Meridian Czernowitz
Das Meridian Czernowitz ist ein Anfang September stattfindendes internationales Poesiefestival in Czernowitz, Ukraine. Es wird seit 2010 jährlich veranstaltet.[1]
Festivalprogramm und -orte
Zum Programm des Festivals zählen Dichterlesungen, Diskussionen, Theatervorstellungen, Konzerte, Buchvorstellungen. Veranstaltungsorte sind die Räume der Nationale Jurij-Fedkowytsch-Universität Czernowitz, der aus dem ehemals jüdischen Nationalhaus umbenannte Zentrale Kulturpalast, das 2014 eröffnete Paul-Celan-Literatur-Zentrum sowie weitere öffentliche Räume und Plätze.
Geschichte des Festivals
Das Festival wurde 2010 von dem in Rundfunkanstalten des Senders Radio Svoboda wirkenden russisch-ukrainischen Dissidenten Igor Pomeranzew und seinem Neffen Svjatoslav gegründet. Maßgeblich gefördert wurde es in der Folgezeit von dem Goethe-Institut Kiew, ukrainischen Institutionen und Medien sowie europäischen Literaturfreunden und Kulturförderern. Im Laufe von fünf Jahren griff die Veranstaltung weiter über den Veranstaltungsort Czernowitz hinaus: Die Veranstaltung wurde Impulsgeber für eine Poetische Tour. 2013 gab es parallel zu der von der Prager Foto-Dichterin Milena Findeis herausgegebenen Literaturzeitung ZeitZug einen Dichter-Zug mit Lesungen. 2014 war der Meridian Czernowitz Bestandteil einer einen Monat währenden und dem Sonnenlauf folgenden Veranstaltungsserie von Charkiw über Kiew, Czernowitz, Lwiw, Ternopil, Warschau, Krakau, Prag, München, Stuttgart, Köln bis nach Wien. 2015 wurde die poetische Roadshow ausgeweitet bis nach Paris und Frankfurt am Main. 2016 fand im August der Meridian Odessa statt, im Oktober 2017 der Meridian Lutsk in Luzk. 2022 wurde der Titel in „Meridian Czernowitz Lesungen“ geändert, da der Begriff „Festival“ während des Krieges unangemessen erschien.[2]
Teilnehmer am Festival
Das Festival wird seit Anbeginn von Schriftstellern Europas (vor allem aus deutschsprachigen Ländern) und Israels besucht. Es nehmen von den ukrainischen Autoren unter anderen Oksana Sabuschko, Jurij Andruchowytsch, Serhij Schadan, Oleksandr Bojtschenko, Andrij Bondar, Boris Chersonskij, Jurij Isdryk, Marianna Kijanovska, Dmytro Lasutkin, Wassyl Machno, Igor Pomeranzew, Taras Prochasko, Ostap Slyvynskij, Marjana Sawka teil. Auch die jüngere Generation ukrainischer Autoren ist stark beteiligt, unteren anderen Kateryna Babkina, Irena Karpa, Andrij Ljubka, Iryna Wikyrtschak. Aus dem deutschsprachigen Raum haben u. a. Friedrich Achleitner, Max Czollek, Franz Josef Czernin, Michael Krüger, Andreas Neeser, Katja Petrowskaja, Dragica Rajcić, Ilma Rakusa und Klaus Reichert teilgenommen. Traditionsgemäß gibt es jedes Jahr auch zahlreiche Teilnehmer aus Rumänien und Polen. Ebenso ist Frankreich präsent, zuletzt durch Eric Celan, Bertrand Badiou und Philippe Beck. Wegen des einst hohen Anteils jüdischer Intelligenz an der Stadtbevölkerung von Czernowitz sind auch regelmäßig Dichter aus Israel Festivalteilnehmer. Das Festival ist insbesondere auch eine Bühne für die junge Generation von Schreibenden.
Übersetzer
Besonders verdienstvoll beim Festival ist die Leistung der Übersetzer. Petro Rychlo wirkt als beidseitiger Vermittler von Texten zwischen der deutschen und ukrainischen Sprache in Czernowitz, weitere teilnehmende Übersetzer waren Mark Belorusets, Taras Ivasiutyn und Claudia Dathe. Auch Evgenia Lopata, seit einigen Jahren Festivalsleiterin und Junge Europäerin des Jahres 2015, übersetzt.
Publikationen
Mit dem Festival verbunden ist der gleichnamige Verlag Meridian Czernowitz, der Werke teilnehmender Autoren publiziert. Weiterhin erschienen in ihm im Nachgang zur Veranstaltung vier Almanache mit einer Auswahl von Texten, die während der Veranstaltung vorgetragen und im Rahmen des Übersetzerstipendiums zuvor auch ins Deutsche übersetzt worden waren. Freundschaftlich verbunden ist mit dem Festival auch der in Czernowitz beheimatete Verlag Knyha XXI. Enge Bezüge bestehen schließlich auch zu mehrsprachig erscheinenden Literaturzeitschriften, namentlich zu ZeitZug in Prag sowie zu dem in Krakau publizierten Radar.
Stipendien
Zum Festival gehört ein Stipendium für Schriftsteller und Übersetzer, die für eine befristete Zeit in der Residenz leben und arbeiten.
Namensgeber
Seinen Namen empfing das Literaturfestival von dem in Czernowitz geborenen Paul Celan. Dieser lotete das Bild ungefähr folgendermaßen aus: Leben heißt den Meridian zu berühren – und das bedeutet die ständige Bewegung, in der sich menschliches Leben vollzieht. Der Scheitelpunkt des Sonnenlaufes wandert unablässig weiter, in ihm gilt es, immer wieder neu nach Sonnenstrahlen und Wärme zu haschen, auch wenn wir sie nicht fangen können.[3]
Einzelnachweise
- ↑ http://www.meridiancz.com/
- ↑ Anna Prizkau: Reise nach Czernowitz - Sie können jederzeit alles verlieren. In: www.faz.net. Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10. September 2022, abgerufen am 19. September 2022.
- ↑ Celan hatte sich in seiner Rede anläßlich des Empfangs des Büchnerpreises der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung im Jahre 1960, folgendermaßen geäußert: "Ich finde etwas – wie die Sprache – Immaterielles, aber Irdisches, Terrestrisches, etwas Kreisförmiges, über die beiden Pole in sich selbst Zurückkehrendes und dabei – heitererweise – sogar die Tropen Durchkreuzendes –: ich finde... einen Meridian. Mit Ihnen und Georg Büchner und dem Lande Hessen habe ich ihn soeben wieder zu berühren geglaubt." Der volle Text der Rede findet sich auf der Webseite der Akademie. Vielleicht hat Celan damals auch an den alten Pulkowo-Meridian des Russischen Reiches gedacht, der nicht allzu weit östlich von Czernowitz verläuft und der vor dem Nullmeridian von Greenwich hier galt. Czernowitz als alternativer und orientierender neuer Meridian im Gegensatz zum Pulkowo-Meridian war jedenfalls den Initiatoren des Meridian Czernowitz im Sinn.
Literatur und Weblinks
- Andreas Saurer, Czernowitz - ein begehbares Gedächtnis, in: Berner Zeitung 13. November 2010
- Birgit Görtz, Ein Fest der Poesie. Deutsche Welle 2. Dezember 2012
- Volker Breidecker, Literatur im Krieg, in: Süddeutsche Zeitung 11. September 2014, S. 14
- Johann Holzner, Die Musen schweigen nicht in Czernowitz, in: Die Furche 9. Oktober 2014 Seite 18.
- Andreas Neeser, Ein bisschen Frieden, in: Die Nordwestschweiz 16. September 2014, 18-19
- Christian Weise, Die Musen schweigen nicht, in: ZeitZug [24. September 2014, redigiert von Milena Findeis] http://zeitzug.com/czernowitz/v-internationales-lyrikfestival-meridian-czernowitz.html# sowie in ukraine-nachrichten.de [25. September 2014, nach redaktioneller Beratung von Ursula Kiermeier] http://ukraine-nachrichten.de/die-musen-schweigen-nicht-eine-nachlese-zum-5-poesie-festival-meridian-czernowitz_4090_gesellschaft
- Christian Weise, Czernowitzer Professor Dr. Peter Rychlo als Brückenbauer geehrt, in: Der Südostdeutsche 11, 2014, 6.
- Anna Prizkau, Kriegstalk, aha, in: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung 37, 13. September 2015, 45.
- Lerke von Saalfeld, Galizien im Zeichen von Dichtung und Krieg, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung 214, 15. September 2015, 12.
- Claus Löser, Von Czernowitz nach Tscherniwzi und zurück, in: Berliner Zeitung 217, 17. September 2015, 25
- Igor Pomerantsev, Gründervater von Meridian Czernowitz