Medienkonvergenz

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Als Medienkonvergenz bezeichnet man in der Publizistik, im Rundfunkrecht und in der Kommunikationswissenschaft die Annäherung verschiedener Einzelmedien. Diese Annäherung kann in Bezug auf wirtschaftliche, technische oder inhaltliche Aspekte analysiert werden – die Grundvoraussetzung für jede Art der Konvergenz ist jedoch die technische Konvergenz (vgl. z. B. van Dijk, 2006; Latzer, 1997). Die technische Konvergenz löst Organisations-, Produktions-, Inhalte-, Nutzungs- und Publikumskonvergenz (vgl. Quandt 2008) aus. Im Rahmen der Konzeption von Konvergenzfolgen muss stets die Möglichkeit der gesellschaftlichen Divergenz mitgedacht werden. Der Fokus bewegt hierbei vom sogenannten „Digital Divide“, also den Fragen und Möglichkeiten des technischen Zugangs, hin zu den kulturellen Kompetenzen und sozialen Fähigkeiten (Medienkompetenz/media literacy; vgl. Jenkins 2009) und nimmt gleichzeitig die Fragmentierung des Publikums in den Blick.

Beispiel Konvergenz von Telekommunikations- und Unterhaltungsindustrie

Martin Polon prognostizierte bereits Mitte der 1990er Jahre in seinem Essay über Technologie und Spielfilme in der Zukunft eine Konvergenz von Telekommunikations- und Unterhaltungsindustrie; er geht dabei davon aus, dass der Konsument neue Distributionsformen akzeptieren wird:

„Private Haushalte werden über Videokabel und/oder Glasfaserlinie der Telefongesellschaft und/oder direkte Satellitenübertragung mit Unterhaltungs- und Informationsquellen verbunden sein. Die Verbindungen ermöglichen zum Teil gegenseitige Kommunikation wie beim Zweiwegkabel“.[1]

Beispiel Konvergenz von Computer- und Unterhaltungsindustrie

Nicholas Negroponte vom Media Lab des MIT prognostizierte ebenfalls Mitte der 1990er Jahre eine Annäherung von Fernsehempfänger und Computer; er lässt dabei offen, ob Computer eher zu intelligenten Fernsehern degenerieren oder Fernsehgeräte eher zu Computern mutieren werden. Negroponte meint, beide seien „ein und dasselbe“ und rät den Herstellern von Fernsehgeräten, in die Zukunft zu investieren und PCs zu produzieren.

Der fundamentale Unterschied zwischen heutigen Fernsehgeräten und PCs sei nicht der jeweilige Standort im Arbeits- bzw. Wohnzimmer, deren sozialen Eigenheiten oder der Drang nach Unterhaltung, sondern allein die Frage „wie die Bits ankommen“. Negroponte spielt dabei auf das Push- bzw. Pull-Prinzip an. Er sieht darin allerdings keine entgegengesetzten Prinzipien, sondern eher einander ergänzende Modi beim „Verteilen von Bits“.[2]

Bereits im April 1995 erschienen erste Artikel von Alexander Gäfe aus Deutschland zu der Verschmelzung und neuen Nutzung unterschiedlicher Medien und daraus entstehenden neuen Distributionswegen. Schwarze Löcher auf Sendung.[3]

Entwicklungsmöglichkeiten

Generell sind drei Entwicklungstendenzen vorstellbar, wenn ein neues Medium eingeführt wird:

Extinktion
Bei der Ablösung oder Verdrängung wird ein Medium beispielsweise durch eine technische Innovation weitgehend ersetzt. Ein solcher Prozess ergab sich beispielsweise nach der Einführung der Compact Disc (CD), durch die die Bedeutung der analogen Schallplatte als Wiedergabemedium für Sprach- und Tonaufnahmen massiv reduziert wurde. Solche Entwicklungen bilden im Mediensektor jedoch eher die Ausnahme.
Konvergenz und Koexistenz
Bei Annäherungs- und Ergänzungsprozessen wird ein Medium nicht durch ein anderes verdrängt, sondern nur ergänzt; zwei Technologien existieren dann nebeneinander. Ein Grund für Koexistenz kann beispielsweise das Vorhandensein spezifischer Eignungen der Medien für jeweils unterschiedliche Zwecke sein. Einen solchen Prozess gab es beispielsweise nach der Einführung der Musikkassette (MC), durch die die analoge Schallplatte nicht verdrängt wurde.
Evolution
Etwas spezifisches Neues entsteht, wenn ein neues Medium entwickelt wird, das wirklich neuartige Nutzungsmöglichkeiten bietet; andere Technologien werden nicht verdrängt, aber möglicherweise durchaus beeinflusst. Einen solchen Prozess gab es beispielsweise nach dem Durchbruch des Information Superhighway in seiner real existierenden Ausprägung als Internet, welches vollkommen neuartige Möglichkeiten – von Usenet über Peer-to-Peer, Weblogs und Ebay bis hin zu Wikis – bot.

Forschung

Konvergente Entwicklungen lassen sich in den unterschiedlichsten Kontexten untersuchen.

Das Zusammenwachsen der Medien („Medienkonvergenz“) wurde durch technische Entwicklungen – vor allem die Digitalisierung der traditionellen Medien und die Etablierung des world wide web – ausgelöst und wird durch technische Weiterentwicklungen sowie durch die damit verbundene wirtschaftliche Eigendynamik vorangetrieben. Die Folge sind eine tiefgreifende Veränderung der wirtschaftlichen Grundlagen der Medien sowie eine Neubestimmung der Charakteristika der Mediengattungen und ihrer Abgrenzung voneinander. Daraus resultieren Herausforderungen an die Forschung und Lehre im Bereich der Medientechnik, der Medienwirtschaft und des Medienmanagement.

Den Prozess der Medienkonvergenz kann man als Folge einer verzweigten Kette von Einflussfaktoren begreifen, die bei der Entwicklung der Medientechniken beginnt, die Medienwirtschaft und das Medienmanagement beeinflussen, sich in der Veränderung der Medienberufe und der der Medienangebote niederschlagen, die Mediennutzung und Medienwirkung prägen und nach neuen rechtlichen Rahmenbedingungen für alle genannten Aspekte verlangen.

Neologismus

Das Adjektiv „medienkonvergent“ ist ein Neologismus und wurde im Jahr 2000 von Alexander Gäfe für ein neues Medienformat und die Beschreibung seiner Verbreitung über verschiedene Plattformen und Distributionsmedien erfunden. Der Begriff fand seinen Einzug in die Öffentlichkeit durch verschiedene Artikel in der Presse.[4][5][6][7]

Siehe auch

Literatur

  • Chris Anderson: Free: The Future of a Radical Price. Hyperion, 2009, ISBN 978-1-4013-2290-8.
  • Nicola Döring: Sozialpsychologie des Internet. Die Bedeutung des Internet für Kommunikationsprozesse, Identitäten, soziale Beziehungen und Gruppen. (= Internet und Psychologie. Neue Medien in der Psychologie. 2). 2., vollst. überarb. und erweit. Auflage. Hogrefe, Göttingen u. a. 2003.
  • Ulrich Dolata, Jan-Felix Schrape: Internet, Mobile Devices und die Transformation der Medien. Radikaler Wandel als schrittweise Rekonfiguration. Edition Sigma, Berlin 2013, ISBN 978-3-8360-3588-0.
  • Rüdiger Funiok: medienethik: Verantwortung in der Mediengesellschaft. W. Kohlhammer, 2007.
  • Johann Günther: Digital Natives & Digital Immigrants. Studien Verlag, 2008.
  • Jeff Jarvis: What Would Google Do? Collins Business, 2009.
  • Henry Jenkins: Convergence Culture: Where Old and New Media Collide. New York University Press, New York 2006.
  • Henry Jenkins u. a.: Confronting the Challenges of Participatory Culture: Media Education for the 21st Century. 2009. newmedialiteracies
  • R. Kaumanns: Konvergenz oder Divergenz? Erwartungen und Präferenzen der Konsumenten an die Telekommunikations- und Medienangebote von morgen. IBM Studie, 2006. (PDF)
  • Jaron Lanier: You are not a Gadget. Alfred A. Knopf, 2010.
  • T. Quandt: Medieninnovationen und Konvergenz. Formen, Faktoren und Felder des Medienwandels. Unveröffentlichte Habilitationsschrift. Ludwig-Maximilians-Universität, München 2008.
  • Frank Schirrmacher: Payback. Blessing, 2009.
  • R. Silverstone: Television and Everyday Life. Taylor & Francis, 1994.
  • James Surowiecki: The Wisdom of Crowds. Anchor Books, 2005.
  • Don Tapscott, Anthony D. Williams: Wikinomics. Die Revolution im Netz. dtv, 2009.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Jason E. Squire: Movie Business Book. Könemann, Köln 1995, S. 491.
  2. Nicholas Negroponte: PCs werden Fernsehgeräte – oder umgekehrt? (Read Me). In: Hyper! 12/1995.
  3. phil.uni-sb.de (Memento des Originals vom 8. Dezember 2008 im Internet Archive)  Info: Der Archivlink wurde automatisch eingesetzt und noch nicht geprüft. Bitte prüfe Original- und Archivlink gemäß Anleitung und entferne dann diesen Hinweis.@1@2Vorlage:Webachiv/IABot/www.phil.uni-sb.de
  4. Burkhard Schmidt: Tod im Netz. In: Die Welt. 17. Januar 2001, abgerufen am 18. Juni 2015.
  5. Dirk Engelhardt: Das Stahlborn-Projekt. In: Berliner Zeitung. 12. Februar 2001, abgerufen am 18. Juni 2015.
  6. Interaktiver Webkrimi in Planung. "Stahlborn" soll auch fürs Fernsehen adaptiert werden. In: Pressetext Nachrichtenagentur. 23. Januar 2001, abgerufen am 18. Juni 2015.
  7. Frank Lehmkuhl: Filme: Robbies unzensierter Horror-Strip. In: Focus 20/2001. 14. Mai 2001, abgerufen am 18. Juni 2015.