Massenexplosion

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ADR-Gefahrzettel 1.1 Stoffe und Gegenstände, die massen­explosions­fähig sind[1]
H201
GHS-System: Das gemeinsame Piktogramm 2.1/E Explo­sions­­gefähr­lich und der H-Satz Explosiv, Gefahr der Massen­explosion

Eine Massenexplosion ist bei Explosivstoffen eine Explosion, bei der eine gesamte Ladung nahezu weitgehend gleichzeitig umsetzt.[2]

Sprengstoffe, das sind solche, die mit einer höheren als der Schallgeschwindigkeit im Medium explodieren (man spricht von Detonation), sind im Allgemeinen schwer zündfähig. Pyrotechnika mit niedrigerer Umsetzungsgeschwindigkeit hingegen (man spricht von Deflagration beziehungsweise Abbrand) sind tendenziell nicht massenexplosionsfähig: Getrennte Ladungen setzen, falls eine die andere mitzündet, soweit nacheinander um, dass sich keine gemeinsame Druckwelle aufbaut. Diesen Unterschied bezeichnet der Begriff der Brisanz eines Explosivstoffes. Sind aber zu große Mengen gemeinsam verdämmt oder unter Umständen auch nur gelagert, kann es auch bei pyrotechnischen Mitteln und Gegenständen zu einer Massenexplosion kommen. Bei reinem Schwarzpulver liegt diese Grenze zur Massenexplosivität beispielsweise bei ca. 1 kg. Der Effekt entsteht, weil sich dieser explosive Stoff durch sein Eigengewicht verdämmt.[3]

Eine Massenexplosion ist darum besonders sicherheitsrelevant, weil die kompakte Stoßwelle einer Massenexplosion eine starke Splitter- und Hitzewirkung hat,.[4] Nicht-massenexplodierende Ereignisse führen zwar auch zu Splittern und Wurfstücken,[2] bleiben aber kleinräumiger und führen tendenziell nur zu lokalen Bränden.[4] Eine Massenexplosion ähnelt einer Detonation: Bei einem Sprengmittel wird benachbarter Sprengstoff durch die Druckwelle selbst gezündet, und alle Drücke summieren sich, während der langsamere Abbrand bei pyrotechnischen Mitteln die Ladungen tendenziell verteilt, bevor diese zünden: Man spricht hierbei von schiebender Explosionswirkung. Daher funktionieren Feuerwerkskörper, indem die pyrotechnischen Effekte weiträumig verstreut werden, und dann erst die Effekte durchzünden. Das Verdämmen dient dazu, höhere Drücke aufzubauen (lose gestreutes Schwarzpulver beispielsweise verbrennt nur ziemlich langsam), daher fördert es die gemeinsame Umsetzung im einzelnen Gegenstand, andererseits verhindert es auch das Weiterzünden benachbarter explosiver Gegenstände. Massenexplosivität ist daher primär bei Lagerung und Transport von losen explosiven Stoffen, oder Gebinden von Munition oder Feuerwerksartikeln eine Thematik,[4] und bezieht sich meist auf ganze Kisten- und Paketstapel oder Containerinhalte (wo der Container selbst als weitere Verdämmung wirkt), bis hin zu ganzen Schiffsladungen, Bunker oder Produktionsstätten. Während Sprengstoff meist nur in Kombination mit einem sprengkräftigen Zünder explosionsfähig sind, reagieren Brennstoffe schon auf Hitze, Schwarzpulver auch nur auf Druck, Stoß, wie auch chemische Instabilitäten, und letzteres gilt daher insbesondere in Mischungen mit anderen Chemikalien als besonders unberechenbar. Massenexposiviät ist daher insgesamt nicht nur eine Frage der chemisch-physikalischen Stoffeigenschaften, sondern insbesondere der Lager- und Transportlogistik.[4]

Massen-Explosionsgefährlichkeit muss in Einzelversuchen ermittel werden.[4][5] Dazu wird eine gewisse Lagerung meist einem Brand, der häufigsten Unfallursache, ausgesetzt, und man beobachtet, inwieweit benachbarte Lagerungen angesteckt werden und welches Ausmaß die Explosion annimmt. Das Anzeichen für eine Massenexplosion ist beispielsweise ein Krater und Verstreuen des Einschlussmaterials, sonst sind auch Messungen der Druckstoßwirkung notwendig.[5] Typischerweise werden Einzelpackstückprüfungen und Stapelprüfung vorgenommen, wobei man auch eine Nachweisplatte unterhalb der Testanordnung auf Beschädigungen prüfen kann (etwa Bleiplattenprobe).[5] Damit werden Richtlinien erarbeitet, welche Gegenstände wie verpackt und zusammengelagert werden müssen, um das Massenexplosionsrisiko zu minimieren oder auszuschalten, etwa durch zusätzliche Umpackungen oder Luftabstände zwischen Gegenständen[5] (die Stoßwirkung der Druckwelle nimmt grob mit dem Quadrat der Entfernung ab, schon geringe Abstände im Dezimeterbereich können sich positiv auswirken).

Die Massen-Explosionsfähigkeit einer Stoff-Packungs-Kombination ist ein entscheidendes Kriterium in der Klassierung von Gefahrstoffen und Gefahrgut. Im Global harmonisierten Systems (GHS, Kombination von CLP, ADR und ähnlichem) wird innerhalb der Gefahrenklasse E[xpl.] 1 (2.1) respektive Gefahrgutklasse 1 Explosionsgefährlich die Gefahrstufe 1 massenexplosionsfähig (H-Satz H201 Explosiv, Gefahr der Massenexplosion, Gefahrgutklasse 1.1 Stoffe und Gegenstände, die massenexplosionsfähig sind, ERI-Card Unterklasse 1-01) unterschieden, nicht-massenexplosive Materialien und Lagerungen haben eine entsprechend ungefährlichere Klassierung (H202 ff respektive 1.2 ff). Daneben gibt es noch Gefahrstufe 5 (unempfindlich aber massenexplosiv: H-Satz H205 Gefahr der Massenexplosion bei Feuer, Gefahrgutklasse 1.5 Sehr unempfindliche massenexplosionsfähige Stoffe, ERI-Card 1-05 Sehr unempfindliche explosionsgefährliche Stoffe mit der Gefahr einer Massenexplosion). Ähnliche Einstufungen finden sich auch in Spezialsystemen, wie den NATO-Munitionsbrandklassen.[6]

1.1 eingestuft sind beispielsweise Patronen für Waffen mit Sprengladung (Sprengmunition, UN-Nummer 0005, 0006), Sprengkapseln (nicht elektrisch UN 0029, elektrisch UN 0030) und sprengkräftige Zünder (UN 0106), Schwarzpulver (gekörnt oder in Mehlform UN 0027, gepresst oder als Pellets UN 0028), pyrotechnische Anzünder (Zündstäbe, UN 0121), Seenot-Signalkörper (UN 0194), aber auch Chemikalien wie Trinitrotoluen (TNT, < 30 % Feuchte) und Tritonal (beide UN 0390), oder Trinitrophenol (TNP, Pikrinsäure, < 30 % Feuchte, UN 0154). 1.5 ist selten, beispielsweise bei Ammonit C (UN 0331 Sprengstoff, Typ B), wie es bei Lawinensprengungen verwendet wird.

Einzelnachweise

  1. Ähnlich: UN transport pictogram - 1.5.svg kleines Symbol der UN TDG (hier 1.5); DOT hazmat class 1.1.svg US DOT Tunnel restriction (1.1)
  2. a b Definition nach einschlägiger Gefahrstoff/-gut-Kennzeichnung.
  3. Naturwissenschaft – Rüstung – Frieden: Basiswissen für die Friedensforschung. VS Verlag für Sozialwissenschaften, 2007, ISBN 978-3-531-15057-4, S. 183–184, (Google Books, abgerufen am 6. März 2017).
  4. a b c d e Josef Köhler, Rudolf Meyer, Axel Homburg: Explosivstoffe. 10. Auflage. Verlag John Wiley & Sons, 2012, ISBN 978-3-527-66007-0, Eintrag Massen-Explosionsfähigkeit, Massen-Explosionsgefährlichkeit. S. 142 (Google Books, abgerufen am 10. März 2017).
  5. a b c d UN-Test 6(a) Einzelpackstückprüfung, (Memento des Originals vom 12. März 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tts.bam.de UN-Test 6(b) Stapelprüfung, (Memento des Originals vom 12. März 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tts.bam.de UN-Test 6(c) Außenbrandprüfung. (Memento des Originals vom 12. März 2017 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.tts.bam.de Bundesanstalt für Materialforschung und -prüfung (BAM), Testgelände Technische Sicherheit (tts.bam.de): Versuche.
  6. Siehe Bundeswehr und NATO-Streitkräfte. Feuerwehr Ratingen (abgerufen 10. März 2017).