Matthias Gehrt

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Matthias Gehrt (* 24. Mai 1957 in Celle) ist ein deutscher Theater-Regisseur mit Inszenierungen in Deutschland, England, Nigeria, Mexiko, Ghana, Sri Lanka und Israel.

Leben

Matthias Gehrt wurde 1957 in Celle als zweites von drei Kindern in eine streng katholische Familie geboren, deren Vorfahren aus Danzig und Ostpreußen stammen. In seiner Geburtsstadt absolvierte er 1976 ein althumanistisches Abitur. Anschließend leistete er seinen Wehrdienst ab und arbeitete 1977–1980 im Zuge einer Management-Ausbildung für die Kaufhauskette C&A Brenninkmeijer, dort zuletzt als Substitut und Abteilungsleiter. Diese Ausbildung brach er 1980 vorzeitig ab, nachdem er in Bremen Kontakt zur dortigen Anti-AKW-Bewegung bekommen hatte. Im selben Jahr verweigerte er als Reaktion auf die „Bremer Krawalle“ (Gelöbnisfeier in Bremen 1980), an denen er teilgenommen hatte, den Kriegsdienst und zog nach West-Berlin. Dort nahm er an der Freien Universität ein Studium der Theaterwissenschaft, Germanistik und Geschichte auf, welches er 1990 mit dem Magister Artium abschloss. Zunächst engagierte er sich in Berlin vor allem in der Hausbesetzer-Szene, bis er im Herbst 1981 ein Engagement am Stadttheater Pforzheim als Regieassistent antrat, das er nach wenigen Wochen kündigte. Seinen Ein-Jahres-Vertrag erfüllte er aber, worauf er 1982 wieder zurück nach West-Berlin ging. Dort arbeitete er ab 1983 als Regie-Hospitant an der Schaubühne am Lehniner Platz u. a. mit George Tabori. Von 1984 bis 1988 war er an der Schaubühne als Regie-Assistent engagiert und arbeitete zunächst mit Luc Bondy, dann aber vor allem mit Peter Stein, der für ihn zum prägenden Lehrer für seine spätere Regiearbeit wurde.[1] 1988 verließ er die Berliner Schaubühne und arbeitet seitdem als Regisseur an verschiedenen deutschen, europäischen und außereuropäischen Theatern. An die Schaubühne kehrte er 1994 noch einmal zurück für seine Inszenierung von Gabriel Gbadamosis „Hotel Orpheu“.

1991 erlebte er nach Inszenierungen in Aachen, Jena und Bremen am Staatsschauspiel Dresden mit „Die Hypochonder“ von Botho Strauß einen ersten überregionalen Erfolg. An das Staatsschauspiel Dresden kehrte er in den folgenden Jahren immer wieder zurück und inszenierte dort bis 2007 insgesamt neun Produktionen. Fest-Engagements als Hausregisseur führten ihn in den folgenden Jahren an das Nationaltheater Weimar sowie an das Schauspiel Chemnitz. Weitere Stationen als freischaffender Regisseur in der Zeit bis 2010 waren Schauspiel Dortmund, Schauspiel Leipzig, Theater Magdeburg, Staatstheater Mainz, Meininger Staatstheater, Prinzregententheater München, Staatstheater Schwerin und Schauspiel Trier. Er inszenierte dort vor allem zeitgenössische Literatur sowie antike und klassische Stoffe, dabei nur wenige Komödien.

1992 begann er neben seiner Theaterarbeit in Deutschland mit Inszenierungen im Ausland.[1] Auf Gabriel Gbadamosis „Eshu´s Faust“ im englischen Cambridge folgten zwischen 1995 und 1999 vier Inszenierungen in Lagos, Nigeria (u. a. Sophokles' „König Ödipus“), gefolgt von zwei Arbeiten in Guadalajara, Mexiko (u. a. „Merlin…Nació Danzando“, eine Bearbeitung des keltischen Merlin-Mythos). In diesen Projekten ging es immer wieder um die Erforschung und das szenische Ausloten von rituellen Theaterformen, in Nigeria im präkolonialen und in Mexiko im indigenen Kontext. Diese Projekte wurden in Co-Regie mit ortsansässigen Regisseuren und deren Ensembles (Jide Ogungbade/Ben Tomoluju bzw. Jorge Angeles) realisiert. 2006 inszenierte Matthias Gehrt in Sri Lanka die singhalesische Erstaufführung von Bertolt Brechts Der gute Mensch von Sezuan, schließlich 2016 am Nationaltheater Ghana in Co-Regie mit Mawuli Semevo erneut „König Ödipus“, ein Text, den er bis dato in vier verschiedenen Versionen auf die Bühne gebracht hat. 2017 begann er eine Zusammenarbeit mit dem Tmu-na-Theater in Tel Aviv zunächst mit der Inszenierung von Wolfgang Borchert´sDraußen vor der Tür“, 2019 gefolgt von SchillersDie Räuber“, in beiden Fällen hebräische Erstaufführungen. Bis auf die erste Inszenierung in England wurden all seine Auslandsprojekte vom Goethe-Institut unterstützt.

Mit der Spielzeit 2010/11 übernahm Matthias Gehrt die Direktion des Schauspiels am Theater Krefeld-Mönchengladbach.[1] Im Sommer 2022 beendete er diese Tätigkeit. In seinen dort 26 Inszenierungen beschäftigte er sich vornehmlich mit antiker, klassischer und klassisch-moderner Literatur (Aischylos, Sophokles, Shakespeare, Goethe, Schiller, Büchner, Cechov, Dostojewski, Beckett, Borchert, Bergman), aber auch mit zeitgenössischen Autoren (Michel Houellebecq, Lars von Trier, Lothar Kittstein, Wajdi Mouawad, Axel Hellstenius). Durch seine Reisen und seine außereuropäische Vernetzung inspiriert, rief er mit Beginn seines Festengagements am Theater Krefeld-Mönchengladbach die Reihe „Außereuropäisches Theater“ ins Leben, in der für das Schauspiel-Repertoire Regisseur*innen aus dem Iran, Nigeria, Mexiko, dem Libanon, Japan, Brasilien, Armenien, Syrien und Palästina mit dem dortigen Ensemble gearbeitet haben. Matthias Gehrt betreut diese Reihe weiter als Kurator. Seinen bisher einzigen Regie-Ausflug ins Musical mit „Blues Brothers“ haben seit der Krefelder Premiere 2012 einschließlich eines Remakes 2014 am Nationaltheater Mannheim über 50.000 Menschen gesehen.

Matthias Gehrt ist seit 2003 Mitglied im Internationalen Theaterinstitut (ITI) und war dort von 2012 bis 2021 im Vorstand als gewählter Beisitzer tätig.[2]

Seit 1980 ist Matthias Gehrt mit der Bildhauerin und Bühnenbildnerin Gabriele Trinczek liiert. Vor allem in den 1980er Jahren unternahmen beide ausgiebige Reisen in die USA, nach Indien, China, Israel, Ägypten und Kanada. Auch verbrachten sie mehrmonatige Arbeitsaufenthalte in London (1989) und Rom (2010). Seit Beginn seiner Theaterlaufbahn arbeiten beide künstlerisch immer wieder eng zusammen und haben inzwischen rund 45 Theater-Produktionen als Team realisiert. Ihre gemeinsame Tochter lebt derzeit in Beirut.

Inszenierungen

1980er Jahre
1990er Jahre
2000er Jahre
2010er Jahre
  • 2010: „Othello“ von William Shakespeare, Theater Krefeld Mönchengladbach
  • 2010: „Woyzeck“ von Georg Büchner, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2011: „König Ödipus“ von Sophokles, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2011: „Faust I+II“ von Johann Wolfgang v. Goethe, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2012: „Blues Brothers“ (Bühnenfassung: Matthias Gehrt), Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2012: „African Moon“ (UA) von Gabriel Gbadamosi, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2012: „Der Kirschgarten“ von Anton Cechov, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2013: „König Learvon William Shakespeare, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2013: „Verbrennungenvon Wajdi Mouawad, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2014: „Blues Brothers“ (Bühnenfassung: Matthias Gehrt), Nationaltheater Mannheim
  • 2014: „Orestievon Aischylos, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2014: „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2015: „Dogvillevon Lars von Trier, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2015: „Kabale und Liebe“ von Friedrich Schiller, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2016: „Ödipus Rex“ von Sophokles (Co-Regie: Mawuli Semevo), Nationaltheater / Goethe-Institut, Ghana, Accra
  • 2016: „Kein schöner Land“ (UA) von Lothar Kittstein / Hüseyin Michael Cirpici, Theater Krefeld-Mönchengladbach[3]
  • 2016: „Schuld und Sühne“ von Fjodor M. Dostojewski, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2017: „Draußen vor der Tür“ von Wolfgang Borchert  (Hebräische EA), Tmu-na Theatre / Goethe-Institut, Tel Aviv, Israel
  • 2017: „Unterwerfung“ von Michel Houellebecq, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2017: „Antigonevon Sophokles, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2018: „Die Räubervon Friedrich Schiller, Theater Krefeld-Mönchengladbach[4]
  • 2018: „Himmel über Paris“ (UA) von Lothar Kittstein, Theater Krefeld-Mönchengladbach[1]
  • 2019: „Die Räuber von Friedrich Schiller (Hebräische EA), Tmu-na Theatre / Goethe-Institut, Tel Aviv, Israel
  • 2019: „Szenen einer Ehevon Ingmar Bergman, Theater Krefeld-Mönchengladbach
2020er Jahre
  • 2020: „Elling“ von Axel Hellstenius, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2020: „Endspiel“ von Samuel Beckett, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2021: "Wilhelm Tell" von Friedrich Schiller, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2021: "Das letzte Band" von Samuel Beckett, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2022: "Nathan der Weise" von Gotthold Ephraim Lessing, Theater Krefeld-Mönchengladbach
  • 2022: "Vögel" von Wajda Mouawad, Theater Krefeld-Mönchengladbach

(UA = Uraufführung; EA = Erstaufführung)

Festival-Einladungen

  • 2016: „Orestie“: „Ancient Greek Drama Festival“, Zypern
  • 2016: „Kein schöner Land“: International Hanoch Levin Festival, Tel Aviv
  • 2017: „Kein schöner Land“: Heidelberger Stückemarkt
  • 2017: „Kein schöner Land“: NRW-Theatertreffen

Weblinks

Einzelnachweise