Massaker in Indonesien 1965–1966

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Die Massaker in Indonesien 1965–1966 betrafen Mitglieder und Sympathisanten der Kommunistischen Partei Indonesiens (PKI) sowie chinesischstämmige Bürger. Täter waren Teile der indonesischen Armee und eigens dafür gebildete Milizen unter dem Kommando des Generals und späteren Präsidenten Suharto.

Das systematische Massenmorden begann im Oktober 1965, je nach Schätzung fielen ihm 500.000 bis 3 Millionen Menschen zum Opfer,[1] wobei Schätzungen von 2 oder 3 Millionen allgemein als zu hoch angesehen werden und man eher von um 500.000 ausgeht.[2] Die Vernichtung der PKI folgte auf einen angeblichen Putschversuch der so genannten Bewegung 30. September mehrere Wochen zuvor, am 1. Oktober 1965. Hierfür wurde die kommunistische Partei in einer medialen Kampagne verantwortlich gemacht und zum Hauptfeind der Nation stilisiert. Eine große Zahl an Zivilisten beteiligte sich an dem Morden. Das Militär stellte für die Vernichtung der Kommunisten eigens paramilitärisch organisierte Todesschwadronen aus den Mitgliedern anderer politischer und auch religiöser Bewegungen zusammen.[3] Eine wesentliche Rolle für den systematischen Massenmord gegen das linke Spektrum Indonesiens spielte hierbei die globale Polarisierung und Einflussnahme der Konfliktparteien des Kalten Krieges auf das Indonesische Militär, vor allem seitens der US-amerikanischen CIA.

General Suharto bei der Beerdigung der Generäle, die bei dem Putschversuch ums Leben gekommen waren, der dem Massaker vorausging.

Heute gilt als gesichert, dass die Putsch-Beschuldigungen gegen die PKI falsch waren; die tatsächlichen Verantwortlichkeiten sind jedoch ungeklärt. Bis heute gab es weder eine strafrechtliche Aufarbeitung der Vorgänge noch unabhängige staatliche Untersuchungen. Vielmehr werden die Vorgänge in der offiziellen indonesischen Geschichtsschreibung als heroische Taten angesehen, die dem Schutz des Landes vor dem Kommunismus dienten. Dementsprechend rühmen sich damals an dem Morden Beteiligte teilweise bis in die Gegenwart mit ihren Taten, während damals zu Unrecht beschuldigte und verfolgte Menschen bis heute das Stigma des ehemaligen „politischen Gefangenen“ tragen, etwa durch einen Stempel im Ausweis. Sie werden im Alltagsleben auf verschiedenste Weise benachteiligt und diskriminiert.[3]

Nach der weitgehenden Vernichtung der Kommunistischen Partei begann 1966 die Diktatur von General Suharto, der den Staatsgründer Sukarno ablöste und bis 1998 regierte. Die Version der Alleinschuld der PKI an dem Putsch sowie der Massenmord als „Rettung des Vaterlands“ bildeten eine Art Gründungsmythos für das Regime Suhartos und dessen Staatsideologie der „Neuen Ordnung“ (Orde Baru). Daher war bis 1998 jegliche Kritik an der offiziellen Version der Ereignisse verboten.

Geschichte

Anlass war ein Putschversuch einer bis dahin unbekannten „Bewegung 30. September“ innerhalb der indonesischen Armee, bei dem sechs führende Generäle ermordet wurden. Dieser Putschversuch wurde der PKI angelastet, der damals mit 3,5 Millionen Mitgliedern drittstärksten kommunistischen Partei der Welt. Kurz darauf begannen Armee und paramilitärische Einheiten das Pogrom, das sie selbst „Musim Parang“ (Saison der Hackmesser) nannten. Das Militär wandte sich nach Aktionen in Jakarta zunächst nach Zentral-Java (von wo Teile der Putschisten stammten), wo zur Unterstützung lokal als antikommunistisch eingestufte Zivilisten, teilweise aus islamischen Organisationen, vom Militär eingespannt wurden. Dabei wurden auch persönliche Fehden beglichen, und lokale Spannungen zwischen Bevölkerungsgruppen entluden sich. Die größte Gewaltwelle klang Ende 1965 aus, in weiter entfernt liegenden Regionen setzte sie sich aber fort, zum Beispiel auf Lombok Anfang 1966 und in West-Kalimantan im Oktober/November 1967 und zum Beispiel im Osten Javas bis 1968.

Es gab keinen nennenswerten Widerstand der Opfer oder der Kommunistischen Partei.

Die überlebenden Mitglieder der Partei und deren Sympathisanten kamen in Gefängnisse oder Konzentrationslager und mussten Zwangsarbeit leisten. Nach ihrer Entlassung wurden sie mit den Buchstaben „ET“ (Ex-Tapol, Ex-politischer Gefangener) im Pass stigmatisiert und mit Verweigerung von Bürgerrechten und Berufsverboten diskriminiert.

Zwar wurden während der chaotischen Phase der Tötungen auch einige „private Rechnungen“ beglichen, es ist nach Geoffrey Robinson[4] aber ein Mythos, dass solche und ethnische Gründe (Chinesischstämmige) eine größere Rolle spielten. Die weit überwiegende Zahl der Opfer stand direkt oder indirekt mit der kommunistischen Partei in Verbindung, auch wenn die Mehrzahl der Opfer keine prominente Rolle in den Parteien spielte und aus ärmeren Schichten und der unteren Mittelschicht stammten. Die Ermordungen geschahen überwiegend auch nicht mit modernen Waffen, sondern mit Messern, Macheten, Bambusspeeren und anderen Alltagsgegenständen.[5] Mit wenigen Ausnahmen waren die Morde aber nicht zufällig oder spontan, sondern wiesen einen hohen Organisationsgrad auf z. B. bei der Auswahl der Opfer, der eigentlichen Tötung und der Beseitigung der Leichen.[5] Die zugehörigen Listen stammten insbesondere von antikommunistischen Organisationen, Verhören durch die indonesische Armee und teilweise sogar von ausländischen Botschaften. Die Opfer wurden häufig nachts abgeholt und gefesselt und mit verbundenen Augen auf Lastern zu den Hinrichtungsstätten gebracht, wo große Gruben ausgehoben waren, Flussläufe oder Schluchtenränder waren. Dort wurden sie erschossen, erschlagen, mit diversen scharfen Gegenständen zerhackt, erstochen usw.[5]

Wohlwollende Reaktionen der westlichen Politik und Unterstützung durch die USA

Die Niederschlagung des Putsches und die Ausschaltung der Kommunistischen Partei wurden in den USA und Großbritannien von offizieller Seite begrüßt, obwohl das Ausmaß der Massaker schon damals allgemein bekannt war.[6] Der Staatssekretär (Deputy United States Under Secretary of State) im US-Außenministerium U. Alexis Johnson meinte z. B. 1966: „Die Zurückdrängung der kommunistischen Flut im großen Land Indonesien wird wahrscheinlich neben dem Vietnamkrieg als einer der historisch bedeutendsten Wendepunkte in Asien in diesem Jahrzehnt gewertet werden.“[7]

Laut dem Historiker Bradley Scott[8] waren die USA seit langem mit der Lage in Indonesien und mit Präsident Sukarno unzufrieden und unterstützten General Suharto in der Hoffnung, dass sich das Militär gegen die im Land starke Kommunistische Partei wenden würde, konnten das aber nicht offen tun. Die US-Regierung war sich nach Scott auch im Klaren über das Ausmaß und die Natur der Massaker und unterstützte trotzdem weiter in erheblichem Ausmaß das Militär. So wurde eine Liste von tausenden Mitgliedern der Kommunistischen Partei an Indonesien übermittelt,[9] was später als Tat eines Einzelnen dargestellt wurde. Zudem wurden Waffen geliefert. Die verdeckte Unterstützung begann nach freigegebenen offiziellen Dokumenten laut Scott im Oktober 1965.

Nachwirken

Die Geschehnisse wurden in der Orde Baru systematisch verklärt und sind innerhalb der indonesischen Gesellschaft nahezu unaufgearbeitet. Die Diskriminierung der Opfer dauert bis heute an. Seit mehreren Jahren kämpfen Opferverbände um Aufklärung, Rehabilitierung und Entschädigung. Ein im Juli 2012 vorgelegter Bericht eines Untersuchungsteams der indonesischen Menschenrechtskommission erkennt an, dass die Gewalttaten auf die Kommandeure der damaligen Sicherheitskräfte zurückgehen.[3]

R. John Hughes, der 1965 für den Christian Science Monitor vor Ort in Indonesien war, erhielt für sein Buch über die Vorgänge 1967 den Pulitzer-Preis für Auslandsberichtserstattung.

Der Spielfilm Ein Jahr in der Hölle von Peter Weir (1982) begleitet die Ereignisse von Ende Juni 65 bis kurz nach dem Putsch. Insgesamt fand das Massaker aber, wie der Guardian-Journalist John Gittings 1999 urteilte,[10] wenig Resonanz in den westlichen Medien und in wissenschaftlichen Untersuchungen.

Die Aussagen der Täter und Opfer verarbeitete Joshua Oppenheimer 2012 und 2014 zu den Dokumentarfilmen The Act of Killing und The Look of Silence. Beide Filme wurden mehrfach und international ausgezeichnet.

Literatur

  • Robert Cribb: The Indonesian Killings of 1965–1966: Studies from Java and Bali. In: Monash Papers on Southeast Asia. Nr. 21, Centre of Southeast Asian Studies Monash University, Robert Cribb, 1990.
  • Robert Cribb: How many deaths? Problems in the statistics of massacre in Indonesia (1965–1966) and East Timor (1975–1980). In: Ingrid Wessel, Georgia Wimhöfer (Hrsg.): Violence in Indonesia. Abera, Hamburg 2001, S. 82–98. (Abstract)
  • Robert Cribb: Genocide in Indonesia, 1965–1966. In: Journal of Genocide Research. Band 3, Juni 2001, S. 219–239.
  • John Gittings: The indonesian massacres 1965/66. In: Mark Levene, Penny Roberts: The Massacre in History. Berghahn Books, 1999, S. 247–262.
  • John Hughes: Indonesian Upheaval. Verlag David McKay, 1967.
  • John Hughes: The End of Sukarno – A Coup that Misfired: A Purge that Ran Wild. Archipelago Press, 2002.
  • Anett Keller (Hrsg.): Indonesien 1965 ff. Die Gegenwart eines Massenmordes, regiospectra Verlag, Berlin 2015, ISBN 978-3-940132-68-0. Rezension
  • Annie Pohlman u. a.: The Massacres of 1965–1966. New Interpretations and the Current Debate in Indonesia. Thema von Journal of Current Southeast Asian Affairs, Band 32, Nr. 3, 2013. Artikel online
  • Geoffrey Basil Robinson: The Killing Season. A History of the Indonesian Massacres 1965–1966. Princeton University Press, 2018 PUP
  • Geoffrey B. Robinson: The Killing Season: A History of the Indonesian Massacres, 1965–66, Princeton UP 2018
  • John Roosa: Pretext for mass murder, the September 30th Movement and Suharto’s coup d’Etat in Indonesia. University of Wisconsin Press, 2006
  • Bradley Scott: Economists with guns: Authoritarian Development and US-Indonesian Relations, 1960–1968, Stanford University Press 2010
  • Harry Thürk, Diethelm Weidemann: Indonesien 65. Anatomie eines Putsches. 2. Aufl. Militärverlag der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin 1977
  • Andreas Ufen: Vergangenheitspolitik in Indonesien. Die Massaker von 1965–1966. GIGA Focus Asien, 3, 2014
  • Baskara T. Wardaya: Frieden schließen mit der Vergangenheit. Die Tragödie von 1965 bleibt ein dunkler Fleck in der indonesischen Geschichte. In: Südostasien, 3, 2011, S. 49–51.
  • Till Florian Tömmel: Bonn, Jakarta und der Kalte Krieg. Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland gegenüber Indonesien von 1952 bis 1973, Berlin/Boston (De Gruyter Oldenbourg) 2018. ISBN 978-3-11-056249-1. ISBN 978-3-11-056555-3. ISBN 978-3-11-056263-7
Roman
  • Laksmi Pamuntjak: Alle Farben Rot. Aus dem Indonesischen von Martina Heinschke. Ullstein, 2015

Weblinks

Einzelnachweise und Fußnoten

  1. John Gittings: The indonesian massacres 1965/66. In: Mark Levene, Penny Roberts: The Massacre in History. Berghahn Books, 1999, S. 247–262.
  2. Geoffrey B. Robinson, The Killing Season, Princeton UP 2018, S. 120/121 und zugehörige Fußnote S. 340. Speziell S. 120: ... a broad scholarly consensus has emerged in recent years that the number killed was somewhere around 500.000. Das ist nach Robinson konsistent mit der internen Einschätzung westlicher Botschaften 1966, die eine Opferzahl von 400.000 als deutliche Unterschätzung bezeichneten und von einer Opferzahl bis 1 Million ausgingen. Es entspricht auch der Einschätzung indonesischer Militärs gegenüber ausländischen Militärattachées 1966, obwohl hochrangige indonesische Militärs sogar höhere Opferzahlen angaben. So sprach Admiral Sudomo im holländischen Fernsehen 1976 von mehr als 500.000 Opfern, der Vertraute von General Suharto Jan Walendouw sprach im US State Department 1966 von 1,2 Millionen und Brigadegeneral Sarwo Edhie Wibowo sprach 1989 von 3 Millionen.
  3. a b c Anett Keller: Suharto-Aufarbeitung in Indonesien: Ein monströses Verbrechen. In: die tageszeitung. 26. Juli 2012.
  4. Robinson, Killing Season, 2018, S. 121
  5. a b c Robinson, Killing Season, S. 123
  6. John Gittings: The Indonesian Massacres. 1999.
  7. „The reversal of the Communist tide in the great country of Indonesia [is] an event that will probably rank along with the Vietnamese war as perhaps the most historic turning-point in Asia of this decade.“ Zitiert nach Gittings und dort nach Gabriel Kolko: Confronting the Third World: US foreign policy 1945–1980. New York 1988, S. 183.
  8. No country opposed the killings in Indonesia in 1965–1966 (Memento vom 7. Januar 2016 im Webarchiv archive.today), International People’s Tribunal IPT 1965, 13. November 2015, Vortrag von Scott
  9. John Gittings, The Indonesien Massakers 65/66, 1999, Abschnitt Foreign Involvment
  10. Gittings, loc. cit.