019N) (online)

Maria Cunitz gab Urania Propitia selbst heraus, laut Titel im Jahr 1650. Sie verfasste das Werk zweisprachig, sowohl in Latein als auch in Deutsch. Dadurch verstanden es auch Menschen, die der Gelehrtensprache Latein nicht mächtig waren. Diese zweisprachige Form wird als in der deutschen, „ja möglicherweise sogar europäischen“ Wissenschaftsgeschichte ihrer Zeit als einmalig angesehen. Die Astronomin erweiterte Johannes Keplers Methoden, schrieb eine 265 Seiten lange wissenschaftliche Einführung und dazu 286 Seiten mit astronomischen Tabellen.[10] Sie korrigierte Fehler in den Rudolfinischen Tafeln und vereinfachte Keplers Berechnungen, indem sie die Logarithmen entfernte. Das Werk gilt als früheste erhaltene wissenschaftliche Veröffentlichung einer Frau.

Der Astronomiehistoriker Noel Swerdlow bescheinigte Urania Propitia, ein Werk auf dem höchsten technischen Niveau seiner Zeit zu sein.[7]

Literatur

  • Margarethe Arndt: Die Astronomin Maria Cunitz. In: Jahrbuch der Schlesischen Friedrich Wilhelm Universität zu Breslau. Nr. 3, 1986, S. 87–97.
  • Johann C. Eberti: Eröffnetes Cabinet dess gelehrten Frauen-Zimmers. Darinnen die berühmtesten dieses Geschlechtes. Iudicium, München 2004, ISBN 3-89129-998-2, S. 25–28 (Reprint der Ausgabe Schlesiens hoch- und wohlgelahrtes Frauen-Zimmer, Breslau 1727).
  • Ingrid Guentherodt: Maria Cunitia. Urania propitia; Intendiertes, erwartetes und tatsächliches Lesepublikum einer Astronomin des 17. Jh. In: Daphnis. Zeitschrift für mittlere deutsche Literatur. Nr. 20, 1991, S. 311–353.
  • Ingrid Guentherodt: Frühe Spuren von Maria Cunitia und Daniel Czepko in Schweidnitz 1623. In: Daphnis. Zeitschrift für mittlere deutsche Literatur. Nr. 20, 1991, S. 547–584.
  • Paul Knötel: Maria Cunitia. In: Friedrich Andreae (Hrsg.): Schlesier des 17. bis 19. Jahrhunderts, Schlesische Lebensbilder. Nr. 3. Breslau 1928, S. 61–65.
  • Elias a Leonibus: Brief vom 2. Dezember 1651 an Johannes Hevelius. Original in der Bibliothèque de l’Observatoire de Paris, Signatur C1, Tome 2, N° 260. (deutsche Übersetzung von Frau Clavuot-Lutz).
  • Klaus Liwowsky: Einige Neuigkeiten zur Familie der Schlesierin Maria Cunitz. Koblenz, 3. durchgesehene und vermehrte Aufl. 2010.
  • Johann Ephraim Scheibel: Nachrichten von der Frau von Lewen geb. Cunitzin. In: Astronomische Bibliographie, der 3. Abteilung, zweite Fortsetzung, Schriften aus dem siebzehnten Jahrhundert von 1631 bis 1650 aus der Reihe Einleitung zur mathematischen Bücherkenntnis. Nr. 20. Breslau 1798, S. 361–378.
  • Julius Schmidt: Die Lichtensteiner in Schweidnitz 1629. In: Schlesische Provinzialblätter. Nr. 116, 1829, S. 105–120.
  • Noel Swerdlow: Urania Propitia, Tabulae Rudophinae faciles redditae a Maria Cunitia Beneficent Urania, the Adaptation of the Rudolphine Tables by Maria Cunitz. In: Jed Z. Buchwald (Hrsg.): A Master of Science History: Essays in Honor of Charles Coulston Gillispie. Springer, Dordrecht 2012, ISBN 978-94-007-2626-0, S. 81–121 (erstmalige Auswertung und Beurteilung der Berechnungen aus Urania Propitia).

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Vgl. Scheibel, 363.
  2. „Wahrscheinlich war sie 1604 in Wohlau geboren“ (Knötel, S. 63).
  3. Leonibus, S. 1.
  4. Vgl. Liwowsky, S. 31.
  5. Hilmar Duerbeck: Maria Cunitz: Kriegswirren und Planetenberechnung. In: Frauenmuseum Bonn (Hrsg.): Astronominnen. Frauen die nach den Sternen greifen. Bonn 2009, ISBN 978-3-940482-30-3, S. 41, 42.
  6. Vgl. Schmidt, vor allem S. 111–113.
  7. a b c Anna Reser, Leila McNeill: Frauen, die die Wissenschaft veränderten. Haupt, Bern 2022, ISBN 978-3-258-08258-5, S. 37 f.
  8. onb.ac.at (Memento vom 4. März 2016 im Internet Archive)
  9. onb.ac.at (Memento vom 5. März 2016 im Internet Archive)
  10. Ingrid Guentherodt: Wissenschaftliche Arbeiten von Maria Cunitz und Maria Sibylla Merian. In: Gisela Brinker-Gabler (Hrsg.): Deutsche Literatur von Frauen. Erster Band 1988, S. 198–199.